Montag, 6. Oktober 2014

Stoppt das Bundesteilhabegesetz!?

Bisher gab es viel Zuspruch: von Betroffenen, den Interessenvertretungen und Verbänden, sogar die Politik nahm das Thema auf. Bis Mitte 2016 soll es ein Gesetz geben, was die Rechte der Menschen mit Behinderung stärkt, den Behinderungsbegriff neu definiert, Rehabilitationsträger zu Barrierefreiheit und Inklusion verpflichtet, schulische und berufliche Teilhabe ermöglicht, Wunsch- und Wahlrecht behinderter Menschen stärkt, ein sog. Bundesteilhabegeld unabhängig von eigenem Vermögen zahlt usw.

Das BMAS hat hierzu sogar einen Flyer erstellt (Stand August 2014), der die wichtigsten Ziele dann so wiederum formuliert:

„Mit dem Bundesteilhabegesetz soll entsprechend den Vorgaben des Koalitionsvertrages die Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen verbessert und damit das deutsche Recht im Licht der UN-Behindertenrechtskonvention weiterentwickelt werden. Konkretisierend sollen mit dem Bundesteilhabegesetz folgende Ziel erreicht werden:

1.       Dem neuen gesellschaftlichen Verständnis nach einer inklusiven Gesellschaft im Lichte der UN-Behindertenrechtskonvention wird Rechnung getragen.

2.       Selbstbestimmung und individuelle Lebensplanung werden dem gewandelten Rollenverständnis von Menschen mit Behinderung entsprechend vollumfänglich unterstützt.

3.       Die Eingliederungshilfe wird zu einem modernen Teilhaberecht entwickelt, in dessen Mittelpunkt der Mensch mit seinen behinderungsspezifischen Bedarfen steht.

4.       Die vorgelagerten Systeme und die mit der Eingliederungshilfe verbundenen Systeme sowie ihre Zusammenarbeit werden verbessert.

5.       Die Koordinierung der Rehabilitationsträger wird verbessert. Dazu wird eine Weiterentwicklung des SGB IX angestrebt. Die Leistungen sollen für den Bürger wie aus einer Hand erbracht werden.“


Doch meiner Ansicht nach gibt es einen ganz anderen, viel gewichtigeren Grund für dieses Gesetz: Abwälzung der Finanzierung der Sozialleistung Eingliederungshilfe auf den Bund bzw. Steuerzahler. Doch davon steht nichts in den Forderungskatalogen der Initiativen und im vorgenannten Flyer. Und auch in der Arbeitsgruppe beim BMAS, welche nun am Entwurf für ein Bundesteilhabegesetz arbeitet, ist nach wie vor diejenige Gruppe nicht vertreten, die letztlich für die Kosten aufkommen müsste: die Steuerzahler.

Nun wird aber gleichzeitig auf Länder- und kommunaler Ebene an Einsparungsmodellen gearbeitet, um die Kosten der Eingliederungshilfe jetzt und für die Zukunft nachhaltig zu begrenzen (oder zu drücken!). In Hamburg wird derzeit mit Trägerbudgets experimentiert, und bald kommt auch noch die Egalisierung von stationären und ambulanten Leistungen hinzu. Es könnte sein, dass das Hamburger Modell als ein Nonplusultra bundesweit angepriesen wird, was dann natürlich eine gewisse Bremswirkung erzielen könnte auf das jetzige Gesetzgebungsverfahren. Aber: Einerseits sind Trägerbudgets keine Erfindung aus Hamburg, man kann hier z.B. auf die Erfahrungen aus Berlin schauen, andererseits muss die Reform im Bereich des stationären Wohnens zuerst einmal vereinbart werden mit den beteiligten Trägern der jeweiligen Einrichtungen, und daran wird gerade herum verhandelt. Ein Haushaltsjahr später kann man mit Gewissheit davon sprechen, ob diese Maßnahmen erfolgreich waren; und das würde erst Mitte 2016 der Fall sein.

Einen weiteren Einfluss können steigende Steuereinnahmen und zurückgehende Refinanzierungsaufwendungen für Altschulden haben. Noch auf sehr viele Jahre hinaus rechnen Finanzexperten damit, dass die Zinsen auf einem sehr niedrigen Niveau verharren werden, wobei aber die Konjunktur aufgrund der reichlich vorhandenen Liquidität schon wieder (wenn auch moderat) anzieht. Der Wille zu Strukturveränderungen scheint aber bei den Kommunen, Ländern und Bund nicht sehr ausgeprägt zu sein. Gerne wird auf den hohen Reformstau in den südeuropäischen Ländern verwiesen; wahrscheinlich um von den eigenen Schwächen abzulenken. Für den Bund will man schon einen ausgeglichenen Haushalt in 2015 erreichen, in Hamburg ist aufgrund sprudelnder Steuerquellen schon vor 2019 ein Haushalt ohne Neuverschuldung denkbar.

Wenn also Einsparungen und Liquiditätsüberhang die erwarteten Kostensteigerungen bei der Eingliederungshilfe auffangen können, fehlt somit der maßgeblichste Grund für das neue Bundesteilhabegesetz. Es wird also nicht mehr benötigt – warum dann noch forcieren?

Die Antwort:

Weil es noch immer Barrieren gibt, welche den Menschen mit Behinderung benachteiligen. Weil in vielen Köpfen behinderte Menschen woanders hin gehören sollen, da sie keinen Nutzen für die moderne und auf Effizienz getrimmte Leistungsträgergesellschaft haben.



CGS