Sonntag, 21. Februar 2016

Das Strukturbildungsgebot

Wussten Sie, dass es ein Strukturbildungsgebot mal gab? Oder kann man sagen, dass sich im § 75 Abs. 2 S. 1 SGB XII ein solches noch befindet?

BSHG von 1961
§ 93, Einrichtungen
BSHG von 2006
§ 93, Einrichtungen
SGB XII von 2015
§ 75, Einrichtungen und Dienste
Abs. 1

Die Träger der Sozialhilfe sollen darauf hinwirken, dass die zur Gewährung der Sozialhilfe geeigneten Einrichtungen ausreichend zur Verfügung stehen.

Sie sollen eigene Einrichtungen nicht neu schaffen, soweit geeignete Einrichtungen der in § 10 Abs. 2 genannten Träger der freien Wohlfahrtspflege vorhanden sind, ausgebaut oder geschaffen werden können.
Abs. 1

Zur Gewährung von Sozialhilfe sollen die Träger der Sozialhilfe eigene Einrichtungen einschließlich Dienste nicht neu schaffen, soweit geeignete
Einrichtungen anderer Träger vorhanden sind, ausgebaut oder geschaffen werden können.

Vereinbarungen nach Absatz 2 sind nur mit Trägern von Einrichtungen abzuschließen,
die insbesondere unter Berücksichtigung ihrer Leistungsfähigkeit und der
Gewährleistung der Grundsätze des § 3 Abs. 1 zur Erbringung der Leistungen geeignet
sind.

Sind Einrichtungen vorhanden, die in gleichem Maße geeignet sind, soll der Träger der Sozialhilfe Vereinbarungen vorrangig mit Trägern abschließen, deren Vergütung bei gleichem Inhalt, Umfang und Qualität der Leistung nicht höher ist als die anderer Träger.
Abs. 1

Einrichtungen sind stationäre und teilstationäre Einrichtungen im Sinne von § 13.

Die §§ 75 bis 80 finden auch für Dienste Anwendung, soweit nichts Abweichendes bestimmt ist.

Abs. 2

Zur Erfüllung der Aufgaben der Sozialhilfe sollen die Träger der Sozialhilfe eigene Einrichtungen nicht neu schaffen, soweit geeignete Einrichtungen anderer Träger vorhanden sind, ausgebaut oder geschaffen werden können.

Vereinbarungen nach Absatz 3 sind nur mit Trägern von Einrichtungen abzuschließen, die insbesondere unter Berücksichtigung ihrer Leistungsfähigkeit und der Sicherstellung der Grundsätze des § 9 Abs. 1 zur Erbringung der Leistungen geeignet sind.

Sind Einrichtungen vorhanden, die in gleichem Maße geeignet sind, hat der Träger der Sozialhilfe Vereinbarungen vorrangig mit Trägern abzuschließen, deren Vergütung bei vergleichbarem Inhalt, Umfang und Qualität der Leistung nicht höher ist als die anderer Träger.


BSHG = Bundessozialhilfegesetz
SGB XII = Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch

Zur besseren Lesbarkeit wurden die einzelnen Sätze durch Absatz getrennt.

CGS



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Sonntag, 7. Februar 2016

Vergütungsverhandlungen ganz praktisch

Vergütungsverhandlungen werden zu dem Zweck geführt, Vergütungen neu festzusetzen. Theoretisch können auch Sozialhilfeträger (Leistungsträger) zu Verhandlungen auffordern, wenn die Auffassung besteht, dass der Leistungserbringer derzeit sehr gut mit den Mitteln aus der Sozialhilfe auskommt – doch sowas ist nicht die Regel (die Anwendung des § 78 SGB XII ist damit nicht gemeint!). Meistens sind es die Leistungserbringer, die zu Verhandlungen auffordern, weil die Gespräche zu einer pauschalen Fortschreibung zwischen Verbänden und überörtlichem Sozialhilfeträger unbefriedigend verlaufen oder weil man einfach Einzelverhandlungen führen muss. Zu Vergütungsverhandlungen kann nur aufgerufen werden, wenn eine gültige oder geeinte Leistungsvereinbarung vorliegt (vgl. § 76 Abs. 2 S. 3 SGB XII).

Wie geht es los?

Vorausgesetzt, dass die Unterlagen vollständig eingereicht worden sind und ein Termin gefunden wurde, trifft man sich in den Räumen des Sozialhilfeträgers. Die Begrüßung kann dabei so klingen, dass „heute mal alles auf den Prüfstand gestellt werden sollte“. Eine derartige Eröffnungsrede ist neutral und sagt nichts über das Angebot aus.

Andere Begrüßungen können dagegen schon mal so lauten:

„Ihr Angebot liegt weit über dem ortsüblichen Durchschnitt.“
„Es befindet sich im obersten Drittel bei den teuersten Einrichtungen.“
„Mit der Vergütung wären Sie oberhalb aller anderen Einrichtungen – Sie wären mit Abstand die teuersten.“

Oder es wird auf die derzeitige, angespannte Haushaltslage, die bald kommende / anstehende Umstellung auf ein neues Kalkulationssystem und / oder den aktuellen Verhandlungsstand mit den Verbänden verwiesen. Der Sozialhilfeträger will also deutlich machen, dass es eigentlich nichts zu verhandeln gibt.

Warum also dennoch verhandeln?

Auf eine solche Frage kann man nicht antworten, weil man allgemein eine höhere Vergütung erzielen will. Die Begründung muss schon nachvollziehbar sein und darf sich auf eine höhere Inflationsrate (die sich auf die Sachkosten auswirkt), gestiegene Sozialversicherungsbeiträge und Tarifabschlüsse (die sich auf die Personalkosten auswirken) beziehen. Wenn aber die verlangte Erhöhung bei 5 % liegt, die Begründung aber nur 2 % hergibt, macht man sich sofort unglaubwürdig. Verhandlungen können nur geführt werden, wenn die andere Seite annimmt, dass die eigene Position legitim ist. Besser ist es also, wenn man die Notwendigkeit herausstellt, wie z.B. ein um 3 % höheres Risiko für Unterbelegungen aufgrund von Baumaßnahmen oder eine ungünstige Altersstruktur in der Bewohnerschaft.

Man muss verhandeln, wenn sich die Risiken abzeichnen und erfassen lassen. Nur die vage Vermutung alleine, dass die nächsten Tarifverhandlungen eine Erhöhung von 5 % bei den Personalkosten verursachen wird, reicht nicht. Besser ist es, wenn auf der Grundlage der gewerkschaftlichen Forderungen zu Verhandlungen aufgefordert wird. Ein Zuwarten, also erst ein halbes Jahr später in Verhandlungen zu gehen, schwächt dagegen die eigene Verhandlungsposition immens. Auch auf den Schlichterspruch in der Tarifrunde zu warten, ist zeitlich problematisch, denn die Terminfindung für die Gespräche mit dem Sozialhilfeträger können gut und gerne Wochen dauern; in dieser Zeit haben Gewerkschaften und Arbeitgeber den Schlichterspruch längst angenommen.

Die Ausgangsposition muss vom Verhandlungspartner lediglich als „legitim“ wahrgenommen werden – wenigstens ein bisschen. Wenn man einem „Unverschämt!“ dagegen begegnet, muss man viel Arbeit darauf verwenden, die Bereitschaft zum Verhandeln herzustellen. Zweistellige Steigerungsraten sind immer problematisch, auch wenn sie gut begründbar sind; beispielsweise wurde jahrelang lediglich die pauschale Steigerungsrate angenommen, die aber nicht die tatsächlichen Kostensteigerungen deckte. Sozialhilfeträger können sich hier auf das Gesetz beziehen und (überlegen) darauf verweisen, dass das Selbstkostenprinzip nicht mehr besteht und nachträgliche Ausgleiche unzulässig sind (vgl. § 77 Abs. 1 SGB XII).

Sind Verhandlungen nicht teuer?

Natürlich binden Verhandlungen auf beiden Seiten wichtige Ressourcen. In der Regel sitzen seitens der Behörde zwei bis drei Mitarbeiter am Tisch, von denen wenigstens einer die Unterlagen bestens kennt. Auf der Seite des Anbieters sitzen Mitglieder der Geschäftsführung und Fachleute, nicht selten auch Vertreter des jeweiligen Verbands und manchmal auch Rechtsanwälte. Das ist aber nur die sichtbare Ebene, im Hintergrund sind Vorgesetzte und (Behörden-) Juristen ebenso involviert wie Mitarbeiter des Rechnungswesens und Controllings. Die Vorbereitung der Unterlagen sowie die Sichtung und Analyse ist äußerst zeitaufwändig, so dass entweder die Tagesroutine zu kurz kommt oder die Beteiligung in Arbeitsgruppen behindert wird.

Verhandlungen bieten Einsichtnahme und detaillierte Analyse von Kostenstrukturen. Für den Sozialhilfeträger ergibt sich ein Informationsgewinn. Mit einem verbesserten Wissen um die Arbeit von Leistungserbringern, kann auch ein adäquater Vergleich zu anderen vorgenommen werden. Für den Leistungserbringer ergibt sich ebenfalls ein Informationsgewinn, weil er auf seine „Schwachstellen“ hingewiesen wird. Natürlich sind „Best Practice“-Vergleiche nicht immer übertragbar. Aber die Kenntnis darüber, dass es günstigere Alternativen gibt, bedeutet eine potentielle Kostenersparnis.

Von daher sind Verhandlungen als nützliche Gespräche zu verstehen, von denen beide Seiten profitieren können. Wem es gelingt, in Vergütungsverhandlungen dies herauszustellen, hat einen positiven Zufriedenheitstreiber entdeckt, mit dem das Verfahren weiter betrieben werden kann.

In Verhandlungen kommt es doch nur auf das Ergebnis an, oder?

Das Ergebnis ist die Differenz zwischen der bisherigen Vergütung und der neuen Vergütung, könnte man denken. Doch es gibt auch ein zweites Ergebnis, nämlich die Differenz zwischen der „legitimierten“ Ausgangsposition / Ausgangsforderung und dem erzielten Abschluss. Und, wie zuvor schon gesagt, Zufriedenheit über den Gesprächsverlauf selber.

Es kommt also auf die Perspektive an, die man einnehmen will. Ein Sozialhilfeträger wird sich ganz bestimmt nicht rechtfertigen wollen, dass er einer Steigerung um 5 % zugestimmt hat. Stattdessen wird später betont, dass man die zweistellige Ausgangsforderung des „unverschämten“ Leistungserbringers mehr als halbieren und ein zeit- und ressourcenaufwändiges Schiedsstellenverfahren abwenden konnte. Umgekehrt wird sich der Leistungserbringer darüber freuen können, dass ihm eine Steigerung von 5 % gelungen ist trotz schwierigster Ausgangslage.

Es ist eine Sache der Interpretation, oder auch anders gesagt: Man kann sich ein Ergebnis schönreden. Ein Ergebnis erzielt man aber nur, wenn man Verhandlungen führen kann. Darum ist nicht nur der Einstieg so wichtig, sondern auch ein zufriedener Verhandlungsverlauf.

CGS



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