Samstag, 9. September 2017

Über eine Studie zu den Rahmenbedingungen von Schulbegleitungen

In der Zeitschrift für Heilpädagogik, Ausgabe 6-2016, wurde das Ergebnis einer Befragung von Lehrkräften und Schulbegleitungen an Oldenburger Schulen vorgestellt (Quellenangabe siehe unten). 

Sich mit einer solchen Arbeit auseinanderzusetzen, kann zu einigen sehr interessanten Einsichten führen. In diesem Fall gefiel mir der Aufbau der Studie, auch wenn ich manche Punkte gerne noch zusätzlich gesehen hätte. Sehr gut gefiel mir dabei, dass man die Antworten von Betreuern und Lehrern getrennt aufführte und somit ein Vergleich ermöglicht wurde. Inhaltlich empfand ich die Darstellung der Tätigkeits-Bandbreite, also was zu leisten ist, hilfreich und förderlich für ein besseres Verständnis für diese Betreuungsarbeit. Es wird zudem sogar „quantifiziert“, wie hoch ein möglicher Anteil am viel beschworenen „Kernbereich pädagogischer Arbeit“ ausfallen kann. Was sich da zeigt ist, dass diese Leistungserbringung fachlich viel herausfordernder und keinesfalls eine pädagogische Assistenzleistung ist.

Der folgende Text soll jetzt keine Wiederholung dieser Studie sein, sondern es geht um das, was ich daraus für mich gelernt habe.


Vorbemerkungen:

Die Studie ist sehr umfassend, auch wenn die Zahl der Befragten überschaubar erscheint. Man versuchte eine Kompletterhebung an Oldenburger Schulen und den dort eingesetzten Anbietern von Schulbegleitungen (Träger, Dienste bzw. Leistungserbringer) zu erreichen und verschickte Fragebögen mit „Zustimmungsfragen“ und „offenen Fragen“ an Begleitungskräfte und Lehrer.

Es beteiligten sich 19 von 52 Schulen in der Region, dennoch fiel die Teilnahme insgesamt recht gut aus. Von 113 zurückerhaltenen Fragebögen, mussten acht Stück „aufgrund fehlender zentraler Angaben“ ausgeschlossen werden, die übrigen 105 gelangten somit in die weitere Auswertung. Hiervon entfielen wiederum 55 Fragebögen auf Betreuungskräfte (von etwa 100 Schulbegleitungen insgesamt) und 50 auf Lehrer (S. 266).

Gerade weil Adressaten der Befragung zwei Funktionsträger waren, nämlich Schulbegleitungen und Lehrer, konnte man sehr gut einen Vergleich der Antworten vornehmen und daraus in manchen Fällen neue Einsichten gewinnen. Lehrkräfte arbeiten mit einer Klasse von Schulkindern, Schulbegleitungen betreuen dagegen vielleicht nur ein oder zwei Kinder. Lehrer müssen einen pädagogischen Auftrag erfüllen, die Betreuungskräfte versuchen eine personenorientierte Hilfe zur Schulausbildung zu geben. Es ist also nicht nur die Zielgruppe in ihrer Größe verschieden, das Ziel selbst ist ein ganz anderes, so dass man verschiedene Sichtweisen auswerten konnte.

Was leider fehlt, ist eine Differenzierung nach den Bedarfen der Kinder bzw. Förderschwerpunkten und Besonderheiten. Wenn eine Kategorisierung möglich gewesen wäre, könnte man vielleicht ein besseres Verständnis für die Antworten gewinnen. Denkbar wäre z.B. eine Zuordnung nach den Bedarfsschwerpunkten: z.B. Körperbehinderung, Pflege, geistige Behinderung.

Die Studie untersuchte ebenfalls nicht, was die Kinder von sich aus brauchten bzw. nachfragten. Vielleicht kann man eine solche Nachfrage aus den Antworten der Schulbegleitungen herauslesen, immerhin sind sie „viel näher“ am behinderten Kind und seinen geäußerten Bedarfen dran. Bei den Antworten der Lehrkräfte handelte es sich mehr um Beobachtungen, die einen Bedarf zu sehen „glaubten“.

Hilfreich wäre es auch, wenn eine Benennung der Jahrgänge stattgefunden hätte. Es kann durchaus angenommen werden, dass in den weiterführenden Stufen sich die Aufgaben und Tätigkeiten deutlich gegenüber der Grundschulzeit ändern. Solche Änderungen könnten sich auch in der Qualifikation der Betreuungskräfte niederschlagen, so dass dann bestimmte Berufserfahrungen oder eine besondere Zusammenarbeit mit der Schulverwaltung erforderlich sind. Gerade auch was die Zusammenarbeit der Funktionsträger anbelangt, erkannten die Autoren der Studie einige Probleme, die zu verbessern sind.

Weitere Studien:

Die beiden Autoren bezogen sich zudem auf andere Studien und stellten dabei Besonderheiten heraus (Beck, Dworschak & Eibner, 2010; Dworschak, 2012a und 2012b; Besier, Fegert, Henn, Künster, Thurn & Ziegenhain, 2014). Doch insgesamt schienen „ähnliche Schlussfolgerungen“ (S. 276) vorzuliegen, was somit als eine Bestätigung dieser Arbeit verstanden werden kann.

Dennoch gestand man sich ein, dass nicht genügend Befragungen stattfinden konnten, um eine größere Aussagekraft zu gewinnen. Gerade die gemessenen hohen Standardabweichungen in vielen Fragestellungen „verweisen … auf eine große Streuung in den vorgenommenen Wertungen, die möglicherweise in der konkreten Organisation der Schulbegleitung an einzelnen Schulen, bzw. bei einzelnen Leistungsanbietern, sowie in der Qualifikation ihren Ursprung haben“ (S. 278).

Übersicht der Inhalte:

Man kann die Studie unterteilen in sieben Fragenkomplexe:

-        Tätigkeiten von Schulbegleitungen
-        Berufserfahrung und Qualifikation der Schulbegleitungen
-        Bewertung der Einarbeitung von Schulbegleitungen
-        Informierung über Kinder und Einsatzort
-        Erteilung von Aufträgen an die Schulbegleitungen
-        Ansprechpartner bei Fragen und Problemen
-        Bewertung des Besprechungssystems

Während sich der erste Fragenkomplex nur mit den Tätigkeiten einer Betreuungskraft beschäftigte, ging es bei den folgenden beiden Fragenkomplexe um die fachlichen Voraussetzungen von diesen Begleitungen. Zusammengenommen handelte es sich hier um Fragen, mit denen die Rolle der Schulbegleitung gut beschrieben werden konnte.

Die übrigen Fragenkomplexe richteten sich dagegen auf die Zusammenarbeit innerhalb der Struktur und in der Beziehung zu den übrigen Beteiligten – also den Lehrern (als 2. Funktionsträger), Schulleitung, Eltern und dem eigenen Arbeitgeber. Damit wurde nicht nur die Kommunikation zwischen diesen Gruppen verdeutlicht, auch die Weisungsstruktur wurde thematisiert.

Ergebnisse und eigene Schlussfolgerungen:

1.
Die Schulbegleitungen und Lehrkräfte wurden gebeten, „die jeweils fünf wichtigsten Tätigkeiten“ zu benennen. Die Autoren unterzogen daraufhin die Antworten einer Inhaltsanalyse und identifizierten 21 Tätigkeiten, die wiederum zu acht Bereichen zusammengefasst werden konnten – im Gegensatz hierzu wurden in den anderen Studien lediglich vier bis sechs Tätigkeitsbereiche herausgearbeitet. Somit war die vorliegende Darstellung viel differenzierter.

Im Bereich „Interaktion und Sozialverhalten“ sind sechs Tätigkeiten, u.a. Schulalltag, emotional-soziale Unterstützung, Verhaltensregeln und Persönliche Bezugsperson zusammengefasst. Die in diesem Bereich enthaltenen Tätigkeiten wurden mit etwa 35,6 bzw. 37,5 % aller Nennungen am häufigsten von den Schulbegleitungen und Lehrkräften angeführt.

Fast ebenso häufig wurde im Bereich „Arbeitsverhalten“ die Tätigkeiten Unterstützung im Lernprozess, Motivation, Konzentration und Ausdauer sowie Organisation von Abläufen und Materialien zusammengefasst. Hier ergab sich allerdings eine deutliche Abweichung beim prozentualen Vergleich der Nennungen. Während 32,2 % der Schulbegleitungen diese Tätigkeiten als „wichtig“ anführten, stimmten 42,6 % der Lehrkräfte dem zu. Eine Erklärung für diese Abweichung könnte darin zu finden sein, dass die Funktionsträger unterschiedliche Aufgaben erfüllen müssen und die Lehrer den Wunsch nach zusätzlichen Assistenzkräften haben, um auf die sehr heterogenen Bedarfe in den Klassen einzugehen.

Dass Motivation immerhin einen Anteil von 4,3 bzw. 3,9 % einnahm, überrascht nicht wirklich, denn mit einer solchen Tätigkeit wird die Konzentration und Aufmerksamkeit auf etwas gelenkt – z.B. auf den Lernstoff selber. Gerade viele Leistungsträger für Hilfen zur Schulausbildung (als Teil der Eingliederungshilfe) sehen hierin eine Tätigkeit, die zu den eigentlichen Aufgaben einer Lehrkraft zählen und somit den klassischen „Kernbereich pädagogischer Arbeit“ betreffen. Was besser herausgearbeitet hätte werden müssen, wäre die Frage, worauf sich diese Motivation in Wirklichkeit bezieht. Möglicherweise ging es nicht um das Lernen an sich.

Weil nicht jedes leistungsbedürftige Kind Unterstützung bei der Hygiene / Körper-Pflege braucht oder Hilfen bei der Wahrnehmung und der Behandlungspflege, fanden sich in diesen Tätigkeitsbereichen auch nur niedrige Werte. Man darf aber nun nicht schlussfolgern, dass es sich um „unwesentliche“ Aufgaben handelt und der wirkliche Bedarf in anderen Bereichen zu finden ist. Die Besonderheiten des Einzelfalls sind maßgeblich.

Was sich dann auch noch zeigte, waren Angaben zu Unterricht und Anpassung von Lernstoff und Materialien (5,1 % / 4,2 %); mit anderen Worten: Schulbegleitungen sind wie pädagogische Assistenten, vielleicht im Auftrag der Lehrkraft, tätig. Die Autoren der Studie weisen darauf hin, dass es sich um Tätigkeiten handelt, die „nicht“ zu den Aufgaben der Schulbegleitung gehören (S. 267). Dennoch sehen etwa drei Betreuungskräfte und zwei Lehrer eine Erforderlichkeit, was wiederum nicht zwingend bedeutet, dass Schulbegleitungen tatsächlich unterrichten.

2.
In der Studie wurde auch untersucht, welche Berufserfahrungen und Qualifikationen vorhanden waren. Wie sich zeigte, hatten gut ein Drittel der befragten Begleitungskräfte eine Berufserfahrung als Schulbegleitung von höchstens einem Jahr. Gerade im Grundschulbereich, ganz besonders in den beiden ersten Jahren, ist Beständigkeit hilfreich und förderlich. Wenn dagegen ein Wechsel innerhalb von wenigen Jahren hinzunehmen ist, können sich Vertrauen und Schutzzone für das behinderte Kind einfach nicht entwickeln. Nur 18,3 % der Befragten konnten dagegen eine Berufserfahrung von über vier Jahren aufweisen, was vermuten lässt, dass vielleicht nur bei fast jedem fünften Kind eine Person als Schulbegleitung über die gesamte Grundschulzeit zur Verfügung stand.

Eine derart langjährige Begleitungsarbeit kann zu einer Personenabhängigkeit führen, die für sich genommen sehr viele Probleme mit sich bringen kann. Es entsteht dabei nicht nur die Gefahr des Distanzverlustes, in der Arbeitsorganisation ist die Stellvertretung damit erschwert. Von daher sollten Teamleitungen die Schulbegleitung als eine Team-Leistung ansehen und dies auch mit den Eltern so besprechen, die natürlich viel lieber eine Beständigkeit wünschen.

Was die Qualifikation für diese Betreuungsarbeit anbelangte, zeigte sich ein Anteil von 12,7 % an nicht ausgebildeten Betreuungskräften (d.h. es reicht, „sozial erfahren“ zu sein). Studierende nahmen dagegen einen Anteil von 14,5 % ein, und der Anteil an Personen mit einer Ausbildung, die nichts mit Pädagogik oder Pflege zu tun hat, betrug 25,5 %. Man kann also sagen, dass etwas weniger als die Hälfte der Betreuungskräfte eine Ausbildung im Sozial- und Erziehungsdienst oder in einem Pflegeberuf aufwiesen und damit gut qualifiziert waren für diese Betreuungsleistung. In anderen Bundesländern oder Regionen kann dies allerdings ganz anders sein, weil die Leistungsträger grundsätzlich einen sehr niedrigen Qualifizierungsgrad als ausreichend und erforderlich erachten (d.h. Bezahlung nach dem Mindestlohn oder sogar nur FSJ-/BFD-Kräfte).

3.
Um dennoch ein gutes Gelingen zu gewährleisten, sollte eine gute Vorbereitung und Einarbeitung stattfinden. Die Befragung offenbarte an dieser Stelle nur mittlere Werte, wobei die Autoren der Studie aufgrund der gemessenen relativ hohen Standardabweichungen große Unterschiede z.B. bei den Schulen und von Person zu Person vermuteten. Man könnte darin ein „ins kalte Wasser schmeißen“ annehmen und die Fachlichkeit der übergeordneten Beteiligten anzweifeln. Gerade weil sich hier ein hoher Anteil an „Weiß nicht“-Antworten bei den Lehrern findet, aber bei den Antworten eine relativ hohe Übereinstimmung mit den Schulbegleitungen offenbart, kann angenommen werden, dass in vielen Fällen die Einarbeitung nicht stattfindet, aber dort, wo es eine solche Vorbereitung gibt, diese von den Lehrkräften auch so bestätigt wird.

In einer weiteren Frage wurde dann untersucht, ob nach Meinung der Betreuungskräfte und Lehrer eine Abstimmung oder ein Austausch über den Aufgabenbereich der Schulbegleitung stattgefunden hat. Es finden sich zwar wieder hohe Standardabweichungen und erneut ein hoher Anteil an „Weiß nicht“-Antworten seitens der Lehrer, immerhin sprechen die meisten der Befragten davon, dass man sich „eher viel“ abgestimmt hat. Sogenannte Kooperationsgespräche zwischen den Trägern der Eingliederungshilfe, den Schulverwaltungen und den Leistungserbringern (mit den Teamleitungen) scheinen sich gut zu bewähren. Inwieweit die Ergebnisse dieser Gespräche schließlich weitergeleitet werden an diejenigen, die mit dem Kind arbeiten sollen, ist allerdings fraglich.

Eigenes Fazit:

Diese ersten drei Abschnitte vermitteln ein sehr gutes Bild der Begleitungsarbeit, allerdings mehr aus der Perspektive der Funktionsträger Schulbegleitung und Lehrkräfte. Diese institutsorientierte Sichtweise widerspricht eigentlich dem Ziel der Eingliederungshilfe, da es doch um die Bedarfe des hilfebedürftigen Menschen geht (§ 9 SGB XII).

Sobald man nämlich die Bedarfe des Kindes deutlicher herausstellt, würde sich auch ein besseres „Rollen-Verständnis“ bei den Funktionsträgern ergeben, so dass ein sinnvolles und zielführendes Sich-Ergänzen im Schulalltag ermöglicht wird. Dies schließt auch die Leistungsträger ein, bei denen oftmals noch die Vorstellung eines „Handreichens“ die Betreuungsarbeit definiert. Von daher ist neben der Diskussion über die Bedarfe des behinderten Menschen auch eine Diskussion über die fachlichen Leistungen notwendig; dazu gehören Vertrauens- und Beziehungsarbeit, Bereitstellung einer dauerhaften Schutzzone sowie die Angehörigen- und Elternarbeit.

CGS



Quelle:

PD Dr. Holger Lindemann und Anna Schlarmann (BA)

„Schulbegleitung: Eine deskriptive Analyse der Rahmenbedingungen“
Zeitschrift für Heilpädagogik, Ausgabe 6-2016, S. 264 bis 279

AFET Bundesverband für Erziehungshilfe e.V.
(zuletzt aufgerufen am 9.9.2017)


Beteiligungsquote an der Befragung:






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