Sonntag, 18. Februar 2024

Ein vermutlich vorletztes Update zum Streit um die Landesverordnung

Seit Ende 2021 gibt es eine Landesverordnung, die Änderungen am Landesrahmenvertrag vornahm, was zu Klagen der Leistungserbringer führte. Obwohl die Verordnung seit Anfang 2024 außer Kraft ist, bleibt die Frage, wann eine Rechtsverordnung wirksam erlassen werden kann, relevant. Die Kernfrage ist, ob Lücken in einem Rahmenvertrag hinnehmbar sind oder ob eine Landesregierung per Rechtsverordnung eingreifen kann.

Ein Hinweis: 

Es geht um eine Landesverordnung über Inhalte des Rahmenvertrags nach § 131 SGB IX zur Erbringung von Leistungen der Eingliederungshilfe in Schleswig-Holstein. Es handelt sich dabei um eine Rechtsverordnung, die eine Landesregierung gemäß Bundesgesetz erlassen kann, wenn zwischen den auf Landesebene gesetzlich bestellten Trägern der Eingliederungshilfe (Leistungsträger) und den Vereinigungen der Leistungserbringer kein Rahmenvertrag zustande gekommen ist. Im Folgenden werden verwendet die Abkürzungen LandVO für Landesverordnung (= Rechtsverordnung) und LRV für Landesrahmenvertrag (= Rahmenvertrag).

 

Der Werdegang einer Auseinandersetzung

Was bisher passierte:

Am 23.12.2016 verkündete die Bundesregierung ein Bundesteilhabegesetz (abgekürzt BTHG). Mit diesem Änderungsgesetz wurde eine bedeutende Reform in Gang gesetzt, die u.a. die Leistungen der Eingliederungshilfe aus der Sozialhilfe und in das Rehabilitationsrecht) verschob. Darin wurde in einem Paragrafen zum Sozialgesetzbuch Neun § 131 Abs. 4 bestimmt, dass jede Landesregierung die Inhalte eines noch nicht vereinbarten LRVs per Rechtsverordnung regeln kann.

Am 12.8.2019 vereinbarten die Verbände der Leistungserbringer und die Kommunen als Leistungsträger in Schleswig-Holstein einen LRV über die Leistungen der Eingliederungshilfe.

Am 14.12.2021 wurde die LandVO mit Wirkung zum 1.1.2022 erlassen.

Am 26.4.2022 kam es zur ersten Änderung der LandVO. In § 14 Abs. 4 standen nun „5,1 %“ statt der zuvor erlassenen „2,6 %“ für die Steigerung der Vergütungssätze in 2022 bei den Sachkosten.

Im November 2022 gingen zwei Klagen ein beim Sozialgericht.

Am 4.4.2023 gab es eine zweite Änderung der LandVO rückwirkend zum 1.1.2023, in der in § 14 Abs. 6 der Satz 2 gestrichen und ein neuer Absatz 6a eingefügt wurde. Eine Verlängerung des angeblich nicht vorhandenen LRVs bis längstens Ende 2025 kann zwischen den Vertragsparteien vereinbart werden. Die Vergütungen können zudem individuell nach den Grundsätzen des Teil 2 Kapitel 8 SGB IX vereinbart werden, was für die Personalkosten heißen soll, sie wären in Höhe der “bekannt gemachten prozentualen Steigerung” oder “in anderen Fällen” auf höchstens “1,35 %” zu steigern. Die Sachkosten hätten angehoben werden können um höchstens “8,7 %” in 2023, und in 2024 müsste dann Bezug genommen werden auf die Steigerung der Verbraucherpreise laut dem Kieler IfW, was also eine Basiskorrektur bedeutet. Für 2025 wird genauso verfahren – erneut mit einer Bereinigung der Basiswerte. Darüber hinaus wurde ein neuer Absatz 7 eingefügt, mit dem eine Verlängerung der Überleitungvereinbarungen ebenfalls bis Ende 2025 befristet ist.

Am 6.4.2023 äußerte sich die KOSOZ in einer Presseerklärung: „Das Land regelt einen geregelten Zustand – Zum Erlass einer Rechtsverordnung der Landesregierung in der Eingliederungshilfe“

Am 4.12.2023 antwortete die Landesregierung auf eine Kleine Anfrage des Abgeordneten Dr. Heiner Garg (FDP). Unter Nr. 4 bekannte sich die Landesregierung zum Auslaufen der LandVO zum 31.12.2023. Darüber hinaus bestätigte sie, dass selbst bei keinem neuen LRV der bisherige mit Stand vor Inkrafttreten der LandVO fortzusetzen wäre.

Am 31.12.2023 trat die LandVO gem. § 16 zwar außer Kraft, sie wird allerdings nach wie vor als Ergänzung zum bestehenden LRV nach § 131 SGB IX betrachtet.

 

Die Folgen der Auseinandersetzung

In den Verhandlungen zwischen den Leistungserbringern und Leistungsträgern (insb. KOSOZ) im Jahr 2023 gab es wohl auch “Geplänkel” zur Wirksamkeit der LandVO. Nach Ansicht der Leistungserbringer hatte die Landesregierung zum Erlass einer solchen gar keine Ermächtigung gehabt, und sogar von einer Missachtung des Artikel 45 der Landesverfassung war die Rede. Die Leistungsträger behaarten wiederum darauf, dass die LandVO für sie zu beachten wäre, so dass ein Abweichen davon nicht möglich sei. Am Ende wurde dieser Streit verdrängt, um die anderen Streitpunkte zu klären. Und letzten Endes kam es dann zu Kompromissen.

Die Klagen vor den Sozialgerichten wurden bislang weder erörtert noch zurückgenommen. Man wartet ab. Zwischenzeitlich wurde allerdings ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben beim Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V. zu der Frage, ob eine Rechtsverordnung nach § 131 Abs. 4 SGB IX im Falle eines “geltenden” LRV überhaupt wirksam wäre. Wie immer muss man so eine Frage differenziert betrachten bzw. sie auf mögliche andere Fallgestaltungen, wie es in anderen Bundesländern bekannt ist, herunterbrechen (siehe dazu den Stand zur Umsetzung in den einzelnen Bundesländern, Quelle siehe unten).

Ein Gedanken-Spielchen und ein Beispiel:

  • Ein anderer Hinderungsgrund hätte eintreten können, wenn sich ein Vertragspartner geweigert hätte mit seiner Unterschrift.
  • In Berlin hatte man schon am 1.1.2020 das Gesetz zur Umsetzung des BTHG und einen Berliner Rahmenvertrag nach § 131 SGB IX in Kraft gesetzt. Bis Ende 2021 galt noch eine Übergangsregelung, um eine Vergütungsstruktur zu einen. Das war für eine Zeit, wenn nicht sogar bis heute, aber noch nicht passiert – von daher lückenhaft.

Eine Betrachtung der Problematik nur anhand des § 131 Absatz 4 SGB IX ist nicht ausreichend.

 

Bestimmungen zum Abschluss eines Rahmenvertrags

Nach Absatz 1 ist die Vorgabe, dass die Träger der Eingliederungshilfe und die Vereinigungen der Leistungserbringer auf Landesebene “gemeinsam und einheitlich” Rahmenverträge abschließen. Wenn also eine Vertragspartei die Unterschrift verweigern würde, wäre ein LRV nicht effektiv vereinbart worden.

Nach Absatz 2 müssen die Interessenvertretungen der Menschen mit Behinderungen mitwirken bei der Erarbeitung und Beschlussfassung zu den Rahmenverträgen. Dies ist in Schleswig-Holstein so geschehen und beweist, dass es mit den Beteiligungsrechten sehr ernst gemeint wurde vom Bundesgesetzgeber: den Menschen ist Gehör zu verschaffen. Wird das nicht beachtet oder fehlt es daran, wäre ein LRV ebenfalls nicht vereinbart.

Nach Absatz 3 werden bundeseinheitliche Empfehlungen zum Inhalt der auf Landesebene zu schließenden Rahmenverträge erarbeitet von den Vereinigungen der Träger und der Leistungserbringer (Dachverbände). Diese Empfehlungen sind nicht bindend bzw. die dort erarbeiteten Aspekte müssen nicht übernommen werden. Das bedeutet wiederum, dass die Vertragsparteien bewusst von den Empfehlungen abweichen können und damit einen lückenhaften LRV bewusst abschließen dürfen (Abs. 1). 

An dem Punkt stellt sich die Frage, ob ein Rahmenvertrag mit Platzhaltern als “abgeschlossen” anzusehen ist. In Absatz 1 sind sieben Bestimmungen aufgeführt, die von den Vertragsparteien geregelt werden müssen. Ein LRV muss daher alle diese Bestimmungen ansprechen, um wenigstens als “vollständig” angesehen zu werden.

In der zurückliegenden Historie hatten die Rahmenverträge die Aufgabe, eine “notwendige Klärung” der Leistungsbeziehungen herzustellen. Dementsprechend konnten sie durchaus lückenhaft sein, was nicht automatisch zu einer LandVO führen musste. Diese Auffassung hat sich mit dem BTHG aber nicht geändert – im Gegenteil.

Nach Absatz 4 ist eine Landesregierung nur dann ermächtigt, per Rechtsverordnung die Inhalte zu regeln, wenn nicht “innerhalb von sechs Monaten nach schriftlicher Aufforderung [es] zu einem Rahmenvertrag [gekommen ist]”. — Unklar ist, ob mit dem Zustandekommen ein “vollständiger” LRV gemeint ist; also einer, in dem sich alle sieben Bestimmungen aus Absatz 1 wiederfinden.

 

Sperrwirkung eines Rahmenvertrags

Ein Problem befindet sich ganz konkret an dritter Stelle der aufgezählten Bestimmungen: Die Rahmenverträge bestimmen die Höhe der Leistungspauschale nach § 125 Absatz 3 Satz 1 (§ 131 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB IX). Man will damit regeln, dass in den Vergütungsvereinbarungen die Leistungsmerkmale für sogenannte Leistungspauschalen festgelegt werden, aber dass man eine “Höhe” in den LRV aufnehmen will, ist schon sehr merkwürdig, ja derartiges wäre auch nicht Aufgabe eines Vertragswerks. Von daher wird ein LRV immer lückenhaft sein.

Und daraus folgt wiederum, dass Unvollständigkeit kein Argument dafür ist, eine LandVO zu erlassen. Wenn sich die Vertragsparteien zudem willentlich für “Platzhalter” ausgesprochen hatten, siehe auch noch mal oben das Beispiel zu Berlin, um sich die Möglichkeit zum Ausprobieren zu eröffnen (Stichwort: Sozialraumbudgets), wird es keine endgültigen Regelungen geben können.

Das Rechtsgutachten kommt zu dem Ergebnis, dass sich der LRV mit seinen Regelungen durchsetzt. Eine Landesregierung kann zwar dennoch eine Rechtsverordnung erlassen beim Bestehen eines Rahmenvertrags, allenfalls können die Regelungen der LandVO nur dort ansetzen, wo es eindeutige Lücken gibt. Die übrigen Regelungen des LRV entfalten dagegen eine “Sperrwirkung” und hindern die Durchsetzbarkeit der Rechtsverordnung.

Bleibt somit am Ende nur noch die Frage, was für eine Bedeutung die letzte Änderung der LandVO hat, wenn sie doch jetzt nicht mehr rechtskräftig ist. Hätte es im Jahr 2023 schon Vereinbarungen gegeben, die sich auf die Zeiträume 2024 und 2025 erstrecken, könnte ein Nachwirken hinsichtlich der Basiswerte zu den Sachkosten angenommen werden. Sofern aber die Verhandlungen zu den Vergütungen erst in 2024 aufgenommen werden, hätten diese Regelungen allenfalls einen “Orientierungs-Charakter” – mehr nicht.

CGS

 

 

Quellen:

Umsetzungsbegleitung BTHG

Umsetzungsstand in den Ländern, Ausführungsgesetze und Landesrahmenverträge nach § 131 SGB IX

 

Beitrag vom 11.12.2021: Was in der Landesverordnung von Schleswig-Holstein zu finden ist

Beitrag vom 15.12.2021: Was in der Landesverordnung von Schleswig-Holstein zu finden ist – Nachtrag

Beitrag vom 4.11.2022: Die Landesverordnung von Schleswig-Holstein geht vor Gericht

Beitrag vom 22.5.2023: Ein Update zum Streit um die Landesverordnung

 

Landesregierung SH

Gesetz- und Verordnungsblatt für Schleswig-Holstein

Im Gesetz- und Verordnungsblatt für Schleswig-Holstein (GVOBl Schl.-H.) werden die vom Landtag beschlossenen Gesetze und die von der Landesregierung und den Ministerien erlassenen Verordnungen verkündet. Mit dem Gesetz zur Änderung der Verfassung des Landes Schleswig-Holstein vom 12. November 2014 wurde beschlossen (Artikel 46 Absatz 3), dass das Gesetz- und Verordnungsblatt unmittelbar nach der Verkündung auch elektronisch über das Medium Internet veröffentlicht werden soll. Das Gesetz- und Verordnungsblatt erscheint in der Regel einmal monatlich. Nachfolgend finden Sie das Gesetz- und Verordnungsblatt für Schleswig-Holstein beginnend mit Ausgabe Nr. 12 vom 27. November 2014.

 

letzter Aufruf aller Quellen am 16.2.2024

 

 

Bild zum Beitrag vom BING Image Creator erzeugt.

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Ein vermutlich vorletztes Update zum Streit um die Landesverordnung