Freitag, 25. Juli 2014

Die Arbeit am Bundesteilhabegesetz nimmt Fahrt auf.

Es gibt eine AG Bundesteilhabegesetz, eine Arbeitsgruppe von Fachexperten zur AG Bundesteilhabegesetz, dann gab es ein Gespräch mit Frau Ministerin Nahles wie auch ein Gespräch mit Herrn Schmachtenberg (BMAS). Rahmenbedingungen wurden abgesteckt, Ziele formuliert.

Ein Ziel ist die Reform der Eingliederungshilfe. Darunter verbergen sich im Wesentlichen die Punkte, welche schon im Beschluss des Bundesrates enthalten waren (908. Sitzung, Dokumentennummer 282/12). Und das war insbesondere die finanzielle Entlastung der Kommunen.

Auch wenn man den Eindruck bekommen könnte, hier würden Positionen verhandelt werden, die Interessenlage ist mitnichten immer konträr. Das BMAS sucht einen Weg, wie die Lastenverteilung elegant vorgenommen werden kann, und die Vertreter der Behindertenverbände und Unternehmen der Wohlfahrtspflege bemühen sich um eine Stärkung der Unterstützungssysteme für Menschen mit Behinderungen. Wer aber nach wie vor fehlt bei diesen „Verhandlungen“ und Gesprächen ist derjenige, welcher später die finanziellen Lasten aufbringen muss: der Steuerzahler.

Die Punkte, die jetzt besprochen sind lauten:

a) Finanzielle Entlastung der Kommunen
b) Heranziehung von Einkommen und Vermögen
c) Gesetzgebungsverfahren
d) Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung

Die Punkte a) und b) könnten eigentlich zusammengefasst. Die finanzielle Entlastung bzw. die Lastenverteilung von Kommunen und auch den Ländern (!) auf den Bund kann nur gelingen, wenn persönliche Einkommen und Vermögen herangezogen werden. Da eine Anhebung der Einkommenssteuern mit Teilen der Regierungskoalition nicht diskutierbar ist, zumal eine Abschaffung der kalten Progression von vielen ersehnt wird, bliebe als Möglichkeit die Aufbringung von Mitteln aus einer Vermögenssteuer.

Doch auch hier könnte es erhebliche Probleme geben, wenn nämlich im Zusammenhang mit der Beteiligung von Sparern an den Kosten der Euro-Finanzkrise eine Sparer- oder Vermögenssteuer von geringem Ausmaß  eingeführt wird. Eine solche („Zypern“-) Steuer wird gerade in Spanien ausprobiert. Wenn nun weitere Finanzierungsvorhaben dazukommen, die mit einer solchen Vermögenssteuer abzudecken wären, wird das Maß des Erträglichen schnell ausgeschöpft. Die Folgen wären Kapitalflucht aus Europa und ein erneutes Aufflammen der Liquiditätskrise.

Eine andere Idee zielt auf die Eigenbeteiligung von behinderten Menschen und ihren Verwandten ab (siehe auch meinen Beitrag vom 22.3.2013 unter dem Titel „Bundesteilhabegeld-Re-Finanzierung“). Doch werden die Behindertenverbände und Unternehmen der Wohlfahrtspflege abwägen müssen, inwieweit sie hier noch die Interessen ihrer Mitglieder vertreten.

Von daher müsste die Diskussion dahin gehen, die benötigten Mittel als Teil des laufenden Sozialversicherungsbeitrags aufzubringen, zumal Inklusion als gesamtgemeinschaftliche Aufgabe verstanden wird.

Zum Punkt c) gibt es konkrete Zeitvorgaben, an die sich alle Beteiligten halten sollen. Im Januar 2016 muss die Gesetzesvorlage ins Kabinett gebracht werden, zum 1.7.2016 erfolgt die Verkündigung mit möglicherweise späterem In-Kraft-Treten.

Warum Punkt d) ausdrücklich aufgenommen wurde, erscheint mir zzt. nicht klar. Denkbar wäre es, dass Leistungen für Kinder und Jugendliche zukünftig einem ganz anderen Bereich zuzuordnen wären (z.B. Bildung und Arbeitsmarktförderung). Was hier für ein besseres Verständnis noch fehlt, sind Zahlen und Daten.

Klar ist aber, dass es eine Ausweitung von Eingliederungshilfemaßnahmen nicht geben wird. Stattdessen wird man Wege suchen müssen, um das „Fürsorgesystem“ abzuschaffen und mehr Eigenverantwortung den Menschen mit Behinderungen zukommen zu lassen. Dazu gehört auch die Bildung von Netzwerken oder die Ausgestaltung von Sozialräumen (z.B. Infrastrukturförderung).

CGS


PS:

Die Serie Bundesteilhabegesetz (ehemals Bundesleistungsgesetz) wird jetzt nicht mehr als Serie fortgesetzt. Stattdessen werde ich die weiteren Entwicklungen wie oben kommentieren und bewerten.

Dienstag, 22. Juli 2014

Prüfungspunkte in Ablehnungsbescheiden (Fortsetzung des Themas Zuständigkeitsstreitigkeiten)

Kürzlich gab es eine Mitteilung des Bundessozialgerichts (BSG) zur Frage der Kostenübernahme einer Treppensteighilfe eines pflegebedürftigen Rollstuhlfahrers (Medieninformation Nr. 19/14 vom 16.7.2014 des Bundessozialgerichts). Ohne jetzt die Einzelheiten des zugrunde liegenden Falls näher zu kennen, interessiert mich hier das Problem der Zuständigkeitsprüfung, insbesondere vor dem Hintergrund eines abgelehnten Hilfebedarfs.

Der klagende Rollstuhlfahrer hatte von der beklagten Krankenkasse einen Ablehnungsbescheid erhalten, da die Treppensteighilfe ein Hilfsmittel ist, welches sich aus der besonderen, einzelfallbezogenen Wohnsituation des Klägers ergibt.

In § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V wird der Anspruch der Versicherten in Bezug auf die Versorgung mit medizinischen Hilfsmitteln geregelt. Der Anspruch entsteht, wenn der „Erfolg der Krankenhausbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen“ ist (auch bekannt als Behinderungsausgleich). Im vorliegenden Fall trafen alle drei Aspekte nicht zu.

Weiter heißt es in Satz 1, dass es sich bei den beantragten Hilfsmitteln nicht um „allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens“ handeln kann. Eine Treppensteighilfe wäre allerdings ein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens.

Von daher erscheint die Ablehnung der Krankenkasse nachvollziehbar.

Der Anspruch auf Leistung ergibt sich allerdings aus § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB XI. Der Kläger ist pflegebedürftig und seine besondere Wohnsituation macht es erforderlich, dass er ein Hilfsmittel benötigt, welches ihm eine „selbständigere Lebensführung“ ermöglicht (auch bekannt als Pflegeerleichterung). Eine Abgrenzung, wie es sie im vorgenannten § 33 SGB V gab, erfolgt nur, wenn die Gefahr eines Doppelanspruchs entsteht; soll heißen, wenn sowohl Krankenkasse und Pflegekasse (oder ein anderer Leistungsträger) die gleiche Leistung erbringen müssten.

Da der Antrag auf Leistung bei der Krankenkasse eingegangen war, hätte diese gem. § 40 Abs. 5 Satz 1 SGB XI die Zuständigkeit prüfen müssen bzw. „ob ein Anspruch gegenüber der Krankenkasse oder der Pflegekasse besteht“.

Dies wurde unterlassen, so dass das BSG die Revision der beklagten Krankenkasse zurückwies; die Krankenkasse ist demnach in ihrer Funktion als Pflegekasse zur Leistung verpflichtet.

An diesem Fall (Az. B 3 KR 1/14 R) erkennt man ein immer wiederkehrendes Problem: Die erstangegangenen Leistungsträger lehnen Anträge ab, ohne ausreichend und pflichtgemäß ihre Zuständigkeiten zu klären (§ 16 Abs. 2 SGB I). Antragsteller wissen nicht immer, wer zuständig wäre für die Bewilligung der beantragten Leistungen. Auch sind Anträge nicht immer klar, sachdienlich und vollständig formuliert (§ 16 Abs. 3 SGB I).

Die Krankenkasse hat aber diese Zuständigkeitsprüfung übersprungen und lehnte somit in der Folge einen Antrag ab, für den sie gar nicht zuständig gewesen wäre. Hätte sich der Leistungsberechtigte mit der Ablehnung begnügt, wäre die Treppensteighilfe nicht besorgt worden (oder hätte aus eigenen Mitteln angeschafft werden müssen).

Fazit:

Leistungsberechtigte müssen bei jedem Bescheid erst einmal prüfen, ob den Bescheid beantwortende Leistungsträger überhaupt eine Zuständigkeitsprüfung (z.B. nach § 14 Abs. 1 SGB IX oder § 98 SGB XII) pflichtgemäß unternommen hat und inwieweit eine Ursachenklärung bzw. Feststellung über den vorliegenden Hilfebedarf ausreichend und angemessen (z.B. nach § 9 SGB XII) stattfand.

Wenn diese beiden Prüfpunkte nicht erkennbar bearbeitet worden sind, ergeben sich hieraus die Begründungen für das dann anstehende Widerspruchsverfahren.

CGS


Quelle:



Montag, 21. Juli 2014

Die Zukunft der Integrationsassistenz in Schleswig-Holstein (Fortsetzung)

Am Anfang gab es einen Beschluss des LSG Schleswig-Holstein zur  Integrationsassistenz bzw. Schulbegleitung für Kinder mit Hilfebedarf an Regelschulen. Als Problem wurde gesehen, dass verschiedene Tätigkeiten des Integrationsassistenten im vorgelegten Fall den „Kernbereich der pädagogischen Arbeit“ betrafen und somit nicht in den Aufgabenbereich der Eingliederungshilfe nach §§ 35 a SGB VIII bzw. 53, 54 SGB XII fielen.

Was als „Kernbereich der pädagogischen Arbeit“ verstanden wird, hatte das LSG herauszuarbeiten versucht. Dabei wurde problematisiert, dass die tatsächliche Arbeit der Integrationsassistenten in diesen Kernbereich hineinragt. Eine solche Überlagerung muss aber aufgrund des Nachranggrundsatzes in § 2 SGB XII vom Träger der Sozialhilfe nicht geleistet werden (so das Gericht und natürlich die Träger der Sozialhilfe, aber vgl. auch LSG Baden-Württemberg weiter unten).

Weil nach Ansicht des Gerichtes im Schulgesetz von Schleswig-Holstein nicht nur die „reine Wissensvermittlung“ enthalten ist, sondern im Vordergrund die „inklusive Beschulung“ steht, sind sämtliche Maßnahmen im Hinblick auf Erziehung und Förderung sowie behinderungsbedingte Defizitausgleiche Bestandteil des besagten Aufgabenbereichs der Lehrkräfte (vgl. auch § 4 Abs. 11 Satz 2 SchulGSH).

Und hier offenbart sich das Problem in der Praxis: Integrationsassistenten können ihren Aufgabenbereich nur ungenügend von der pädagogischen Arbeit abgrenzen; in manchen Fällen werden sie sogar eingesponnen für die Mitarbeit in der Erziehung und Förderung aller Kinder des jeweiligen Klassenverbandes. Sie müssten zwar den erzieherischen Teil des ihnen übertragenen Auftrags ablehnen, und dies nicht nur im Hinblick auf den Schüler mit Förderbedarf, trotzdem wird es immer einen motivierenden, pädagogischen Anteil in der täglichen Arbeit geben.

Darf eine Integrationsassistenz nach dem Schulgesetz pädagogische Arbeit leisten?

§ 34 SchulGSH, Lehrkräfte

(5) Außer dem in den Absätzen 1 bis 3 genannten Personenkreis [d.h. Lehramtsbefähigte und Personen mit anderen Befähigungen, pädagogische Fachkräfte an Förderzentren] dürfen nur Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst lehrplanmäßigen Unterricht erteilen.

(6) Zur Durchführung schulischer Veranstaltungen außerhalb des lehrplanmäßigen Unterrichts können auch Personen eingesetzt werden, die bei einem Schulträger, einem Elternverein oder einer Institution nach § 3 Abs. 3 [d.h. Kindertageseinrichtungen und der Jugendhilfe, Jugendverbänden sowie mit anderen Institutionen im sozialen Umfeld von Kindern und Jugendlichen] beschäftigt sind.

Die Integrationsassistenz kann zwar eine Person mit anderen Befähigungen sein, wie es § 34 Abs. 5 i.V.m. Abs. 2 SchulGSH benennt, aber m.E. widerspricht eine solche Auslegung der Intention des Gesetzes. Von daher muss man davon ausgehen, dass jegliche pädagogische Betätigung im Sinne des  Schulgesetzes für Personen, die nicht anerkannte Lehrkräfte sind, zu verneinen ist.

Andererseits kann eine im Schulbetrieb anwesende Person sich nicht gänzlich von einem an sie herangebrachten erzieherischen Auftrag lösen; man stelle sich nur vor, dass ein Schüler um Hilfe bei der Bewältigung eines Problems bittet. M.E. wäre eine praxistaugliche Abgrenzung überhaupt nicht möglich. Tatsächlich müsste die Integrationsassistenz Weisungen erteilen und an der Beaufsichtigung teilnehmen, um einerseits Integrationsarbeit für den Schüler mit Förderbedarf zu leisten und andererseits im Falle einer beobachteten Störung oder Fehlverhaltens als von Schülern wahrgenommenes Mitglied der Lehrkräfte einzuschreiten (d.h. feststellen, belehren, warnen und ermahnen).

Darf eine Integrationsassistenz dann überhaupt Weisungen erteilen und die Beaufsichtigung führen?


§ 17 SchulGSH, Weisungen, Beaufsichtigung

(1) Die Schülerinnen und Schüler haben in der Schule und bei sonstigen Schulveranstaltungen die Weisungen der Schulleiterin oder des Schulleiters und der Lehrkräfte zu befolgen, die dazu bestimmt sind, das Bildungs- und Erziehungsziel der Schule zu erreichen und die Ordnung an der Schule aufrechtzuerhalten.

 (3) Mit der Beaufsichtigung können jeweils nach den Umständen des Einzelfalls auch Lehrkräfte anderer Schulen, Beschäftigte nach § 34 Abs. 5 und 6, Eltern, Schülerinnen und Schüler sowie vom Schulträger angestellte sonstige Personen betraut werden. Weiterhin kann die Beaufsichtigung von denjenigen Personen übernommen werden, die die Schülerinnen und Schüler im Rahmen von Praktika betreuen.

Eine Weisungsbefugnis ergibt sich nicht für Integrationsassistenten. Weisungsbefugt sind nur die Schulleitungen und die Lehrkräfte.

Die „Betrauung“ bzw. Übernahme der Beaufsichtigung kann dagegen von der zuständigen Lehrkraft an eine andere Person erfolgen. Allerdings schränken die „Umstände des Einzelfalls“ den Aufgabenbereich für die Integrationsassistenz wieder ein. Integrationsassistenten müssen vorrangig (und eigentlich ständig) eine Leistung gegenüber dem Schüler mit Förderbedarf erbringen. Gleichwohl könnten Sie in Bezug auf diesen Schüler mit der Beaufsichtigung durch die Lehrkraft beauftragt werden.

Das Schulgesetz führt zwar als hehres Ziel die inklusive Bildung für Alle, aber im Gesetz sind Regelungen für Integrationsassistenten nicht vorgesehen. Eine Kombination beider Bereiche wäre wünschenswert. Doch dann müsste es im schleswig-holsteinischen Schulgesetz heißen, dass auch die Aufgaben der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen wahrgenommen werden von den Schule, was wiederum die Abgrenzungsproblematik entstehen lässt, wenn Schulen mit ungenügenden Ressourcen ausgestattet sind.

Wenn eine pädagogische Assistenz zukünftig mit der Lehrkraft zusammen tätig ist, ist sie dann noch immer vorrangig für den Schüler mit Förderbedarf tätig?

Und darf eine pädagogische Assistenz Leistungen erbringen, die im Rahmen der Eingliederungshilfe dem behinderten Kind exklusiv zugedacht sind?

Die Integrationsassistenz nach dem SGB XII muss es weiterhin geben. Und um eine adäquate Beschulung auf niedrigschwelligem Niveau anzubieten, soll heißen ohne unnötige Bindung von Fachkraftstellen, sollte es eine pädagogische Assistenz im SchulGSH geben. Im Rahmen der Gesamtplankonferenz nach SGB XII könnte dann bestimmt werden, wo die Leistungen sinnvoll anzusiedeln wären (z.B. nach dem Überwiegenheitsprinzip).

Es gibt bereits Strukturen und Erfahrungen in Schleswig-Holstein, auf die man zurückgreifen könnte bzw. wie man eine solche Tätigkeit beschreiben oder begrifflich abgrenzen könnte:

Das Bildungsministerium in Schleswig-Holstein brachte in 2010 eine „Handreichung für Assistentinnen und Assistenten an Schulen“ heraus.

In der 16. Wahlperiode erteilte die Landesregierung Auskunft zum Einsatz von „Schulassistenten“ (Drucksache 16/1970 des Schleswig-Holsteinischen Landtags): Es wurden „im Rahmen des Modellvorhabens ‚Einsatz von Schulassistenten zur Entlastung von Schulleitungen und Lehrkräften an Schulen des Landes Schleswig-Holstein‘ im Zeitraum vom 01.05.2000 bis 31.12.2005 insgesamt vier tariflich vergütete Verwaltungskräfte vornehmlich im IT-Bereich sowie für Verwaltungsaufgaben an Schulen eingesetzt“. Hier zeigt sich allerdings, dass das Berufsbild „Schulassistent“ nicht die gleiche Bedeutung trägt, wie das einer pädagogischen Assistenz (vgl. auch „Schulassistenten und -assistentinnen an allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen“ in http://berufenet.arbeitsagentur.de/).

Ideal wäre es aber gewesen, wenn das LSG anerkannt hätte, dass auch eine pädagogische Unterstützung im geringen Umfang unschädlich wäre. Dann würden zwar die Kosten weiterhin aus Mitteln der Sozialhilfe kommen, aber so würde man sich den bürokratischen Anpassungsprozess ersparen.

CGS



PS:

Das LSG Baden-Württemberg hat eine etwas andere Ansicht vertreten (vgl. Beschluss vom 3.6.2013 – Az. L 7 SO 1931/13 ER). In diesem Fall ging es um den Anspruch von Schulbegleitung für Kinder an Sonderschulen. Das Gericht bejahte den Anspruch und stellt sogar fest, dass pädagogische Anteile in der unterstützenden Arbeit der Integrationsassistenz nicht abträglich sind, wenn der Gesamtzusammenhang (d.h. summarische Betrachtung) untersucht wird. Hierzu gehörte, dass aus dem Schulbericht klar die Unmöglichkeit zur Leistung von Assistenzmaßnahmen hervorging. Demzufolge hatte der Antragssteller Anspruch auf Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung nach §§ 53, 54 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB XII in Form eines qualifizierten Schulbegleiters.


Freitag, 18. Juli 2014

Der Grundsatz Ambulant vor Stationär im SGB XII

Mit der Aufnahme des Grundsatzes „Ambulant vor Stationär“ im SGB XII sollte der nächste Schritt hin zur personenzentrierten Hilfeleistung erfolgen; d.h. weg von der bislang üblichen einrichtungsfinanzierten Hilfe und hin zu einer am persönlichen Bedarf angemessenen Sozialhilfe.

Gleichzeitig wurde die Annahme des Gesetzgebers quasi kodifiziert, dass ambulante Leistungen günstiger seien als teil- und vollstationäre Leistungen. Da dies aber nicht als gegeben vermutet werden kann, gab es den Zusatz, dass dieser Grundsatz nicht einzuhalten ist, wenn die Maßnahmen mit „unverhältnismäßigen Mehrkosten“ verbunden sind.

§ 13 SGB XII, Leistungen für Einrichtungen, Vorrang anderer Leistungen

(1)    Die Leistungen können entsprechend den Erfordernissen des Einzelfalles für die Deckung des Bedarfs außerhalb von Einrichtungen (ambulante Leistungen), für teilstationäre oder stationäre Einrichtungen (teilstationäre oder stationäre Leistungen) erbracht werden. Vorrang haben ambulante Leistungen vor teilstationären und stationären Leistungen sowie teilstationäre vor stationären Leistungen. Der Vorrang der ambulanten Leistung gilt nicht, wenn eine Leistung für eine geeignete stationäre Einrichtung zumutbar und eine ambulante Leistung mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden ist. Bei der Entscheidung ist zunächst die Zumutbarkeit zu prüfen. Dabei sind die persönlichen, familiären und örtlichen Umstände angemessen zu berücksichtigen. Bei Unzumutbarkeit ist ein Kostenvergleich nicht vorzunehmen.

(2) Einrichtungen im Sinne des Absatzes 1 sind alle Einrichtungen, die der Pflege, der Behandlung oder sonstigen nach diesem Buch zu deckenden Bedarfe oder der Erziehung dienen.

Doch die darin enthaltene Annahme, dass Ambulant mit günstig gleichgesetzt werden kann, ist gefährlich. Gesamtfiskalisch betrachtet kann dies nicht stimmen, da Menschen, die zuvor in einer stationären Wohneinrichtung ein Zimmer bewohnt hatten, nunmehr Mieter oder Untermieter einer ganzen bzw. halben Wohnung werden. Die Aufwendungen für Miete müssen höher ausfallen, da nicht mehr ein Bad, eine Küche oder ein Gemeinschaftsraum mit vielen anderen Bewohnern geteilt wird, sondern nunmehr alleine genutzt werden. Natürlich erhöht sich der Nutzwert der Räumlichkeiten beträchtlich für den einzelnen Bewohner, doch verliert sich auf der anderen Seite das Leben in einer Gemeinschaft. An dieser Stelle müssen Leistungserbringer für neue Sozialräume sorgen, was schlussendlich refinanziert wird von den Leistungsträgern (d.h. der Sozialhilfe). Sozialräume dienen dazu, ein Gemeinschaftsgefühl herzustellen und so gesellschaftliche Strukturen zu schaffen, welche den Teilhabebedarf behinderter Menschen am Leben in der Gemeinschaft abdeckt. Und wo vorher noch über den Investitionsbetrag ein Büro mitfinanziert wurde, wandern diese Kosten nunmehr in die Maßnahmepauschale.

Man muss aber allerdings sagen, dass es im Einzelfall tatsächlich günstiger werden würde, wenn nämlich der individuelle Hilfebedarf eine Leistungsabsenkung erlaubt oder Wohnung sowie die Aufwendungen für den ambulanten Dienst insgesamt günstiger ausfallen als die womöglich viel zu teuren Kosten für einen stationären Wohnplatz.

Auch wenn diese Vorschrift als Steuerungsinstrument (oder Druckmittel) angesehen werden kann, so steht sie doch in gewisser Weise einschränkend dem Bedarfsdeckungsprinzip aus § 9 SGB XII gegenüber. Sozialhilfe muss sich natürlich immer am tatsächlichen Bedarf des Hilfebedürftigen richten. Es soll eine konkrete Notsituation abgestellt werden, die nur durch Mittel der Sozialhilfe beseitigt werden kann (vgl. § 9 Abs. 1 SGB XII).

Geht man davon aus, dass der individuelle Hilfebedarf abgedeckt werden muss, darf es keinen Vorrang bzw. eine Bevorzugung geben. Benötigt ein behinderter Mensch sozialpädagogische Betreuung, dann stellt sich nicht die Frage nach ambulanter oder stationärer Leistung, sondern nach Verfügbarkeit und bedarfsdeckendem Angebot. Benötigt der Leistungsberechtigte darüber hinaus neuen Wohnraum, dann erst stellt sich die Frage nach der eigenen Wohnung oder Wohngruppe. Die Zumutbarkeit müsste sich stattdessen darauf richten, welche Lösung in welchem Zeitraum oder in welcher örtlichen Umgebung (d.h. lokales Angebot) verfügbar wäre.

Der § 13 Abs. 1 SGB XII enthält kein Wahlrecht, sondern er gibt genau vor, was zu tun ist seitens des Leistungsträgers. Von daher müssten auch Altfälle geprüft werden, ob nicht doch eine ambulante Leistung zumutbar wäre. Dem steht aber § 130 SGB XII als eine Besitzstandsregelung gegenüber; mit anderen Worten: wer schon in einer Wohngrupp lebt, muss keinen erzwungenen Auszug fürchten (der umgekehrte Fall wäre auch geschützt).

In gewisser Weise könnte man auch eine Verpflichtung des Leistungsträgers aus dem § 13 SGB XII herauslesen, dass ambulante Angebote zu schaffen wären. Denn gäbe es nur stationäre Angebote, aber diese wären unzumutbar, ungeeignet und teurer, als eine erdachte ambulante Leistung, müsste der Leistungsträger entsprechende Strukturen fördern. In Ballungsräumen können ambulante Dienste schnell verschiedene Klienten besuchen, in Flächengebieten ist dies nicht möglich bzw. wäre zeitraubend und entsprechend teurer (Stichwort: Rüstzeiten).

Hat also eine Priorisierung, wie sie in § 13 SGB XII vorgegeben ist, überhaupt noch eine Berechtigung? Ich glaube nicht.

Die Landesregierung von Schleswig-Holstein sieht es möglicherweise ähnlich. Zumindest teilte sie jetzt mit, dass das Land weiterhin „78 %“ der Kosten für ambulanten Leistungen übernehmen wird, aber es wird „kein gesonderter Anreiz zur Förderung der Ambulantisierung mehr geboten“ (vgl. Medien-Information des Ministeriums für Soziales, Gesundheit, Familie und Gesundheitsförderung vom 15.7.2014).


CGS

Donnerstag, 10. Juli 2014

Die Arbeit zum Bundesteilhabegesetz beginnt.

Am 10.7.2014 gab das BMAS in einer Presseerklärung unter dem Titel „Beteiligungsprozess zur Reform der Eingliederungshilfe“ bekannt, dass es nun mit der Arbeit am neuen Bundesteilhabegesetz losgehen wird. Heute war Auftaktsitzung und Frau Ministerin Nahles erklärte, dass ihr die Beteiligung der Betroffenen sehr wichtig ist – stellt sich mir wieder die Frage, wer „Betroffener“ sein wird?

In die Arbeitsgruppe Bundesteilhabegesetz, unter der Leitung von Frau Parlamentarische Staatssekretärin Gabriele Lösekrug-Möller aus dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales finden sich 16 Vertreter aus Behinderten- und Fachverbänden sowie der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege e.V., 14 Vertreter aus Bund, Länder und Kommunen, 4 Vertreter der Sozialversicherungen (d.h. GKV, DRV, Unfall und Bundesagentur für Arbeit) sowie jeweils ein Vertreter der Arbeitgeber und Gewerkschaften.

Erinnert man sich daran zurück, dass eine Lastenverteilung vorrangig zu erfolgen hat und weniger eine qualitative Verbesserung des bisherigen Systems der Eingliederungshilfe, dann sind mir diejenigen, welche die Lasten tatsächlich schultern müssen, gar nicht oder erheblich unterrepräsentiert.

Nochmal:

16 wollen sicherstellen, dass der Qualitätsstandard nicht abgesenkt wird!

14 plus die 4 Sozialversicherungsträger wollen sicherstellen, dass die Umverteilung lückenlos erfolgt.

1 möchte ganz bestimmt nicht, dass die Arbeitgeber mit höheren Sozialabgaben belastet werden.

Und der letzte muss sich erst einmal gegen 35 andere durchsetzen – die Vorsitzende wurde übrigens nicht mitgezählt!

Der Bund der Steuerzahler, der letztendlich diejenigen vertritt, die mit ihren Steuern für die Finanzierung einstehen werden, ist nicht vertreten. Damit will ich mich nicht gegen die Notwendigkeit einer Reform stellen, aber ich konstatiere, dass nicht jeder „Betroffene“ beteiligt wird.

CGS


Quellen:




Montag, 7. Juli 2014

Die Zukunft der Integrationsassistenz in Schleswig-Holstein.

Am 27.5.2014 berichtete ich über den Beschluss des LSG Schleswig-Holstein zur Integrationsassistenz bzw. Schulbegleitung für Kinder mit Hilfebedarf an Regelschulen. Als Problem wurde gesehen, dass verschiedene Tätigkeiten des Integrationsassistenten im vorgelegten Fall den „Kernbereich der pädagogischen Arbeit“ betrafen und somit nicht in den Aufgabenbereich der Eingliederungshilfe nach §§ 35 a SGB VIII bzw. 53, 54 SGB XII fielen. Die bislang zuständigen Sozialhilfeträger lehnten daraufhin sofort die Kostenübernahme ab; ja es soll sogar rückwirkende Aufhebungsbescheide gegeben haben.

Nunmehr gab es eine Vereinbarung zwischen dem Bildungsministerium und den Sozialhilfeträgern, dass man bis zum Schuljahr 2015 / 2016 ein neues Konzept vorlegen wird, in dem die Finanzierung der Integrationsassistenten neu geregelt wird. Konkret geht es also darum, dass die Sozialhilfe entlastet wird und die Kosten vom Bildungsbereich übernommen werden. Im Zuge dieser Vereinbarung wurden dann neue Leistungsbescheide ausgestellt und die Integrationsassistenz für das kommende Schuljahr 2014 / 2015 war damit gesichert.

Um nun dieses neue Konzept herzustellen, soll eine Expertenkommission ins Leben gerufen werden (ob sie ihre Arbeit aufgenommen hat, entzieht sich meiner Kenntnis). Ziel wird es aller Voraussicht nach sein, eine Art „Schulassistenz“ an den Schulen zu etablieren. Diese könnte pädagogisch mitarbeiten und Kindern mit erhöhten Lernschwierigkeiten ohne ausgewiesenem Hilfebedarf assistieren.

Folgerichtig wird dieser Teil der Integrationsassistenz dann nicht mehr im Verantwortungsbereich der Sozialhilfe (insbesondere Eingliederungshilfe) liegen, sondern rein aus dem Schulgesetz abzuleiten sein (vgl. § 5 SchulG-SH).

Stellt sich nun die Frage, was ist mit den anderen Hilfen: d.h. lebenspraktische Hilfe, Orientierung, Begleitung auf dem Schulweg, Pausenbetreuung, unterstütze Kommunikation. Es gibt auch genügend Fälle, in denen die Schulbegleitung / Integrationsassistenz hygienische Hilfe oder medizinisch-pflegerische Leistungen erbracht haben. Soll die Schule zukünftig dafür verantwortlich sein? Während sich die Schulassistenz noch allgemein an alle hilfebedürftigen Kinder richten könnte, sind die anderen Bereich wiederum exklusiv einem ganz besonderen Klientel anzubieten. Und mal ganz frech gefragt: Wird es überhaupt ein Leistungsangebot geben, wenn der Bedarf nur "wenige" Stunden pro Woche ausmacht?

Was soll also passieren, wenn entsprechende Ressourcen nicht vorgehalten werden. Steht dann nicht doch der Kreis als zuständiger Träger der Sozialhilfe gem. § 2 SGB XII schlussendlich in der Verantwortung?

Schnittstellenprobleme scheinen vorprogrammiert zu sein.

Es wäre somit hilfreich, wenn auch die bisherigen Leistungsanbieter mitbeteiligt werden in der Expertenkommission. Die Seite der Leistungsträger sträubt sich noch gegen eine Beteiligung. Das ist schade, resultiert womöglich aus der Furcht, dass die bisherigen Leistungsanbieter die Leistung Schulassistenz „aufwerten“ könnten.

CGS