Mittwoch, 2. April 2025

Leitlinien und Leitfäden nach dem neuen LRV-SH

Mit Vereinbarung des neuen Landesrahmenvertrags in Schleswig-Holstein über die Leistungen in der Eingliederungshilfe ist zwar nicht unbedingt eine neue Zeit angebrochen, aber für einige Leistungserbringer bedeutet es jetzt, neue Individualvereinbarungen abzuschließen wenn es um die Vergütungen geht. Doch nicht alles ist klar geregelt und formuliert im Landesrahmenvertrag. Einige Punkte werden als ungewiss betrachtet, so dass man sich eine allgemeine Orientierungsempfehlung für die anstehenden Verhandlungen wünscht.

Die Koordinierungsstelle soziale Hilfe (KOSOZ) hat für sich eine Ermessensleitlinie erstellt, mit der die Verhandlungspartner konfrontiert werden und nicht wissen, wie man dem am besten begegnen soll. Es bestehen zwar Leitfäden für die Mitglieder der Verbände der Leistungserbringer, was allerdings ist zu tun, sollten sich beide Parteien nicht verständigen können.

 

Orientierung abseits vom Landesrahmenvertrag

Der neue Landesrahmenvertrag (LRV) zu den Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB IX im Bundesland Schleswig-Holstein bildet die zentrale Grundlage für die Beziehung zwischen Leistungserbringern und Leistungsträgern. Der Vertrag erlaubt es, individuelle Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen nach § 123 SGB IX herzustellen. Bislang hatte man dies aufgrund der Komplexität verschoben, doch seit Inkrafttreten des LRV im November 2024 fordern Leistungsträger das mehr und mehr ein.

Mit diesem LRV ist nicht alles in „trockenen Tüchern“. Derzeit fehlt es an einer gemeinsamen Orientierungsempfehlung. Eine Schlichtungsgruppe befasst sich aktuell mit einem Entwurf, was schon bald passieren wird. Diese Orientierungsempfehlung soll als Hilfe dienen und nicht zu verstehen sein als zwingend zu beachtende Allgemeinverbindlichkeit. Es wird von einigen Leistungserbringern, die sich gerade jetzt in Verhandlungen befinden, berichtet, dass entsprechende Unterlagen mit diesem Titel seit Anfang des Jahres zirkulieren. Stand Mitte März 2025 ist zwischen den Vertragsparteien bislang kein Einvernehmen erzielt worden – das kann sich zeitnah ändern, war zu dem Zeitpunkt aber nicht der Fall.

Die Koordinierungsstelle soziale Hilfen (KOSOZ) hat wohl genau deswegen eine eigene „Verwaltungsinterne Ermessensleitlinie über den Umgang mit nicht verständigten Punkten im Landesrahmenvertrag nach § 131 SGB IX“ erstellt. In dieser Unterlage wird gleich zu Beginn das Handeln der Verwaltung dem “verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz” zugebilligt sowie die Erforderlichkeit einer solchen Ermessensleitline betont. Sie soll immer dann zum Zuge kommen, wenn es um vertragliche Inhalte geht, die “nicht im Rahmen des Landesrahmenvertrags 2024 einvernehmlich [...] geregelt” wurden (Stand 21.10.2024). Weil es aber im weiteren Text der Ermessensleitlinie gleich davon schreibt, dass die in der Unterlage genannten Punkte “eine einheitliche Anwendung erfahren” sollen, entsteht schnell das Missverständnis, dass diese unbedingt nur so zu vereinbaren sind mit den Leistungserbringern.

Möglicherweise wird diese Ermessensleitlinie nach und nach von der Orientierungsempfehlung verdrängt, so die allgemeine Annahme. Doch es könnte auch sein, dass die KOSOZ sie als Ersatz für unwirksame Bestimmungen des LRV benutzen möchte (vgl. § 36 Abs. 2 LRV-SH, Salvatorische Klausel); oder es wird versucht, diesem Pamphlet einen “LRV-Status” anzudichten bzw. tritt sie die Nachfolge der letzten Landesverordnung an. Verwaltungsinterne Leitlinien sind Regelungen, an die sich die Verwaltung gebunden fühlen soll, sofern es keine anderen Bestimmungen gibt. Weiter gedacht heißt das, dass bei fortbestehenden, wirksamen Bestimmungen des LRV diese Leitlinien nicht zur Anwendung kommen können.

 

Sich leiten lassen, bis es nicht mehr geht

Auf Seiten der Verbände können Mitglieder wiederum auf einen Verhandlungs-Leitfaden zugreifen, der sie durch die Verhandlungen mit den Leistungsträgern führt. Es ist sinnvoll, sich mit diesen Dingen auseinanderzusetzen, um nicht immer wieder „das Rad neu zu erfinden“, so die Erkenntnis vieler Verhandler. Entstehen unversöhnliche Situationen, muss ein Ausweg gefunden werden – sei es der klassische Kompromiss, oder gar nicht so schlicht der Gang zur Schiedsstelle. Darum muss man sich mit der Aufforderung zu Verhandlungen sofort rechtskonform verhalten. Rechtskonform bedeutet an dem Punkt, dass eine Aufforderung schriftlich erfolgen sollte, d.h. per Brief. Eine E-Mail wäre nur textlich und würde somit formal keine Aufforderung darstellen. Sofern die andere Seite im Verständnis einer beginnenden Verhandlung antwortet, gilt die Aufforderung als angenommen. Die Zustellung bei der anderen Partei ist maßgebend.

Grundsätzlich gilt, dass beide Seiten miteinander sprechen sollten. Die auffordernde Partei erklärt ihre Gründe und liefert Nachweise, auch wenn das nicht sofort passieren muss. Die Gegenpartei müsste wiederum die Aufforderung prüfen sowie zu den Neuerungen die vorgebrachten Nachweise bzw. Erläuterungen hinterfragen. Um sich das ungeliebte “Hin-und-Her” zu ersparen, vielleicht sogar die Verhandlungen ein zu beschleunigen, sollte man ruhig Rückfragen zuvorkommen mit Belegen und Begründungen zu den wesentlichsten Änderungen. Verhandlungsgegenstände sind sowieso gem. § 126 Abs. 1 Satz 2 SGB IX konkret zu benennen. Mit der Aufforderung zu Verhandlungen beginnt dann eine 3-Monats-Frist zu laufen, bis man die Sache eskalieren kann.

Ein nachvollziehbarer höherer Aufwand im Sinne von § 124 SGB IX bedeutet, dass Aufwendungen nicht nur in ihrer Höhe nachgewiesen werden, sondern auch mit Mengen und Qualität der Eingangsleistungen dargelegt werden müssen. Häufig erleben Leistungserbringer, dass eine Forderung abgewiesen wird mit dem Hinweis, dies wäre nicht der Durchschnitt. Oder man könnte nur die Werte einsetzen (Regelungen anwenden), die “geeint” sind (dann kommt eine ominöse Leitlinie zum Vorschein). Jeder weiß, dass das, was als „geeint“ gilt, unstrittig und anwendbar ist. Das bedeutet nicht, dass solche Regelungen allgemein verbindlich sind. Eigene Regelungen vorzustellen, ist durchaus übliche Praxis. In jedem Fall muss eine Prüfung auf Plausibilität und Angemessenheit vonstatten gehen. Sofern es mehrere Leistungsanbieter in einer Region gibt, steht dem Leistungsträger die Möglichkeit offen, einen externen Vergleich herzustellen. Dabei werden Vergütungen von vergleichbaren Einrichtungen vorgelegt, um die Angemessenheit darzustellen. Um die Wirtschaftlichkeit dann auch wirklich einschätzen zu können, müssten die übrigen Faktoren, die zu den Wertansätzen geführt haben, offengelegt werden.

Es sollte übrigens nicht vergessen werden, dass Leistungsträger für leistungsberechtigte Menschen ausreichende Angebote bereitstellen müssen, aber es nicht unmittelbar tun können. Daher sind sie angewiesen auf privatrechtliche Leistungserbringer; die wiederum müssen sich nicht alles gefallen lassen. Im Verhandlungsgeschehen ist der Dialog zwischen den Vertragspartnern äußerst wichtig. Im Miteinander sind Argumente vorzubringen, um die Gegenseite zu überzeugen – und sei es, dass die vorgelegten Begründungen der anderen Seite als nicht schlüssig beurteilt werden. In diesem Austausch sollte jedenfalls eine gute Transparenz vorherrschen, damit im Falle eines Verfahrens vor der Schiedsstelle die behaupteten Tatsachen bewiesen werden können.

Im deutschen Recht gilt, dass jede Partei die für sie günstigen Tatsachen beweisen muss. Das bedeutet, dass ein Kläger die anspruchsbegründenden Tatsachen und ein Beklagter die anspruchsvernichtenden oder anspruchshindernden Tatsachen nachweisen muss. Wenn eine Tatsache nicht bewiesen werden kann, spricht man von „non liquet“. In diesem Fall verliert die beweisbelastete Partei den Prozess. Es gibt jedoch auch Fälle der Beweislastumkehr, bei denen die Beweislast auf die andere Partei übertragen wird, beispielsweise im Falle gesetzlicher Vermutungen – ist allerdings in dieser Sache nicht so. Der Grundsatz der Beweisfälligkeit verpflichtet somit dazu, die Argumente schon im Verhandlungsgeschehen vorzubringen. Geschieht das nicht, kann es in der Schiedsstelle dazu führen, dass die Argumente der Gegenpartei nicht “gehört” werden.

Die Schiedsstelle ist nicht verpflichtet zur umfassenden Amtsermittlung (§ 20 SGB X). Die streitenden Parteien müssen dafür sorgen, dass die Argumente vorgebracht werden. Die Schiedsstelle hört sich diese lediglich an und entscheidet daraufhin bzw. ersetzt das „fehlende Einvernehmen“ der streitenden Parteien (§ 126 Abs. 2 Satz 2 und § 129 Abs. 1 Satz 3 SGB IX). Aus diesem Grunde sollte man schon gleich zu Beginn sich selbst zügeln und stets den begründeten Sachvortrag verfolgen.

CGS

 

 

P.S.

Der Vergleich vor der Schiedsstelle stellt eigentlich einen neuen Antrag dar, sodass das Datum ab der Annahme für die Anpassung der Vergütungen formalrechtlich gilt. Idealerweise sollten sich beide Parteien darum vorab verständigen.

 

Weitere Beiträge zu dem Thema:

Eigener Beitrag: „Die (mögliche) Kündigungsklausel im kommenden LRV-SH“ vom 16.6.2024

Eigener Beitrag: „Könnte die Landesverordnung wieder auferstehen?“ vom 12.6.2024

 

 

Notizen:

Ein Rahmenvertrag nach § 131 SGB IX ist ein öffentlich-rechtlicher Vertrag. Wesentliches Merkmal hierfür ist, dass mindestens eine Behörde Vertragspartner ist. In diesem Vertrag werden Sachfragen behandelt, die alle von öffentlichem Interesse sind. Die Beteiligten in diesem Vertragsverhältnis sehen sich gebunden und können nur im Wege eines gemeinsamen Willens diesen Vertrag schließen.

Kommt es nun nicht zu einer übereinstimmenden Willenserklärung, kann das Bundesland eine Rechtsverordnung erlassen.

 

 

 

Bild zum Beitrag eigene Aufnahme.

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