Montag, 22. Mai 2023

Ein Update zum Streit um die Landesverordnung

In den letzten Monaten des Jahres 2022 reichten mehrere Verbände der sozialen Leistungserbringer in Schleswig-Holstein Klage bei Sozialgerichten ein gegen eine Landesverordnung (LandVO). Seitdem gab es nichts weiter zu berichten. Nun bekommt die Sache eine neue Facette, weil sich auch die Seite der Leistungsträger (insb. Städteverband und Landkreise) mit der Frage beschäftigt, Klage zu erheben. Nochmal zur Erinnerung: Die LandVO trat zu einem Zeitpunkt in Kraft, als es bereits einen gültigen Landesrahmenvertrag (LRV) nach § 131 SGB IX gab.

Nun aber formiert sich ein breiterer Widerstand – sozusagen über alle Fraktionen hinweg.




Eine Auseinandersetzung bei den Leistungsträgern

Die Koordinierungsstelle soziale Hilfen der schleswig-holsteinischen Kreise AöR (KOSOZ) gab am 6.4.2023 bekannt, dass zwischen dem Land, den Kommunen und den kreisfreien Städten über die Finanzierung der Eingliederungshilfe keine Verständigung erreicht werden konnte. Die KOSOZ hatte bereits mit mehreren Leistungserbringern neue Vereinbarungen getroffen, um eine Sicherstellung der benötigten Hilfen an Menschen mit Behinderungen zu erreichen. Weil aber noch mit sehr vielen anderen sozialen Unternehmen verhandelt werden musste, es also mehr Zeit bedurfte, wollte man die Übergangsmöglichkeiten seit Inkrafttreten des neuen Landesrahmenvertrags (LRV) weiter nutzen. Ein weiteres Problem ergab sich zudem mit der allgemeinen Inflationsentwicklung im letzten Jahr sowie den ziemlich hohen (TVÖD)-Tarifabschlüssen. Vereinbarungen mal-eben-so konnte man damit nicht mehr zustande bekommen – die Leistungserbringer verlangten auskömmliche Steigerungen der Vergütungssätze.

Vertragspartner sind bei alledem die Kreise und kreisfreien Städte als Leistungsträger sowie die Verbände der sozialen Leistungserbringer in Schleswig-Holstein. Weil nun einmal die Leistungsträger die Kosten tragen müssen, verhandeln sie entweder direkt oder über die KOSOZ mit den Leistungserbringern. Das Land wäre an der Stelle nun mal raus; warum es eine Rechtsverordnung erlassen hatte, verwundert so ziemlich jeden. Eine Rechtsverordnung hätte es gebraucht, wenn die Beteiligten Parteien einen LRV nicht fertiggebracht hätten. Und weil es die Beteiligten so bestimmt hatten, würde bei einem Auslaufen des jetzigen Rahmenvertrags dieser bis zum Inkrafttreten des neuen LRV fortgelten (§ 38 Abs. 2).

In 2024 soll es wohl einen neuen geben (Pressemitteilung der KOSOZ vom 6.4.2023), aber das würde, wenn das wirklich so stimmt, an den bisherigen Regelungen vorerst nichts ändern. Die LandVO, die man in 2022 verkündete, hat damit also nichts zu tun. Was aber die Auseinandersetzung anfeuerte, war die Initiative der KOSOZ, übergangsweise eine allgemeine Fortschreibung der Vergütungen mit den Leistungserbringern zu erreichen, in der auch die Kosteneffekte des Vorjahres Berücksichtigung fanden. Für die kreisfreien Städte, wie zum Beispiel die Landeshauptstadt Kiel, ging das ganz und gar nicht: Vergütungen sind immer nur prospektiv / zukünftig und dürfen keine vergangenen Kostensteigerungen beinhalten (vgl. § 123 Abs. 2 S. 3 SGB IX, Prospektivität-Grundsatz).


… darauf folgt Zurückhaltung bei den Leistungserbringern

Dort, wo man sich sperrt, verzögern sich allgemein die Verhandlungen. Leistungserbringer beklagen, dass nichts vorangeht und damit die Hilfen für behinderte Menschen ins Stocken geraten. Weder in direkten Verhandlungen beispielsweise zu ganz bestimmten Wohnprojekten, noch in den einzelnen Arbeitsgruppen auf Verbandsebene kann etwas erreicht werden. Und dabei gibt es eine große Liste an Fragen, die zu klären gewesen wären (Stichwort: Personalschlüssel für bestimmte Bereiche). Die Landesregierung mag mit ihrer LandVO einige „Pflöcke“ eingerammt haben, doch vertragswirksam sind diese Dinge nicht beschlossen worden. Gesprächsbereit wollen alle natürlich sein. Aber die ersten Ansätze zu einem Stillstand in den verschiedenen Arbeitsgruppen deuten sich an.

Die Leistungserbringer haben mit ihren Verbänden jedenfalls den Gerichtsweg beschritten, um die LandVO zu kippen. Ein Verband der Leistungsträger würde das wohl auch gerne unternehmen. Und dann?

Es wäre nicht das erste Mal im „schönsten Bundesland der Welt“, wenn eine Rechtsverordnung gerichtlich gekippt wird. Zwar könnte der Gesetzgeber eine weitere Änderung vornehmen und verschiedene Problem-Passagen streichen, im Grundsatz würde sich aber diese Angelegenheit damit nicht stilllegen lassen. Die Kläger versuchen, die Wirksamkeit der LandVO zu beseitigen und damit die allgemeine Rechtslage zu ändern. Das würde zwar keine Auswirkungen auf bereits vereinbarte Leistungen und ihre Vergütungen haben, dann würde wieder mehr Gewicht auf die Arbeitsgruppen und die Reihe der offenen Fragen gelegt werden.

Wenn das Land dem zuvorkommen möchte und von sich aus die LandVO „schreddert“ (unbekanntes Zitat), könnten die Kläger ihr berechtigtes Interesse an einer Fortsetzung vorbringen, um die grundsätzliche Rechtswidrigkeit feststellen zu lassen (vgl. dazu auch: von der Anfechtungsklage zur Fortsetzungsfeststellungsklage; § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO) . So richtig zurückhaltend wird es ganz bestimmt nicht werden, ist meine Vermutung. Dafür haben sich nun zu viele Akteure positioniert.

CGS

 

 

Quellen:

Presseerklärung der KOSOZ vom 6.4.2023:

„Das Land regelt einen geregelten Zustand – Zum Erlass einer Rechtsverordnung der Landesregierung in der Eingliederungshilfe“

(letzter Aufruf vom 20.5.2023)

 

Früherer Beitrag von mir weiteren Verweisen vom 4.11.2022.

 

Was bisher passierte:

·        Am 23.12.2016 verkündete die Bundesregierung ein Bundesteilhabegesetz (abgekürzt BTHG). Mit diesem Änderungsgesetz wurde eine bedeutende Reform in Gang gesetzt, die u.a. die Leistungen der Eingliederungshilfe aus der Sozialhilfe und in das Rehabilitationsrecht) verschob. Darin wurde in einem Paragrafen zum Sozialgesetzbuch Neun § 131 Abs. 4 bestimmt, dass jede Landesregierung die Inhalte eines noch nicht vereinbarten Landesrahmenvertrags per Rechtsverordnung regeln kann.

·        Am 12.8.2019 hatten die Verbände der Leistungserbringer und die Kommunen als Leistungsträger in Schleswig-Holstein einen Landesrahmenvertrag über die Leistungen der Eingliederungshilfe vereinbart bekommen (nachfolgend schlicht Rahmenvertrag, in manchen Texten auch mit LRV-SH abgekürzt).

·        Am 14.12.2021 wurde die LandVO mit Wirkung zum 1.1.2022 erlassen.

·        Am 26.4.2022 wird eine erste Änderung der LandVO verkündet. In § 14 Abs. 4 stehen „5,1 %“ statt der zuvor erlassenen „2,6 %“ für die Steigerung der Vergütungssätze in 2022 bei den Sachkosten.

·        November 2022 gehen zwei Klagen vor das Sozialgericht.

 

Das hier ist keine Rechtsberatung oder Aufforderung zur Vornahme eines Rechtsgeschäftes. Der Beitrag stellt nur meine Sicht auf die Dinge dar. Und eine solche Sicht kann sich immer noch ändern. Brauchen Sie rechtliche Unterstützung, wenden Sie sich an die zuständigen Behörden, Sozial- und Betroffenenverbände oder rechtskundige Dritte. Lesen Sie bitte ebenfalls die Hinweise zum Rechtsstatus der Webseite, Urheberrechtsbestimmungen und Haftungsausschluss sowie die Datenschutzerklärung.

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