Freitag, 31. Mai 2019

BTHG: Die Reform macht aus vollstationären Wohnstätten besondere Wohnformen

Ein erklärtes Ziel im BTHG ist es, das „Sondersystem Lebensunterhalt in Einrichtungen“ zu beseitigen (vgl. S. 16 des Abschlussberichts Teil A der BTHG-Arbeitsgruppe).

Die Lebenshaltungskosten sind nun mal Teil der Vergütungen für vollstationäre Wohneinrichtungen. Ihre Höhe ist vielleicht nicht so gravierend, doch wenn man über den Bund eine Erstattung bekommen kann, warum nicht. Man müsste Nicht-Wohnungen sozusagen qualifizieren, damit die Sozialhilfe diese Kosten übernimmt.

Aus diesem Grund wandeln sich „vollstationären Wohneinrichtung“ um in „besondere Wohnformen“; Wohnungen sind es schließlich nicht. Seitens der Leistungserbringer würden aber nun viele Kosten verloren gehen, wenn man lediglich eine „ortsübliche“ Miete mit Betriebs- und Heizkosten verlangen würde. Leistungserbringer sind keine professionellen Vermieter. Und zusätzlich wären die zu Wohnzwecken überlassenen Räumlichkeiten möbliert und mit besonderer Technik teuer ausgestattet.

Bei einer Warmmiete könnte es dagegen zu einer Übervorteilung kommen; in jedem Fall würde für etwas bezahlt werden, was man nicht kennt. Dieser Punkt verlangt sehr viel Klärung, was mit dem neuen § 42a SGB XII schon jetzt und ab 2020 passiert – das BTHG ist ein Änderungsgesetz, mit dem zu verschiedenen Zeiten die bestehenden Leistungsgesetze angepasst werden. Die nächste Stufe wird zum 1.1.2020 erreicht sein.

Man wird sich also Gedanken machen müssen, wie diese Wohnraummietverträge gestaltet sein sollen.



Mit der Reform zu den besonderen Wohnformen

Schon vor Jahren hatte man es mit dem berühmt-berüchtigten Grundsatz „Ambulant vor Stationär“ versucht, das teure „Stationäre“ abzuschaffen (§ 13 Abs. 1 SGB XII). Teuer deswegen, weil in den Vergütungen für stationäre Leistungen nun mal Kosten für Wohnen und Leben enthalten sind. Mit dem BTHG wird es jetzt zu einer Abtrennung oder Isolierung der Eingliederungshilfe kommen, damit das übrige von der Sozialhilfe übernommen werden kann.

Damit die Kostenübernahme über die Sozialhilfe geschehen kann, hat der Gesetzgeber in § 42a SGB XII bestimmt, dass „die Bewilligung und Bemessung von Lebensunterhaltsbedarfen … für Leistungsberechtigte, die in der ab 1.1.2020 geltenden besonderen Wohnform nach § 42a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB XII leben, nach den gleichen Regeln [erfolgen] wie bei allen anderen Leistungsberechtigten“, die einen Anspruch auf solche Leistungen nach dem SGB XII haben (vgl. dazu Empfehlungen der Länder-Bund-Arbeitsgruppe zur Umsetzung des BTHG vom 18.10.2018; Fettdruck von mir).

In 2019 heißt es an besagter Stelle: „Für die Anerkennung von Bedarfen für Unterkunft und Heizung … bei Leistungsberechtigten außerhalb von Einrichtungen, die in einer sonstigen Unterkunft leben, gilt Absatz 5.“ (Abs. 2 S. 1 Nr. 2 in der Fassung bis 2019, Fettdruck von mir).

In 2020 wird es dann an dieser Stelle heißen: „Leistungsberechtigten, die nicht in einer Wohnung nach Nummer 1 leben, weil ihnen allein oder zu zweit ein persönlicher Wohnraum und zusätzliche Räumlichkeiten zur gemeinschaftlichen Nutzung nach Satz 3 zu Wohnzwecken überlassen werden, gelten die Absätze 5 und 6.“ (Abs. 2 S. 1 Nr. 2 in der Fassung ab 2020, Fettdruck von mir).

Eine sonstige Unterkunft ist keine Wohnung. Was genau eine Wohnung sein soll, ergibt sich aus dem Weiteren, wonach es sich handeln soll um „die Zusammenfassung mehrerer Räume, die von anderen Wohnungen oder Wohnräumen baulich getrennt sind und die in ihrer Gesamtheit alle für die Führung eines Haushaltes notwendigen Einrichtungen, Ausstattungen und Räumlichkeiten umfassen.“ (Abs. 2 S. 2). Von daher müsste alles andere eine „sonstige Unterkunft“ darstellen.

Was also im Gesetz als „sonstige Unterkunft“ oder „Räumlichkeiten zu Wohnzwecken“ bezeichnet wird und die Rechtsgrundlage für die Leistungen darstellt, wird in allen übrigen Unterlagen als „besondere Wohnform“ betitelt.


Tatsächliche Aufwendungen umfassen alle Beträge, die vertraglich geschuldet werden

Für die Anerkennung der Bedarfe besteht eine Obergrenze. Die Obergrenze bezieht sich auf: „die durchschnittlichen angemessenen tatsächlichen Aufwendungen für die Warmmiete eines Einpersonenhaushaltes im örtlichen Zuständigkeitsbereich des … zuständigen Trägers…“ (Abs. 5 S. 1 in der Fassung bis 2019, Fettdruck von mir).

Ab dem kommenden Jahr „… werden die tatsächlichen Aufwendungen für die Unterkunft, soweit sie angemessen sind, als Bedarf berücksichtigt…“ (Abs. 5 S. 1 in der Fassung ab 2020). Es geht hier also nicht um eine ortsübliche Vergleichsmiete, sondern um die gesamten Aufwendungen für das Wohnen einer Einzelperson.

In einem Rundschreiben der BAGFW vom 8.5.2018 wird darauf hingewiesen, dass es mit dem Begriff der „tatsächlichen Aufwendungen“ sogar gerichtliche Entscheidungen gibt (siehe hierzu auch § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II). Wichtig dabei ist aber, so der Geschäftsführer der BAGFW, dass der Begriff „alle Beträge umfasst, die Hilfeempfänger Dritten für die Zurverfügungsstellung der Unterkunft schulden“ (S. 2). Er bezieht sich dabei auf eine Entscheidung des BSG, wonach „[abzustellen] ist auf das, was […] untrennbarer Gegenstand der Mietvereinbarung ist“ (BSG-Urteil vom 6.8.2014, B 4 AS 37/13 R, Rn. 21). Auf den Vertrag kommt es an, in dem sich die leistungsberechtigte Person gegenüber ihrem Vermieter zur Zahlung eines Entgelts für ganz bestimmte Leistungen verpflichtet. Zu diesen Leistungen würden dann alle Kostenarten gehören, die mit dem Wohnen in einen Zusammenhang gebracht werden können.

Diese zusätzlichen Kosten wären gem. § 42a Abs. 5 S. 4 SGB XII (in der Fassung ab 2020):

Zuschläge für die persönlich genutzten Räumlichkeiten, die vollständig oder teilweise möbliert zur Nutzung überlassen werden, in der sich daraus ergebenden Höhe,

Wohn- und Wohnnebenkosten und diese Kosten im Verhältnis zu vergleichbaren Wohnformen angemessen sind,

Haushaltsstrom, Instandhaltung von persönlichen Räumlichkeiten und den Räumlichkeiten zur gemeinschaftlichen Nutzung sowie der Ausstattung mit Haushaltsgroßgeräten oder

Gebühren für Telekommunikation sowie Gebühren für den Zugang zu Rundfunk, Fernsehen und Internet.

Entscheidend ist, wie gesagt, ein Vertrag „mit gesondert ausgewiesenen zusätzlichen Kosten“. Die Zusammenstellung wäre abschließend. Doch wenn ein anderer haushaltsbezogener Aufwand geltend gemacht wird, kommt es sehr darauf an, dass dieser ansonsten über die Regelbedarfe abgedeckt ist (vgl. dazu auch Abs. 5 S. 3 Nr. 2 in der Fassung bis 2019).

Im Falle des Wohnens in einem Mehrpersonenhaushalt (wie eben in einer ehemaligen Wohnstätte) wird man generell auf den Anteil des Einzelnen abstellen bzw. eine Verteilung auf alle Mieter erwarten. Es kann sich jedoch eine Besonderheit ergeben, wenn der Vermieter nicht die Kosten der jeweiligen Wohnstätte kalkuliert hat, sondern die betrieblichen Gesamtkosten für alle seine Wohnstätten herangezogen hatte. Solange es einen Träger von Sozialleistungen betrifft, sollte es kein Problem darstellen. Wenn aber ein Nicht-Leistungsberechtigter (Selbstzahler) zur Miete wohnt, wären Kosten, die sich auf andere Standorte beziehen, ungerechtfertigt.


Die Überlassung von Wohnraum und die Kopplung mit Pflege- oder Betreuungsleistungen

Zu beachten wäre jetzt das Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz. Nach § 1 Abs. 1 S. 1 ist es anzuwenden bei Verträgen zwischen Unternehmern (Leistungserbringer) und Verbrauchern (Leistungsberechtigten) bei der „Überlassung von Wohnraum und zur Erbringung von Pflege- oder Betreuungsleistungen“ (Fettdruck von mir). Wenn dagegen „der Vertrag neben der Überlassung von Wohnraum ausschließlich die Erbringung von allgemeinen Unterstützungsleistungen wie die Vermittlung von Pflege- oder Betreuungsleistungen, Leistungen der hauswirtschaftlichen Versorgung oder Notrufdienste zum Gegenstand hat“, dann nicht (S. 3, Fettdruck von mir).

Mit „allgemeinen Unterstützungsleistungen“ sind keinesfalls „Pflege- oder Betreuungsleistungen“ gemeint, wie man sie noch aus den vollstationären Wohneinrichtungen her kennt. Ein Vertrag über Räumlichkeiten, die zu Wohnzwecken überlassen werden, darf zwar wenige Nebenleistungen beinhalten, Leistungen der Eingliederungshilfe oder der Pflege müssen komplett davon abgegrenzt sein, da ansonsten das WBVG zu beachten ist. Selbst eine Kopplung, wie auch immer, sollte es nicht geben (Abs. 2).

In allen anderen Fällen würde das WBVG zum Zuge kommen und es wäre gem. § 7 Abs. 2 S. 1 WBVG nur das Entgelt zu zahlen, welches „insgesamt und nach seinen Bestandteilen im Verhältnis zu den Leistungen angemessen ist.“ Das bedeutet, dass die Gesamt-Miete im Vergleich zu anderen Mieten dieser Art am Ort gleich ist und die einzelnen Nebenleistungen im Vertrag leistungsgerecht und angemessen erscheinen; das wird aber schwierig, wenn es sich um die Kosten eines anderen Standortes handelt.

CGS




Weitere Quellen:



(ein Service von Daniel Liebig, www.buzer.de)

(letzter Aufruf am 31.5.2019)




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