Mittwoch, 24. Juli 2019

Antragstellung, Fristen und Bedarfsermittlung im neuen Rehabilitationsrecht

 LWL - Zuständigkeitsklärung und Arten der Trägerschaft
nach §§ 14 und 15 SGB IX - Quelle BAG-Landesjugendämter
In der Diskussion rund um den Reformbedarf der Jugendhilfe aufgrund des BTHGs ergeben sich auch immer wieder allgemeinere Fragen zur Anwendung der neuen Regeln. Einerseits sollte die Antragstellung vereinfacht werden, damit leistungsberechtigte Menschen nicht mehr im Mühlenwerk der Zuständigkeiten untergehen. Doch wenn Prävention wirklich gewollt ist, müsste es da nicht eine Pflicht zur Leistungsträgerschaft „von Amts wegen“ geben?

Und wie sieht es in dem Zusammenhang auch mit den Fristen und der Bearbeitung von Anträgen auf Leistungen aus? Es scheint sich etwas geändert zu haben, aber in welcher Zeit kann jemand, der einen Antrag gestellt hat, mit einer Entscheidung rechnen. Und gerade an dieser Stelle offenbart sich auch ein Risiko für den erstangegangenen Leistungsträger, wenn Fristen versäumt werden.

Nicht zuletzt offenbart sich auch eine Regelungslücke zum Recht der Jugendhilfe im SGB VIII. Die weitere Diskussion wird darüber noch zeigen, inwieweit man hier von wirklichen Problemen sprechen kann. Vielleicht müssen es aber auch die Gerichte wieder klarstellen.


Auf die Antragstellung hinwirken als Pflicht für den Rehabilitationsträger

Mit dem BTHG hat es nun eine Vereinfachung der Antragstellung für Leistungsberechtigte gegeben. Wesentlicher Punkt ist der, dass ein Rehabilitationsträger (Leistungsträger) seine Zuständigkeit klären muss anhand bestimmter Kriterien. Wenn es sich hier auch nur eine Teilzuständigkeit ergibt, muss eine Entscheidung erfolgen.

Doch es beginnt mit einer Antragstellung seitens des Leistungsberechtigten (vgl. § 108 SGB IX in der Fassung ab 2020). Diese Antragstellung kann eher als eine Informierung verstanden werden. Nach § 9 Abs. 1 S. 3 SGB IX müssen die Rehabilitationsträger nämlich sogar „auf eine Antragstellung [hinwirken]“, damit eine bedarfsgerechte Leistungserbringung geschehen kann. Und dazu wiederum ist die „frühzeitige Erkennung des Rehabilitationsbedarfs“ als eine Pflicht des Rehabilitationsträgers vorgegeben (vgl. § 12 Abs. 1 S. 2 SGB IX).

Um diese Pflicht zu erfüllen, braucht es aber eine erste Kontaktaufnahme. Über die Bereitstellung von Informationsangeboten könnte dies schon geschehen: ein erstes Beratungsgespräch zum Beispiel.

Das bekannte „von Amts wegen“ aus dem Untersuchungsgrundsatz nach § 20 SGB X scheint es so nicht mehr wirklich zu geben. Doch weil für die Antragstellung keine besondere Form einzuhalten ist, reicht schon die Kenntnisnahme beim Rehabilitationsträger über einen „voraussichtlichen Rehabilitationsbedarf“, um ein Verwaltungsverfahren bzw. eine Prüfung der Zuständigkeit auszulösen (vgl. § 14 Abs. 4 S. 2 SGB IX). Dies muss auch so sein, weil schließlich einer drohenden Behinderung effektiv begegnet werden muss – ganz im Sinne einer Prävention.


Fristen für die Bearbeitung und Folgen eines Fristen-Versäumnisses

Nach wie vor gibt es eine 2-Wochen-Frist, in der ein Rehabilitationsträger seine Zuständigkeit prüfen muss (§ 14 Abs. 1 SGB IX). Und wie immer kann es dann noch eine Weiterleitung geben, so dass sich diese Frist wiederholt. Zu einem Ping-Pong-Spiel wird es aber nicht kommen dürfen, weil ein unzuständiger Rehabilitationsträger „innerhalb der … laufenden Fristen“ entscheiden und den Antragsteller informieren muss (Abs. 3). Und wenn sogar mehrere Rehabilitationsträger zu Leistungen verpflichtet wären, muss „innerhalb von sechs Wochen nach Antragseingang“ eine Entscheidung getroffen werden (§ 15 Abs. 4 S. 1 SGB IX) bzw. bei Durchführung einer Teilhabeplankonferenz nach § 20 SGB IX dies „innerhalb von zwei Monaten“ (S. 2). Über das gesamte Verfahren muss der Antragsteller von dem zuständigen (erstangegangenen) Rehabilitationsträger immer „unverzüglich unterrichtet“ werden (S. 3).

Interessanter Aspekt bei diesem Verfahren ist, dass man die Verantwortlichkeiten auf nur noch einen Leistungsträger einschränken will. Wenn nämlich in dem Prozedere ein Rehabilitationsträger mangels sachgerechter Prüfung heraus leistet, wird er auf den Kosten sitzen bleiben. Der Anspruch auf Erstattung der Kosten von dem wirklich zuständigen Rehabilitationsträger kann verloren gehen (vgl. § 16 Abs. 3 und Abs. 4 SGB IX).

Gerade weil jetzt sicherzustellen ist, dass die Leistungen „zur Teilhabe nahtlos, zügig sowie nach Gegenstand, Umfang und Ausführung einheitlich erbracht werden“, kann eine Ablehnung des Antrags nur dann erfolgen, wenn der angegangene Rehabilitationsträger in keiner Weise zuständig ist (§ 25 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX). Zuständigkeitskonflikte sollen damit beseitigt werden. Die begehrten Leistungen sollen „aus einer Hand“ erfolgen.


Reformbedarf im Regelwerk der Jugendhilfe

Bei Anträgen an das Jugendamt kann es nach derzeitiger Rechtslage doch zu einigen Problemen kommen. Zum einen braucht die Jugendhilfe eine viel längere Bearbeitungszeit für Anträge, als man es jetzt im SGB IX vorgesehen hat. Könnten Antragstellende dann von einer „Genehmigungsfiktion“ ausgehen und Kostenersatz verlangen?

Zum anderen fallen unterhaltssichernde und andere ergänzende Leistungen nicht unter die Trägerschaft der Jugendhilfe (vgl. dazu §§ 5 Nr. 3 und 6 Abs. 1 Nr. 6 SGB IX; Zuständigkeiten nach Leistungsgruppen). Nach derzeitigem Recht können Angebote der Jugendhilfe gem. Landesrecht nach gestaffelten Kostenbeiträgen den Sorgeberechtigten auferlegt werden (vgl. § 90 SGB VIII). Damit sind wohl maßgeblich genau diese Leistungen gemeint. Und das lässt nicht gerade von einem abgestimmten Regelwerk sprechen. *)

In der Eingliederungshilfe wird es zukünftig auch keine unterhaltssichernden Leistungen geben. Aber hier ist bereits die Trennung zwischen Existenzsicherung (Grundsicherung nach dem 4. Kapitel SGB XII) und der Eingliederungshilfe als Fachleistung (Teil II SGB IX) reglementiert. Zwar arbeitet man noch an der praktischen Umsetzung, aber der Rahmen ist bekannt.

Was noch nicht bekannt ist bzw. weiterhin diskutiert wird, sind die einheitlichen Bedarfsermittlungsinstrumente. Es handelt sich dabei um Standards, mit denen der personenzentrierte, individuelle Bedarf ermittelt werden muss, und zwar nach einheitlichen Grundsätzen (vgl. § 13 SGB IX).  Diese Vorgabe erstreckt sich allerdings auch auf die Jugendhilfe. Von daher kann man hier einen dritten Problempunkt ausmachen, weil von Leistungsberechtigten die Einheitlichkeit im Feststellungsverfahren bezweifelt werden kann.

Es gibt nach wie vor sehr viel zu tun.

CGS



*) =


Zu den unterhaltssichernden und anderen ergänzenden Leistungen gehören beispielsweise die Kosten für Unterkunft und Verpflegung, aber auch Hilfen für die Kinderbetreuung und Haushaltshilfe bei einer stationären medizinischen Rehabilitationsmaßnahme, Übergangs- und Krankengelder, Reisekosten und noch mehr.




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