„Wer sich wehrt,
kann verlieren. Wer sich nicht wehrt, hat schon verloren.“
Diesen Leitspruch wiederhole ich gerne, weil die
derzeitige Situation in Schleswig-Holstein für Betroffene und ihre Eltern noch
immer sehr schwierig ist.
Rekapitulation:
Im Februar 2014 erließ das LSG-Schleswig einen Beschluss
hinsichtlich der unrechtmäßigen Finanzierung von Schulbegleitungen (bzw. Integrationsassistenten)
aus Mitteln der Eingliederungshilfe (Sozialhilfe). Begründet wurde dieser
Beschluss damit, dass im Schulgesetz des Landes eindeutig ein Bekenntnis zur
inklusiven Beschulung behinderter Kinder enthalten ist. Von daher würde der
Nachranggrundsatz aus § 2 SGB XII greifen, wonach vorrangig andere Träger die
Leistungen übernehmen müssen.
In den Folgemonaten erhielten Eltern von behinderten
Kindern, welche (bisher) eine Schulbegleitung finanziert bekommen hatten, einen
Ablehnungsbescheid der zuständigen Jugendhilfe- oder Sozialhilfeträger. Da aber
weder Ressourcen noch finanzielle Mittel im Haushaltsplan an den Schulen für
die Übernahme dieser Aufgaben enthalten waren, versprach das Bildungsministerium
eine schnelle und unkomplizierte Lösung.
Am 26.8.2014 berichtete das Bildungsministerium an die
Landesregierung über die Inklusion an den Schulen in Schleswig-Holstein
(Drucksache 18/2065 des schleswig-holsteinischen Landtags):
Der Landtag hat mit der Drucksache 18/1246 die Landesregierung gebeten,
schriftlich
den aktuellen Stand zur Umsetzung von Inklusion an den
schleswig-holsteinischen
Schulen darzustellen. Dabei soll auch die beabsichtigte Schrittfolge
aufgezeigt
werden, wie auf dem Weg zur Inklusion vor allem die Qualität gesichert
und ausgebaut
werden kann und welche Bedingungen erfüllt sein müssen, um mehr Kinder
mit
Förderbedarf in Regelschulen aufzunehmen. Darüber hinaus soll der
Bericht die seitens
des Landes, der Kommunen und kommunalen Schulträger erforderlichen
finanziellen,
sächlichen und personellen Ressourcen darstellen, die zur Umsetzung der
jeweiligen Teilziele notwendig sind. Des Weiteren soll Auskunft gegeben
werden, in
welcher Form Aufgaben der schulischen Inklusion in die anstehende
Reform der
Lehrerbildung eingebracht werden sollen.
Dieser Bericht wurde bereits von verschiedenen
Interessenverbänden kritisch durchgesehen und kommentiert. Vor allem die
angekündigte lange Zeitdauer für die Umsetzung der Maßnahmen sowie Absichtserklärungen
ohne konkrete Lösungen wird bemängelt. Es bleibt also abzuwarten, welche
Aufgaben die neuen „schulischen Assistenten“ übernehmen sollen und wie mit
nicht ausreichenden Ressourcen umgegangen wird (vgl. auch § 5 Abs. 2 SchulG-SH).
Antworten soll die sogenannte Expertenkommission liefern.
Da die Rahmenbedingungen sich nicht verändert haben und
das Schuljahr bereits begonnen hat, treten die ersten Probleme zu tage. In den
Kieler Nachrichten wird z.B. unter der Überschrift „Angst vor dem ersten
Schultag“ von einem Fall berichtet, bei dem Eltern eines Jungen mit einer
Autismus-Spektrum-Störung trotz rechtzeitigem und intensiven Bemühens um eine
Schulbegleitung, von der zuständigen Fachbehörde einen Ablehnungsbescheid
erhielten (Quellenangabe siehe weiter unten).
Die Nachrichten berichten, dass „zehn Tage vor
Schulbeginn“ das Amt für Familie und Soziales in Kiel den Antrag vom Oktober
2013, dann noch einmal erneuert vom Juni 2014, per Bescheid ablehnte. Wäre der Antrag
zum ersten Mal erst im Juni gestellt worden, hätte man sicherlich mit der
schwierigen personellen Besetzung während der Urlaubsmonate argumentieren und Verständnis
aufbringen können. Da aber die Eltern bereits im Oktober des Vorjahres das Amt
aufgefordert hatten, hätte schon rechtzeitig vorher eine Bearbeitung erfolgen
müssen:
§ 14 Abs. 1 SGB IX gibt dem Amt zwei Wochen Zeit, seine
Zuständigkeit zu prüfen;
§ 43 SGB I gibt dem Antragsteller die Möglichkeit,
vorläufige Leistungen zu verlangen.
Das Amt muss die Besonderheiten des Einzelfalls (§ 9 SGB
XII) ausreichend ermitteln und dabei jeder Frage, die zu einer Einschränkung
des Ermessens führt, nachgehen. Aus dem Artikel ist nicht klar erkennbar, aber
man sollte annehmen, dass die Eltern das Gutachten des medizinischen
Kinderzentrums in Pelzerhaken vorgelegt haben. Insofern ergibt sich hieraus
schon die Tatsache, dass das Kind eine Behinderung und somit Anspruch auf
Leistungen hat (§ 53 Abs. 1 SGB XII).
Problematisch erscheint mir an dem Fall, dass ein
Gutachten der Schule vorgelegen haben soll, wonach „der autistische Junge dem
Unterricht ohne Einschränkung“ folgen könne. Hier hat sich die Schule
vermutlich selbst ein Bein, sozusagen, gestellt, es sei denn, dass die
Beschulung objektiv gesehen wirklich kein Problem darstellt.
Weil nun ein konkreter Bedarf nicht festgestellt werden
konnte, musste die Fachbehörde ablehnen. Dies ist auch ihre Pflicht!
Hätten die Eltern vorläufige Leistungen beantragt, hätte
die Fachbehörde trotzdem im Nachhinein, d.h. zum Zeitpunkt des Bekanntwerdens
des Gegengutachtens, ablehnen müssen.
Auch wenn die Eltern mit dem jetzigen Ablehnungsbescheid
die Möglichkeit haben, ins Widerspruchsverfahren zu gehen, das Gegengutachten
wird dem Wunsch nach Bereitstellung einer Schulbegleitung immer im Weg stehen.
Die Schule behauptet, dass eine Beschulung des Kindes mit diesen
Einschränkungen möglich ist und ein über die schulischen Ressourcen
hinausgehender Mitteleinsatz nicht erforderlich ist.
Trotzdem bleibt die Enttäuschung der Eltern, die im
Hinblick auf den bekannten Hilfebedarf des eigenen Kindes einen größtmöglichen
Schutzraum in Form von zusätzlicher Betreuung sich gewünscht haben. Die
Hinweise des Amtes bezüglich des Prüfverfahrens werden nun als „Vertröstungen“
wahrgenommen, die Ablehnung als „Kosteneinsparungsmaßnahme“.
Dieser Fall zeigt exemplarisch, wie stark Fremd- und Selbstwahrnehmung differieren können. Die richtige Anwendung des § 9 SGB XII ist kruzial, doch auch die Eltern müssen mitgenommen werden bei diesen Entscheidungen - kommunikativ wie auch kollaborativ. Beide Seiten haben hier versagt, weil es sich für die einen um ein aus Sachfeststellungen und Richtlinien zusammengesetztes Verfahren handelt, für die anderen um die Zukunft und Bestehen des eigenen Kindes. Der jetzige Veränderungsprozess in Schleswig-Holstein hinsichtlich der Regel- und Förderschulen wird zudem unzureichend begleitet von der Politik, den Schulen und sogar Eltern-Betroffenen-Sozialverbänden.
Sollten sich Eltern also immer wehren? Einerseits Ja, weil auch Fachbehörden Fehler bei der Ermittlung des tatsächlichen Bedarfes unterlaufen. Andererseits Nein, weil mit einem Widerspruch auch weitere Hoffnungen verbunden sind auf einen "Sieg" gegenüber dem bürokratischen System. In diesem Fall nun aber muss sich zeigen, ob die Entscheidung der Schule, das Kind ausreichend beschulen zu können, richtig war.
CGS
Quelle: