In meinem letzten Beitrag kam ich zu folgenden Ergebnissen:
1. Die
Schule hatte eine Beschulung des behinderten Kindes für möglich erklärt. Ein
über die schulischen Ressourcen hinausgehender Mitteleinsatz war nicht
erforderlich.
2. Die
Fachbehörde erkannte darauf hin, dass ein konkreter Bedarf nicht vorlag und
lehnte soziale Leistungen pflichtgemäß – sie hätte auch dann ablehnen müssen,
wenn vorläufige Leistungen genehmigt worden wären.
3. Die
Wahrnehmung der Eltern, dass ein ungedeckter Hilfebedarf vorliegt, und die
Feststellung der Fachbehörde, dass dieser Hilfebedarf mit ausreichenden Mitteln
abgedeckt wird, divergieren erheblich voneinander (eine solche Divergenz kennt
man in der Psychologie auf der Ebene der einzelnen Person als Selbst- und
Fremdwahrnehmungsdivergenz).
Nun gibt es einen Nachfolgeartikel in der Zeitung (Quellenverweis
am Ende dieses Beitrags). Bemerkenswert an diesem Artikel ist der Schlussabsatz.
Dort sagt (die zuständige?) Schulrätin:
„ …, dass noch
nicht an jeder Wunschschule von Eltern mit gehandicapten Kindern genügend
Förderangebote vorhanden seien. ‚Aber wir können nur die Ressourcen verteilen,
die wir haben‘.“ (Kieler Nachrichten vom 1.9.2014, „Ein „Einzelfall“
schlägt hohe Wellen“, Jürgen Küppers)
Hier zeigt sich ein Widerspruch zwischen Anspruch und
Wirklichkeit, denn einerseits soll inklusive Bildung ermöglicht werden, aber
nur wenn andererseits organisatorische, personelle und sächliche Möglichkeiten es
erlauben. Was sich in der Aussage der Schulrätin so anhört, als ob die
Ressourcen noch geschaffen werden müssen, und so etwas braucht bekanntlich
Zeit, ist im Schulgesetz von Schleswig-Holstein (gültig ab 31. Juli 2014) gesetzlich
sogar abgesichert.
§ 4 SchulG-SH, Pädagogische Ziele
(13) Schülerinnen
und Schüler mit Behinderung sind besonders zu unterstützen. Das Ziel einer
inklusiven Beschulung steht dabei im Vordergrund.
§ 5 SchulG-SH, Formen des Unterrichts
(2) Schülerinnen
und Schüler sollen unabhängig von dem Vorliegen eines sonderpädagogischen
Förderbedarfs gemeinsam unterrichtet werden, soweit es die organisatorischen,
personellen und sächlichen Möglichkeiten erlauben und es der individuellen
Förderung der Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf entspricht
(gemeinsamer Unterricht).
Was passiert also, wenn die organisatorische, personelle
und sächliche Ausstattung an der Schule es nicht erlaubt? Dürfen Schulen dann
Schülern mit Behinderung den Zugang verweigern? Sind Schulen überhaupt
verpflichtet, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, um z.B. für
Barrierefreiheit zu sorgen? Wie stellt man einen Mangel an Ressourcen überhaupt
fest?
Nach dem Willen der Landesregierung sollen im kommenden
Jahr „schulische Assistenten“ eingestellt werden. Dann wären zumindest auf dem
Papier weitere personelle Ressourcen vorhanden. Inwieweit diese Stellen qualitativ
und quantitativ ausreichen, kann derzeit niemand sagen. Der Paritätische
Wohlfahrtsverband Schleswig-Holstein e.V. stellte jedenfalls am 28.8.2014 in
einer Pressemitteilung ernüchternd fest: „Die Einführung einer Schulischen
Assistenz ist grundsätzlich zu begrüßen und stellt einen Fortschritt dar. Die
geplanten 314 schulischen Assistenzstellen reichen allerdings bei weitem nicht
aus. Einige Grundschulen in Schleswig-Holstein werden keine Schulassistenz
erhalten“ (Quellenangabe siehe weiter unten). Was mit diesen 314 Stellen
gemeint ist und welche Qualifikationen diese mitbringen, muss man leider noch
abwarten (vgl. auch meinen letzten Beitrag vom 8.9.2014). Es handelt sich in
jedem Fall erst einmal um eine personelle Aufrüstung, welche voll und ganz der
Prävention dient. Hier wird gehandelt, um einer möglichen
Leistungsverschlechterung oder sonstigen Beeinträchtigung bei Schülern mit
Lernschwierigkeiten zu begegnen.
Wenn aber dennoch ein Mangel festgestellt wird, dann
waren die bisherigen Maßnahmen nicht ausreichend und schon gar nicht präventiv.
Bei Kindern mit einer seelischen oder geistigen Behinderung wird vermutlich die
Feststellung einer Fehlentwicklung sehr spät, wenn nicht sogar zu spät
erfolgen. Darum stellt sich die Frage, ob das Recht auf Erhalt von Leistungen
der Eingliederungshilfe weiterhin bestehen bleibt (vgl. § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB
XII). Zwar sind die Besonderheiten des Einzelfalls, insbesondere Art und
Schwere der (auch drohenden) Behinderung maßgeblich, dennoch wird durch den
Einsatz von schulischen Assistenten das Recht auf Erhalt von
Eingliederungshilfe m.E. nicht gemindert.
Aufgabe der Eingliederungshilfe ist es ebenfalls, Hilfen
für eine angemessene Schulbildung zu leisten.
§ 12 Eingliederungshilfe-Verordnung,
Schulbildung
Die Hilfe zu einer
angemessenen Schulbildung im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Zwölften
Buches Sozialgesetzbuch umfaßt auch
1.
heilpädagogische
sowie sonstige Maßnahmen zugunsten körperlich und geistig behinderter Kinder
und Jugendlicher, wenn die Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, dem
behinderten Menschen den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu
ermöglichen oder zu erleichtern,
2.
Maßnahmen der
Schulbildung zugunsten körperlich und geistig behinderter Kinder und
Jugendlicher, wenn die Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, dem
behinderten Menschen eine im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht üblicherweise
erreichbare Bildung zu ermöglichen,
3.
Hilfe zum Besuch
einer Realschule, eines Gymnasiums, einer Fachoberschule oder einer Ausbildungsstätte,
deren Ausbildungsabschluß dem einer der oben genannten Schulen gleichgestellt
ist, oder, soweit im Einzelfalle der Besuch einer solchen Schule oder
Ausbildungsstätte nicht zumutbar ist, sonstige Hilfe zur Vermittlung einer
entsprechenden Schulbildung; die Hilfe wird nur gewährt, wenn nach den
Fähigkeiten und den Leistungen des behinderten Menschen zu erwarten ist, daß er
das Bildungsziel erreichen wird.
Die Rechtsstellung des Hilfeberechtigten gegenüber dem
Sozialhilfeträger bleibt somit unangetastet. Zwar muss damit gerechnet werden,
dass eine Schulbegleitung nicht mehr großzügig in dem Umfang gewährt wird, wie
es in früheren Zeiten üblich war. Und auch die Aufgaben werden deutlicher
konkretisiert, so dass sich Überschneidungen in den Kernbereich der
pädagogischen Arbeit nicht ergeben, dennoch sollte eine Leistungsgewährung
möglich sein; sie muss nur konkret auf den tatsächlichen Hilfebedarf abgestellt
werden und das erfordert eine gründliche Vorbereitung, wenn nicht sogar
sozialrechtliche-sozialpädagogische Beratung (ich will hier keine Beratungsleistung
verkaufen, aber schon an diesem Beispiel zeigt sich, warum viele
Betroffenen-Verbände auf einen Rechtsanspruch auf Beratung im neuen
Bundesteilhabegesetz drängen).
Wie sieht also dieser Hilfebedarf aus? – Immerhin hat die
Schule mehr Personal zur Verfügung!
In der Praxis wird die Schule Eltern von Kindern mit
Behinderung wahrscheinlich ungenügend unterstützen – ein „Kann-Nicht“ seitens
der Schule wäre ja ein Eingeständnis von Versagen. Darüber hinaus muss sie als
öffentliche Einrichtung, wie auch die Lehrkräfte, sich ohnehin neutral
verhalten. Das heißt, sie muss so tun, als ob mit den neuen schulischen
Assistenten eine Verbesserung eingetreten ist und außerdem können gem. § 5 Abs.
2 SchulG-SH nur die vorhandenen Ressourcen eingesetzt werden. Doch ob damit bezogen
auf das behinderte Kind eine wirkliche Bedarfsdeckung erfolgte, wäre zu untersuchen.
Und dazu muss auf den Schulalltag geschaut werden, an welchen Stellen
Unterstützungsleistungen nötig sind, damit ein Schulbesuch bzw. inklusive
Bildung (§ 4 Abs. 13 SchulG-SH) ermöglicht wird. Erst wenn sich hier die Lücken
im System offenbaren, können Anträge gestellt werden.
Beispiel: Klassenfahrt
- Die Eingliederungshilfe übernimmt die Kosten
einer Integrationsassistenz für die Dauer der Klassenfahrt. Damit sind aber
nicht gemeint die Reisekosten und Verpflegung der Assistenz. Nach Ansicht des Sozialhilfeträgers
liegt die Verantwortlichkeit für diese Kosten bei demjenigen, der den Ort der
Schulveranstaltung bestimmt hat – d.h. der Schule.
- Die Integrationsassistenz ist nur für das
behinderte Kind zuständig. Sie darf keine Leistungen für andere Kinder erbringen
und welche in den Kernbereich der pädagogischen Arbeit fallen.
- Die Schule weist darauf hin, dass es sich um
eine schulische Pflichtveranstaltung handelt. Aus diesem Grund ist es
erforderlich, dass eine Integrationsassistenz gestellt wird.
Beispiel: Schuhe An- und Ausziehen vor dem mit Teppich
ausgelegten Klassenraum
- Die Eingliederungshilfe übernimmt nicht die
Kosten für eine Hilfe, da die Schule diese Barriere abschaffen muss, um eine
inklusive Beschulung zu ermöglichen. Zudem liegt die Entscheidung zur Schaffung
dieses Hindernisses im Machtbereich der Schule.
- Einen Klassenraum mit Teppich auszulegen, ist
nicht erforderlich.
Für einen Laien sind diese Abgrenzungsprobleme schon
nicht mehr nachvollziehbar. Aus diesem Grund wäre eine unabhängige
sozialrechtliche-sozialpädagogische Beratung wünschenswert.
Zum Glück stehen die Leistungsberechtigten nicht alleine
vor dem Problem. Sozialhilfeträger müssen genau erklären, wo ihre
Leistungspflicht endet und bei wem diese beginnt – zur Not müssen dann mehrere
Anträge gestellt und der alte Antrag mit Widerspruch offen gehalten werden.
Leider bindet eine solche Bürokratie sehr viel Arbeitskraft, von daher wäre ein
übergreifendes Fallmanagement ebenfalls wünschenswert.
Bisher ist mir noch kein Fall bekannt, in der eine Schule ernsthaft mit dem Ressourcenvorbehalt aus § 5 Abs. 2 SchulG-SH argumentiert hat. Es wäre –
nun zu guter Letzt – wünschenswert, wenn Schulen sich offen an die Seite von
Leistungsberechtigten und ihren Eltern stellen und klar stellen, dass ihnen die
Ressourcen fehlen. Dann soll mal ein Sozialhilfeträger kommen und ablehnen.
CGS
+++ Ergänzung vom 22.9.2014 +++
Es gibt noch eine Ergänzung zu machen, die mir leider
erst jetzt aufgefallen ist und die zeigt, dass sich Sozialhilfeträger auch
irren können!
Zum Beispiel: Klassenfahrt.
Der Sozialhilfeträger lehnte die Reisekosten und
Verpflegungsaufwendungen ab, da die Verantwortlichkeit demjenigen obliegt, der
den Ort der Schulveranstaltung bestimmt hat. Doch hierzu gibt es eine
gesetzliche Regelung, welche dieser Auffassung widerspricht.
§ 22 Eingliederungshilfe-Verordnung, Kosten
der Begleitpersonen
Erfordern die
Maßnahmen der Eingliederungshilfe die Begleitung des behinderten Menschen, so
gehören zu seinem Bedarf auch
1. die
notwendigen Fahrtkosten und die sonstigen mit der Fahrt verbundenen notwendigen
Auslagen der Begleitperson,
2.
weitere Kosten der Begleitperson, soweit sie nach den Besonderheiten des
Einzelfalles notwendig sind.
Nun könnte der Sozialhilfeträger argumentieren, dass die
Maßnahme vor Ort von einem anderen Dienst erbracht werden kann. Die Begleitung
während der An- und Abreise könnte als nicht erforderlich betrachtet werden.
Eine solche Sichtweise ist im Prinzip richtig, wenn man
von einer Austauschbarkeit der Leistung ausgehen würde. Bei Sachleistungen wäre
dies in der Regel der Fall. Doch bei einer Dienstleistung, wie im Falle der
Integrationsassistenz, gibt es immer noch eine persönliche Bindung zwischen
Klient und Assistenz, so dass sich hieraus schon eine Notwendigkeit zur persönlichen
Begleitung ableiten ließe; allerdings kommt es wie immer auf den Einzelfall an.
§ 20 Eingliederungshilfe-Verordnung, Anleitung
von Betreuungspersonen
Bedarf ein
behinderter Mensch wegen der Schwere der Behinderung in erheblichem Umfange der
Betreuung, so gehört zu den Maßnahmen der Eingliederungshilfe auch, Personen,
denen die Betreuung obliegt, mit den durch Art und Schwere der Behinderung
bedingten Besonderheiten der Betreuung vertraut zu machen.
Wie man sieht, es muss nicht unbedingt billiger werden,
wenn der Einzelfall es erforderlich macht.
CGS
Quelle:
Das neue Schulgesetz wurde zum Zeitpunkt dieses Beitrags
noch nicht in der Juris-Datenbank aktualisiert, so dass hier hilfsweise auf die
Nichtamtliche Bekanntmachung verlinkt wurde.