Bisher gab es viel Zuspruch: von Betroffenen, den
Interessenvertretungen und Verbänden, sogar die Politik nahm das Thema auf. Bis
Mitte 2016 soll es ein Gesetz geben, was die Rechte der Menschen mit
Behinderung stärkt, den Behinderungsbegriff neu definiert, Rehabilitationsträger
zu Barrierefreiheit und Inklusion verpflichtet, schulische und berufliche
Teilhabe ermöglicht, Wunsch- und Wahlrecht behinderter Menschen stärkt, ein
sog. Bundesteilhabegeld unabhängig von eigenem Vermögen zahlt usw.
Das BMAS hat hierzu sogar einen Flyer erstellt (Stand August
2014), der die wichtigsten Ziele dann so wiederum formuliert:
„Mit dem
Bundesteilhabegesetz soll entsprechend den Vorgaben des Koalitionsvertrages die
Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen verbessert und damit das
deutsche Recht im Licht der UN-Behindertenrechtskonvention weiterentwickelt
werden. Konkretisierend sollen mit dem Bundesteilhabegesetz folgende Ziel
erreicht werden:
1.
Dem
neuen gesellschaftlichen Verständnis nach einer inklusiven Gesellschaft im
Lichte der UN-Behindertenrechtskonvention wird Rechnung getragen.
2.
Selbstbestimmung
und individuelle Lebensplanung werden dem gewandelten Rollenverständnis von
Menschen mit Behinderung entsprechend vollumfänglich unterstützt.
3.
Die
Eingliederungshilfe wird zu einem modernen Teilhaberecht entwickelt, in dessen
Mittelpunkt der Mensch mit seinen behinderungsspezifischen Bedarfen steht.
4.
Die
vorgelagerten Systeme und die mit der Eingliederungshilfe verbundenen Systeme
sowie ihre Zusammenarbeit werden verbessert.
5.
Die
Koordinierung der Rehabilitationsträger wird verbessert. Dazu wird eine
Weiterentwicklung des SGB IX angestrebt. Die Leistungen sollen für den Bürger
wie aus einer Hand erbracht werden.“
Doch meiner Ansicht nach gibt es einen ganz anderen, viel
gewichtigeren Grund für dieses Gesetz: Abwälzung der Finanzierung der
Sozialleistung Eingliederungshilfe auf den Bund bzw. Steuerzahler. Doch davon
steht nichts in den Forderungskatalogen der Initiativen und im vorgenannten
Flyer. Und auch in der Arbeitsgruppe beim BMAS, welche nun am Entwurf für ein
Bundesteilhabegesetz arbeitet, ist nach wie vor diejenige Gruppe nicht
vertreten, die letztlich für die Kosten aufkommen müsste: die Steuerzahler.
Nun wird aber gleichzeitig auf Länder- und kommunaler
Ebene an Einsparungsmodellen gearbeitet, um die Kosten der Eingliederungshilfe
jetzt und für die Zukunft nachhaltig zu begrenzen (oder zu drücken!). In
Hamburg wird derzeit mit Trägerbudgets experimentiert, und bald kommt auch noch
die Egalisierung von stationären und ambulanten Leistungen hinzu. Es könnte
sein, dass das Hamburger Modell als ein Nonplusultra bundesweit angepriesen wird,
was dann natürlich eine gewisse Bremswirkung erzielen könnte auf das jetzige
Gesetzgebungsverfahren. Aber: Einerseits sind Trägerbudgets keine Erfindung aus
Hamburg, man kann hier z.B. auf die Erfahrungen aus Berlin schauen,
andererseits muss die Reform im Bereich des stationären Wohnens zuerst einmal
vereinbart werden mit den beteiligten Trägern der jeweiligen Einrichtungen, und
daran wird gerade herum verhandelt. Ein Haushaltsjahr später kann man mit
Gewissheit davon sprechen, ob diese Maßnahmen erfolgreich waren; und das würde
erst Mitte 2016 der Fall sein.
Einen weiteren Einfluss können steigende Steuereinnahmen und
zurückgehende Refinanzierungsaufwendungen für Altschulden haben. Noch auf sehr
viele Jahre hinaus rechnen Finanzexperten damit, dass die Zinsen auf einem sehr
niedrigen Niveau verharren werden, wobei aber die Konjunktur aufgrund der
reichlich vorhandenen Liquidität schon wieder (wenn auch moderat) anzieht. Der
Wille zu Strukturveränderungen scheint aber bei den Kommunen, Ländern und Bund
nicht sehr ausgeprägt zu sein. Gerne wird auf den hohen Reformstau in den südeuropäischen
Ländern verwiesen; wahrscheinlich um von den eigenen Schwächen abzulenken. Für
den Bund will man schon einen ausgeglichenen Haushalt in 2015 erreichen, in
Hamburg ist aufgrund sprudelnder Steuerquellen schon vor 2019 ein Haushalt ohne
Neuverschuldung denkbar.
Wenn also Einsparungen und Liquiditätsüberhang die
erwarteten Kostensteigerungen bei der Eingliederungshilfe auffangen können,
fehlt somit der maßgeblichste Grund für das neue Bundesteilhabegesetz. Es wird
also nicht mehr benötigt – warum dann noch forcieren?
Die Antwort:
Weil es noch immer Barrieren
gibt, welche den Menschen mit Behinderung benachteiligen. Weil in vielen Köpfen
behinderte Menschen woanders hin gehören sollen, da sie keinen Nutzen für die moderne
und auf Effizienz getrimmte Leistungsträgergesellschaft haben.
CGS