Freitag, 20. März 2015

Änderungen beim RBS 3 wirken sich nun doch nicht auf die Vergütungen aus (aktualisiert)

Das BMAS hat nun doch eine Weisung herausgebracht und ausdrücklich diejenigen ausgeklammert vom RBS1-Bezug, die in stationären Wohneinrichtungen leben. Von daher wird es für die Träger dieser Einrichtungen nicht noch mehr Geld geben. Schade, aber verständlich!

Die folgenden Absätze enthalten somit veraltetes Wissen.

Mit den jüngsten Entwicklungen beim Thema Regelbedarfsstufe 3 (RBS 3) könnte es für diejenigen Träger, die bisher dem neuen zeitbasierten Kalkulationsverfahren skeptisch bis feindlich gegenüber standen, nun wirklich sehr schwer gemacht werden.

Das BMAS gab bekannt, dass man einer Forderung des Bundessozialgerichts nachkommt und Menschen, die aufgrund ihres Wohnsitzes bei den Eltern eine abgesenkte Regelbedarfsstufe von monatlich 313 Euro erhalten (RBS 3), den höheren Satz der RBS 1 von monatlich 391 Euro zahlen wird. Eine entsprechende Weisung wird von Frau Arbeitsministerin Nahles erteilt. Zuständig für die Umsetzung sind allerdings die Bundesländer.

Die RBS 3 ist Teil der neuen Vergütung im neuen Vergütungssystem. Von daher sollte sich diese Entscheidung unmittelbar auf die (noch kommenden) Vergütungssätze der beteiligten Träger auswirken. Und das nicht zu knapp! Denn mit monatlich 78 Euro / täglich 2,56 Euro pro Bewohner mehr ergeben sich Steigerungsraten, natürlich je Hilfebedarfsgruppe, von gut und gerne 2 bis 3 %.

Im alten Vergütungssystem war die RBS 3 kein Kalkulationsbestandteil! Wer als Träger jetzt nicht mitzieht, wird nicht daran beteiligt – wobei es noch lange nicht klar ist, ob es nicht doch wieder eine RBS 3 gibt für solche Menschen, die zwar nicht bei ihren Eltern leben, aber in stationären Wohngruppen.

Und ich frage mich auch, ob die Trägerbudget-Teilnehmer hiervon ebenfalls profitieren werden.

CGS






Donnerstag, 19. März 2015

Störfeuer zum aktuellen Arbeitsstand der AG BTG (Bundesteilhabegesetz)

Hier passiert mal wieder was!

Am 12.3.2015 schloss die 8. Sitzung der Arbeitsgruppe zum neuen Bundesteilhabegesetz. In dieser vorletzten Sitzung ging es um die „finanziellen Aspekte“. Doch offenbar gibt es Störfeuer vom Bundeskabinett, denn das beschloss am 18.3.2015 kommunale Entlastungen über „andere Wege“. Was genau damit gemeint ist, eröffnet sich einem Leser der Pressemitteilung des BMF ganz gewiss nicht. Man muss schon die Pressemitteilung der Deutschen Landkreistags lesen, um den Zirkelschluss zu machen (siehe Links weiter unten).

Im Koalitionsvertrag soll lediglich die Entlastung der Kommunen im Umfang von 5 Mrd. Euro vereinbart sein. Und Priorität hat nun einmal die „kommunalfreundliche Politik des Bundes“ (Quelle: interner Gesprächsvermerk des BMAS zum „Koalitionsfrühstück am 17.3.2015“). Begründet wurde diese Maßnahme übrigens damit, dass „eine zielgenaue Entlastung der Kommunen im System der Eingliederungshilfe“ nicht möglich sei. Und weil der Koalitionsvertrag sich (vermutlich) ausschweigt über Maßnahmen zur Leistungsverbesserung und strukturellen Veränderungen, wird eine neue Sicht auf die Dinge eingenommen. Nicht zuletzt erreicht man damit auch, dass eine neue Ausgabendynamik nicht entsteht – wenn man es genau nimmt, dann handelt es sich um eine zeitlich und in seiner Höhe begrenzte Unterstützung der Kommunen. Es kann also alles so bleiben, wie bisher.

In dem internen Papier heißt es weiter:

„… Die Behindertenverbände äußerten die Befürchtung, dass durch die Entkoppelung nunmehr die ‚Lokomotive‘ für ein substanzielles Bundesteilhabegesetz, das auch Leistungsverbesserungen für die Menschen mit Behinderungen umfassen müsse, entfallen würde. Ohne eine Koppelung an die kommunale Entlastung - so die Befürchtung - würde der Reformdruck nachlassen und das ganze Gesetz stünde zur Disposition. …“ (Hervorhebung von mir).

Genau dies führt bei den Interessensverbänden zu Kritik.

Die Bundesvereinigung der Lebenshilfe e.V. sieht im Bundesteilhabegesetz das „wichtigste behindertenpolitische Vorhaben dieser Legislaturperiode“. Sie verlangt, dass auch „nach Änderung der Finanzströme … an dem Vorhaben festgehalten und die Behindertenrechtskonvention mit einem modernen Teilhabegesetz umgesetzt werden [muss] – so wie es der Koalitionsvertrag vorsieht.“ (Quelle: Extra-Newsletter der Bundesvereinigung Lebenshilfe vom 19. März 2015).

Die umfangreichen Vorarbeiten, die von verschiedenen Interessenten geleistet worden sind, könnten nun vergebens gewesen sein. Auch der Paritätische Wohlfahrtsverband sieht mit Sorge, dass die Sicherstellung der Finanzierung „auf andere Weise“ den Umbau des bisherigen Fürsorge-Systems in ein System der Teilhabe-auf-Augenhöhe zum Erliegen bringen wird. (Quelle: Newsletter des Paritätische Gesamtverbands vom 18./19.3.2015).

Am 6.10.2014 hatte ich in einem Beitrag die Frage gestellt, ob das neue Bundesteilhabegesetz gestoppt wird, noch bevor es an Fahrt aufgenommen hat. Zwischenzeitlich gab es dann noch aus dem Dunstkreis der Hamburger Sozialbehörde ein eher abschwächendes Signal, was die Zukunft der Arbeitsgruppe anbelangte.

Wie gesagt, die Interessensverbände befürchten, dass ohne finanziellen Druck, die Länder und Kommunen nicht mehr an der Weiterarbeit interessiert sind. Das Gesetz könnte stoppen und als Begründung könnte angeführt werden, der Reformbedarf ist zwar vorhanden, aber die Umsetzung äußerst problematisch. Und wenn dann auch noch die Vorhersage, dass die Ausgabensteigerung der Eingliederungshilfe bis 2020 auf 21,6 Mrd. Euro (Quelle: interner Gesprächsvermerk des BMAS zum „Koalitionsfrühstück am 17.3.2015“) nun nicht eintrifft, wird die dann herrschende Politik-Kaste das Gesetzesvorhaben zur endgültigen Ruhe betten.


CGS


Quelle:







Freitag, 6. März 2015

Die Anträge auf Schulbegleitung / Integrationsassistenz müssen jetzt wieder gestellt werden

Es ist wieder soweit: Wenn ein Schüler mit Behinderung eine Schulbegleitung bzw. Integrationsassistenz braucht, dann müssen jetzt seitens der Erziehungsberechtigten oder rechtlichen Betreuern Anträge bei den Sozialhilfeträgern gestellt werden.

Das heißt: Es empfiehlt sich, jetzt schon die Anträge auf den Weg zu bringen, damit einerseits die Ämter und Behörden Zeit haben, fachliche Stellungnahmen einzuholen, andererseits auch bei einer Ablehnung die Eltern ins Widerspruchsverfahren zu gehen. Auch wenn es noch so lange hin scheint bis zum neuen Schuljahr, in der Zeit der Sommerferien passiert in der Regel nicht viel.

Wenn es „lediglich“ um eine Verlängerung der bestehenden Hilfeleistungen geht, dann ist in einigen Landkreisen und Kommunen mit Widerständen der Sozialhilfeträger zu rechnen. Noch immer geistert das Gespenst des Begriffs „Kernbereich der pädagogischen Arbeit“ umher, welcher durch den Sozialhilfeträger immer dann herangezogen wird, wenn Zweifel an der Notwendigkeit einer Schulbegleitung bestehen – „böse Zungen“ behaupten dagegen, dass es grundsätzlich den Sozialhilfeträgern um die Einsparung von Haushaltsmitteln geht.

Um dieses Problem also gar nicht groß aufkommen zu lassen, empfiehlt es sich, in beizufügenden Stellungnahmen und Schulberichten ganz klar eine Abgrenzung vorzunehmen. Es geht also nicht um schulische-pädagogische Hilfen, wie z.B. Nachhilfe, Hausaufgabenhilfe oder Vermittlung von Lerninhalten, sondern es geht um Unterstützungsleistungen, die dem Schüler mit Behinderung die Erlangung einer angemessenen Schulbildung ermöglicht (vgl. § 54 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII).

Darunter fallen gem. § 12 der Eingliederungshilfe-Verordnung:

„1.
heilpädagogische sowie sonstige Maßnahmen zugunsten körperlich und geistig behinderter Kinder und Jugendlicher, wenn die Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, dem behinderten Menschen den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen oder zu erleichtern,

2.
Maßnahmen der Schulbildung zugunsten körperlich und geistig behinderter Kinder und Jugendlicher, wenn die Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, dem behinderten Menschen eine im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht üblicherweise erreichbare Bildung zu ermöglichen,

3.
Hilfe zum Besuch einer Realschule, eines Gymnasiums, einer Fachoberschule oder einer Ausbildungsstätte, deren Ausbildungsabschluß dem einer der oben genannten Schulen gleichgestellt ist, oder, soweit im Einzelfalle der Besuch einer solchen Schule oder Ausbildungsstätte nicht zumutbar ist, sonstige Hilfe zur Vermittlung einer entsprechenden Schulbildung; die Hilfe wird nur gewährt, wenn nach den Fähigkeiten und den Leistungen des behinderten Menschen zu erwarten ist, daß er das Bildungsziel erreichen wird.“

Gerade Ziffer 2 wird zu Problemen führen, weil die Auslegung letztlich doch in den Kernbereich der pädagogischen Arbeit hineinreicht.

Die Sozialhilfeträger müssen prüfen, ob eine Leistungspflicht seitens des Schulträgers besteht. In Schleswig-Holstein ist dies der Fall, da das Schulgesetz die Schulträger zur Inklusion verpflichtet. Nach einem Rechtskommentar kommt in so einem Fall nicht der Sozialhilfeträger für die Schulbegleitung auf, sondern der Schulträger (vgl. S. 421, Rz. 53 zu Nr. 5, § 54 in Bieritz-Harder in „LPK-SGB XII“).

Doch die Schulträger könnten trotz Pflicht zur Inklusion immer auf den Ressourcenvorbehalt, der sich ebenfalls im Schulgesetz wiederfindet, verweisen und damit faktisch die Unterstützungsleistung verweigern. Problematisch ist zudem, dass der persönliche Anspruch eines Hilfeberechtigten im selben Schulgesetz nicht festgeschrieben ist – m.a.W. der Anspruch kann zwar individuell bestehen, aber die Leistungserbringung muss sich nicht konkret auf die Abstellung des Anspruches beziehen. Eine ganz schräge Nummer!

Nochmal: Der Hilfebedarf darf sich nicht auf solche Maßnahmen wie Nachhilfe oder Hausaufgabenbetreuung beziehen, denn dann kann der Leistungsträger sofort an den Schulträger verweisen. Es ist nicht Aufgabe der Schulbegleitung, Lerninhalte zu vermitteln!

In einer Entscheidung des LSG Stuttgart wurde ein Landkreis zur Übernahme der Kosten für eine Schulbegleitung verpflichtet (siehe Quellenangabe und Link weiter unten). Darin heißt es:

„…Den Kernbereich der Schule sah das Landessozialgericht durch die für die Klägerin erforderlichen Hilfen nicht als betroffen an, weshalb der Landkreis als für die Gewährung von Eingliederungshilfe zuständiger Träger leistungspflichtig sei. Die Schulbegleiterinnen hätten gerade keine Lehrinhalte vermittelt, sondern lediglich unterrichtsbegleitende unterstützende Leistungen erbracht, wie eine Fokussierung der Aufmerksamkeit auf das Unterrichtsgeschehen, die Verdeutlichung von Aufgabenstellungen, Unterstützung bei der Auswahl der richtigen Bücher und Hefte und kommunikative Hilfestellungen. Damit hätten sie keine sonderpädagogischen Aufgaben wahrgenommen.“

CGS


Quelle:






Montag, 2. März 2015

Schulnoten

In einem länger zurückliegenden Beitrag hatte ich mich mit dem neuen Schulgesetz in Schleswig-Holstein und der dazu gehörigen Verordnung ein wenig auseinandergesetzt. Mit dem neuen Gesetz soll es fortan keine Schulnoten mehr geben bis zum Erreichen der 6. Klasse (vgl. Beitrag Nr. 34 vom 25.9.2014, sowie RegVO-SH i.V.m. § 16 SchulG-SH).

Am 14.6.2006 berichtete Zeit-Online (www.zeit.de) unter dem Titel „Schlechte Zensur für Noten“ über die Unzuverlässigkeit von Schulnoten. Angeführt wurden zwei Experimente, bei denen identische Aufsätze zuerst von 42 und später sogar von 110.000 Lehrern benotet wurden. Als Fazit wurde festgehalten:

„…Mehr als zehn Prozent der benoteten Aufsätze wurden mit Noten zwischen »sehr gut« und »ungenügend« bewertet. Auch ein Schwung identischer Aufsätze, der einer kleineren Gruppe von Gymnasiallehrern vorgelegt wurde, bekam Noten wie aus dem Zufallsgenerator.“

Das sind noch immer etwas weniger als 90 %, bei denen die Benotung in einen engeren Kreis fällt. Doch wenn bestenfalls 90 % der Noten eine nahezu objektive Leistungsbeurteilung wiederspiegeln, heißt es nicht, dass Ziffernnoten Selbständigkeit und Leistungswillen bei den benoteten Schülern fördern. Es darf nicht vergessen werden, dass genau solche pädagogischen Ziele es ermöglichen, das Fürsorge-System mit seinen Abhängigkeiten und einer anerzogenen Hörigkeit abzubauen. Schüler sollen in die Lage versetzt werden, ihre Selbsteinschätzung zu verbessern (Divergenz zwischen Fremdbild und Selbstbild), und lernen, mit Kritik konstruktiv umzugehen.

Der Grundschulverband e.V. brachte unter dem Titel „Sind Noten nützlich und nötig?“ eine wissenschaftliche Expertise unter der Leitung von Hans Brügelmann heraus. Es wird darin u.a. gefordert, dass Ziffernnoten durch differenziertere Formen der Dokumentation und Leistungsbewertung ersetzt werden. Das bisherige System fördert dagegen eine Art Selektionsdruck.

In dieser Expertise wird herausgestellt, dass Zensuren zwar Urteile von „Lehrpersonen“ sind, was auf eine gewisse Erfahrung, Übung und Fachlichkeit schließen lässt, doch die Daten weisen in eine andere Richtung. Sei es, dass Benotungen in einer viel zu kleinen Population erfolgen oder Herkunft, Geschlecht, Verhaltensauffälligkeiten und persönliche Sympathie zu systematischen Verzerrungen der Beurteilung führen, erst wenn Noten nicht einem „Selektionszweck“ dienen, verlieren diese Faktoren an Bedeutung.

Menschen mit Behinderung leben größtenteils noch in einem Fürsorge-System, dessen weitere Existenz gerade jetzt in die Diskussion gekommen ist. Es wird zu verfolgen sein, wie das Thema „Inklusive Schule“ nun an Dynamik gewinnt und weitere Veränderungen auf den Ebenen Schule, Klasse und Gesellschaft (Elternhaus) auslöst.  

CGS


Quelle: