Der Mindestlohn ist
etabliert, sprach die Kanzlerin beim Gewerkschaftstag und meinte es tatsächlich
so. Das Mindestlohngesetz gilt bundesweit und verspricht einen Stundenlohn von
8,50 Euro. Doch es gibt eine Ausnahmeregelung, auf die sich möglicherweise einige
tarifgebundene Arbeitgeber stützen wollen; sie glauben, dass ihnen eine
Schonfrist eingeräumt worden ist: bis Ende 2017.
§ 24 Übergangsregelung, MiLoG
(1) Bis zum 31. Dezember 2017 gehen abweichende
Regelungen eines Tarifvertrages repräsentativer Tarifvertragsparteien dem
Mindestlohn vor, wenn sie für alle unter den Geltungsbereich des Tarifvertrages
fallenden Arbeitgeber mit Sitz im In- oder Ausland sowie deren
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verbindlich
gemacht worden sind; ab dem 1. Januar 2017 müssen abweichende Regelungen in
diesem Sinne mindestens ein Entgelt von brutto 8,50 Euro je Zeitstunde
vorsehen. Satz 1 gilt entsprechend für Rechtsverordnungen, die auf der Grundlage
von § 11 des Arbeitnehmer Entsendegesetzes sowie § 3a des
Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes erlassen worden sind.
(2)
Zeitungszustellerinnen und Zeitungszusteller haben ab dem 1. Januar 2015 einen
Anspruch auf 75 Prozent und ab dem 1. Januar 2016 auf 85 Prozent des
Mindestlohns nach § 1 Absatz 2 Satz 1. Vom 1. Januar 2017 bis zum 31. Dezember
2017 beträgt der Mindestlohn für Zeitungszustellerinnen und Zeitungszusteller
brutto 8,50 Euro je Zeitstunde. Zeitungszustellerinnen und Zeitungszusteller im
Sinne der Sätze 1 und 2 sind Personen, die in einem Arbeitsverhältnis ausschließlich
periodische Zeitungen oder Zeitschriften an Endkunden zustellen; dies umfasst
auch Zustellerinnen und Zusteller von Anzeigenblättern mit redaktionellem
Inhalt.
Auf die Regelungen in Absatz 2 gehe ich nicht weiter ein,
denn sie betreffen nicht den Bereich der Sozialwirtschaft, an dem ich
interessiert bin.
Absatz 1 enthält dagegen die Ausnahme, auf die man sich als
Arbeitgeber beziehen könnte. Doch die Formulierung, dass nur „abweichende
Regelungen eines Tarifvertrages repräsentativer Tarifvertragsparteien“ dem
Gesetz vorgehen, verlangt eine nähere Prüfung. Denn was sind „repräsentative
Tarifvertragsparteien“? Im Mindestlohngesetz fehlt es an einer entsprechenden
Definition.
Und auch die Begründung zum Gesetzentwurf enthält keine
Begriffsbestimmung. Es heißt lediglich, dass mit der Übergangszeit in der
jeweiligen Branche die „repräsentativen Tarifpartnern“ die Möglichkeit
erhalten, vom Gesetz abweichende Mindestlöhne zu bestimmen, um so „… der
spezifischen Ertragskraft der Unternehmen in ihrer Branche Rechnung zu tragen“
(siehe Fußnote 1, S. 43).
Tarifvertragsparteien sind Gewerkschaften, einzelne
Arbeitgeber und deren Verbände, wie auch Zusammenschlüsse oder Vereinigungen
derselben als Spitzenorganisationen. Es erscheint naheliegend, dass z.B. die
Vereinigung der kommunalen Arbeitgeber (VKA) und die Gewerkschaft VERDI als „repräsentativ“
gelten können. Immerhin verhandeln beide Seiten den TVÖD, welcher für alle
Beschäftigten beim Bund und den Kommunen gilt, sofern diese Mitglied in einem
kommunalen Arbeitgeberverband sind. Zudem orientieren sich sehr viele andere
Tarifvertragsparteien an den Abschlüssen zum TVÖD – zumindest im Bereich des
Sozial- und Erziehungsdienstes (SuE).
Im März 2015 veröffentlichte VERDI in einer Mitteilung an
die Presse diverse Zahlen, Daten und Fakten. Demnach gehören dem Sozial- und
Erziehungsdienst immerhin 722.533 Beschäftigte an (siehe Fußnote 2, S. 5). Auch
wenn nur ein Drittel dieser Beschäftigten im öffentlichen Dienst, d.h.
überwiegend bei den Kommunen, tätig sind, so werden lt. VERDI „… ca. 535.350
Beschäftigten bei freien und kirchlichen Trägern“ indirekt von den letzten
Verhandlungen zur Eingruppierung profitieren. Die Gewerkschaft stellt darüber
hinaus fest, dass für die „Refinanzierung der Personalkosten“ der TVÖD „weitgehend
die prägende Bemessungsgrundlage“ ist (S. 6).
Der TVÖD könnte „repräsentativ“ sein, aber er steht noch
immer in Konkurrenz zu vielen anderen, einzelnen Tarifverträgen. Darüber hinaus
ist der Bereich des SuE nur einer von vielen, die im TVÖD zusammengefasst
werden. Was aber das Entscheidende ist, ist die Tatsache, dass der TVÖD bisher
nicht als „verbindlich gemacht“ worden ist (vgl. § 24 Abs. 1 S. 1 MiLoG).
Sofern ein maßgebliches öffentliches Interesse besteht
und die „repräsentativen Tarifvertragsparteien“ einen entsprechenden Antrag
stellen, kann ein Tarifvertrag als „allgemeinverbindlich“ erklärt werden (vgl.
§ 5 Tarifvertragsgesetz, TVG). Eine solche Allgemeinverbindlichkeit erstreckt
sich auf nicht tarifgebundene Arbeitgeber und ihre Arbeitnehmer, wie auch auf Arbeitgeber
im Geltungsbereich eines anderen Tarifvertrags. Tarifkollisionen lösen sich
dann immer zugunsten des allgemeinverbindlichen Tarifvertrags auf.
Welche Tarifverträge bislang als allgemeinverbindlich
erklärt worden sind (aktuell 502), findet sich im Tarifregister des jeweiligen
Bundeslandes, wie auch im Tarifregister beim Bundesministerium für Arbeit und
Soziales (siehe Fußnote 3). So gibt es z.B. für die Pflegebranche in
Deutschland eine entsprechende Allgemeinverbindlichkeitserklärung – siehe
hierzu Zweite Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die
Pflegebranche vom 27.11.2014 (BAnz AT 28.11.2014 V1); die Verordnung tritt am
1.1.2015 in Kraft und am 31.10.2017 außer Kraft.
Da der TVÖD bislang nicht als allgemeinverbindlich
erklärt worden ist (und es möglicherweise bis auf weiteres auch nicht sein wird),
greift die Ausnahmeregelung im Mindestlohngesetz nicht. Für die Arbeitgeber der
Sozialwirtschaft bedeutet dieser Umstand, dass sie tatsächlich zur Zahlung des
Mindestlohns gem. Mindestlohngesetz verpflichtet sind.
CGS
Fußnote 1:
Fußnote 2:
Fußnote 3:
Bitte lesen Sie die Hinweise
zum Rechtsstatus der Webseite, Urheberrechtsbestimmungen und Haftungsausschluss
sowie die Datenschutzerklärung.
Wollen Sie mit mir in Kontakt treten oder Ihre Meinung sagen?
Hinterlassen Sie einen Kommentar.