Montag, 2. November 2015

Der Mindestlohn als Refinanzierungsproblem (Teil 3)

Der Mindestlohn ist etabliert, sprach die Kanzlerin beim Gewerkschaftstag und meinte es tatsächlich so. Das Mindestlohngesetz gilt bundesweit und verspricht einen Stundenlohn von 8,50 Euro. Doch es gibt eine Ausnahmeregelung, auf die sich möglicherweise einige tarifgebundene Arbeitgeber stützen wollen; sie glauben, dass ihnen eine Schonfrist eingeräumt worden ist: bis Ende 2017.


§ 24 Übergangsregelung, MiLoG

(1) Bis zum 31. Dezember 2017 gehen abweichende Regelungen eines Tarifvertrages repräsentativer Tarifvertragsparteien dem Mindestlohn vor, wenn sie für alle unter den Geltungsbereich des Tarifvertrages fallenden Arbeitgeber mit Sitz im In- oder Ausland sowie deren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verbindlich gemacht worden sind; ab dem 1. Januar 2017 müssen abweichende Regelungen in diesem Sinne mindestens ein Entgelt von brutto 8,50 Euro je Zeitstunde vorsehen. Satz 1 gilt entsprechend für Rechtsverordnungen, die auf der Grundlage von § 11 des Arbeitnehmer Entsendegesetzes sowie § 3a des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes erlassen worden sind.

(2) Zeitungszustellerinnen und Zeitungszusteller haben ab dem 1. Januar 2015 einen Anspruch auf 75 Prozent und ab dem 1. Januar 2016 auf 85 Prozent des Mindestlohns nach § 1 Absatz 2 Satz 1. Vom 1. Januar 2017 bis zum 31. Dezember 2017 beträgt der Mindestlohn für Zeitungszustellerinnen und Zeitungszusteller brutto 8,50 Euro je Zeitstunde. Zeitungszustellerinnen und Zeitungszusteller im Sinne der Sätze 1 und 2 sind Personen, die in einem Arbeitsverhältnis ausschließlich periodische Zeitungen oder Zeitschriften an Endkunden zustellen; dies umfasst auch Zustellerinnen und Zusteller von Anzeigenblättern mit redaktionellem Inhalt.

Auf die Regelungen in Absatz 2 gehe ich nicht weiter ein, denn sie betreffen nicht den Bereich der Sozialwirtschaft, an dem ich interessiert bin.

Absatz 1 enthält dagegen die Ausnahme, auf die man sich als Arbeitgeber beziehen könnte. Doch die Formulierung, dass nur „abweichende Regelungen eines Tarifvertrages repräsentativer Tarifvertragsparteien“ dem Gesetz vorgehen, verlangt eine nähere Prüfung. Denn was sind „repräsentative Tarifvertragsparteien“? Im Mindestlohngesetz fehlt es an einer entsprechenden Definition.

Und auch die Begründung zum Gesetzentwurf enthält keine Begriffsbestimmung. Es heißt lediglich, dass mit der Übergangszeit in der jeweiligen Branche die „repräsentativen Tarifpartnern“ die Möglichkeit erhalten, vom Gesetz abweichende Mindestlöhne zu bestimmen, um so „… der spezifischen Ertragskraft der Unternehmen in ihrer Branche Rechnung zu tragen“ (siehe Fußnote 1, S. 43).

Tarifvertragsparteien sind Gewerkschaften, einzelne Arbeitgeber und deren Verbände, wie auch Zusammenschlüsse oder Vereinigungen derselben als Spitzenorganisationen. Es erscheint naheliegend, dass z.B. die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeber (VKA) und die Gewerkschaft VERDI als „repräsentativ“ gelten können. Immerhin verhandeln beide Seiten den TVÖD, welcher für alle Beschäftigten beim Bund und den Kommunen gilt, sofern diese Mitglied in einem kommunalen Arbeitgeberverband sind. Zudem orientieren sich sehr viele andere Tarifvertragsparteien an den Abschlüssen zum TVÖD – zumindest im Bereich des Sozial- und Erziehungsdienstes (SuE).

Im März 2015 veröffentlichte VERDI in einer Mitteilung an die Presse diverse Zahlen, Daten und Fakten. Demnach gehören dem Sozial- und Erziehungsdienst immerhin 722.533 Beschäftigte an (siehe Fußnote 2, S. 5). Auch wenn nur ein Drittel dieser Beschäftigten im öffentlichen Dienst, d.h. überwiegend bei den Kommunen, tätig sind, so werden lt. VERDI „… ca. 535.350 Beschäftigten bei freien und kirchlichen Trägern“ indirekt von den letzten Verhandlungen zur Eingruppierung profitieren. Die Gewerkschaft stellt darüber hinaus fest, dass für die „Refinanzierung der Personalkosten“ der TVÖD „weitgehend die prägende Bemessungsgrundlage“ ist (S. 6).

Der TVÖD könnte „repräsentativ“ sein, aber er steht noch immer in Konkurrenz zu vielen anderen, einzelnen Tarifverträgen. Darüber hinaus ist der Bereich des SuE nur einer von vielen, die im TVÖD zusammengefasst werden. Was aber das Entscheidende ist, ist die Tatsache, dass der TVÖD bisher nicht als „verbindlich gemacht“ worden ist (vgl. § 24 Abs. 1 S. 1 MiLoG).

Sofern ein maßgebliches öffentliches Interesse besteht und die „repräsentativen Tarifvertragsparteien“ einen entsprechenden Antrag stellen, kann ein Tarifvertrag als „allgemeinverbindlich“ erklärt werden (vgl. § 5 Tarifvertragsgesetz, TVG). Eine solche Allgemeinverbindlichkeit erstreckt sich auf nicht tarifgebundene Arbeitgeber und ihre Arbeitnehmer, wie auch auf Arbeitgeber im Geltungsbereich eines anderen Tarifvertrags. Tarifkollisionen lösen sich dann immer zugunsten des allgemeinverbindlichen Tarifvertrags auf.

Welche Tarifverträge bislang als allgemeinverbindlich erklärt worden sind (aktuell 502), findet sich im Tarifregister des jeweiligen Bundeslandes, wie auch im Tarifregister beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales (siehe Fußnote 3). So gibt es z.B. für die Pflegebranche in Deutschland eine entsprechende  Allgemeinverbindlichkeitserklärung – siehe hierzu Zweite Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Pflegebranche vom 27.11.2014 (BAnz AT 28.11.2014 V1); die Verordnung tritt am 1.1.2015 in Kraft und am 31.10.2017 außer Kraft.

Da der TVÖD bislang nicht als allgemeinverbindlich erklärt worden ist (und es möglicherweise bis auf weiteres auch nicht sein wird), greift die Ausnahmeregelung im Mindestlohngesetz nicht. Für die Arbeitgeber der Sozialwirtschaft bedeutet dieser Umstand, dass sie tatsächlich zur Zahlung des Mindestlohns gem. Mindestlohngesetz verpflichtet sind.

CGS


Fußnote 1:

Fußnote 2:

Fußnote 3:






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