Sonntag, 22. Februar 2015

Die ASMK äußert sich zum BTG

Im Ergebnisprotokoll der der 91. Konferenz der Ministerinnen und Minister, Senatorinnen und Senatoren für Arbeit und Soziales der Länder am 26. und 27. November 2014 in Mainz (kurz: 91. ASMK 2014) gab es im Hinblick auf das Bundesteilhabegesetz (BTG) einige sehr konkrete Forderungen (TOP 5.1 Schaffung eines Bundesteilhabegesetzes, Seite 6 f.). Diese alle wiederzugeben bzw. kritisch darauf einzugehen, würde meine sonstige Arbeit unangemessen belasten. Von daher habe ich zwei Punkte herausgesucht, die mir beachtenswert erscheinen.

Zuerst einmal werden die bisher genannten Eckdaten zum neuen BTG positiv aufgenommen. Man erwartet, dass noch in 2015 ein erster Gesetzentwurf entsteht, welcher dann im Folgejahr von Bundesrat und Bundestag verabschiedet werden kann und zum 1.1.2017 in Kraft tritt. In Ziffer 4 werden dann einige Konkretisierungen gemacht:

1.      Ziel soll sein, die „Inklusion von Menschen mit Behinderungen zu verbessern und andererseits die erforderlichen Finanzierungswirkungen zu erreichen“. Da es sich um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe handelt, soll der Bund die Kosten gesamt übernehmen. In Rede stehen zwar nach wie vor die 5 Mrd. Euro, doch auch bei möglichen Leistungsausweitungen soll der Bund hierfür einstehen (Seite 7).

Natürlich wird anerkannt, dass ein solcher Betrag refinanziert werden muss. Verwiesen wird hierzu auf den in der 90. Sitzung der ASMK vorgelegten „Bericht zur Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe und zur Schaffung eines Bundesleistungsgesetzes (vgl. Teil C)“.

Eine Form der Refinanzierung wird sein, andere Leistungsträger, wie z.B. die Pflegeversicherung, stärker in die Pflicht zu nehmen. Gerade die Problematik der Abgrenzung von Leistungen bei pflegebedürftigen Menschen mit Behinderung zwischen Pflegeversicherung und Eingliederungshilfe könnte zu Lasten der Pflegeversicherung aufgelöst werden. In der Folge wäre eine Steigerung der Beitragssätze in der Pflegeversicherung notwendig.

2.      Dort, wo mehrere Stellen in der Leistungspflicht stehen, wie eben schon dargestellt, soll die „Leistungsträgerschaft“ in einer Hand verbleiben. Man spricht hier vom Grundsatz der „Hilfe aus einer Hand“ – und diese Hilfe soll beim Träger der Eingliederungshilfe angesiedelt werden (Seite 8).

Es gibt allerdings Kritik an diesen Vorstellungen: So wird befürchtet, dass die Verortung der Gesamtverantwortlichkeit bei den jetzigen Sozialhilfeträgern zu einer Streichung von Leistungsansprüchen führen. Man unterstellt, dass niedrige Personalressourcen gepaart mit mangelnder Fachkompetenz (außerhalb des eigenen Fachbereichs, muss man ausdrücklich dazu sagen) keine ganzheitliche Bedarfsdeckungsleistung gewährleisten.

Ich habe mir diese beiden Punkte herausgegriffen, weil ich sie im ersten Fall für „typisch“ und im zweiten Fall für „problematisch“ erachte. Man kann sich dem Eindruck nicht erwehren, dass die Politik immer versucht, andere Quellen zum Stopfen von Haushaltslöchern aufzutun. Wenn die Pflegeversicherung „angezapft“ wird, müssen diejenigen, welche die Beiträge hierfür aufbringen, noch mehr leisten. Vor diesem Hintergrund versteht sich mein Misstrauen.

Dass die Leistungsträgerschaft dagegen an einer Stelle zentral verortet werden soll, halte ich zwar einerseits für richtig, aber es bleibt noch immer beim Hilfebedürftigen, den Bedarf konkret zu benennen und Gegenforderungen zu entkräften gegenüber Entscheidern, die womöglich überfordert sind.

CGS


Quellen:







Freitag, 13. Februar 2015

Ein neues zeitbasiertes Kalkulationsverfahren in Hamburg (Stationäres Wohnen)

Während vier große Leistungserbringer in Hamburg eine Rahmenvereinbarung mit Trägerbudget unterzeichnet haben, müssen sich die vielen, kleineren Leistungserbringer an einem neuen, zeitbasierten Leistungs- und Vergütungssystem beteiligen. Täten sie es nicht, müssten sie mit einer Kündigung der Leistungsvereinbarung rechnen, und dann würden sie an zukünftigen Beschlüssen der  Vertragskommission zum Landesrahmenvertrag (VK) zu Vergütungssteigerungen nicht teilnehmen (so zumindest die Sorge).

Schon jetzt steht fest, dass die Einführung zu einer enormen Umverteilung von Geldern führen wird, wobei noch längst nicht alle Einzelheiten klar sind. Die Verhandlungen auf der Ebene der Verbände sind abgeschlossen, nun sind die Träger der Einrichtungen gefordert.

Herzstück des neuen Systems ist das zeitbasierte Kalkulationsverfahren, wobei die Einführung eines Stundensatzes (pro Träger) eine eher untergeordnete Rolle spielt. Die beiden wesentlichsten Ziele, die mit dem neuen System verfolgt werden, sind die Einhaltung von Haushaltsvorgaben der Stadt (d.h. das zu verteilende Budget) und die Sicherung der Betreuungsleistung (d.h. die im Einsatz befindlichen Stellen für das Betreuungspersonal).


Umstellung des bisherigen Vergütungssystems von Tages- auf Stundensätze

Im bisherigen Vergütungssystem errechnete man aus der Platzkapazität, einem Auslastungsgrad und der Kalendertage im Jahr (unter Berücksichtigung einer Anpassung für Schaltjahre) einen Divisor. In jedem errechneten Divisor steckte somit im Kern der Operand „365,25“ (entsprechend der Formel: (365 + 365 + 365 + 366) / 4) für Kalendertage im Jahr.

Im neuen System geht dies natürlich nicht. Man verwendet stattdessen eine Größe, die man schon in früheren Verhandlungen zwischen den Verbänden der Leistungserbringer und der Stadt Hamburg als Leistungsträger zu stundenbasierten Leistungen im ambulanten Bereich verhandelt hatte: die Nettojahresarbeitszeit (NJAZ) einer Vollzeit-Betreuungskraft ausgedrückt in Stunden per annum (vgl. VK-Beschluss vom 15.6.2007).

Bei der NJAZ handelt es sich um eine stundenbasierte Größe, welche die Wochenarbeitszeit einer Vollzeitkraft hochrechnet auf ein Jahr und dabei berufsspezifische Minder- und typische Ausfallzeiten, wie z.B. Urlaube, Feiertage und Krankheitsabwesenheiten, berücksichtigt. Ausgangsgröße für die Ermittlung der NJAZ ist dabei die Bruttoarbeitszeit, welche sich aus der tariflichen Wochenarbeitszeit einer Vollzeitkraft, ausgedrückt in z.B. 40- oder 38,5-Stunden-Woche, hochrechnen lässt. Anschließend werden die tariflichen und gesetzlichen Minderzeiten davon in Abzug gebracht und eine angemessene Ausfallzeit wg. Arbeitsunfähigkeit berücksichtigt.

Die Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement (www.kgst.de) wird z.B. mit einer NJAZ von 1.574 Stunden in einigen Unterlagen mit Hinweis auf die KGSt-Berichte 7/98, 8/2001 und 6/2002 zitiert, wobei es sich um die „bereinigte Arbeitszeit einer Normalarbeitskraft“ handeln soll. Für die eigenen Zwecke hatte das Land Nordrhein-Westfalen im (Landes-) Rahmenvertrag von 2003 diesen Wert noch einmal um 10 % reduziert für berufsspezifische Minderzeiten; allerdings handelt es sich hierbei um nicht-klientenbezogene, also indirekte Leistungszeiten, die im Hamburger Vergütungsmodell in der Fachleistung wiederum enthalten sind. Davon abgesehen muss man auch berücksichtigen, dass es regionale Unterschiede bei den Feiertagen und nicht zuletzt tarifvertragliche Besonderheiten gibt, welche die NJAZ deutlich verändern können.

Nach einem Beschluss der VK in Hamburg vom 15.6.2007 werden grundsätzlich 1.629,80 Stunden auf Basis der 39-Stunden-Woche als NJAZ anerkannt. Darin enthalten sind 42,94 Ausfalltage bzw. 17,05 % Ausfallquote. Bei einer 38,5-Stunden-Woche gelangt man dagegen zu einer NJAZ von 1.608,50 Stunden. Angeblich sei diese nicht mehr vereinbarungsfähig, aber das kann auch daran liegen, dass die entsprechenden Nachweise der Sozialbehörde noch vorzulegen sind. Einen solchen Nachweis bietet in erster Linie der Tarifvertrag an, entsprechende aussagekräftige, nachvollziehbare Statistiken können hier unterstützend wirken.

Übrigens sind Platzkapazität und Auslastungsgrad mit dem neuen Vergütungssystem kein Thema mehr. Wer in der seinerzeitigen Datenerhebung eine Unterauslastung mitgeteilt hatte oder, noch schlimmer, im Vertrauen auf mögliche Neuzugänge einen höheren Personalstand meldete, für den ist der Auslastungsgrad jetzt ein Thema. Ein Ansatzpunkt könnte hier die Vereinbarung über das anstehende Verfahren zwischen den Leistungserbringern und dem Leistungsträger sein. Wenn wesentliche Abweichungen zwischen den seinerzeit gemeldeten Daten und dem aktuellen Stand bestehen, könnte eine Berücksichtigung in gewisser Weise stattfinden. Zu Gute sollte kommen, dass die „Wesentlichkeit“ im letzten VK-Beschluss aus 2014 nicht weiter definiert worden war.


Einhaltung von Haushaltsvorgaben

Das zweite Ziel, die Einhaltung der Haushaltsvorgaben, machte es erforderlich, dass vom Leistungsträger zuallererst einmal in Erfahrung gebracht werden musste, wie hoch das bisherige Budget für diesen Leistungsbereich ausfiel – aufgeteilt in die Kategorien: Personalkosten pro Vollzeitstelle, Lebensmittel und Sachkosten. Im Jahr 2013 fand eine erste Datenerhebung statt. Da allerdings einige Träger von Einrichtungen, sich schlichtweg weigerten ihre Daten offenzulegen, und viele andere die Fragestellungen missverstanden, erbrachte die Auswertung keine klaren Antworten. Stattdessen zeigten sich eklatante Unterschiede. Mit einer erneuten Datenerhebung zum Stichtag 1.1.2014 sollte von daher die Grundlage für das neue Kalkulationsverfahren gelegt werden.

Weil der entsprechende Haushaltstitel die „Deckelung“ ausmachte und auf keinen Fall überschritten werden durfte, mussten sich alle anderen Positionen dem unterordnen. Das machte es wiederum erforderlich, dass eine Leistungsposition (oder Kategorie innerhalb des Budgets, sozusagen) je nach Verhandlungsfortschritt anzupassen war.

Statt die Formel „ax + b = c“ zu schreiben (mit „c“ für Gesamtbudget), drehte man einfach die Formel um und löste nach „b“ auf.

Egal was die weiteren Verhandlungen erbringen würden, z.B. Versuche von Leistungsausweitungen, der Haushalt würde niemals überschritten werden können. Solche Versuche gab es, liefen aber systembedingt ins Leere; besonders ein Versuch in der sprichwörtlich letzten Minute scheiterte kläglich.


Sicherung der Betreuungsleistung

Das dritte Ziel, nämlich die Sicherung der Betreuungsleistung, ist die sprichwörtliche Krönung des neuen Leistungs- und Vergütungssystems. Denn durch die höchstrichterliche Vorgabe, dass Tarifverträge als „wirtschaftlich und sparsam“ anzusehen sind, hätte in zukünftigen Schiedsstellen- und Sozialgerichtsverfahren bei einigen Trägern von Einrichtungen eine Anhebung der Vergütungen um zweistellige Prozentsätze stattfinden müssen. Von daher musste das neue System diesem Umstand Rechnung tragen.

Dadurch, dass man frühzeitig die Anzahl der Stellen und die durchschnittlichen Personalkosten pro Vollzeitstelle kannte, konnte man den Trägern zusichern, dass die Stellen für das Betreuungspersonal wie auch die darauf entfallenden Personalkosten im neuen Vergütungssystem refinanziert werden würden. Für alle übrigen Stellen, wie z.B. die Verwaltungskräfte, gab es eine solche Zusicherung nicht. Indem man die bekannten Stellen mit den jeweiligen Personalkosten hochrechnete zu einem Personalkostenbudget (innerhalb des Gesamtbudgets), musste man nur noch den Rest „wie auch immer“ verteilen.

Der Rest teilte sich dann weiter auf in einen Anteil für die Lebenshaltungskosten der einzelnen Bewohner in stationären Einrichtungen (d.h. Regelbedarfsstufe 3 und Betriebskosten-Warm), damit auch die Bedürfnisse der leistungsberechtigten Menschen abgedeckt waren, sowie einen Anteil für die sonstigen Personal-, Verwaltungs- und Sachkosten. Dass es gerade bei letztem Punkt zu teilweise herben Einschnitten bei den Leistungserbringern gekommen ist, kann als Opfer angesehen werden.

Aufgrund dieser Differenzierung haben diejenigen Leistungserbringer einen Vorteil, deren Personalkosten beispielsweise unterhalb des Durchschnitts aller Einrichtungen innerhalb eines Tarifes liegen. Die teuren Träger müssen zusehen, dass sie ihr Personal fluktuieren lassen, die Fachkraftquote abbauen oder sogar Stellen abbauen. Doch gerade letzter Punkt lässt sich nur unter Beachtung des notwendigen Stundenkontingents aus der Summe der Stundebemessung pro Leistungsstufe und der jeweiligen Belegung umsetzen.

Die Stundenbemessung pro Leistungsstufe erfolgte nicht aufgrund einer analytischen, statistischen oder bedarfsorientierten Maßnahme, sondern rein aus kalkulatorischen Gründen. Die am Stichtag 1.1.2014 erhobenen Belegungsdaten wurden quasi 1:1 umgesetzt in Leistungsstufen – Ausnahme: HEG 1 / HBG 1 werden nunmehr „zwangsambulantisiert“. Mit den bekannten Stellen und der festgelegten NJAZ (siehe oben) wurde ein Stundenkontingent ermittelt, welches sich dann im Wege einer händischen Verteilung um die mittlere Leistungsstufe 2 (vormals HEG 3 / HBG 3) verteilte. Am Ende der Verteilung gab es nur noch kleine Reste an nicht verteilten Stunden oder ein leichter Überhang.

Da Stunden faktisch gleichzusetzen sind mit Stellen für das Betreuungspersonal, ist in der Gesamtschau die Betreuungsleistung gesichert – denn es wird weder an den Personalkosten noch an den Stellen gespart!

Dass die Ergebnisqualität trotzdem leiden wird, hängt damit zusammen, dass diese Verteilung für alle Leistungserbringer gleich ist. Früher gab es noch genau definierte Stellen pro Einrichtung, manchmal sogar ein Stellenschlüssel. Doch mit dem neuen System werden trägerseitige Unterschiede abgeschafft. Rechnerisch ergibt sich aufgrund der gemeldeten Leistungsberechtigten und Stellen in den Einrichtungen ein Stellenschlüssel von 1:1,7 – es gibt Träger, die noch einen besseren Stellenschlüssel aus früheren Jahren im Einsatz hatten (d.h. niedriger als 1,7), so dass diese Personal und ggf. sogar Strukturen abbauen müssen. Für die Bewohner solcher Träger bedeutet es subjektiv eine Verschlechterung der Betreuungsqualität.


Fazit

Das neue zeitbasierte Kalkulationsverfahren wird Änderungen bedingen. Es gibt Träger von Einrichtungen, die mit erheblichen Fehlbeträgen rechnen müssen. Doch weil es sich um eine Verteilung um einen Durchschnitt handelt, gibt es auch Gewinner. Ob diese nun Stellen aufstocken werden, welche die anderen abgeben müssen – das wird man sehen. Die Erfahrung mit solchen Situationen lehrt, dass solche materiellen Umverteilungen eher zu einem Abbau von Strukturen und Gewinnmitnahmen führen.

Man darf auch gespannt sein, wen es wie (hart) treffen wird. Meine Vermutung ist die, dass besonders die kleinen und bislang günstigsten Träger schwer getroffen werden. Die großen und etwas größeren Träger, also nicht nur diejenigen mit den Rahmenvereinbarungen, werden sich, wenn sie sich nicht vorab schon gut positioniert haben, in den kommenden Jahren einem Strukturwandel unterziehen. Hierzu wäre es dann hilfreich, wenn die bisherigen Differenzierungen zwischen den unterschiedlichsten Leistungsbereichen (d.h. PBW, AWG und Stationäres Wohnen) aufgegeben werden.

Aufgrund einer noch zu vereinbarenden trägerindividuellen Übergangs- bzw. Konvergenzphase könnte einige Träger, besonders diejenigen, die den „Geber-Status“ innehaben, versucht sein, zu fusionieren. Sogenannte Trägerkooperativen / Trägergenossenschaften hat es schon in anderen Bundesländern gegeben, doch solche Modelle gelingen meines Erachtens nur, wenn Synergieeffekte erzielt werden können (z.B. gemeinsame Verwaltungsstrukturen).

Nicht zuletzt stellt sich die Frage, ob es Leistungserbringer geben wird, die zu keinem Ergebnis in den Verhandlungen kommen. Würde die Behörde tatsächlich Leistungsvereinbarungen kündigen?

Was planen die Verbände der Leistungserbringer? Gibt es noch in den kommenden Monaten eine Anhebung der Grund- und Maßnahmepauschalen? Oder wird man die Berechnungsgrundlagen, z.B. die durchschnittlichen Personalkosten oder die Pauschale für Sonstiges Personal & Sachkosten anheben?

Viele Fragen! Für den Moment scheint die Strategie der Stadt Hamburg aufzugehen: Umstellung auf ein stundenbasiertes System, Einhaltung von Haushaltsvorgaben und Sicherung der Betreuungsleistungen.

Damit erfüllt sich der Grundsatz: Alle im System befindlichen Stellen zum Umstellungszeitpunkt, werden erhalten bleiben. Kein Qualitätsverlust in der Betreuung, oder?!

CGS