Dienstag, 21. Mai 2019

BTHG: Die Reform der Eingliederungshilfe hat ihre Gründe und Auswirkungen

Mit der Reform der Eingliederungshilfe trennt man jetzt das Wohnen und die Kosten des Lebensunterhaltes von den Leistungen der Eingliederungshilfe. Das hat natürlich seine ganz besonderen Gründe. Genau an dieser Stelle lohnt sich eine Auseinandersetzung mit den Hinter-Gründen.

Und damit ergibt sich ein zweiter Punkt, dem man ebenfalls ein wenig Aufmerksamkeit schenken sollte: der Sache mit der Umstellung zum 1.1.2020.


+++ Nachtrag vom 6.6.2019 +++

Die Zuständigkeit für die Bewilligung von Grundsicherungsleistungen (4. Kapitel SGB XII) liegt bei den Grundsicherungsämtern der Kommunen, von denen die Bewohner vollstationärer Wohneinrichtungen schon jetzt ihre Eingliederungshilfe-Leistungen bekommen; dies ist auch dann der Fall, wenn die Wohnstätten in einem ganz anderen Bundesland oder der Kommune liegen, zum Beispiel befindet sich die Wohnstätte in Schleswig-Holstein, der bisherige Leistungsträger wäre ein Fachamt in Süddeutschland.

Vorsichtshalber sollte aber vom Antragsteller der Hinweis erfolgen, dass der Antrag auf Leistungen nach dem 3. oder 4. Kapitel SGB XII „ansonsten an die zuständige Stelle weitergeleitet werden soll“.

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Die Reform der Eingliederungshilfe hat einen besonderen Grund

Mit der Reform der Eingliederungshilfe trennt man die bisherige Komplexleistung auf in drei Leistungsbereiche: die Fachleistung, das Wohnen und den Lebensunterhalt.

Diese Trennung hatte dereinst die Arbeitsgruppe im Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) als erforderlich angesehen, um wegzukommen von der (angeblich) „einrichtungszentrierten“ Leistung und hin zu einer wirklich „personenzentrierten“ Bedarfsdeckung. Man wollte also bestimmte Wohnformen, zu denen die vollstationären Wohnstätten gehörten, herausnehmen aus der Arbeit der bewilligenden Stellen (Leistungsträger), damit sich die Leistungsbewilligung nur noch am „notwendigen individuellen Bedarf“ ausrichtete bzw. man sich als Leistungsträger voll auf die Fachleistung konzentrierte: „Daher ist es konsequent, den Bedarf des Menschen mit Behinderungen an existenzsichernden Leistungen zum Lebensunterhalt und seinen Bedarf an Leistungen der Eingliederungshilfe wegen der Behinderung zu trennen, entsprechend zuzuordnen und umfassend zu decken; das Sondersystem Lebensunterhalt in Einrichtungen wird beseitigt“ (S. 16 des Abschlussberichts Teil A der BTHG-Arbeitsgruppe).

Mit der Aufspaltung können nun diese existenzsichernden Leistungen zwei anderen Teil-Bereichen der Sozialhilfe zugeordnet werden: den Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (4. Kapitel SGB XII) sowie den Hilfen zum Lebensunterhalt (3. Kapitel SGB XII). Dies führt wiederum dazu, dass die bisherigen Ausgaben für Eingliederungshilfen (bisher 6. Kapitel SGB XII) sinken.

Richtig „billig“ wird es aber dadurch, dass der Bund aufgrund Artikel 104 a Abs. 3 GG an den Geldleistungen zur Existenzsicherung beteiligt ist *). Seit 2014 erstattet der Bund den Kommunen jedenfalls zu 100 Prozent die Nettoausgaben für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (4. Kapitel SGB XII). Was dagegen die Hilfen zum Lebensunterhalt und die Eingliederungshilfe anbelangt, gibt es keine Erstattung an die örtlichen Sozialhilfe- und Eingliederungshilfeträger.


Werden Grundsicherungsleistungen sofort geleistet?

Zum 1.1.2020 sollte es eine recht unbürokratische Umstellung geben. Man bekommt aber zu hören, dass Sozialhilfeträger umfangreiche Anträge sehen wollen, weil die leistungsberechtigten Menschen ja nun „erstmalig“ Hilfen zum Lebensunterhalt (3. Kapitel SGB XII) oder Grundsicherungsleistungen im Alter und bei Erwerbsminderung (4. Kapitel SGB XII) verlangen. Diese Träger nehmen es mit der Trennung der Leistungsbereiche anscheinend sehr genau.  

Grundsätzlich müssen natürlich immer die Einkommens- und Vermögensverhältnisse im Einzelfall untersucht werden. Und bei den Grundsicherungsleistungen braucht es gemäß § 45 SGB XII normalerweise eine Prüfung des zuständigen Rentenversicherungsträgers hinsichtlich der dauerhaften vollen Erwerbsminderung. Die zuständigen Leistungsträger könnten es sich etwas einfacher machen und auf die gesonderte Antragstellung verzichten. Wenn bereits ein Barbetrag zur persönlichen Verfügung bewilligt worden war, könnte dieser Umstand als ausreichend erachtet werden, um eine Umstellung vornehmen zu können. Man könnte es sogar so formulieren, dass wer jetzt schon eine Form der Sozialhilfe bezieht, keinen weiteren Antrag stellen muss. Im Gegenteil müsste ein Sozialhilfeträger von Amts wegen prüfen (§ 20 SGB X).  

Anders könnte es aussehen, wenn solche Leistungen bisher nicht bezogen wurden (beispielsweise kann es sich um einen jungen Menschen handeln, der erst ab 2020 in eine vollstationäre Wohnstätte einziehen möchte). Diese Menschen sollten in jedem Fall einen Antrag auf Leistungen nach dem 4. Kapitel SGB XII (Grundsicherungsleistungen) stellen, wenn es sein kann, dass eine „dauerhafte volle Erwerbsminderung“ besteht. Es braucht dafür wiederum ärztliche Feststellungen, doch nicht immer muss das so sein: Insbesondere dann nicht, wenn ein Träger der Rentenversicherung hierzu bereits eine Feststellung getroffen hat oder sich der Leistungsberechtigte im Arbeitsbereich einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung beschäftigt ist bzw. ein Mindestmaß an „verwertbarer Arbeitsleistung“ als eine solche Voraussetzung nicht vorliegt (§ 45 S. 3 SGB XII).

Ansonsten gibt es noch die Leistungen nach dem 3. Kapitel SGB XII (Hilfen zum Lebensunterhalt). Wenn wie gesagt schon jetzt ein Leistungsbezug stattfindet, wie eben beim Barbetrag nach § 27b SBG XII, braucht es keine besondere Antragstellung mehr und die Umstellung kann sofort erfolgen.

Dies scheint aber nicht bei jeder Kommune so bewusst zu sein.

CGS



*) = Im Jahr 2017 beliefen sich die Nettoausgaben für die Eingliederungshilfe auf 17,2 Mrd. Euro, für die Grundsicherungsleistungen auf 6,3 Mrd. Euro und die Hilfen zum Lebensunterhalt auf 1,5 Mrd. Euro (Pressemitteilung Nr. 298 vom 13. August 2018 der DESTATIS).






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