Mit Vereinbarung
des neuen Landesrahmenvertrags in Schleswig-Holstein über die Leistungen in der
Eingliederungshilfe ist zwar nicht unbedingt eine neue Zeit angebrochen, aber für
einige Leistungserbringer bedeutet es jetzt, neue Individualvereinbarungen
abzuschließen wenn es um die Vergütungen geht. Doch nicht alles ist klar
geregelt und formuliert im Landesrahmenvertrag. Einige Punkte werden als
ungewiss betrachtet, so dass man sich eine allgemeine Orientierungsempfehlung für
die anstehenden Verhandlungen wünscht.
Die
Koordinierungsstelle soziale Hilfe (KOSOZ) hat für sich eine Ermessensleitlinie
erstellt, mit der die Verhandlungspartner konfrontiert werden und nicht wissen,
wie man dem am besten begegnen soll. Es bestehen zwar Leitfäden für die
Mitglieder der Verbände der Leistungserbringer, was allerdings ist zu tun, sollten
sich beide Parteien nicht verständigen können.
Orientierung abseits vom Landesrahmenvertrag
Der neue Landesrahmenvertrag (LRV) zu den Leistungen der
Eingliederungshilfe nach dem SGB IX im Bundesland Schleswig-Holstein bildet die
zentrale Grundlage für die Beziehung zwischen Leistungserbringern und
Leistungsträgern. Der Vertrag erlaubt es, individuelle Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen
nach § 123 SGB IX herzustellen. Bislang hatte man dies aufgrund der Komplexität
verschoben, doch seit Inkrafttreten des LRV im November 2024 fordern
Leistungsträger das mehr und mehr ein.
Mit diesem LRV ist nicht alles in „trockenen Tüchern“.
Derzeit fehlt es an einer gemeinsamen Orientierungsempfehlung. Eine
Schlichtungsgruppe befasst sich aktuell mit einem Entwurf, was schon bald
passieren wird. Diese Orientierungsempfehlung soll als Hilfe dienen und nicht
zu verstehen sein als zwingend zu beachtende Allgemeinverbindlichkeit. Es wird
von einigen Leistungserbringern, die sich gerade jetzt in Verhandlungen
befinden, berichtet, dass entsprechende Unterlagen mit diesem Titel seit Anfang
des Jahres zirkulieren. Stand Mitte März 2025 ist zwischen den Vertragsparteien
bislang kein Einvernehmen erzielt worden – das kann sich zeitnah ändern, war zu
dem Zeitpunkt aber nicht der Fall.
Die Koordinierungsstelle soziale Hilfen (KOSOZ) hat wohl
genau deswegen eine eigene „Verwaltungsinterne Ermessensleitlinie über den
Umgang mit nicht verständigten Punkten im Landesrahmenvertrag nach § 131 SGB IX“
erstellt. In dieser Unterlage wird gleich zu Beginn das Handeln der Verwaltung
dem “verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz” zugebilligt sowie die
Erforderlichkeit einer solchen Ermessensleitline betont. Sie soll immer dann
zum Zuge kommen, wenn es um vertragliche Inhalte geht, die “nicht im Rahmen des
Landesrahmenvertrags 2024 einvernehmlich [...] geregelt” wurden (Stand
21.10.2024). Weil es aber im weiteren Text der Ermessensleitlinie gleich davon
schreibt, dass die in der Unterlage genannten Punkte “eine einheitliche
Anwendung erfahren” sollen, entsteht schnell das Missverständnis, dass diese
unbedingt nur so zu vereinbaren sind mit den Leistungserbringern.
Möglicherweise wird diese Ermessensleitlinie nach und nach
von der Orientierungsempfehlung verdrängt, so die allgemeine Annahme. Doch es könnte
auch sein, dass die KOSOZ sie als Ersatz für unwirksame Bestimmungen des LRV
benutzen möchte (vgl. § 36 Abs. 2 LRV-SH, Salvatorische Klausel); oder es wird
versucht, diesem Pamphlet einen “LRV-Status” anzudichten bzw. tritt sie die
Nachfolge der letzten Landesverordnung an. Verwaltungsinterne Leitlinien sind Regelungen,
an die sich die Verwaltung gebunden fühlen soll, sofern es keine anderen
Bestimmungen gibt. Weiter gedacht heißt das, dass bei fortbestehenden,
wirksamen Bestimmungen des LRV diese Leitlinien nicht zur Anwendung kommen können.
Sich leiten lassen, bis es nicht mehr geht
Auf Seiten der Verbände können Mitglieder wiederum auf einen
Verhandlungs-Leitfaden zugreifen, der sie durch die Verhandlungen mit den
Leistungsträgern führt. Es ist sinnvoll, sich mit diesen Dingen
auseinanderzusetzen, um nicht immer wieder „das Rad neu zu erfinden“, so die
Erkenntnis vieler Verhandler. Entstehen unversöhnliche Situationen, muss ein
Ausweg gefunden werden – sei es der klassische Kompromiss, oder gar nicht so
schlicht der Gang zur Schiedsstelle. Darum muss man sich mit der Aufforderung
zu Verhandlungen sofort rechtskonform verhalten. Rechtskonform bedeutet an dem
Punkt, dass eine Aufforderung schriftlich erfolgen sollte, d.h. per Brief. Eine
E-Mail wäre nur textlich und würde somit formal keine Aufforderung darstellen. Sofern
die andere Seite im Verständnis einer beginnenden Verhandlung antwortet, gilt
die Aufforderung als angenommen. Die Zustellung bei der anderen Partei ist maßgebend.
Grundsätzlich gilt, dass beide Seiten miteinander sprechen
sollten. Die auffordernde Partei erklärt ihre Gründe und liefert Nachweise,
auch wenn das nicht sofort passieren muss. Die Gegenpartei müsste wiederum die
Aufforderung prüfen sowie zu den Neuerungen die vorgebrachten Nachweise bzw.
Erläuterungen hinterfragen. Um sich das ungeliebte “Hin-und-Her” zu ersparen,
vielleicht sogar die Verhandlungen ein zu beschleunigen, sollte man ruhig Rückfragen
zuvorkommen mit Belegen und Begründungen zu den wesentlichsten Änderungen.
Verhandlungsgegenstände sind sowieso gem. § 126 Abs. 1 Satz 2 SGB IX konkret zu
benennen. Mit der Aufforderung zu Verhandlungen beginnt dann eine
3-Monats-Frist zu laufen, bis man die Sache eskalieren kann.
Ein nachvollziehbarer höherer Aufwand im Sinne von § 124 SGB
IX bedeutet, dass Aufwendungen nicht nur in ihrer Höhe nachgewiesen werden,
sondern auch mit Mengen und Qualität der Eingangsleistungen dargelegt werden müssen.
Häufig erleben Leistungserbringer, dass eine Forderung abgewiesen wird mit dem
Hinweis, dies wäre nicht der Durchschnitt. Oder man könnte nur die Werte
einsetzen (Regelungen anwenden), die “geeint” sind (dann kommt eine ominöse
Leitlinie zum Vorschein). Jeder weiß, dass das, was als „geeint“ gilt, unstrittig
und anwendbar ist. Das bedeutet nicht, dass solche Regelungen allgemein
verbindlich sind. Eigene Regelungen vorzustellen, ist durchaus übliche Praxis.
In jedem Fall muss eine Prüfung auf Plausibilität und Angemessenheit vonstatten
gehen. Sofern es mehrere Leistungsanbieter in einer Region gibt, steht dem
Leistungsträger die Möglichkeit offen, einen externen Vergleich herzustellen.
Dabei werden Vergütungen von vergleichbaren Einrichtungen vorgelegt, um die
Angemessenheit darzustellen. Um die Wirtschaftlichkeit dann auch wirklich
einschätzen zu können, müssten die übrigen Faktoren, die zu den Wertansätzen
geführt haben, offengelegt werden.
Es sollte übrigens nicht vergessen werden, dass Leistungsträger
für leistungsberechtigte Menschen ausreichende Angebote bereitstellen müssen,
aber es nicht unmittelbar tun können. Daher sind sie angewiesen auf
privatrechtliche Leistungserbringer; die wiederum müssen sich nicht alles
gefallen lassen. Im Verhandlungsgeschehen ist der Dialog zwischen den
Vertragspartnern äußerst wichtig. Im Miteinander sind Argumente vorzubringen,
um die Gegenseite zu überzeugen – und sei es, dass die vorgelegten Begründungen
der anderen Seite als nicht schlüssig beurteilt werden. In diesem Austausch
sollte jedenfalls eine gute Transparenz vorherrschen, damit im Falle eines
Verfahrens vor der Schiedsstelle die behaupteten Tatsachen bewiesen werden können.
Im deutschen Recht gilt, dass jede Partei die für sie günstigen
Tatsachen beweisen muss. Das bedeutet, dass ein Kläger die anspruchsbegründenden
Tatsachen und ein Beklagter die anspruchsvernichtenden oder anspruchshindernden
Tatsachen nachweisen muss. Wenn eine Tatsache nicht bewiesen werden kann,
spricht man von „non liquet“. In diesem Fall verliert die beweisbelastete
Partei den Prozess. Es gibt jedoch auch Fälle der Beweislastumkehr, bei denen
die Beweislast auf die andere Partei übertragen wird, beispielsweise im Falle gesetzlicher
Vermutungen – ist allerdings in dieser Sache nicht so. Der Grundsatz der
Beweisfälligkeit verpflichtet somit dazu, die Argumente schon im
Verhandlungsgeschehen vorzubringen. Geschieht das nicht, kann es in der
Schiedsstelle dazu führen, dass die Argumente der Gegenpartei nicht “gehört”
werden.
Die Schiedsstelle ist nicht verpflichtet zur umfassenden
Amtsermittlung (§ 20 SGB X). Die streitenden Parteien müssen dafür sorgen, dass
die Argumente vorgebracht werden. Die Schiedsstelle hört sich diese lediglich
an und entscheidet daraufhin bzw. ersetzt das „fehlende Einvernehmen“ der
streitenden Parteien (§ 126 Abs. 2 Satz 2 und § 129 Abs. 1 Satz 3 SGB IX). Aus
diesem Grunde sollte man schon gleich zu Beginn sich selbst zügeln und stets
den begründeten Sachvortrag verfolgen.
CGS
P.S.
Der Vergleich vor der Schiedsstelle stellt eigentlich einen
neuen Antrag dar, sodass das Datum ab der Annahme für die Anpassung der Vergütungen
formalrechtlich gilt. Idealerweise sollten sich beide Parteien darum vorab
verständigen.
Weitere Beiträge zu dem Thema:
Eigener Beitrag: „Die (mögliche) Kündigungsklausel im kommenden LRV-SH“ vom 16.6.2024
Eigener Beitrag: „Könnte die Landesverordnung wieder auferstehen?“ vom 12.6.2024
Notizen:
Ein Rahmenvertrag nach § 131 SGB IX ist ein öffentlich-rechtlicher
Vertrag. Wesentliches Merkmal hierfür ist, dass mindestens eine Behörde
Vertragspartner ist. In diesem Vertrag werden Sachfragen behandelt, die alle
von öffentlichem Interesse sind. Die Beteiligten in diesem Vertragsverhältnis
sehen sich gebunden und können nur im Wege eines gemeinsamen Willens diesen
Vertrag schließen.
Kommt es nun nicht zu einer übereinstimmenden Willenserklärung,
kann das Bundesland eine Rechtsverordnung erlassen.
Bild zum Beitrag eigene Aufnahme.
Das hier ist keine Rechtsberatung oder Aufforderung zur
Vornahme eines Rechtsgeschäftes. Der Beitrag stellt nur meine Sicht auf die
Dinge dar. Und eine solche Sicht kann sich immer ändern. Brauchen Sie
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Leitlinien und Leitfäden nach dem neuen LRV-SH