In der Zeitschrift für Heilpädagogik, Ausgabe 6-2016, wurde
das Ergebnis einer Befragung von Lehrkräften und Schulbegleitungen an
Oldenburger Schulen vorgestellt (Quellenangabe siehe unten).
Sich mit einer solchen Arbeit auseinanderzusetzen, kann zu
einigen sehr interessanten Einsichten führen. In diesem Fall gefiel mir der
Aufbau der Studie, auch wenn ich manche Punkte gerne noch zusätzlich gesehen
hätte. Sehr gut gefiel mir dabei, dass man die Antworten von Betreuern und
Lehrern getrennt aufführte und somit ein Vergleich ermöglicht wurde. Inhaltlich
empfand ich die Darstellung der Tätigkeits-Bandbreite, also was zu leisten ist,
hilfreich und förderlich für ein besseres Verständnis für diese
Betreuungsarbeit. Es wird zudem sogar „quantifiziert“, wie hoch ein möglicher
Anteil am viel beschworenen „Kernbereich pädagogischer Arbeit“ ausfallen kann.
Was sich da zeigt ist, dass diese Leistungserbringung fachlich viel herausfordernder
und keinesfalls eine pädagogische Assistenzleistung ist.
Der folgende Text soll jetzt keine Wiederholung dieser
Studie sein, sondern es geht um das, was ich daraus für mich gelernt habe.
Vorbemerkungen:
Die Studie ist sehr umfassend,
auch wenn die Zahl der Befragten überschaubar erscheint. Man versuchte eine
Kompletterhebung an Oldenburger Schulen und den dort eingesetzten Anbietern von
Schulbegleitungen (Träger, Dienste bzw. Leistungserbringer) zu erreichen und
verschickte Fragebögen mit „Zustimmungsfragen“ und „offenen Fragen“ an
Begleitungskräfte und Lehrer.
Es beteiligten sich 19 von 52
Schulen in der Region, dennoch fiel die Teilnahme insgesamt recht gut aus. Von
113 zurückerhaltenen Fragebögen, mussten acht Stück „aufgrund fehlender
zentraler Angaben“ ausgeschlossen werden, die übrigen 105 gelangten somit in
die weitere Auswertung. Hiervon entfielen wiederum 55 Fragebögen auf
Betreuungskräfte (von etwa 100 Schulbegleitungen insgesamt) und 50 auf Lehrer
(S. 266).
Gerade weil Adressaten der
Befragung zwei Funktionsträger waren, nämlich Schulbegleitungen und Lehrer, konnte
man sehr gut einen Vergleich der Antworten vornehmen und daraus in manchen
Fällen neue Einsichten gewinnen. Lehrkräfte arbeiten mit einer Klasse von
Schulkindern, Schulbegleitungen betreuen dagegen vielleicht nur ein oder zwei
Kinder. Lehrer müssen einen pädagogischen Auftrag erfüllen, die Betreuungskräfte
versuchen eine personenorientierte Hilfe zur Schulausbildung zu geben. Es ist
also nicht nur die Zielgruppe in ihrer Größe verschieden, das Ziel selbst ist
ein ganz anderes, so dass man verschiedene Sichtweisen auswerten konnte.
Was leider fehlt, ist eine
Differenzierung nach den Bedarfen der Kinder bzw. Förderschwerpunkten und
Besonderheiten. Wenn eine Kategorisierung möglich gewesen wäre, könnte man
vielleicht ein besseres Verständnis für die Antworten gewinnen. Denkbar wäre z.B.
eine Zuordnung nach den Bedarfsschwerpunkten: z.B. Körperbehinderung, Pflege,
geistige Behinderung.
Die Studie untersuchte ebenfalls
nicht, was die Kinder von sich aus brauchten bzw. nachfragten. Vielleicht kann
man eine solche Nachfrage aus den Antworten der Schulbegleitungen herauslesen,
immerhin sind sie „viel näher“ am behinderten Kind und seinen geäußerten
Bedarfen dran. Bei den Antworten der Lehrkräfte handelte es sich mehr um
Beobachtungen, die einen Bedarf zu sehen „glaubten“.
Hilfreich wäre es auch, wenn
eine Benennung der Jahrgänge stattgefunden hätte. Es kann durchaus angenommen
werden, dass in den weiterführenden Stufen sich die Aufgaben und Tätigkeiten
deutlich gegenüber der Grundschulzeit ändern. Solche Änderungen könnten sich
auch in der Qualifikation der Betreuungskräfte niederschlagen, so dass dann
bestimmte Berufserfahrungen oder eine besondere Zusammenarbeit mit der
Schulverwaltung erforderlich sind. Gerade auch was die Zusammenarbeit der
Funktionsträger anbelangt, erkannten die Autoren der Studie einige Probleme,
die zu verbessern sind.
Weitere Studien:
Die beiden Autoren bezogen sich
zudem auf andere Studien und stellten dabei Besonderheiten heraus (Beck,
Dworschak & Eibner, 2010; Dworschak, 2012a und 2012b; Besier, Fegert, Henn,
Künster, Thurn & Ziegenhain, 2014). Doch insgesamt schienen „ähnliche
Schlussfolgerungen“ (S. 276) vorzuliegen, was somit als eine Bestätigung dieser
Arbeit verstanden werden kann.
Dennoch gestand man sich ein,
dass nicht genügend Befragungen stattfinden konnten, um eine größere
Aussagekraft zu gewinnen. Gerade die gemessenen hohen Standardabweichungen in
vielen Fragestellungen „verweisen … auf eine große Streuung in den
vorgenommenen Wertungen, die möglicherweise in der konkreten Organisation der
Schulbegleitung an einzelnen Schulen, bzw. bei einzelnen Leistungsanbietern,
sowie in der Qualifikation ihren Ursprung haben“ (S. 278).
Übersicht der
Inhalte:
Man kann die Studie unterteilen
in sieben Fragenkomplexe:
-
Tätigkeiten von
Schulbegleitungen
-
Berufserfahrung und
Qualifikation der Schulbegleitungen
-
Bewertung der
Einarbeitung von Schulbegleitungen
-
Informierung über
Kinder und Einsatzort
-
Erteilung von
Aufträgen an die Schulbegleitungen
-
Ansprechpartner bei
Fragen und Problemen
-
Bewertung des
Besprechungssystems
Während sich der erste
Fragenkomplex nur mit den Tätigkeiten einer Betreuungskraft beschäftigte, ging
es bei den folgenden beiden Fragenkomplexe um die fachlichen Voraussetzungen
von diesen Begleitungen. Zusammengenommen handelte es sich hier um Fragen, mit
denen die Rolle der Schulbegleitung gut beschrieben werden konnte.
Die übrigen Fragenkomplexe
richteten sich dagegen auf die Zusammenarbeit innerhalb der Struktur und in der
Beziehung zu den übrigen Beteiligten – also den Lehrern (als 2.
Funktionsträger), Schulleitung, Eltern und dem eigenen Arbeitgeber. Damit wurde
nicht nur die Kommunikation zwischen diesen Gruppen verdeutlicht, auch die Weisungsstruktur wurde thematisiert.
Ergebnisse und
eigene Schlussfolgerungen:
1.
Die Schulbegleitungen und
Lehrkräfte wurden gebeten, „die jeweils fünf wichtigsten Tätigkeiten“ zu
benennen. Die Autoren unterzogen daraufhin die Antworten einer Inhaltsanalyse
und identifizierten 21 Tätigkeiten, die wiederum zu acht Bereichen
zusammengefasst werden konnten – im Gegensatz hierzu wurden in den anderen
Studien lediglich vier bis sechs Tätigkeitsbereiche herausgearbeitet. Somit war
die vorliegende Darstellung viel differenzierter.
Im Bereich „Interaktion und
Sozialverhalten“ sind sechs Tätigkeiten, u.a. Schulalltag, emotional-soziale
Unterstützung, Verhaltensregeln und Persönliche Bezugsperson zusammengefasst.
Die in diesem Bereich enthaltenen Tätigkeiten wurden mit etwa 35,6 bzw. 37,5 %
aller Nennungen am häufigsten von den Schulbegleitungen und Lehrkräften angeführt.
Fast ebenso häufig wurde im
Bereich „Arbeitsverhalten“ die Tätigkeiten Unterstützung im Lernprozess, Motivation,
Konzentration und Ausdauer sowie Organisation von Abläufen und Materialien zusammengefasst.
Hier ergab sich allerdings eine deutliche Abweichung beim prozentualen
Vergleich der Nennungen. Während 32,2 % der Schulbegleitungen diese Tätigkeiten
als „wichtig“ anführten, stimmten 42,6 % der Lehrkräfte dem zu. Eine Erklärung
für diese Abweichung könnte darin zu finden sein, dass die Funktionsträger
unterschiedliche Aufgaben erfüllen müssen und die Lehrer den Wunsch nach
zusätzlichen Assistenzkräften haben, um auf die sehr heterogenen Bedarfe in den
Klassen einzugehen.
Dass Motivation immerhin einen
Anteil von 4,3 bzw. 3,9 % einnahm, überrascht nicht wirklich, denn mit einer
solchen Tätigkeit wird die Konzentration und Aufmerksamkeit auf etwas gelenkt –
z.B. auf den Lernstoff selber. Gerade viele Leistungsträger für Hilfen zur
Schulausbildung (als Teil der Eingliederungshilfe) sehen hierin eine Tätigkeit,
die zu den eigentlichen Aufgaben einer Lehrkraft zählen und somit den
klassischen „Kernbereich pädagogischer Arbeit“ betreffen. Was besser
herausgearbeitet hätte werden müssen, wäre die Frage, worauf sich diese
Motivation in Wirklichkeit bezieht. Möglicherweise ging es nicht um das Lernen
an sich.
Weil nicht jedes
leistungsbedürftige Kind Unterstützung bei der Hygiene / Körper-Pflege braucht
oder Hilfen bei der Wahrnehmung und der Behandlungspflege, fanden sich in
diesen Tätigkeitsbereichen auch nur niedrige Werte. Man darf aber nun nicht
schlussfolgern, dass es sich um „unwesentliche“ Aufgaben handelt und der wirkliche
Bedarf in anderen Bereichen zu finden ist. Die Besonderheiten des Einzelfalls
sind maßgeblich.
Was sich dann auch noch zeigte,
waren Angaben zu Unterricht und Anpassung von Lernstoff und Materialien (5,1 %
/ 4,2 %); mit anderen Worten: Schulbegleitungen sind wie pädagogische
Assistenten, vielleicht im Auftrag der Lehrkraft, tätig. Die Autoren der Studie
weisen darauf hin, dass es sich um Tätigkeiten handelt, die „nicht“ zu den
Aufgaben der Schulbegleitung gehören (S. 267). Dennoch sehen etwa drei
Betreuungskräfte und zwei Lehrer eine Erforderlichkeit, was wiederum nicht
zwingend bedeutet, dass Schulbegleitungen tatsächlich unterrichten.
2.
In der Studie wurde auch
untersucht, welche Berufserfahrungen und Qualifikationen vorhanden waren. Wie
sich zeigte, hatten gut ein Drittel der befragten Begleitungskräfte eine
Berufserfahrung als Schulbegleitung von höchstens einem Jahr. Gerade im
Grundschulbereich, ganz besonders in den beiden ersten Jahren, ist
Beständigkeit hilfreich und förderlich. Wenn dagegen ein Wechsel innerhalb von
wenigen Jahren hinzunehmen ist, können sich Vertrauen und Schutzzone für das
behinderte Kind einfach nicht entwickeln. Nur 18,3 % der Befragten konnten
dagegen eine Berufserfahrung von über vier Jahren aufweisen, was vermuten lässt,
dass vielleicht nur bei fast jedem fünften Kind eine Person als Schulbegleitung
über die gesamte Grundschulzeit zur Verfügung stand.
Eine derart langjährige
Begleitungsarbeit kann zu einer Personenabhängigkeit führen, die für sich genommen sehr viele Probleme mit sich bringen kann. Es entsteht dabei nicht nur
die Gefahr des Distanzverlustes, in der Arbeitsorganisation ist die
Stellvertretung damit erschwert. Von daher sollten Teamleitungen die
Schulbegleitung als eine Team-Leistung ansehen und dies auch mit den Eltern so
besprechen, die natürlich viel lieber eine Beständigkeit wünschen.
Was die Qualifikation für diese
Betreuungsarbeit anbelangte, zeigte sich ein Anteil von 12,7 % an nicht ausgebildeten
Betreuungskräften (d.h. es reicht, „sozial erfahren“ zu sein). Studierende nahmen
dagegen einen Anteil von 14,5 % ein, und der Anteil an Personen mit einer
Ausbildung, die nichts mit Pädagogik oder Pflege zu tun hat, betrug 25,5 %. Man
kann also sagen, dass etwas weniger als die Hälfte der Betreuungskräfte eine
Ausbildung im Sozial- und Erziehungsdienst oder in einem Pflegeberuf aufwiesen
und damit gut qualifiziert waren für diese Betreuungsleistung. In anderen
Bundesländern oder Regionen kann dies allerdings ganz anders sein, weil die
Leistungsträger grundsätzlich einen sehr niedrigen Qualifizierungsgrad als
ausreichend und erforderlich erachten (d.h. Bezahlung nach dem Mindestlohn
oder sogar nur FSJ-/BFD-Kräfte).
3.
Um dennoch ein gutes Gelingen
zu gewährleisten, sollte eine gute Vorbereitung und Einarbeitung stattfinden. Die
Befragung offenbarte an dieser Stelle nur mittlere Werte, wobei die Autoren der
Studie aufgrund der gemessenen relativ hohen Standardabweichungen große
Unterschiede z.B. bei den Schulen und von Person zu Person vermuteten. Man
könnte darin ein „ins kalte Wasser schmeißen“ annehmen und die Fachlichkeit der
übergeordneten Beteiligten anzweifeln. Gerade weil sich hier ein hoher Anteil
an „Weiß nicht“-Antworten bei den Lehrern findet, aber bei den Antworten eine
relativ hohe Übereinstimmung mit den Schulbegleitungen offenbart, kann angenommen
werden, dass in vielen Fällen die Einarbeitung nicht stattfindet, aber dort, wo
es eine solche Vorbereitung gibt, diese von den Lehrkräften auch so bestätigt
wird.
In einer weiteren Frage wurde dann
untersucht, ob nach Meinung der Betreuungskräfte und Lehrer eine Abstimmung oder
ein Austausch über den Aufgabenbereich der Schulbegleitung stattgefunden hat. Es
finden sich zwar wieder hohe Standardabweichungen und erneut ein hoher Anteil
an „Weiß nicht“-Antworten seitens der Lehrer, immerhin sprechen die meisten der
Befragten davon, dass man sich „eher viel“ abgestimmt hat. Sogenannte
Kooperationsgespräche zwischen den Trägern der Eingliederungshilfe, den
Schulverwaltungen und den Leistungserbringern (mit den Teamleitungen) scheinen
sich gut zu bewähren. Inwieweit die Ergebnisse dieser Gespräche schließlich
weitergeleitet werden an diejenigen, die mit dem Kind arbeiten sollen, ist
allerdings fraglich.
Eigenes Fazit:
Diese ersten drei Abschnitte
vermitteln ein sehr gutes Bild der Begleitungsarbeit, allerdings mehr aus
der Perspektive der Funktionsträger Schulbegleitung und Lehrkräfte. Diese
institutsorientierte Sichtweise widerspricht eigentlich dem Ziel der
Eingliederungshilfe, da es doch um die Bedarfe des hilfebedürftigen Menschen
geht (§ 9 SGB XII).
Sobald man nämlich die Bedarfe
des Kindes deutlicher herausstellt, würde sich auch ein besseres „Rollen-Verständnis“
bei den Funktionsträgern ergeben, so dass ein sinnvolles und zielführendes
Sich-Ergänzen im Schulalltag ermöglicht wird. Dies schließt auch die
Leistungsträger ein, bei denen oftmals noch die Vorstellung eines „Handreichens“
die Betreuungsarbeit definiert. Von daher ist neben der Diskussion über die
Bedarfe des behinderten Menschen auch eine Diskussion über die fachlichen
Leistungen notwendig; dazu gehören Vertrauens- und Beziehungsarbeit,
Bereitstellung einer dauerhaften Schutzzone sowie die Angehörigen- und
Elternarbeit.
CGS
Quelle:
PD Dr. Holger Lindemann und Anna
Schlarmann (BA)
„Schulbegleitung: Eine
deskriptive Analyse der Rahmenbedingungen“
Zeitschrift für Heilpädagogik,
Ausgabe 6-2016, S. 264 bis 279
AFET Bundesverband für Erziehungshilfe e.V.
(zuletzt aufgerufen am
9.9.2017)
Beteiligungsquote an der
Befragung:
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