Montag, 28. November 2016

Die Zeit läuft. Am 1. Dezember wird der Bundestag abschließend über das neue Bundesteilhabegesetz und das Dritte Pflegestärkungsgesetz beraten.

Das neue Bundesteilhabegesetz (BTHG) und das Dritte Pflegestärkungsgesetz (PSG III) kommen. Am 1.12.2016 findet im Bundestag eine abschließende Beratung statt. Die Opposition hat wohl schon Anträge formuliert und eingereicht, die Koalition wird jetzt ihre Anträge formulieren – hört man.

Ob sich noch Wesentliches ändern wird zum bekannten Regierungsentwurf Bundesteilhabegesetz (RegBTGH, Stand 22.6.2016, 14 Uhr 26) ist zweifelhaft.

Der Regierungsentwurf sieht im Artikel 12 Nr. 8 (neuer § 139 SGB XII) eine Regelung vor, die es zum Beispiel Leistungserbringern unmöglich macht, ihre Vergütungen für die Jahre 2018 und 2019 anzupassen. Konkret bedeutet diese Regelung, dass die für das kommende Jahr 2017 vereinbarten Vergütungssätze (d.h. Maßnahmenpauschale, Grundpauschale und Investitionsbetrag) bis zum 31.12.2019 fortgelten sollen. Zwar stehen schon z.B. im Anwendungsbereich des TVÖD die Steigerungsraten für 2017 fest (+ 2,35 % ab 1.2.2017), doch es gibt noch keine Gespräche für die Folgejahre – ja, es müsste sogar schon bis in das Jahr 2020 jetzt etwas vereinbart werden.

Für Träger von vollstationären Einrichtungen könnte die Kostenentwicklung zum Beispiel so aussehen:

Jetzt
2017
2018
2019
2020
Fortgeschrieben mit Zinseszins-Effekt
Tatsächlicher Anteil in der Vergütung
Löhne und Gehälter
Anteil 70 %

Basis = 100 %


+ 2,35 %


+1,2 %


+1,0 %


+2,5 %


107,23 %


75,06 %
Sachkosten
Anteil 20 %

Basis = 100 %


+ 1,6 % *)


+ 2,0 %


+ 2,0 %


+ 2,0 %


107,82 %


21,56 %
Investitionsbetrag
Anteil 10 %

Basis = 100 %


+ 1,0 %


+ 1,0 %


+ 1,0 %


+ 1,0 %


104,06 %


10,41 %
*) =
Sachverständigenrat Konjunkturprognose März 2016 = 1,4 %
Neueste Kapitalmarktschätzungen = 1,6 %

107,03 %

Die oben angegebenen Prozentwerte sind nur Beispiele und beruhen allenfalls auf ganz groben Einschätzungen. Was diese Zahlen allerdings aufzeigen ist, dass ein umfangreiches Verlustrisiko entstehen kann; bei Anbietern voll- und teilstationärer Leistungen in etwa dieser Zusammensetzung, bei reinen ambulanten Diensten leicht höher.

Darum müssen sich die Leistungserbringer und ihre Verbände mit einigen Fragen auseinandersetzen:

Soll man als Leistungserbringer jetzt schon in Verhandlungen gehen oder doch lieber abwarten, bis die Prognosen für 2018 veröffentlicht sind?

Gibt es trotzdem die Möglichkeit, etwas hinein verhandelt zu bekommen?

Mit diesem Thema muss man sich auseinandersetzen.

CGS



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Freitag, 25. November 2016

Schulassistenten und Schulbegleiter - Land und Kommunen einigen sich, doch ist der Streit damit endgültig beigelegt?

Am 7. November 2016 vereinbarten das Bundesland Schleswig-Holstein, „endvertreten“ durch den Ministerpräsidenten, und die kommunalen Landesverbände (KLV) eine Beteiligung des Bundeslandes an den Kosten der Integration auf kommunaler Ebene sowie weitere finanzielle Entlastungsmaßnahmen. In der Vereinbarung findet sich ein Abschnitt zum Streitpunkt „Schulbegleitung im Grundschulbereich“. Die Vertreter der Kommunen erreichten jetzt, dass ein Teil der Kosten nun vom Land übernommen werden – bei den Schulbegleitungen sehen sich die Kommunen nämlich „zu Unrecht“ mit diesen Kosten belastet. Sollte damit der Streit endgültig begraben sein?

In einem Moratorium vom 19.6.2015 (Nichtberücksichtigung bei der Nachfinanzierung) hatte man offenbar eine Ausgleichszahlung an die Kreise und kreisfreien Städte des Landes vereinbart gehabt, die möglicherweise von den KLVs als nicht ausreichend angesehen wurde. Bei der Nachfinanzierung handelt es sich übrigens um einen „nachträglichen Ausgleich“, welcher sich auf die Mehrausgaben eines Jahres für Leistungen der Sozialhilfe ohne Ausgaben für Geldleistungen nach dem 4. Kapitel SGB XII (Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung) bezieht.

In der Vereinbarung heißt es nun, dass das Land diese „vereinbarte Ausgleichssumme um 1,5 Mio. Euro für die Schuljahre 2016 / 2017 (und 2017 / 2018)“ erhöht (vgl. Ziffer IV der Vereinbarung).

Doch das Ganze kommt nicht ohne Bedingung, und es ist derzeit noch nicht bekannt, ob die Kommunen letztlich diese Bedingungen annehmen werden, auch wenn der KLV alles für die Akzeptanz unternehmen wird.

Im Gegenzug verlangt das Land, dass die Annahme dieser Gelder eine Abgeltung für alle Ansprüche aus der Gewährung von Maßnahmen zur Schulbegleitung durch die Jugend- und Sozialhilfeträger bedeutet, und zwar dort, wo „Förderung und Unterstützung nicht auf andere Weise sichergestellt ist“.

Offenbar gab es in den Verhandlungen eine Verständigung darüber, dass eine „trennscharfe Abgrenzung zwischen den Zuständigkeitsbereichen der Schule und der Eingliederungshilfe nach SGB XII und SGB VIII nicht möglich ist.“ Das Problem sieht man im schleswig-holsteinischen Landesschulgesetz, denn dort heißt es in § 4 Abs. 13 S. 2 SchulG-SH:

Das Ziel einer inklusiven Beschulung steht dabei im Vordergrund.

Somit sehen sich die Kommunen als Leistungsträger nicht mehr in der Pflicht, irgendwelche Kosten für Inklusionsmaßnahmen an den Schulen zu übernehmen (z.B. Schulbegleitung für Kinder mit einer geistigen oder seelischen Behinderung, §§ 35 a SGB VIII oder 53 SGB XII).

Tatsächlich müssten staatlicherseits entsprechende Ressourcen geschaffen werden bzw. es müssten die einzelnen Schulträger dafür Sorge tragen, dass auch Kinder mit Einschränkungen am Schulunterricht teilnehmen können. Doch wenn dann ein – tatsächlicher – „Erhalt von Leistungen“ seitens des Schulträgers nicht geschieht, besteht eine Leistungspflicht beim Sozialhilfeträger – dies hatte schon einmal das Bundessozialgericht so entschieden, als es erklärte, dass § 2 SGB XII keine Ausschlussnorm darstellt (Rz. 26 im BSG Urteil vom 22.03.2012, Az. B 8 SO 30/10 R). Außerdem traf das Verwaltungsgericht Schleswig in einem Eilverfahren eine Grundsatzentscheidung zur Kostenübernahme bei der Schulbegleitung (Az.: 15 B 97/16). Das Gericht soll "deutlich" gemacht haben, dass "Unzuständigkeit bzw. nachrangige Zuständigkeit" den beklagten Jugendhilfeträger nicht von der bedarfsgerechten Bewilligung von Schulbegleitungen befreit. Mit anderen Worten: Die Kosten müssen übernommen werden, wenn die Unterstützungsleistungen der Schule tatsächlich nicht erbracht werden. In einem anderen Verfahren vor einem Sozialgericht wurde dagegen ein Vergleich im Sinne der klagenden Eltern vereinbart.

In der Verhandlung zwischen dem Land und den KLVs wurde der Streit als eine Art „Schnittstellenproblem“ benannt. Es ist richtig, dass die notwendigen Ressourcen zuerst einmal von denjenigen geschaffen werden müssen, die diese besonderen Aufgaben der Inklusion und Barrierefreiheit übernommen haben. Doch es ist nicht richtig, Hilfen zu versagen, weil eine Zuständigkeit nicht besteht. Vielmehr sollten sich dann, wie nun geschehen, diejenigen, die jetzt zahlen müssen (und somit ihren Bürgern helfen), mit denjenigen „streiten“, die ihre Zahlungspflicht nicht einsehen wollen.

Nun verpflichten sich die KLVs im Namen der (sich beteiligenden) Kommunen, auf die „noch abschließend zu verabredenden Handlungsempfehlungen hinzuwirken und Schulbegleitung in den Fällen zu bewilligen, in denen Förder- und Unterstützungsbedarf festgestellt wird und die Förderung und Unterstützung nicht auf andere Weise sichergestellt ist“. Dies liest sich, also ob nun endlich ein Schlussstrich unter die anhaltende Problematik mit den Ablehnungsbescheiden zu Schulbegleitungen bzw. Integrationsassistenten in einigen Landkreisen gezogen wird.

Man könnte auch sagen, dass sich das Land freikauft. Doch auch dies geschieht nicht ganz bedingungslos. Es besteht nämlich Einvernehmen darüber, so die Vereinbarung, dass die Ausgleichszahlung von 1,5 Mio. Euro auf die Nachfinanzierungsmittel gem. § 10 AG-SGB XII angerechnet wird, wenn eine Doppelfinanzierung vorliegen könnte. Die Ausgestaltung sei noch zu verabreden, steht damit noch nicht fest. Es ist jetzt schon klar, dass das Land nur die Nachfinanzierung für die Mehrausgaben übernehmen will, bei denen (sozusagen im Wege der Kulanz?) die Kommunen die Kosten für die Inklusionsmaßnahmen übernommen haben, weil ein anderer Leistungsträger (also die Schulträger) diese Leistungen nicht übernehmen konnten.

Für die Eltern behinderter Schulkinder wird dies sicherlich eine gewisse Erleichterung bringen, doch wie lange? Der Beschluss des Landessozialgerichts Schleswig-Holstein vom 17.2.2014 über Schulbegleitungen und den „Kernbereich der pädagogischen Arbeit“ kann als Auslöser für die vielen Ablehnungsbescheide und jetzigem Gezanke der Kommunen mit dem Land um finanziellen Ausgleich angesehen werden. Dieser Streit scheint nun beigelegt zu sein, doch was passiert nach Ablauf des Schuljahres 2017/2018?

Und worauf können Kinder mit Hilfebedarf zählen, wenn sie die Grundschule verlassen? Die nun von beiden Seiten getroffene Vereinbarung spricht nicht über den Bereich der weiterführenden Schulen, sondern nur über den Grundschulbereich.

CGS




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Samstag, 12. November 2016

Barbeträge zur persönlichen Verfügung für behinderte Menschen in stationären Wohneinrichtungen

Vor längerer Zeit hatte ich bereits zum Thema „Barbeträge“ einiges zusammengeschrieben. Doch auch wenn es sich um ein nicht besonders aktuelles Thema handelt, es gibt dennoch immer wieder Entwicklungen oder Ereignisse, die zeigen, dass alle Beteiligten ihre Schwierigkeiten damit haben.

Einen Barbetrag zur persönlichen Verfügung erhält nur die Person, welche leistungsberechtigt ist gem. § 19 Abs. 1 SGB XII / § 27 Abs. 1 SGB XII. Der Barbetrag gehört zu den Hilfen zum Lebensunterhalt, die nach dem 3. Kapitel des SGB XII nur an solche Personen gezahlt wird, die „ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln … bestreiten können“ (Abs. 1).

Wenn solche Menschen allerdings in einer vollstationären Wohneinrichtung leben, wird der Lebensunterhalt vom Betreiber der Einrichtung erbracht. Die an den Betreiber gezahlte Vergütung enthält u.a. Pauschalen für Unterkunft und Verpflegung, welche in etwa die Grundsicherungs-Leistungen abdecken sollen (vgl. auch § 76 Abs. 2 SGB XII). Was aber nicht in den Vergütungen enthalten ist, ist der sogenannte „weitere notwendige Lebensunterhalt“ nach § 27 b Abs. 2 SGB XII. Darin enthalten ist z.B. die Bekleidung eines behinderten Menschen, aber auch der eingangs genannte Barbetrag zur persönlichen Verfügung in angemessener Höhe.

Dieser Barbetrag entspricht 27 % der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 SGB XII und wird häufig auch als Grundbarbetrag tituliert, um zwischen weiteren Barbeträgen zu differenzieren.

Zusätzlich zum Barbetrag wird nämlich in einigen Fällen auch ein Zusatzbarbetrag gezahlt, der als eine Art Besitzstand anzusehen ist. Es handelt sich hierbei um eine Übergangsregelung für Leistungsberechtigte gem. § 133 a SGB XII, welche am 31. Dezember 2004 einen Anspruch auf einen zusätzlichen Barbetrag nach § 21 Abs. 3 Satz 4 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) hatten. Dieser Betrag wird heute unverändert fortgeschrieben in Höhe seiner Differenz zum damaligen Grundbarbetrag. Voraussetzung für die Fortgewährung ist das Anspruchsbestehen im Dezember 2004. Hatte der Leistungsberechtigte (damals noch Hilfeempfänger) einen Teil der Kosten seines Aufenthaltes in der Einrichtung selbst getragen, erhielt er diesen Zusatzbarbetrag.

Normalerweise wird ein Barbetrag nur dann unvermindert ausgezahlt, wenn eine „bestimmungsgemäße Verwendung“ möglich ist (vgl. § 27 b Abs. 2 Satz 4 SGB XII). Dies könnte sich auch auf andere Barbeträge erstrecken, da über allem der Grundsatz der Erforderlichkeit schwebt. Dass der Zusatzbarbetrag bislang unverändert fortgeschrieben wird, lässt vermuten, dass eine Prüfung im Einzelfall (noch?) nicht unternommen wurde.

Dann gibt es noch Abzugsbeträge, bei denen es sich, wie der Name vermuten lässt, um negative Barbeträge handelt. Sie mindern die Leistungen, weil der Sozialhilfeträger für den Leistungsberechtigten einen Aufwand übernimmt, der normalerweise von den Regelbedarfssätzen abgedeckt wird, aber nicht ist (vgl. § 37 Abs. 1 SGB XII). Bei Menschen, die in stationären Wohneinrichtungen leben und Leistung nach § 27 b SGB XII erhalten, übernimmt der Sozialhilfeträger z.B. die Zuzahlungen an Krankenkassen in Form eines ergänzenden Darlehens (vgl. § 37 Abs. 2 SGB XII). Ein solches Darlehen wird im Wege des Abzugs vom Grundbarbetrag „in gleichen Teilbeträgen über das ganze Kalenderjahr“ zurückgezahlt. Damit entfällt die Zuzahlungspflicht für den Leistungsberechtigten, da diese pauschal vom Sozialhilfeträger einbehalten wird.

Die Pflicht zur Rückzahlung eines Darlehens entsteht sofort, wenn der Anspruch auf Sozialhilfe endet.

Weil in vielen Fällen die Leistungsberechtigten über kein eigenes Bankkonto verfügen, zahlen die Sozialhilfeträger die Gelder an die Leistungserbringer oder Betreiber der Wohneinrichtungen aus. Diese sollen die Barbeträge an die Bewohner dann weiterleiten (an ein Girokonto überweisen, welches vom rechtlichen Betreuer verwaltet wird) oder über die Hauskasse / Kasse vor Ort direkt auszahlen (siehe hierzu auch meinen Beitrag vom 28.11.2014 zur Pflicht des Einrichtungsträgers über die Verwahrung von Bewohnergeldern).

Dieses Geld soll den Leistungsberechtigten zum Monatsanfang bzw. zu Perioden-Beginn zur Verfügung stehen, doch das ist nur dann möglich, wenn der Leistungserbringer sofort bei Zahlungseingang die Mittel auszahlt. Dies ist in der Regel nicht möglich, weil der Leistungserbringer zuerst einmal prüfen muss, was vom Sozialhilfeträger überhaupt ausgezahlt wurde. Damit es allerdings zu keiner Verzögerung kommt, werden Barbeträge zur Auszahlung gebracht, selbst wenn noch keine Klarheit über die eingegangenen Gelder besteht. Mit anderen Worten: Die Auszahlung erfolgt auf die Gefahr hin, dass der Leistungsträger die Zahlungen eingestellt hat.

Dass die Barbeträge nicht ausgezahlt werden, kann z.B. dann vorkommen, wenn eine Frist zur Antragstellung für eine Weiterbewilligung überschritten wurde. Ob eine solche Einstellung rechtlich überhaupt gestattet ist, darf angezweifelt werden. Auch wenn die Mitwirkungspflicht seitens der Einrichtung oder des rechtlichen Betreuers verletzt wird, so bleibt die Notlage des Leistungsberechtigten dennoch bestehen und es muss Abhilfe geschaffen werden – an den Grundvoraussetzungen hat sich ja nichts verändert.

CGS




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Notizen:
  
Leistungen der Sozialhilfe
2. Kapitel SGB XII

§ 19 Abs. 1 SGB XII
Hilfe zum Lebensunterhalt
3. Kapitel SGB XII

§ 27 Abs. 1 SGB XII
(1) Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel ist Personen zu leisten, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus ihrem Einkommen und Vermögen, bestreiten können.
(1) Hilfe zum Lebensunterhalt ist Personen zu leisten, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln bestreiten können.



Sonntag, 6. November 2016

Wenn das Renteneintrittsalter zu einem Grund wird, den Leistungsumfang in Tagesförderstätten zu kürzen

Weil das Renteneintrittsalter erreicht ist, soll ein älterer Mensch mit (geistiger) Behinderung nur noch eine „Tagesstruktur“ erhalten, so die bewilligende Sozialbehörde (Fachdienst Soziales). Diese Begründung erscheint problematisch, zumal damit auch das Wunsch- und Wahlrecht des Leistungsberechtigten eingeschränkt wird.

Gemeint ist in Wirklichkeit ein sehr niedrigschwelliges Betreuungsangebot, dass weniger kostet, als z.B. die Betreuung in einer Tagesförderstätte. Doch auch wenn man dem Leistungsträger gerne pauschal Kostenkürzung unterstellen mag, ein solches Angebot, dass sich an behinderte Menschen richtet, die schon überfordert sind, wenn sie eine Tagesförderstätte besuchen, ist sinnvoll – die Begründung im Leistungsbescheid dagegen problematisch.

Für Leistungserbringer kann dies zu einem Vergütungsausfall und / oder personellen Mehrkosten führen, weil immer mehr Menschen mit Behinderung das Alter für den Eintritt in die Altersrente erreichen. Wenn die bewilligende und kostenübernehmende Stelle das Renteneintrittsalter als Grund nennt, eine weitere Leistungsbewilligung abzulehnen, wo findet dann die Betreuung statt? In einer stationären Wohneinrichtung muss dies durch das Personal vor Ort sichergestellt werden. Ist diese Wohneinrichtung klein, eigentlich sogar tagsüber geschlossen, muss extra Personal eingesetzt werden. Doch lebt der behinderte Mensch in einer eigenen Wohnung, muss die rechtliche Betreuung die notwendigen Maßnahmen organisieren. Man kann dann auch nicht einfach auf einen Pflegedienst zugreifen, weil hierfür ein Pflegebedarf festgestellt werden muss, was tatsächlich nicht der Fall ist.

Wenn zukünftig die Flexi-Rente möglich ist, so dass Arbeitnehmer, die das Renteneintrittsalter erreichen, sich entscheiden können, weiter zu arbeiten, müsste doch auch behinderten Menschen dieses Recht zuteil kommen (Art. 3 Abs. 3 GG). Damit wäre es Leistungsträgern untersagt, eine Ablehnung wegen Erreichen des Renteneintrittsalters auszusprechen. Leistungsberechtigte dürften dann sogar verlangen, dass sie noch (weit) über diese Altersgrenze eine Tagesförderstätte mit umfangreichen Betreuungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten besuchen dürfen.

Doch auch heutzutage kann mit der bewilligenden Stelle über den Hilfebedarf und das tatsächlich vorhandene regionale Angebot gesprochen werden. Man muss es nur in vernünftiger Weise versuchen.

CGS






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