Sonntag, 29. November 2015

Der Mindestlohn als Refinanzierungsproblem (Teil 5)

Am 14.11.2015 hatte ich noch mit der Argumentation des Leistungsträgers in der Vertragskommission gehadert, warum es keine rechtliche Grundlage für die Anhebung der Vergütungen geben soll. Die Argumentationslinie ist mir jetzt verständlicher.

Arbeitgeber (Leistungserbringer) sind gesetzlich verpflichtet, einen Mindestlohn zu zahlen, der nicht unter 8,50 Euro die Zeitstunde liegen darf (§ 1 Abs. 2 S. 1 MiLoG).

Da im Tarifvertrag TVÖD-VKA keine Regelung zum gesetzlichen Mindestlohn enthalten ist, sei es durch Öffnungsklausel oder der Übernahme einer vergleichbaren Regelung, müssen Unternehmen, die z.B. Bereitschaftsdienste (analog zu §§ 45 ff. TVÖD BT-B-VKA) leisten, einen freiwilligen Zuschlag zum tariflichen Lohn zahlen, damit der gesetzliche Mindestlohn erreicht wird.

Sollten die Arbeitsgerichte entscheiden, dass Bereitschaftsdienste nicht unter das MiLoG fallen und demzufolge tatsächlich anders bezahlt werden dürfen, so sollten die Zuschläge unter dem Vorbehalt der Widerrufbarkeit gezahlt werden – so zumindest die Empfehlung verschiedener Personaler und Tarifkenner. Das heißt, wenn der Arbeitgeber die Rechtmäßigkeit der Zahlung widerruft, dann müssen die Arbeitnehmer diese nun „unrechtmäßigen“ und „unter Vorbehalt des Widerrufs“ geleisteten Zuschläge zurückzahlen.

Wie weit zurück ein solcher Widerruf überhaupt möglich ist, sei jetzt für die weitere Besprechung dahingestellt. Es gibt zwar eine tarifliche Ausschlussfrist, nach deren Zeitablauf Rückforderungen nicht mehr gestellt werden können, aber darauf fußt die Argumentation der Leistungsträger nicht. Problematisch ist dagegen, dass Vergütungsvereinbarungen deswegen nicht ungültig werden, wenn Arbeitsgerichte (Gesetzgeber, Tarifparteien usw.) bestimmte Regelungen kippen, auf denen zuvor eine Vergütung kalkuliert worden ist. Also: Sollten die Arbeitsgerichte entscheiden, dass Bereitschaftsdienste nicht unter das MiLoG fallen und demzufolge anders bezahlt werden dürfen, dann ändert sich die Vergütungsvereinbarung nicht und der Leistungserbringer erhält eine „nicht-leistungsgerechte“ Vergütung bis zur nächsten Neuverhandlung.

Weil (1.) dieser freiwillige Zuschlag im Tarifvertrag nicht geregelt ist, also die letzten Tarifverhandlungen auch keine Änderungen dahingehend vereinbart hatten, und (2.) darüber hinaus eine Widerrufbarkeit zu Gunsten des Arbeitgebers ausgesprochen wird, und (3.) Vergütungsvereinbarungen nur „leistungsgerechte“ Entgelte beinhalten dürfen, mangelt es an der formalen Grundlage.

Man könnte die Angelegenheit wie folgt lösen:

Es wird anerkannt, dass die gesetzliche Regelung der tariflichen Regelung vorgeht, weil der Tarifvertrag nicht allgemein verbindlich erklärt worden ist.

Es wird eine widerrufbare Zulage gezahlt zum Ausgleich der Differenz zum gesetzlichen Mindestlohn bis eine gerichtliche, gesetzliche oder tarifliche Regelung getroffen worden ist. Diese Zulage wird, wenn sie denn ausgezahlt worden ist, nicht mehr zurückgefordert (einseitige Entscheidung des Arbeitgebers) – auf die Einrede der Verjährung wird also verzichtet.

Die Vergütungsvereinbarungen werden nicht nur zeitlich befristet (was sie in der Regel sowieso sind), sondern in Höhe der voraussichtlichen Zulagenzahlung wird ein Ausgleichsbetrag vereinbart, der im Folgejahr entfällt bzw. wieder neu vereinbart werden muss.

CGS



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Freitag, 27. November 2015

Aufgaben der Schulischen Assistenzkräfte an schleswig-holsteinischen Schulen

Im Juli veröffentlichte das schleswig-holsteinische Ministerium für Schule und Berufsbildung seine Ausschreibung für Schulische Assistenzkräfte (w/m). Im Kreis Pinneberg werden derzeit die Einstellungslisten mit Namen befüllt, aber noch sind nicht alle Einstellungsgespräche abschließend geführt worden. Geplant war die Stellenbesetzung für August oder September, nun wird es auf den Dezember oder gar Januar 2016 hinauslaufen. Was darüber hinaus noch interessant sein könnte, folgt ab hier.

Zur Anwendung kommt der TV-L, wobei mir noch nicht klar ist, nach welcher Entgeltordnung die Eingruppierung erfolgt. In jedem Fall wird bei der Einstellung beachtet, welchen Ausbildungsstand die Kandidaten mitbringen. Dreijährige Fachausbildungen, d.h. im Bereich der Pädagogik bzw. im Sozial- und Erziehungsdienst, werden entsprechend hoch eingruppiert. Sofern einschlägige Berufserfahrung vorliegt, wird diese in den Entwicklungsstufen wiederzugeben sein. Woran aber die wenigsten denken werden, ist das Stufenlaufzeitjahr.

Mit der Anwendung des TV-L erledigt sich damit auch das Thema Mindestlohn. Es gab an einigen Stellen die Befürchtung, dass die Bezahlung unterhalb der 8,50 Euro Stundenlohn liegen könnte.

Die Ausschreibung der Stellen für Schulische Assistenzkräfte soll folgende Aufgaben benennen:

Schulische Assistenzkräfte sollen die Arbeit von Grundschulen unterstützen, indem sie unter Anleitung von Lehrkräften vor allem:

1. Hilfestellung bei der Umsetzung von Arbeitsaufträgen oder der Verwendung von Arbeitsmaterial leisten sowie zur Motivation und Aufmerksamkeitslenkung der Schülerinnen und Schüler beitragen,

2. an spezifischen Fördermaßnahmen für Gruppen oder einzelne Schülerinnen und Schüler mitwirken, bei Konfliktsituationen von Schülerinnen und Schülern assistieren, und

3. pädagogische Angebote auch außerhalb des Unterrichts (zum Beispiel in Pausen oder vor Beginn des Unterrichts, Projekt- und Sporttage, Schul- und Klassenfeste) mitgestalten.

Die Aufgaben entstammen der Unterlage „Eckpunkte zur Zielsetzung und zu den Aufgaben Schulischer Assistenz“ vom 12.05.2015. Sie wurde seinerzeit in Kommission Schulbegleitung erarbeitet.

In der Unterlage werden die möglichen Aufgaben und Einsatzfelder mit Beispielen unterlegt:

Unterstützung von Schülerinnen und Schülern im sozialen und emotionalen Bereich mit dem Ziel der Förderung des sozialen Verhaltens und der besseren Integration in den Klassenverband sowie einer dauerhaften schulischen Teilhabe. Beispiele sind:

Unterstützung von Schülerinnen und Schülern bei der Umsetzung bzw. Einhaltung von vereinbarten Regel- und Ordnungsprinzipien,

Regelmäßige Kontakt- und Gesprächsangebote zur Unterstützung der Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter (Einzel- , Kleingruppengespräche, Begleitung von Klassenratsstunden…),

Unterstützung von Lehrkräften sowie Schülerinnen und Schülern in Konfliktsituationen (z.B. bei Selbst- und Fremdaggression, Verweigerungen, Weglaufsituationen oder Rückzugserfordernissen) durch Kontakt-, Gesprächs- und Handlungsangebote,

Mit der Klassenlehrkraft abgestimmte Interventionen wie die Begleitung von befristeten Auszeiten, usw.,

Angeleitete Unterstützung/Begleitung/Umsetzung von spezifischen Fördermaßnahmen und Lernprogrammen für Gruppen oder einzelne Schülerinnen und Schüler im Schwerpunkt ihrer emotionalen bzw. sozialen Entwicklung,

Die Unterstützung von befristeten Maßnahmen der schulischen Erziehungshilfe innerhalb und außerhalb der Lerngruppe

Unterstützung von Lehrkräften sowie von Schülerinnen und Schülern während des Unterrichts.  Beispiele sind:

Angeleitete Unterstützung einer Schülergruppe oder einzelner Schüler im Klassenverband,

Hilfestellungen bei der Umsetzung von Arbeitsaufträgen,

Hilfestellungen bei Handlungsplanung und Selbstorganisation oder der Verwendung von Arbeitsmaterialien

Ermutigung, Motivation von Schülerinnen und Schülern,

Unterstützung von Schülerinnen und Schülern bei dem Einüben von Methoden, dem Einsatz von (technischen) Hilfsmitteln wie speziellen Computer- oder Lernprogrammen oder der Anwendung von Arbeitstechniken, usw.,

Angeleitete Unterstützung einer Schülergruppe oder einzelner Schüler außerhalb des Klassenverbandes, z.B. bei befristeten räumlichen Aufteilungen,

Begleitung und Unterstützung von angeleiteten Differenzierungsangeboten.

Die Unterstützung von Lehrkräften sowie Schülerinnen und Schülern bei der Gestaltung des gesamten Schulvormittags einschließlich der Pausen. Beispiele sind:

Gestaltung von pädagogischen Pausen- oder Frühstücksangeboten,

Begleitung angeleiteter Kleingruppenangebote (Spielen, Bewegung, Lesen...),

Begleitung von Schülerinnen und Schülern in Ruhe- und Rückzugszonen.

Die Unterstützung von Lehrkräften sowie Schülerinnen und Schülern bei besonderen Projekten, Ausflügen bzw. Klassenfahrten, Sporttagen, Schul- und Klassenfesten sowie generell beim Lernen am anderen Ort. Beispiele sind:

Begleitung von Ausflügen und Klassenfahrten,

Unterstützung bei der Durchführung von Projekt- und Sporttagen, Schul- und Klassenfesten, usw.,

Begleitung von Aktivitäten „Lernen am anderen Ort“.

Die Unterstützung einzelner Schülerinnen und Schüler bei unterrichtsergänzenden Angeboten, um deren Teilnahme zu ermöglichen (z.B. Ganztag, Betreuung, Hausaufgabenhilfe, Arbeitsgemeinschaften). Beispiele sind:

Hausaufgabenhilfe und Arbeitsgemeinschaften,

Begleitung von Schülerinnen und Schülern mit Unterstützungsbedarf in Betreuungs- oder Ganztagsangeboten.

Die punktuelle Unterstützung von Schülerinnen und Schülern in belastenden Situationen (keine Beispiele genannt).

Keinesfalls dürfen Schulische Assistenzkräfte für eigenständigen Unterricht oder für Vertretungsaufgaben eingesetzt werden. Sie sind aber eingebunden in der Konstellation von schulischer Pädagogik, Sonderpädagogik und Schulsozialarbeit.

Soweit so gut, aber noch immer ein wenig undurchsichtig, was sich wohl erst mit der täglichen Praxis glätten lässt. Gerade bei Schülern mit Unterstützungsbedarf könnte sich eine mögliche Schnittstellenproblematik auftun zur Schulbegleitung (Integrationsassistenz), die aus Mitteln der Jugend- oder Sozialhilfe bezahlt wird.

Andererseits wird mit diesem Aufgabenkatalog klargestellt, welche Aufgaben im Kernbereich der pädagogischen Arbeit liegen und eben nicht (!) von Schulbegleitern zu leisten sind.

CGS


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Samstag, 21. November 2015

Wann Entgeltverhandlungen zu führen sind

Wann ist der richtige Zeitpunkt für die Aufforderung zu Entgeltverhandlungen gem. § 77 SGB XII? Wie immer kommt es auf den Landesrahmenvertrag an, doch schon der Blick ins Gesetz gibt Aufschluss, wann dieser Zeitpunkt sein muss.

Nach § 77 Abs. 1 Satz 1 SGB XII sind die Vereinbarung nach § 75 Abs. 3 SGB XII, und dazu gehören die Leistungsvereinbarung, Prüfungsvereinbarung und Vergütungsvereinbarung, „… vor Beginn der jeweiligen Wirtschaftsperiode für einen zukünftigen Zeitraum (Vereinbarungszeitraum) abzuschließen… “. Vereinbarungen sollen prospektiv sein und keine Rückwirkung entfalten; dies findet sich gleichfalls in Abs. 2 S. 3, wonach ein „zurückwirkendes Vereinbaren oder Festsetzen von Vergütungen“ nicht zulässig ist (Grundsatz der Prospektivität).

Entgeltverhandlungen müssen also vor dem Abschluss der angestrebten Vergütungsvereinbarung abgehalten werden, damit in der Vereinbarung ein Beginn-Datum festgelegt werden kann. Die Formulierung „vor Beginn der jeweiligen Wirtschaftsperiode“ wird aber im Gesetzestext nicht weiter definiert, so dass damit jeder Monatserste gemeint sein kann.

Der Gesetzgeber verlangt allerdings, dass Entgeltverhandlungen gem. Abs. 1 S. 3 über einen Zeitraum von „sechs Wochen“ geführt werden müssen, bevor die Schiedsstelle über die streitigen Gegenstände entscheiden kann. Von daher ist die schriftliche Aufforderung zu Verhandlungen alleine nicht ausreichend, es müssen Streitgegenstände konkret benannt werden.

Ebenso kann unter dem verwendeten Begriff „Vereinbarungszeitraum“ durchaus eine Periode von weniger oder mehr als einem Jahr verstanden werden (vgl. Rz. 4 zu § 77 SGB XII in Münder, LPK-SGB XII, 8. Auflage, S. 582). In der Regel finden neue Verhandlungen erst sechs Wochen vor dem Ablaufdatum der jeweiligen Vergütungsvereinbarung statt, was aber nicht immer zwingend der Fall sein muss. Wenn aber eine Frist für die ordentliche Kündigung im Landesrahmenvertrag, den Verfahrensvereinbarungen oder sogar in der Vergütungsvereinbarung enthalten ist, dann kann dementsprechend auch früher zu Verhandlungen aufgefordert werden.

Neuverhandlungen können aber auch stattfinden bei„… unvorhersehbaren wesentlichen Veränderungen der Annahmen, die der Vereinbarung oder Entscheidung über die Vergütung zu Grunde lagen…“ (vgl. Abs. 3). Damit ist nicht die außerordentliche Kündigung gemeint, siehe hierzu § 78 SGB XII. Vielmehr ist so etwas wie das Rechtsinstitut des § 242 BGB, Wegfall der Geschäftsgrundlage, impliziert (vgl. Rz. 22 zu § 77 SGB XII in Münder, LPK-SGB XII, 8. Auflage, S. 588). Sofern Veränderungen eingetreten sind, die so nicht vorhersehbar waren, sind Neuverhandlungen möglich. Gleichwohl kann z.B. ein Leistungsträger dadurch entgegenwirken, in dem Ereignisse benannt werden, die als „nicht unvorhersehbar“ gelten sollen.

Es kann also gut sein, dass ein Tarifabschluss, wie jetzt im Falle der Eingruppierungsregelungen im Sozial- und Erziehungsdienst, einen „unvorhersehbaren“ Kostenaufwand mit sich bringen; sehr wahrscheinlich bleiben viele Leistungserbringer deswegen auf diesen Mehrkosten in 2015 sitzen, weil ihre Vergütungsvereinbarung einen Kündigungsausschluss bis zum 31.12.2015 vorsieht. Andererseits sind neue Gesetze mit ihren Auswirkungen, wie beim Mindestlohngesetz, nicht wirklich absehbar und könnten ggf. zu vorzeitigen Neuverhandlungen berechtigen.

Der Zeitpunkt für Entgeltverhandlungen richtet sich somit immer nach dem vergütungsrelevanten Ereignis (Abs. 3) und nach dem Ablaufdatum oder Kündigungstermin der Vergütungsvereinbarung zuzüglich der sechs Wochen Verhandlungsdauer (Abs. 1).

CGS




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Samstag, 14. November 2015

Der Mindestlohn als Refinanzierungsproblem (Teil 4)

Arbeitgeber in der Sozialwirtschaft mit Bereitschaftsdiensten dürfen das Thema Mindestlohn nicht ignorieren, sondern sind gut beraten, sich die Auswirkungen vor Augen zu führen.

Auch in der Vertragskommission SGB XII (Schleswig-Holstein) wurde das Thema besprochen. Das Ergebnis blieb allerdings gleich: Die Leistungsträger lehnten ab, weil es keine rechtliche Grundlage für eine Anhebung der Vergütungen geben soll. Sie begründeten dies damit, dass sich der TVÖD-VKA und andere Tarifverträge nicht geändert hätten. Jede Zeitstunde des Bereitschaftsdienstes wird lt. Tarifvertrag mit dem Anrechnungs-Faktor (z.B. 25 %) zum Zwecke der Lohnberechnung gewertet. Und im öffentlichen Dienst wird kein Mindestlohn gezahlt.

Wie man zu einer solchen Behauptung (und auch Argumentation) kommen kann, ist leider nicht überliefert (nachvollziehbar). Man könnte allerdings annehmen, dass damit die Regelung in § 24 MiLoG gemeint ist. Wie ich aber zuletzt aufgezeigt habe, greift diese Ausnahmeregelung nur bei solchen Tarifparteien, deren Tarifvertrag für „allgemeinverbindlich“ erklärt worden ist – der TVÖD-VKA gehört nicht zu diesen verbindlich erklärten Tarifverträgen.

Alle „übrigen“ Arbeitgeber müssen somit sicherstellen, dass mindestens der gesetzliche Mindestlohn von derzeit 8,50 Euro pro Stunde gezahlt wird. Bei einigen Beschäftigten kann ohne weiteres vorausgesetzt werden, dass rechnerisch ein solcher Stundenlohn tatsächlich erreicht wird. Bei Nicht-Fachkräften könnte selbst der tariflich zu zahlende Stundenlohn im Bereitschaftsdienst unterhalb des gesetzlichen Mindestlohns liegen.

Nochmal: Der Mindestlohn stellt einen gesetzlichen Anspruch einzelner Arbeitnehmer dar. Nur wenn ein Tarifvertrag als „allgemeinverbindlich“ erklärt worden ist, gilt nicht mehr der Mindestlohn.

Wie könnten die Leistungserbringer argumentieren?

Tarifverträge müssen eine Öffnungsklausel haben, damit der vom Tarif abweichende Mindestlohn gezahlt wird.

Das Mindestlohngesetz ist nicht tarifdispositiv. Weder muss im Tarifvertrag eine Regelung enthalten sein, welche die Anwendung des Gesetzes erlaubt oder ausdrücklich verbietet. Das Mindestlohngesetz muss über Tarif- und Arbeitsverträgen stehen, weil es politischer Wille ist, einen Mindestlohn für alle Beschäftigten sicherzustellen. Nach § 3 MiLoG sind „Vereinbarungen, die den Anspruch auf Mindestlohn unterschreiten oder seine Geltendmachung beschränken oder ausschließen,…“ insoweit unwirksam. Nur in Ausnahmefällen, d.h. § 24 MiLoG, tritt das Gesetz zurück.

Im Landesrahmenvertrag für Schleswig-Holstein ist festgelegt, dass der TVÖD die Obergrenze bildet.

Personalkosten einer Einrichtung müssen aus einem nachvollziehbaren System der Entlohnung stammen, denn sonst wäre jeder Arbeitsvertrag zu prüfen hinsichtlich des Prinzips aus § 76 Abs. 1 Satz 3 SGB XII (Grundsatz der Notwendigkeit und Angemessenheit). Tarifverträge, die richtig angewendet werden, erfüllen dementsprechend dieses Kriterium. Von daher entstehen Personalkosten aus der Anwendung einer „Vergütungssystematik“ (vgl. Ziffer 4.2 LRV-SH SGB VIII, Jugendhilfe).

Weder im LRV-SH Jugendhilfe noch im LRV-SH § 79 Abs. 1 SGB XII (Sozialhilfe / Eingliederungshilfe) ist der TVÖD als Richtwert oder als Referenz festgelegt. Allerdings gibt es Bestimmungen, die tatsächlich Bezug nehmen auf den TVÖD; zum Beispiel:

In Ziffer 6.2.1 LRV-SH SGB VIII heißt es, dass für die Berechnung und Anpassung der Entgelte die „Personalkosten um die prozentuale Rate angepasst [werden], die sich aufgrund der Tarifentwicklung im TVÖD-VKA, gesetzlichen Veränderungen [und] der Entwicklung der Sozialversicherungsbeiträge ergibt.“

In Ziffer 3.1. AVV zum LRV-SH SGB XII heißt es in Absatz 2, dass die Personalkosten einer Einrichtung übernommen werden, „die aufgrund eines geltenden Tarifvertrags oder einer vergleichbaren Regelung vom Einrichtungsträger als Arbeitsentgelte verpflichten zu leisten sind…“. Die Anerkennung erfolgt, „soweit sie den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit und Leistungsfähigkeit gem. §§ 75 SGB XII entsprechen.“ Wenn allerdings diese Voraussetzungen nicht vorliegen, so in Absatz 3, bildet der TVÖD-VKA-West die summarische Obergrenze.

Also: Obergrenze „Ja, wenn kein Tarifvertrag oder vergleichbare Regelung“ vorhanden sind.

Der Mindestlohn muss nur für die Zeiten bezahlt werden, in denen tatsächlich gearbeitet wird.

Gemeint ist damit, dass die Bereitschaftszeit zum einen aus einer nicht-vergüteten Ruhezeit und einer „normal“ vergüteten Tätigkeitszeit besteht. Zwar handelt es sich insgesamt um Arbeitszeit, weil der Arbeitgeber bestimmt, wo der Arbeitnehmer sich während der gesamten Zeit aufhält, aber vergütet wird nur der Zeitanteil, in dem tatsächlich eine Tätigkeit aufgenommen wird. Und nur aus Vereinfachungsgründen haben die betrieblichen Parteien bestimmt, dass der Tätigkeitsanteil während dieser Zeit 15 bis 55 % ausmacht (vgl. § 8.1 TVÖD-B-VKA bzw. § 46 BT-B-VKA).

Dieses Argument könnte tatsächlich stichhaltig sein. In verschiedenen Kommentaren wird diese Unterscheidung diskutiert, weil es in der Praxis diese Ruhezeiten gibt, für die der Arbeitgeber getreu dem Grundsatz „Keine Arbeit, kein Geld“ verständlicherweise nicht einmal Mindestlohn bezahlen will. Welchen Sinn macht Bereitschaftsdienst, wenn er „normal“ zu vergüten wäre?

Was aber nun fehlt, ist eine gesetzliche Klarstellung oder eine höchstrichterliche Entscheidung. Arbeitgeber wären allerdings schlecht beraten, auf eine solche weiterhin zu warten und bis dahin den Mindestlohn zu verweigern. Nach § 20 MiLoG sind sie verpflichtet, das Gesetz anzuwenden, andernfalls droht Bußgeld.

Mein Fazit:

Entgeltverhandlungen führen und notfalls in die Schiedsstelle gehen, wenn man im Bereitschaftsdienst solche Mitarbeiter beschäftigt, die vom Mindestlohn profitieren würden.

CGS




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Montag, 2. November 2015

Der Mindestlohn als Refinanzierungsproblem (Teil 3)

Der Mindestlohn ist etabliert, sprach die Kanzlerin beim Gewerkschaftstag und meinte es tatsächlich so. Das Mindestlohngesetz gilt bundesweit und verspricht einen Stundenlohn von 8,50 Euro. Doch es gibt eine Ausnahmeregelung, auf die sich möglicherweise einige tarifgebundene Arbeitgeber stützen wollen; sie glauben, dass ihnen eine Schonfrist eingeräumt worden ist: bis Ende 2017.


§ 24 Übergangsregelung, MiLoG

(1) Bis zum 31. Dezember 2017 gehen abweichende Regelungen eines Tarifvertrages repräsentativer Tarifvertragsparteien dem Mindestlohn vor, wenn sie für alle unter den Geltungsbereich des Tarifvertrages fallenden Arbeitgeber mit Sitz im In- oder Ausland sowie deren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verbindlich gemacht worden sind; ab dem 1. Januar 2017 müssen abweichende Regelungen in diesem Sinne mindestens ein Entgelt von brutto 8,50 Euro je Zeitstunde vorsehen. Satz 1 gilt entsprechend für Rechtsverordnungen, die auf der Grundlage von § 11 des Arbeitnehmer Entsendegesetzes sowie § 3a des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes erlassen worden sind.

(2) Zeitungszustellerinnen und Zeitungszusteller haben ab dem 1. Januar 2015 einen Anspruch auf 75 Prozent und ab dem 1. Januar 2016 auf 85 Prozent des Mindestlohns nach § 1 Absatz 2 Satz 1. Vom 1. Januar 2017 bis zum 31. Dezember 2017 beträgt der Mindestlohn für Zeitungszustellerinnen und Zeitungszusteller brutto 8,50 Euro je Zeitstunde. Zeitungszustellerinnen und Zeitungszusteller im Sinne der Sätze 1 und 2 sind Personen, die in einem Arbeitsverhältnis ausschließlich periodische Zeitungen oder Zeitschriften an Endkunden zustellen; dies umfasst auch Zustellerinnen und Zusteller von Anzeigenblättern mit redaktionellem Inhalt.

Auf die Regelungen in Absatz 2 gehe ich nicht weiter ein, denn sie betreffen nicht den Bereich der Sozialwirtschaft, an dem ich interessiert bin.

Absatz 1 enthält dagegen die Ausnahme, auf die man sich als Arbeitgeber beziehen könnte. Doch die Formulierung, dass nur „abweichende Regelungen eines Tarifvertrages repräsentativer Tarifvertragsparteien“ dem Gesetz vorgehen, verlangt eine nähere Prüfung. Denn was sind „repräsentative Tarifvertragsparteien“? Im Mindestlohngesetz fehlt es an einer entsprechenden Definition.

Und auch die Begründung zum Gesetzentwurf enthält keine Begriffsbestimmung. Es heißt lediglich, dass mit der Übergangszeit in der jeweiligen Branche die „repräsentativen Tarifpartnern“ die Möglichkeit erhalten, vom Gesetz abweichende Mindestlöhne zu bestimmen, um so „… der spezifischen Ertragskraft der Unternehmen in ihrer Branche Rechnung zu tragen“ (siehe Fußnote 1, S. 43).

Tarifvertragsparteien sind Gewerkschaften, einzelne Arbeitgeber und deren Verbände, wie auch Zusammenschlüsse oder Vereinigungen derselben als Spitzenorganisationen. Es erscheint naheliegend, dass z.B. die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeber (VKA) und die Gewerkschaft VERDI als „repräsentativ“ gelten können. Immerhin verhandeln beide Seiten den TVÖD, welcher für alle Beschäftigten beim Bund und den Kommunen gilt, sofern diese Mitglied in einem kommunalen Arbeitgeberverband sind. Zudem orientieren sich sehr viele andere Tarifvertragsparteien an den Abschlüssen zum TVÖD – zumindest im Bereich des Sozial- und Erziehungsdienstes (SuE).

Im März 2015 veröffentlichte VERDI in einer Mitteilung an die Presse diverse Zahlen, Daten und Fakten. Demnach gehören dem Sozial- und Erziehungsdienst immerhin 722.533 Beschäftigte an (siehe Fußnote 2, S. 5). Auch wenn nur ein Drittel dieser Beschäftigten im öffentlichen Dienst, d.h. überwiegend bei den Kommunen, tätig sind, so werden lt. VERDI „… ca. 535.350 Beschäftigten bei freien und kirchlichen Trägern“ indirekt von den letzten Verhandlungen zur Eingruppierung profitieren. Die Gewerkschaft stellt darüber hinaus fest, dass für die „Refinanzierung der Personalkosten“ der TVÖD „weitgehend die prägende Bemessungsgrundlage“ ist (S. 6).

Der TVÖD könnte „repräsentativ“ sein, aber er steht noch immer in Konkurrenz zu vielen anderen, einzelnen Tarifverträgen. Darüber hinaus ist der Bereich des SuE nur einer von vielen, die im TVÖD zusammengefasst werden. Was aber das Entscheidende ist, ist die Tatsache, dass der TVÖD bisher nicht als „verbindlich gemacht“ worden ist (vgl. § 24 Abs. 1 S. 1 MiLoG).

Sofern ein maßgebliches öffentliches Interesse besteht und die „repräsentativen Tarifvertragsparteien“ einen entsprechenden Antrag stellen, kann ein Tarifvertrag als „allgemeinverbindlich“ erklärt werden (vgl. § 5 Tarifvertragsgesetz, TVG). Eine solche Allgemeinverbindlichkeit erstreckt sich auf nicht tarifgebundene Arbeitgeber und ihre Arbeitnehmer, wie auch auf Arbeitgeber im Geltungsbereich eines anderen Tarifvertrags. Tarifkollisionen lösen sich dann immer zugunsten des allgemeinverbindlichen Tarifvertrags auf.

Welche Tarifverträge bislang als allgemeinverbindlich erklärt worden sind (aktuell 502), findet sich im Tarifregister des jeweiligen Bundeslandes, wie auch im Tarifregister beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales (siehe Fußnote 3). So gibt es z.B. für die Pflegebranche in Deutschland eine entsprechende  Allgemeinverbindlichkeitserklärung – siehe hierzu Zweite Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Pflegebranche vom 27.11.2014 (BAnz AT 28.11.2014 V1); die Verordnung tritt am 1.1.2015 in Kraft und am 31.10.2017 außer Kraft.

Da der TVÖD bislang nicht als allgemeinverbindlich erklärt worden ist (und es möglicherweise bis auf weiteres auch nicht sein wird), greift die Ausnahmeregelung im Mindestlohngesetz nicht. Für die Arbeitgeber der Sozialwirtschaft bedeutet dieser Umstand, dass sie tatsächlich zur Zahlung des Mindestlohns gem. Mindestlohngesetz verpflichtet sind.

CGS


Fußnote 1:

Fußnote 2:

Fußnote 3:






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