Seit Ende 2021 gibt
es eine Landesverordnung, die Änderungen am Landesrahmenvertrag vornahm, was zu
Klagen der Leistungserbringer führte. Obwohl die Verordnung seit Anfang 2024 außer
Kraft ist, bleibt die Frage, wann eine Rechtsverordnung wirksam erlassen werden
kann, relevant. Die Kernfrage ist, ob Lücken in einem Rahmenvertrag hinnehmbar
sind oder ob eine Landesregierung per Rechtsverordnung eingreifen kann.
Ein Hinweis:
Es
geht um eine Landesverordnung über Inhalte des Rahmenvertrags nach § 131 SGB IX
zur Erbringung von Leistungen der Eingliederungshilfe in Schleswig-Holstein. Es
handelt sich dabei um eine Rechtsverordnung, die eine Landesregierung gemäß
Bundesgesetz erlassen kann, wenn zwischen den auf Landesebene gesetzlich
bestellten Trägern der Eingliederungshilfe (Leistungsträger) und den
Vereinigungen der Leistungserbringer kein Rahmenvertrag zustande gekommen ist.
Im Folgenden werden verwendet die Abkürzungen LandVO für Landesverordnung (=
Rechtsverordnung) und LRV für Landesrahmenvertrag (= Rahmenvertrag).
Der Werdegang einer Auseinandersetzung
Was bisher passierte:
Am 23.12.2016 verkündete die Bundesregierung ein
Bundesteilhabegesetz (abgekürzt BTHG). Mit diesem Änderungsgesetz wurde eine
bedeutende Reform in Gang gesetzt, die u.a. die Leistungen der
Eingliederungshilfe aus der Sozialhilfe und in das Rehabilitationsrecht)
verschob. Darin wurde in einem Paragrafen zum Sozialgesetzbuch Neun § 131 Abs.
4 bestimmt, dass jede Landesregierung die Inhalte eines noch nicht vereinbarten
LRVs per Rechtsverordnung regeln kann.
Am 12.8.2019 vereinbarten die Verbände der
Leistungserbringer und die Kommunen als Leistungsträger in Schleswig-Holstein
einen LRV über die Leistungen der Eingliederungshilfe.
Am 14.12.2021 wurde die LandVO mit Wirkung zum 1.1.2022
erlassen.
Am 26.4.2022 kam es zur ersten Änderung der LandVO. In § 14
Abs. 4 standen nun „5,1 %“ statt der zuvor erlassenen „2,6 %“ für die
Steigerung der Vergütungssätze in 2022 bei den Sachkosten.
Im November 2022 gingen zwei Klagen ein beim Sozialgericht.
Am 4.4.2023 gab es eine zweite Änderung der LandVO rückwirkend
zum 1.1.2023, in der in § 14 Abs. 6 der Satz 2 gestrichen und ein neuer Absatz
6a eingefügt wurde. Eine Verlängerung des angeblich nicht vorhandenen LRVs bis
längstens Ende 2025 kann zwischen den Vertragsparteien vereinbart werden. Die
Vergütungen können zudem individuell nach den Grundsätzen des Teil 2 Kapitel 8
SGB IX vereinbart werden, was für die Personalkosten heißen soll, sie wären in
Höhe der “bekannt gemachten prozentualen Steigerung” oder “in anderen Fällen”
auf höchstens “1,35 %” zu steigern. Die Sachkosten hätten angehoben werden können
um höchstens “8,7 %” in 2023, und in 2024 müsste dann Bezug genommen werden auf
die Steigerung der Verbraucherpreise laut dem Kieler IfW, was also eine
Basiskorrektur bedeutet. Für 2025 wird genauso verfahren – erneut mit einer
Bereinigung der Basiswerte. Darüber hinaus wurde ein neuer Absatz 7 eingefügt,
mit dem eine Verlängerung der Überleitungvereinbarungen ebenfalls bis Ende 2025
befristet ist.
Am 6.4.2023 äußerte sich die KOSOZ in einer Presseerklärung:
„Das Land regelt einen geregelten Zustand – Zum Erlass einer Rechtsverordnung
der Landesregierung in der Eingliederungshilfe“
Am 4.12.2023 antwortete die Landesregierung auf eine Kleine
Anfrage des Abgeordneten Dr. Heiner Garg (FDP). Unter Nr. 4 bekannte sich die
Landesregierung zum Auslaufen der LandVO zum 31.12.2023. Darüber hinaus bestätigte
sie, dass selbst bei keinem neuen LRV der bisherige mit Stand vor Inkrafttreten
der LandVO fortzusetzen wäre.
Am 31.12.2023 trat die LandVO gem. § 16 zwar außer Kraft,
sie wird allerdings nach wie vor als Ergänzung zum bestehenden LRV nach § 131
SGB IX betrachtet.
Die Folgen der Auseinandersetzung
In den Verhandlungen zwischen den Leistungserbringern und
Leistungsträgern (insb. KOSOZ) im Jahr 2023 gab es wohl auch “Geplänkel” zur
Wirksamkeit der LandVO. Nach Ansicht der Leistungserbringer hatte die
Landesregierung zum Erlass einer solchen gar keine Ermächtigung gehabt, und
sogar von einer Missachtung des Artikel 45 der Landesverfassung war die Rede.
Die Leistungsträger behaarten wiederum darauf, dass die LandVO für sie zu
beachten wäre, so dass ein Abweichen davon nicht möglich sei. Am Ende wurde
dieser Streit verdrängt, um die anderen Streitpunkte zu klären. Und letzten
Endes kam es dann zu Kompromissen.
Die Klagen vor den Sozialgerichten wurden bislang weder erörtert
noch zurückgenommen. Man wartet ab. Zwischenzeitlich wurde allerdings ein
Rechtsgutachten in Auftrag gegeben beim Deutschen Verein für öffentliche und
private Fürsorge e.V. zu der Frage, ob eine Rechtsverordnung nach § 131 Abs. 4
SGB IX im Falle eines “geltenden” LRV überhaupt wirksam wäre. Wie immer muss
man so eine Frage differenziert betrachten bzw. sie auf mögliche andere
Fallgestaltungen, wie es in anderen Bundesländern bekannt ist, herunterbrechen
(siehe dazu den Stand zur Umsetzung in den einzelnen Bundesländern, Quelle
siehe unten).
Ein Gedanken-Spielchen und ein Beispiel:
- Ein anderer Hinderungsgrund hätte eintreten können, wenn sich ein Vertragspartner geweigert hätte mit seiner Unterschrift.
- In Berlin hatte man schon am 1.1.2020 das Gesetz zur Umsetzung des BTHG und einen Berliner Rahmenvertrag nach § 131 SGB IX in Kraft gesetzt. Bis Ende 2021 galt noch eine Übergangsregelung, um eine Vergütungsstruktur zu einen. Das war für eine Zeit, wenn nicht sogar bis heute, aber noch nicht passiert – von daher lückenhaft.
Eine Betrachtung der Problematik nur anhand des § 131 Absatz
4 SGB IX ist nicht ausreichend.
Bestimmungen zum Abschluss eines Rahmenvertrags
Nach Absatz 1 ist die Vorgabe, dass die Träger der
Eingliederungshilfe und die Vereinigungen der Leistungserbringer auf
Landesebene “gemeinsam und einheitlich” Rahmenverträge abschließen. Wenn also
eine Vertragspartei die Unterschrift verweigern würde, wäre ein LRV nicht
effektiv vereinbart worden.
Nach Absatz 2 müssen die Interessenvertretungen der Menschen
mit Behinderungen mitwirken bei der Erarbeitung und Beschlussfassung zu den
Rahmenverträgen. Dies ist in Schleswig-Holstein so geschehen und beweist, dass
es mit den Beteiligungsrechten sehr ernst gemeint wurde vom Bundesgesetzgeber:
den Menschen ist Gehör zu verschaffen. Wird das nicht beachtet oder fehlt es
daran, wäre ein LRV ebenfalls nicht vereinbart.
Nach Absatz 3 werden bundeseinheitliche Empfehlungen zum
Inhalt der auf Landesebene zu schließenden Rahmenverträge erarbeitet von den
Vereinigungen der Träger und der Leistungserbringer (Dachverbände). Diese Empfehlungen
sind nicht bindend bzw. die dort erarbeiteten Aspekte müssen nicht übernommen
werden. Das bedeutet wiederum, dass die Vertragsparteien bewusst von den
Empfehlungen abweichen können und damit einen lückenhaften LRV bewusst abschließen
dürfen (Abs. 1).
An dem Punkt stellt sich die Frage, ob ein Rahmenvertrag mit
Platzhaltern als “abgeschlossen” anzusehen ist. In Absatz 1 sind sieben
Bestimmungen aufgeführt, die von den Vertragsparteien geregelt werden müssen.
Ein LRV muss daher alle diese Bestimmungen ansprechen, um wenigstens als “vollständig”
angesehen zu werden.
In der zurückliegenden Historie hatten die Rahmenverträge
die Aufgabe, eine “notwendige Klärung” der Leistungsbeziehungen herzustellen.
Dementsprechend konnten sie durchaus lückenhaft sein, was nicht automatisch zu
einer LandVO führen musste. Diese Auffassung hat sich mit dem BTHG aber nicht
geändert – im Gegenteil.
Nach Absatz 4 ist eine Landesregierung nur dann ermächtigt,
per Rechtsverordnung die Inhalte zu regeln, wenn nicht “innerhalb von sechs
Monaten nach schriftlicher Aufforderung [es] zu einem Rahmenvertrag [gekommen
ist]”. — Unklar ist, ob mit dem Zustandekommen ein “vollständiger” LRV gemeint
ist; also einer, in dem sich alle sieben Bestimmungen aus Absatz 1
wiederfinden.
Sperrwirkung eines Rahmenvertrags
Ein Problem befindet sich ganz konkret an dritter Stelle der
aufgezählten Bestimmungen: Die Rahmenverträge bestimmen die Höhe der
Leistungspauschale nach § 125 Absatz 3 Satz 1 (§ 131 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB IX).
Man will damit regeln, dass in den Vergütungsvereinbarungen die
Leistungsmerkmale für sogenannte Leistungspauschalen festgelegt werden, aber
dass man eine “Höhe” in den LRV aufnehmen will, ist schon sehr merkwürdig, ja
derartiges wäre auch nicht Aufgabe eines Vertragswerks. Von daher wird ein LRV
immer lückenhaft sein.
Und daraus folgt wiederum, dass Unvollständigkeit kein
Argument dafür ist, eine LandVO zu erlassen. Wenn sich die Vertragsparteien
zudem willentlich für “Platzhalter” ausgesprochen hatten, siehe auch noch mal
oben das Beispiel zu Berlin, um sich die Möglichkeit zum Ausprobieren zu eröffnen
(Stichwort: Sozialraumbudgets), wird es keine endgültigen Regelungen geben können.
Das Rechtsgutachten kommt zu dem Ergebnis, dass sich der LRV
mit seinen Regelungen durchsetzt. Eine Landesregierung kann zwar dennoch eine
Rechtsverordnung erlassen beim Bestehen eines Rahmenvertrags, allenfalls können
die Regelungen der LandVO nur dort ansetzen, wo es eindeutige Lücken gibt. Die übrigen
Regelungen des LRV entfalten dagegen eine “Sperrwirkung” und hindern die
Durchsetzbarkeit der Rechtsverordnung.
Bleibt somit am Ende nur noch die Frage, was für eine
Bedeutung die letzte Änderung der LandVO hat, wenn sie doch jetzt nicht mehr
rechtskräftig ist. Hätte es im Jahr 2023 schon Vereinbarungen gegeben, die sich
auf die Zeiträume 2024 und 2025 erstrecken, könnte ein Nachwirken hinsichtlich
der Basiswerte zu den Sachkosten angenommen werden. Sofern aber die
Verhandlungen zu den Vergütungen erst in 2024 aufgenommen werden, hätten diese
Regelungen allenfalls einen “Orientierungs-Charakter” – mehr nicht.
CGS
Quellen:
Umsetzungsbegleitung BTHG
Umsetzungsstand in den Ländern, Ausführungsgesetze und Landesrahmenverträge nach § 131 SGB IX
Beitrag vom 11.12.2021: Was in der Landesverordnung von Schleswig-Holstein zu finden ist
Beitrag vom 15.12.2021: Was in der Landesverordnung von Schleswig-Holstein zu finden ist – Nachtrag
Beitrag vom 4.11.2022: Die Landesverordnung von Schleswig-Holstein geht vor Gericht
Beitrag vom 22.5.2023: Ein Update zum Streit um die Landesverordnung
Landesregierung SH
Gesetz- und Verordnungsblatt für Schleswig-Holstein
Im Gesetz- und Verordnungsblatt für Schleswig-Holstein
(GVOBl Schl.-H.) werden die vom Landtag beschlossenen Gesetze und die von der
Landesregierung und den Ministerien erlassenen Verordnungen verkündet. Mit dem
Gesetz zur Änderung der Verfassung des Landes Schleswig-Holstein vom 12.
November 2014 wurde beschlossen (Artikel 46 Absatz 3), dass das Gesetz- und
Verordnungsblatt unmittelbar nach der Verkündung auch elektronisch über das
Medium Internet veröffentlicht werden soll. Das Gesetz- und Verordnungsblatt
erscheint in der Regel einmal monatlich. Nachfolgend finden Sie das Gesetz- und
Verordnungsblatt für Schleswig-Holstein beginnend mit Ausgabe Nr. 12 vom 27.
November 2014.
letzter Aufruf aller Quellen am 16.2.2024
Bild zum Beitrag vom BING Image Creator erzeugt.
Das hier ist keine Rechtsberatung oder Aufforderung zur
Vornahme eines Rechtsgeschäftes. Der Beitrag stellt nur meine Sicht auf die
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Ein vermutlich vorletztes Update zum
Streit um die Landesverordnung