Dienstag, 30. September 2014

Der Barbetrag zur persönlichen Verfügung

Bekanntermaßen wird der Lebensunterhalt von Menschen, die aus eigener Kraft heraus nicht mehr in der Lage sind, diesen zu bestreiten, aus Mitteln der Sozialhilfe gedeckt. Es wird auf der Basis eines regelhaften Bedarfes (= Regelbedarf) dann ein Betrag (= Regelsatz) gezahlt.

Die Sozialhilfe übernimmt den notwendigen Lebensunterhalt eines Leistungsberechtigten. Was diesen notwendigen Lebensunterhalt ausmacht, ist ständig in der Diskussion, denn es handelt sich um nicht weniger als den Maßstab für das Existenzminimum. Hierzu gehören „…insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Haushaltsenergie ohne die auf Heizung und Erzeugung von Warmwasser entfallenden Anteile, persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens sowie Unterkunft und Heizung“ (§ 27 a Abs. 1 S. 1 SGB XII).

Unter dem Begriff „persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens“ versteht man „… eine Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft; dies gilt in besonderem Maß für Kinder und Jugendliche“ (§ 27 a Abs. 1 S. 2 SGB XII). Der Umfang soll dabei „vertretbar“ sein, wobei hier Leistungsberechtigter und Leistungsträger ganz unterschiedliche Ansichten haben werden.

Die vorgenannte Aufzählung schließt die Liste nicht ab. Je nach den persönlichen Lebensumständen können Besonderheiten vorkommen, welche dann ebenfalls angemessen zu berücksichtigen wären. Diese Lebensumstände können zum Beispiel das Bewohnen einer eigenen Wohnung sein wie auch das Leben in einer stationären Wohneinrichtung. Obwohl der Bedarf in beiden Umgebungen in etwa als gleichartig angenommen wird (!), zahlt im ersten Fall der Sozialhilfeträger einen Regelsatz aus, im zweiten Fall wird dagegen eine Sachleistung verschafft.

Nochmal: Während Leistungsberechtigte, die als Selbstversorger im eigenen Wohnraum leben, einen Anspruch nach § 27 a SGB XII geltend machen können, haben Leistungsberechtigte in stationären Einrichtungen einen Anspruch nach § 27 b SGB XII. Diese Differenzierung erscheint zuerst einmal nicht nachvollziehbar:

§ 27 a SGB XII
§ 27 b SGB XII
Vergleich
(1) Der für die Gewährleistung des Existenzminimums notwendige Lebensunterhalt umfasst insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Haushaltsenergie ohne die auf Heizung und Erzeugung von Warmwasser entfallenden Anteile, persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens sowie Unterkunft und Heizung. Zu den persönlichen Bedürfnissen des täglichen Lebens gehört in vertretbarem Umfang eine Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft; dies gilt in besonderem Maß für Kinder und Jugendliche. Für Schülerinnen und Schüler umfasst der notwendige Lebensunterhalt auch die erforderlichen Hilfen für den Schulbesuch.

(1) Der notwendige Lebensunterhalt in Einrichtungen umfasst den darin erbrachten sowie in stationären Einrichtungen zusätzlich den weiteren notwendigen Lebensunterhalt. Der notwendige Lebensunterhalt in stationären Einrichtungen entspricht dem Umfang der Leistungen der Grundsicherung nach § 42 Nummer 1, 2 und 4.

(2) Der weitere notwendige Lebensunterhalt umfasst insbesondere Kleidung und einen angemessenen Barbetrag zur persönlichen Verfügung; § 31 Absatz 2 Satz 2 ist nicht anzuwenden. [betrifft: Einmalige Bedarf]  …
In § 27 b Abs. 1 wird lediglich auf den in der Einrichtung „erbrachten“ Lebensunterhalt verwiesen. Eine Aufzählung, wie sie in § 27 a Abs. 1 stattfindet, entfällt. Grund wird sein, dass die Sozialhilfeträger Leistungsvereinbarungen mit den Trägern der Wohneinrichtungen abschließen, in denen Art, Inhalt und Umfang der Leistungen beschrieben sind.

Die Herausstellung, dass ein weiterer notwendiger Lebensunterhalt darüber hinaus gewährt wird, erfolgt, weil diese Posten eben nicht Bestandteil der Leistungsvereinbarungen sind.

(2) Der gesamte notwendige Lebensunterhalt nach Absatz 1 mit Ausnahme der Bedarfe nach dem Zweiten bis Vierten Abschnitt ergibt den monatlichen Regelbedarf. Dieser ist in Regelbedarfsstufen unterteilt, die bei Kindern und Jugendlichen altersbedingte Unterschiede und bei erwachsenen Personen deren Anzahl im Haushalt sowie die Führung eines Haushalts berücksichtigen.


In Wohneinrichtungen gibt es keine weiteren Haushalte, was es erforderlich macht, hier differenzierte Regelsätze zur Auszahlung zu bringen. Von daher muss in § 27 b eine entsprechende Regelung fehlen.

(3) Zur Deckung der Regelbedarfe, die sich nach den Regelbedarfsstufen der Anlage zu § 28 ergeben, sind monatliche Regelsätze zu gewähren. Der Regelsatz stellt einen monatlichen Pauschalbetrag zur Bestreitung des Regelbedarfs dar, über dessen Verwendung die Leistungsberechtigten eigenverantwortlich entscheiden; dabei haben sie das Eintreten unregelmäßig anfallender Bedarfe zu berücksichtigen.

(2) … Leistungsberechtigte, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, erhalten einen Barbetrag in Höhe von mindestens 27 vom Hundert der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28. Für Leistungsberechtigte, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, setzen die zuständigen Landesbehörden oder die von ihnen bestimmten Stellen für die in ihrem Bereich bestehenden Einrichtungen die Höhe des Barbetrages fest.
Hier gibt es eine Unterscheidung in der Höhe des auszuzahlenden Regelsatzes bei Leistungsberechtigten, die in einer stationären Wohneinrichtung leben, aber keine Unterscheidung bei der eigenverantwortlichen Verwendung.

(4) Im Einzelfall wird der individuelle Bedarf abweichend vom Regelsatz festgelegt, wenn ein Bedarf ganz oder teilweise anderweitig gedeckt ist oder unabweisbar seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht. Besteht die Leistungsberechtigung für weniger als einen Monat, ist der Regelsatz anteilig zu zahlen. Sind Leistungsberechtigte in einer anderen Familie, insbesondere in einer Pflegefamilie, oder bei anderen Personen als bei ihren Eltern oder einem Elternteil untergebracht, so wird in der Regel der individuelle Bedarf abweichend von den Regelsätzen in Höhe der tatsächlichen Kosten der Unterbringung bemessen, sofern die Kosten einen angemessenen Umfang nicht übersteigen.

(2) … Der Barbetrag wird gemindert, soweit dessen bestimmungsgemäße Verwendung durch oder für die Leistungsberechtigten nicht möglich ist.
Hier finden sich in beiden Vorschriften Möglichkeiten für Leistungsträger, wie der Barbetrag „abweichend vom Regelsatz“ (§ 27 a) oder „gemindert“ (§ 27 b) festgelegt werden kann.


Als Selbstversorger muss der Leistungsberechtigte es hinnehmen, dass der Regelbedarf durch die monatliche Zahlung des einheitlichen Regelsatzes pauschal abgegolten wird. Dabei ist die weitere Verwendung gem. § 27 a Abs. 3 S. 2 SGB XII nicht vorgeschrieben. Der Leistungsberechtigte kann „eigenverantwortlich entscheiden“, muss aber selbst darüber wachen, dass „unregelmäßig anfallende Bedarfe“ entsprechend berücksichtigt werden. Dem Leistungsberechtigten, welcher in einer stationären Wohneinrichtung lebt, fehlt diese Eigenständigkeit, denn er wird umfänglich versorgt.

Es ist natürlich denkbar, dass mittels eines Persönlichen Budgets nach § 57 SGB XII auch ein Leistungsberechtigter in stationären Einrichtungen die gleiche Eigenständigkeit erwirbt, doch dies ist eine eher seltene Konstellation in der Praxis.

Bei stationären Wohneinrichtungen schließen Sozialhilfeträger und Leistungserbringer eine Gesamtvereinbarung nach § 75 SGB XII ab, wonach die Versorgung der in der Wohneinrichtung lebenden Menschen gesichert ist. Dafür erhält der Leistungserbringer eine Vergütung. Allerdings deckt diese einen eher verallgemeinerten und nicht persönlichen Bedarf von Leistungsberechtigten ab. So kann es durchaus sein, dass ein Leistungserbringer eine Anspruchsgeltendmachung durch Bewohner abwehrt, weil die Leistungsvereinbarung hierüber keine Regelung enthält bzw. der Anspruch außerhalb des Grundbedarfes liegt. Außerdem enthält die Vergütung, die sich aus der Leistungsvereinbarung und den Kalkulationsgrundlagen ableiten lässt, nicht alle Bestandteile, die eine Bedarfsdeckung der Bedarfe ausmacht. Es gibt also durchaus Abgrenzungsprobleme, die wie folgt dargestellt werden können:

Teilbedarfe
(§ 27 a Abs. 1 SGB XII)
Vergütung
(§ 76 Abs. 2 SGB XII)
Leistungserbringer
(Wohneinrichtung)
Leistungsträger
Ernährung
Grundpauschale

Ja (ggf. sogar Diätnahrung)
vergütet
Kleidung


Nein
Ja, gem. § 27 b SGB XII
Körperpflege
Grundpauschale

Ja (nur Grundwaschmittel)
vergütet
Hausrat
Investitionsbetrag

Teilweise (z.B. Bett, Schrank)
Ja, gem. § 31 SGB XII
Haushaltsenergie
Grundpauschale

Ja
vergütet
Persönliche Bedürfnisse
Maßnahmenpauschale

Nur der Betreuungsanteil
Ja, gem. § 27 b SGB XII
Unterkunft und Heizung
Investitionsbetrag

Ja
vergütet

Diese Lücke wird durch einen Barbetrag geschlossen, den nur Leistungsberechtigte erhalten, die in einer stationären Wohneinrichtung leben. Der Träger der Sozialhilfe übernimmt somit und zahlt aus einen Betrag „insbesondere [für] Kleidung und einen angemessenen Barbetrag zur persönlichen Verfügung“ (§ 27 b Abs. 2 SGB XII). Auch hier wieder ist die Aufzählung nicht abschließend, was nahe legt, dass weitere, darüber hinausgehende persönliche Bedürfnisse zu einer Anhebung führen können.

Hintergrund für einen Barbetrag zur persönlichen Verfügung ist der, dass einerseits dem Leistungsberechtigten der Umgang mit Geld nahe gebracht werden soll, andererseits zu einem selbstbestimmten Leben auch die freie und uneingeschränkte Verfügung und Verwendung von „eigenem“ Geld ermöglicht werden soll. Erst mit der Verschaffung eines solchen Maßes an Verantwortung und Freiheit wird ein Leben in Würde ermöglicht, was ja auch ein geschütztes Grundrecht darstellt (§ 1 Abs. 1 SGB I i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG). Andererseits erfolgt die Grundbedarfsdeckung durch den Leistungserbringer, was die Höhe des auszuzahlenden Barbetrages deckelt.

Der Barbetrag wird in Höhe von „mindestens“ 27 % der Regelbedarfsstufe 1, die sich aus der Anlage zu § 28 SGB XII ergibt, gezahlt. Das bedeutet, dass unter Umständen auch ein höherer Betrag gezahlt werden kann, wie es jetzt z.B. das SG Regensburg in einem Beschluss vom 3.4.2014 (Az. S 16 AS 4/14 ER) ausgeführt hat. Wenn nämlich noch weitere notwendige Ausgaben anfallen und ein anderer Leistungsträger nicht vorrangig leisten muss, wird der Betrag entsprechend erhöht. Im zugrunde gelegten Fall ging es um Fahrtkosten zu einer ambulanten Zahnbehandlung. Für solche Fahrten kann dann auch eine Art Beförderungspauschale gewährt werden, mit der sämtliche Kosten in einem Monat ohne weiteren Nachweis durch den Leistungsberechtigten abgedeckt werden. Eine andere denkbare Konstellation könnte sich aus den Eigenanteilen für sicherheitstechnische Prüfungen an Elektro-Geräten (z.B. BGV A3) ergeben – versucht hat es bislang m.W. noch keiner.

Dennoch ist zu beachten, dass der Beschluss des SG Regensburg nicht den bisher „freien“ Anteil von 27 % in Frage stellt und zu einer Anhebung führt, sondern es wird vielmehr auf der Grundlage eines zusätzlichen Bedarfs der sogenannte „weitere notwendige Lebensunterhalt“ für den klagenden Leistungsberechtigten neu festgestellt. 

Der Barbetrag muss vom Leistungsberechtigten nicht verwendet werden für Leistungen, die vom Träger der stationären Wohneinrichtung erbracht werden müssen (siehe oben). Hierfür erhält der Leistungserbringer eine Vergütung nach § 76 Abs. 2 SGB XII. Gehören dann Marken-Cremes oder Seifen zum persönlichen Mehr-Bedarf oder dem vergüteten Grundbedarf?

CGS