Montag, 22. September 2014

Schulbegleitung in Schleswig-Holstein: Der Ressourcenvorbehalt!

In meinem letzten Beitrag kam ich zu folgenden Ergebnissen:

1.       Die Schule hatte eine Beschulung des behinderten Kindes für möglich erklärt. Ein über die schulischen Ressourcen hinausgehender Mitteleinsatz war nicht erforderlich.

2.       Die Fachbehörde erkannte darauf hin, dass ein konkreter Bedarf nicht vorlag und lehnte soziale Leistungen pflichtgemäß – sie hätte auch dann ablehnen müssen, wenn vorläufige Leistungen genehmigt worden wären.

3.       Die Wahrnehmung der Eltern, dass ein ungedeckter Hilfebedarf vorliegt, und die Feststellung der Fachbehörde, dass dieser Hilfebedarf mit ausreichenden Mitteln abgedeckt wird, divergieren erheblich voneinander (eine solche Divergenz kennt man in der Psychologie auf der Ebene der einzelnen Person als Selbst- und Fremdwahrnehmungsdivergenz).

Nun gibt es einen Nachfolgeartikel in der Zeitung (Quellenverweis am Ende dieses Beitrags). Bemerkenswert an diesem Artikel ist der Schlussabsatz. Dort sagt (die zuständige?) Schulrätin:

„ …, dass noch nicht an jeder Wunschschule von Eltern mit gehandicapten Kindern genügend Förderangebote vorhanden seien. ‚Aber wir können nur die Ressourcen verteilen, die wir haben‘.“ (Kieler Nachrichten vom 1.9.2014, „Ein „Einzelfall“ schlägt hohe Wellen“, Jürgen Küppers)

Hier zeigt sich ein Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit, denn einerseits soll inklusive Bildung ermöglicht werden, aber nur wenn andererseits organisatorische, personelle und sächliche Möglichkeiten es erlauben. Was sich in der Aussage der Schulrätin so anhört, als ob die Ressourcen noch geschaffen werden müssen, und so etwas braucht bekanntlich Zeit, ist im Schulgesetz von Schleswig-Holstein (gültig ab 31. Juli 2014) gesetzlich sogar abgesichert.

§ 4 SchulG-SH, Pädagogische Ziele

(13) Schülerinnen und Schüler mit Behinderung sind besonders zu unterstützen. Das Ziel einer inklusiven Beschulung steht dabei im Vordergrund.

§ 5 SchulG-SH, Formen des Unterrichts

(2) Schülerinnen und Schüler sollen unabhängig von dem Vorliegen eines sonderpädagogischen Förderbedarfs gemeinsam unterrichtet werden, soweit es die organisatorischen, personellen und sächlichen Möglichkeiten erlauben und es der individuellen Förderung der Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf entspricht (gemeinsamer Unterricht).

Was passiert also, wenn die organisatorische, personelle und sächliche Ausstattung an der Schule es nicht erlaubt? Dürfen Schulen dann Schülern mit Behinderung den Zugang verweigern? Sind Schulen überhaupt verpflichtet, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, um z.B. für Barrierefreiheit zu sorgen? Wie stellt man einen Mangel an Ressourcen überhaupt fest?

Nach dem Willen der Landesregierung sollen im kommenden Jahr „schulische Assistenten“ eingestellt werden. Dann wären zumindest auf dem Papier weitere personelle Ressourcen vorhanden. Inwieweit diese Stellen qualitativ und quantitativ ausreichen, kann derzeit niemand sagen. Der Paritätische Wohlfahrtsverband Schleswig-Holstein e.V. stellte jedenfalls am 28.8.2014 in einer Pressemitteilung ernüchternd fest: „Die Einführung einer Schulischen Assistenz ist grundsätzlich zu begrüßen und stellt einen Fortschritt dar. Die geplanten 314 schulischen Assistenzstellen reichen allerdings bei weitem nicht aus. Einige Grundschulen in Schleswig-Holstein werden keine Schulassistenz erhalten“ (Quellenangabe siehe weiter unten). Was mit diesen 314 Stellen gemeint ist und welche Qualifikationen diese mitbringen, muss man leider noch abwarten (vgl. auch meinen letzten Beitrag vom 8.9.2014). Es handelt sich in jedem Fall erst einmal um eine personelle Aufrüstung, welche voll und ganz der Prävention dient. Hier wird gehandelt, um einer möglichen Leistungsverschlechterung oder sonstigen Beeinträchtigung bei Schülern mit Lernschwierigkeiten zu begegnen.

Wenn aber dennoch ein Mangel festgestellt wird, dann waren die bisherigen Maßnahmen nicht ausreichend und schon gar nicht präventiv. Bei Kindern mit einer seelischen oder geistigen Behinderung wird vermutlich die Feststellung einer Fehlentwicklung sehr spät, wenn nicht sogar zu spät erfolgen. Darum stellt sich die Frage, ob das Recht auf Erhalt von Leistungen der Eingliederungshilfe weiterhin bestehen bleibt (vgl. § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII). Zwar sind die Besonderheiten des Einzelfalls, insbesondere Art und Schwere der (auch drohenden) Behinderung maßgeblich, dennoch wird durch den Einsatz von schulischen Assistenten das Recht auf Erhalt von Eingliederungshilfe m.E. nicht gemindert.

Aufgabe der Eingliederungshilfe ist es ebenfalls, Hilfen für eine angemessene Schulbildung zu leisten.

§ 12 Eingliederungshilfe-Verordnung, Schulbildung

Die Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch umfaßt auch

1.
heilpädagogische sowie sonstige Maßnahmen zugunsten körperlich und geistig behinderter Kinder und Jugendlicher, wenn die Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, dem behinderten Menschen den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen oder zu erleichtern,

2.
Maßnahmen der Schulbildung zugunsten körperlich und geistig behinderter Kinder und Jugendlicher, wenn die Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, dem behinderten Menschen eine im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht üblicherweise erreichbare Bildung zu ermöglichen,

3.
Hilfe zum Besuch einer Realschule, eines Gymnasiums, einer Fachoberschule oder einer Ausbildungsstätte, deren Ausbildungsabschluß dem einer der oben genannten Schulen gleichgestellt ist, oder, soweit im Einzelfalle der Besuch einer solchen Schule oder Ausbildungsstätte nicht zumutbar ist, sonstige Hilfe zur Vermittlung einer entsprechenden Schulbildung; die Hilfe wird nur gewährt, wenn nach den Fähigkeiten und den Leistungen des behinderten Menschen zu erwarten ist, daß er das Bildungsziel erreichen wird.

Die Rechtsstellung des Hilfeberechtigten gegenüber dem Sozialhilfeträger bleibt somit unangetastet. Zwar muss damit gerechnet werden, dass eine Schulbegleitung nicht mehr großzügig in dem Umfang gewährt wird, wie es in früheren Zeiten üblich war. Und auch die Aufgaben werden deutlicher konkretisiert, so dass sich Überschneidungen in den Kernbereich der pädagogischen Arbeit nicht ergeben, dennoch sollte eine Leistungsgewährung möglich sein; sie muss nur konkret auf den tatsächlichen Hilfebedarf abgestellt werden und das erfordert eine gründliche Vorbereitung, wenn nicht sogar sozialrechtliche-sozialpädagogische Beratung (ich will hier keine Beratungsleistung verkaufen, aber schon an diesem Beispiel zeigt sich, warum viele Betroffenen-Verbände auf einen Rechtsanspruch auf Beratung im neuen Bundesteilhabegesetz drängen).

Wie sieht also dieser Hilfebedarf aus? – Immerhin hat die Schule mehr Personal zur Verfügung!

In der Praxis wird die Schule Eltern von Kindern mit Behinderung wahrscheinlich ungenügend unterstützen – ein „Kann-Nicht“ seitens der Schule wäre ja ein Eingeständnis von Versagen. Darüber hinaus muss sie als öffentliche Einrichtung, wie auch die Lehrkräfte, sich ohnehin neutral verhalten. Das heißt, sie muss so tun, als ob mit den neuen schulischen Assistenten eine Verbesserung eingetreten ist und außerdem können gem. § 5 Abs. 2 SchulG-SH nur die vorhandenen Ressourcen eingesetzt werden. Doch ob damit bezogen auf das behinderte Kind eine wirkliche Bedarfsdeckung erfolgte, wäre zu untersuchen. Und dazu muss auf den Schulalltag geschaut werden, an welchen Stellen Unterstützungsleistungen nötig sind, damit ein Schulbesuch bzw. inklusive Bildung (§ 4 Abs. 13 SchulG-SH) ermöglicht wird. Erst wenn sich hier die Lücken im System offenbaren, können Anträge gestellt werden.

Beispiel: Klassenfahrt

-        Die Eingliederungshilfe übernimmt die Kosten einer Integrationsassistenz für die Dauer der Klassenfahrt. Damit sind aber nicht gemeint die Reisekosten und Verpflegung der Assistenz. Nach Ansicht des Sozialhilfeträgers liegt die Verantwortlichkeit für diese Kosten bei demjenigen, der den Ort der Schulveranstaltung bestimmt hat – d.h. der Schule.
-        Die Integrationsassistenz ist nur für das behinderte Kind zuständig. Sie darf keine Leistungen für andere Kinder erbringen und welche in den Kernbereich der pädagogischen Arbeit fallen.
-        Die Schule weist darauf hin, dass es sich um eine schulische Pflichtveranstaltung handelt. Aus diesem Grund ist es erforderlich, dass eine Integrationsassistenz gestellt wird.

Beispiel: Schuhe An- und Ausziehen vor dem mit Teppich ausgelegten Klassenraum

-        Die Eingliederungshilfe übernimmt nicht die Kosten für eine Hilfe, da die Schule diese Barriere abschaffen muss, um eine inklusive Beschulung zu ermöglichen. Zudem liegt die Entscheidung zur Schaffung dieses Hindernisses im Machtbereich der Schule.
-        Einen Klassenraum mit Teppich auszulegen, ist nicht erforderlich.

Für einen Laien sind diese Abgrenzungsprobleme schon nicht mehr nachvollziehbar. Aus diesem Grund wäre eine unabhängige sozialrechtliche-sozialpädagogische Beratung wünschenswert.

Zum Glück stehen die Leistungsberechtigten nicht alleine vor dem Problem. Sozialhilfeträger müssen genau erklären, wo ihre Leistungspflicht endet und bei wem diese beginnt – zur Not müssen dann mehrere Anträge gestellt und der alte Antrag mit Widerspruch offen gehalten werden. Leider bindet eine solche Bürokratie sehr viel Arbeitskraft, von daher wäre ein übergreifendes Fallmanagement ebenfalls wünschenswert.

Bisher ist mir noch kein Fall bekannt, in der eine Schule ernsthaft mit dem Ressourcenvorbehalt aus § 5 Abs. 2 SchulG-SH argumentiert hat. Es wäre – nun zu guter Letzt – wünschenswert, wenn Schulen sich offen an die Seite von Leistungsberechtigten und ihren Eltern stellen und klar stellen, dass ihnen die Ressourcen fehlen. Dann soll mal ein Sozialhilfeträger kommen und ablehnen.

CGS


+++ Ergänzung vom 22.9.2014 +++

Es gibt noch eine Ergänzung zu machen, die mir leider erst jetzt aufgefallen ist und die zeigt, dass sich Sozialhilfeträger auch irren können!

Zum Beispiel: Klassenfahrt.

Der Sozialhilfeträger lehnte die Reisekosten und Verpflegungsaufwendungen ab, da die Verantwortlichkeit demjenigen obliegt, der den Ort der Schulveranstaltung bestimmt hat. Doch hierzu gibt es eine gesetzliche Regelung, welche dieser Auffassung widerspricht.

§ 22 Eingliederungshilfe-Verordnung, Kosten der Begleitpersonen

Erfordern die Maßnahmen der Eingliederungshilfe die Begleitung des behinderten Menschen, so gehören zu seinem Bedarf auch

1.   die notwendigen Fahrtkosten und die sonstigen mit der Fahrt verbundenen notwendigen Auslagen der Begleitperson,
2.   weitere Kosten der Begleitperson, soweit sie nach den Besonderheiten des Einzelfalles notwendig sind.
Nun könnte der Sozialhilfeträger argumentieren, dass die Maßnahme vor Ort von einem anderen Dienst erbracht werden kann. Die Begleitung während der An- und Abreise könnte als nicht erforderlich betrachtet werden.

Eine solche Sichtweise ist im Prinzip richtig, wenn man von einer Austauschbarkeit der Leistung ausgehen würde. Bei Sachleistungen wäre dies in der Regel der Fall. Doch bei einer Dienstleistung, wie im Falle der Integrationsassistenz, gibt es immer noch eine persönliche Bindung zwischen Klient und Assistenz, so dass sich hieraus schon eine Notwendigkeit zur persönlichen Begleitung ableiten ließe; allerdings kommt es wie immer auf den Einzelfall an.

§ 20 Eingliederungshilfe-Verordnung, Anleitung von Betreuungspersonen

Bedarf ein behinderter Mensch wegen der Schwere der Behinderung in erheblichem Umfange der Betreuung, so gehört zu den Maßnahmen der Eingliederungshilfe auch, Personen, denen die Betreuung obliegt, mit den durch Art und Schwere der Behinderung bedingten Besonderheiten der Betreuung vertraut zu machen.

Wie man sieht, es muss nicht unbedingt billiger werden, wenn der Einzelfall es erforderlich macht.


CGS




Quelle:



Das neue Schulgesetz wurde zum Zeitpunkt dieses Beitrags noch nicht in der Juris-Datenbank aktualisiert, so dass hier hilfsweise auf die Nichtamtliche Bekanntmachung verlinkt wurde.