Dienstag, 2. September 2014

Schulbegleitung in Schleswig-Holstein: Enttäuschte Eltern!

„Wer sich wehrt, kann verlieren. Wer sich nicht wehrt, hat schon verloren.“

Diesen Leitspruch wiederhole ich gerne, weil die derzeitige Situation in Schleswig-Holstein für Betroffene und ihre Eltern noch immer sehr schwierig ist.

Rekapitulation:

Im Februar 2014 erließ das LSG-Schleswig einen Beschluss hinsichtlich der unrechtmäßigen Finanzierung von Schulbegleitungen (bzw. Integrationsassistenten) aus Mitteln der Eingliederungshilfe (Sozialhilfe). Begründet wurde dieser Beschluss damit, dass im Schulgesetz des Landes eindeutig ein Bekenntnis zur inklusiven Beschulung behinderter Kinder enthalten ist. Von daher würde der Nachranggrundsatz aus § 2 SGB XII greifen, wonach vorrangig andere Träger die Leistungen übernehmen müssen.

In den Folgemonaten erhielten Eltern von behinderten Kindern, welche (bisher) eine Schulbegleitung finanziert bekommen hatten, einen Ablehnungsbescheid der zuständigen Jugendhilfe- oder Sozialhilfeträger. Da aber weder Ressourcen noch finanzielle Mittel im Haushaltsplan an den Schulen für die Übernahme dieser Aufgaben enthalten waren, versprach das Bildungsministerium eine schnelle und unkomplizierte Lösung.

Am 26.8.2014 berichtete das Bildungsministerium an die Landesregierung über die Inklusion an den Schulen in Schleswig-Holstein (Drucksache 18/2065 des schleswig-holsteinischen Landtags):

Der Landtag hat mit der Drucksache 18/1246 die Landesregierung gebeten, schriftlich
den aktuellen Stand zur Umsetzung von Inklusion an den schleswig-holsteinischen
Schulen darzustellen. Dabei soll auch die beabsichtigte Schrittfolge aufgezeigt
werden, wie auf dem Weg zur Inklusion vor allem die Qualität gesichert und ausgebaut
werden kann und welche Bedingungen erfüllt sein müssen, um mehr Kinder mit
Förderbedarf in Regelschulen aufzunehmen. Darüber hinaus soll der Bericht die seitens
des Landes, der Kommunen und kommunalen Schulträger erforderlichen finanziellen,
sächlichen und personellen Ressourcen darstellen, die zur Umsetzung der
jeweiligen Teilziele notwendig sind. Des Weiteren soll Auskunft gegeben werden, in
welcher Form Aufgaben der schulischen Inklusion in die anstehende Reform der
Lehrerbildung eingebracht werden sollen.

Dieser Bericht wurde bereits von verschiedenen Interessenverbänden kritisch durchgesehen und kommentiert. Vor allem die angekündigte lange Zeitdauer für die Umsetzung der Maßnahmen sowie Absichtserklärungen ohne konkrete Lösungen wird bemängelt. Es bleibt also abzuwarten, welche Aufgaben die neuen „schulischen Assistenten“ übernehmen sollen und wie mit nicht ausreichenden Ressourcen umgegangen wird (vgl. auch § 5 Abs. 2 SchulG-SH). Antworten soll die sogenannte Expertenkommission liefern.

Da die Rahmenbedingungen sich nicht verändert haben und das Schuljahr bereits begonnen hat, treten die ersten Probleme zu tage. In den Kieler Nachrichten wird z.B. unter der Überschrift „Angst vor dem ersten Schultag“ von einem Fall berichtet, bei dem Eltern eines Jungen mit einer Autismus-Spektrum-Störung trotz rechtzeitigem und intensiven Bemühens um eine Schulbegleitung, von der zuständigen Fachbehörde einen Ablehnungsbescheid erhielten (Quellenangabe siehe weiter unten).

Die Nachrichten berichten, dass „zehn Tage vor Schulbeginn“ das Amt für Familie und Soziales in Kiel den Antrag vom Oktober 2013, dann noch einmal erneuert vom Juni 2014, per Bescheid ablehnte. Wäre der Antrag zum ersten Mal erst im Juni gestellt worden, hätte man sicherlich mit der schwierigen personellen Besetzung während der Urlaubsmonate argumentieren und Verständnis aufbringen können. Da aber die Eltern bereits im Oktober des Vorjahres das Amt aufgefordert hatten, hätte schon rechtzeitig vorher eine Bearbeitung erfolgen müssen:

§ 14 Abs. 1 SGB IX gibt dem Amt zwei Wochen Zeit, seine Zuständigkeit zu prüfen;
§ 43 SGB I gibt dem Antragsteller die Möglichkeit, vorläufige Leistungen zu verlangen.

Das Amt muss die Besonderheiten des Einzelfalls (§ 9 SGB XII) ausreichend ermitteln und dabei jeder Frage, die zu einer Einschränkung des Ermessens führt, nachgehen. Aus dem Artikel ist nicht klar erkennbar, aber man sollte annehmen, dass die Eltern das Gutachten des medizinischen Kinderzentrums in Pelzerhaken vorgelegt haben. Insofern ergibt sich hieraus schon die Tatsache, dass das Kind eine Behinderung und somit Anspruch auf Leistungen hat (§ 53 Abs. 1 SGB XII).

Problematisch erscheint mir an dem Fall, dass ein Gutachten der Schule vorgelegen haben soll, wonach „der autistische Junge dem Unterricht ohne Einschränkung“ folgen könne. Hier hat sich die Schule vermutlich selbst ein Bein, sozusagen, gestellt, es sei denn, dass die Beschulung objektiv gesehen wirklich kein Problem darstellt.

Weil nun ein konkreter Bedarf nicht festgestellt werden konnte, musste die Fachbehörde ablehnen. Dies ist auch ihre Pflicht!

Hätten die Eltern vorläufige Leistungen beantragt, hätte die Fachbehörde trotzdem im Nachhinein, d.h. zum Zeitpunkt des Bekanntwerdens des Gegengutachtens, ablehnen müssen.

Auch wenn die Eltern mit dem jetzigen Ablehnungsbescheid die Möglichkeit haben, ins Widerspruchsverfahren zu gehen, das Gegengutachten wird dem Wunsch nach Bereitstellung einer Schulbegleitung immer im Weg stehen. Die Schule behauptet, dass eine Beschulung des Kindes mit diesen Einschränkungen möglich ist und ein über die schulischen Ressourcen hinausgehender Mitteleinsatz nicht erforderlich ist.

Trotzdem bleibt die Enttäuschung der Eltern, die im Hinblick auf den bekannten Hilfebedarf des eigenen Kindes einen größtmöglichen Schutzraum in Form von zusätzlicher Betreuung sich gewünscht haben. Die Hinweise des Amtes bezüglich des Prüfverfahrens werden nun als „Vertröstungen“ wahrgenommen, die Ablehnung als „Kosteneinsparungsmaßnahme“. 

Dieser Fall zeigt exemplarisch, wie stark Fremd- und Selbstwahrnehmung differieren können. Die richtige Anwendung des § 9 SGB XII ist kruzial, doch auch die Eltern müssen mitgenommen werden bei diesen Entscheidungen - kommunikativ wie auch kollaborativ. Beide Seiten haben hier versagt, weil es sich für die einen um ein aus Sachfeststellungen und Richtlinien zusammengesetztes Verfahren handelt, für die anderen um die Zukunft und Bestehen des eigenen Kindes. Der jetzige Veränderungsprozess in Schleswig-Holstein hinsichtlich der Regel- und Förderschulen wird zudem unzureichend begleitet von der Politik, den Schulen und sogar Eltern-Betroffenen-Sozialverbänden. 

Sollten sich Eltern also immer wehren? Einerseits Ja, weil auch Fachbehörden Fehler bei der Ermittlung des tatsächlichen Bedarfes unterlaufen. Andererseits Nein, weil mit einem Widerspruch auch weitere Hoffnungen verbunden sind auf einen "Sieg" gegenüber dem bürokratischen System. In diesem Fall nun aber muss sich zeigen, ob die Entscheidung der Schule, das Kind ausreichend beschulen zu können, richtig war.

CGS



Quelle: