Montag, 25. August 2014

Widerspruch einlegen

„Wer sich wehrt, kann verlieren. Wer sich nicht wehrt, hat schon verloren.“

Fehlerhafte Bescheide sind keine Seltenheit. Darum sollte unverzüglich, noch innerhalb eines Monats nach Eingang der Bescheid einer inhaltlichen Prüfung vorgenommen werden. Ein bereits beschriebener Prüfungspunkt ist die Frage der Zuständigkeit des ablehnenden Sozialhilfe- oder Rehabilitationsträgers (vgl. meinen Beitrag vom 22.7.2014). Weiterer Prüfungspunkt ist z.B. inwiefern der Bescheid sich auf den Antrag bezieht – es ist durchaus möglich, dass der Bescheid überhaupt keinen Bezug hat zum Antrag und somit etwas ablehnt, was nicht beantragt worden ist. Oder es fehlt dem Ablehnungsbescheid eine schriftliche Rechtsmittelbelehrung. Dann beträgt die Frist nicht mehr nur einen Monat, sondern ein ganzes Jahr.

Ein Widerspruch kann persönlich und vor Ort zu Protokoll gegeben werden. Ansonsten muss der Antragssteller beweisen, dass der Widerspruch fristgerecht eingegangen ist beim Sozialhilfe- bzw. Rehabilitationsträger. Als Einschreiben mit Rückschein gelingt eine solche Beweisführung, ein Fax-Log reicht dagegen nicht aus.

Der Widerspruch besteht inhaltlich aus fünf Teilen, wobei die Begründung für den Widerspruch auch nach Fristablauf nachgeliefert werden kann.

1.       Bezug auf den Antrag („Unser Antrag vom …“)
2.       Bezug auf den Ablehnungsbescheid („Ihr Bescheid vom ….“)
3.       Ggf. in wessen Namen der Widerspruch erfolgt (z.B. als rechtlicher Betreuer von…)
4.       Die Formulierung: „Ich widerspreche…“
5.       Die Gründe

Die Gründe für den Widerspruch müssen sich auf die Fehler im Bescheid beziehen oder, wenn die Umstände des Einzelfalls, nicht ausreichend gewürdigt worden sind. Da der Sozialhilfe- bzw. Rehabilitationsträger ein Ermessen ausüben muss, hat der Antragssteller alle Unterlagen und Nachweise beizubringen, die für die Entscheidung maßgeblich sind. Mit anderen Worten: Der Antragssteller hat eine Mitwirkungspflicht nach § 9 SGB I und §§ 60 ff. SGB I.

Muster-Widersprüche sind immer nur bedingt einsetzbar, da, wie zuvor gesagt, die Umstände des Einzelfalls von Bedeutung sind:

§ 9 SGB I, Sozialhilfe

Wer nicht in der Lage ist, aus eigenen Kräften seinen Lebensunterhalt zu bestreiten oder in besonderen Lebenslagen sich selbst zu helfen, und auch von anderer Seite keine ausreichende Hilfe erhält, hat ein Recht auf persönliche und wirtschaftliche Hilfe, die seinem besonderen Bedarf entspricht, ihn zur Selbsthilfe befähigt, die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft ermöglicht und die Führung eines menschenwürdigen Lebens sichert. Hierbei müssen Leistungsberechtigte nach ihren Kräften mitwirken.

§ 9 SGB XII, Sozialhilfe nach der Besonderheit des Einzelfalles

(1) Die Leistungen richten sich nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach der Art des Bedarfs, den örtlichen Verhältnissen, den eigenen Kräften und Mitteln der Person oder des Haushalts bei der Hilfe zum Lebensunterhalt.

(2) Wünschen der Leistungsberechtigten, die sich auf die Gestaltung der Leistung richten, soll entsprochen werden, soweit sie angemessen sind. Wünschen der Leistungsberechtigten, den Bedarf stationär oder teilstationär zu decken, soll nur entsprochen werden, wenn dies nach der Besonderheit des Einzelfalles erforderlich ist, weil anders der Bedarf nicht oder nicht ausreichend gedeckt werden kann und wenn mit der Einrichtung Vereinbarungen nach den Vorschriften des Zehnten Kapitels dieses Buches bestehen. Der Träger der Sozialhilfe soll in der Regel Wünschen nicht entsprechen, deren Erfüllung mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden wäre.

(3) Auf Wunsch der Leistungsberechtigten sollen sie in einer Einrichtung untergebracht werden, in der sie durch Geistliche ihres Bekenntnisses betreut werden können.




CGS

Forderungskataloge zum Bundesteilhabegesetz.

Bisher lautete das vorrangige Ziel, eine finanzielle Entlastung der Kommunen zu bewerkstelligen. Nun melden sich auch andere zu Wort und konkretisieren ihre Vorstellungen an ein neues Gesetz:

-          Reformierung des Begriffs der „Behinderung“ und Abkehr von der bisherigen Defizitorientierung und vom Fürsorge-Gedanken
-          Stärkung des Wunsch- und Wahlrechts behinderter Menschen
-          Einkommens- und Vermögensunabhängige Teilhabeleistung für Bedürftige und Ihre Angehörigen
-          Beibehaltung des individuellen Bedarfsdeckungsprinzips
-          Abbau von Schnittstellenproblemen und Rechtsschutz bei unklaren Zuständigkeiten
-          Stärkung des Rechts auf Beratung, Begleitung und Unterstützung nach § 11 SGB XII
-          Teilhabe ausrichten nach individuellen und sozialräumlichen Bedarfen, Sicherung der Finanzierung von Sozialräumlichen Angeboten

Es gibt Forderungen, die sich inhaltlich überschneiden. Allen gemein ist aber eine konsequente Zugrundelegung der Inklusion, wie sie auch in der UN-BRK definiert ist. Wenn die Bedürftigkeit so verstanden wird, dass man mit der Bedarfsdeckung einen Nachteilsausgleich herstellt, kann eine Gleichstellung effektiv erfolgen.

Ein weiteres Problem stellt die finanzielle Beteiligung der behinderten Menschen selbst sowie ihrer Angehörigen dar. Hier droht ein Armutsrisiko, wenn z.B. Eltern ihre Altersvorsorge abtreten müssen an den Sozialstaat, der dann die Mittel lediglich weitergibt. Behinderung würde zu einem Kostenrisiko verkommen, statt dass die (nicht behinderte) Gesellschaft dazu gebracht wird, Barrieren abzubauen.

Nicht zuletzt müssen behinderte Menschen in ihren Rechten so gestärkt werden, dass sie ihre Ansprüche sofort durchsetzen können. Ziel sollte vorrangig die sofortige Bedarfsdeckung sein und nicht die Klärung, welcher Sozialhilfeträger Leistungen erbringen muss nach dem Gesetz.

Da aber die Refinanzierung ein großes Problem darstellt, wird sich dies nur dann lösen können, wenn der Gesetzgeber es schafft, neue Einnahmequellen aufzudecken. Hier bieten sich die Sozialversicherungsbeiträge der Arbeitnehmer und Arbeitgeber an, aus denen man Beiträge zur Refinanzierung schöpfen kann. Doch dann wird die Produktivität deutscher Waren und Dienstleistungen im internationalen Wettbewerb geschmälert, so dass man letztlich die Frage diskutieren wird, welchen Anteil übernehmen die Arbeitnehmer mit ihren sozialversicherungspflichtigen Bruttolöhnen?


CGS

Donnerstag, 21. August 2014

Die Kosten der Eingliederungshilfe steigen. Stimmt das?

So könnte man es denken, wenn man die Zahlen liest, die herangezogen werden, um ein neues Gesetzesvorhaben (wie z.B. das erwartete Bundesteilhabegesetz a.k.a. Bundesleistungsgesetz für Menschen mit Behinderung) auf den Weg zu bringen. Da heißt es im Beschluss des Bundesrates auf Seite 3 der Bundesdrucksache 282/12, im Jahr 2000 hätten 414.000 behinderte Menschen Leistungen der Eingliederungshilfe mit einem Ausgabenvolumen von 8.321,6 Mio. EUR erhalten. Im Jahr 2010 waren es dagegen 630.000 Menschen und 12.481,3 Mio. EUR. Somit ist die Personenzahl um 52 % gestiegen, bei den Kosten liegt die Steigerung bei 50 %. Da die Kommunen einen solchen Anstieg der Ausgaben nicht mit dem eigenen Haushalt bewältigen können, ihnen fehlt entsprechendes Steueraufkommen, ist die Verteilung der Lasten auf den Bund natürlich wünschenswert.

Man könnte jetzt vor dem Hintergrund weiter steigender Fallzahlen zu dem Schluss kommen, dass sich die Kosten der Eingliederungshilfe linear verhalten und im Gleichschritt mit den Fallzahlen, d.h. Personenzahlen, steigen werden. Tatsächlich sind die Kosten pro Hilfeberechtigten gesunken:

2000:   8.321.600.000 EUR Kosten zu 414.000 Personen = 20.100 EUR / Person
2010: 12.481.300.000 EUR Kosten zu 630.000 Personen = 19.812 EUR / Person

In dieser Rechnung fehlen aber noch die Anstiege bei den Verbraucherpreisen und den Lohnkosten. Dem Vergleich zwischen 2000 und 2010 fehlt eine Berücksichtigung der Inflation bei den wesentlichen Kostenbestandteilen. Und je nachdem welche Maßnahmen zur Bedarfsdeckung herangezogen werden, ist der Anteil der Sach- und Personalkosten unterschiedlich zu gewichten. Während bei voll- und teilstationären Leistungen der Anteil der Sachkosten noch ca. 30 % ausmachen kann (darin enthalten sind Aufwendungen für Lebensmittel, Verwaltungs-, Wirtschafts- und Raumkosten), beträgt der Anteil der Sachkosten bei den ambulanten Diensten eher 10 % oder sogar noch weniger. Leider ist (an dieser Stelle) nun nicht bekannt, wie stark die ambulanten Leistungen in den letzten Jahren angestiegen sind. Dennoch sollte im Weiteren davon ausgegangen werden, dass die Kostenbestandteile Sach- und Personalkosten unterschiedlich stark angestiegen sind und demzufolge eine Aussage über die möglichen inflationsadjustierten Durchschnittskosten diese unterschiedlichen Entwicklungen berücksichtigen sollte.

Der Verbraucherpreisindex für Deutschland stieg lt. Statistischem Bundesamt im Zeitraum 2000 bis 2010 um rd. 14 % (vgl. nachfolgende Tabelle Verbraucherpreisindex). Ausgehend von den 20.100 EUR / Person im Jahr 2000 würden z.B. 30 % bzw. 6.030 EUR um 14 % auf 7.036 EUR im Jahr 2010 steigen.

Verbraucherpreisindex (inkl. Veränderungsraten):
Deutschland, Jahre
Verbraucherpreisindex für Deutschland
Deutschland
Verbraucherpreisindex insgesamt
Jahr
Verbraucherpreisindex
Veränderung zum Vorjahr
2010=100
in (%)
2000
85,7
1,4
2001
87,4
2
2002
88,6
1,4
2003
89,6
1,1
2004
91
1,6
2005
92,5
1,6
2006
93,9
1,5
2007
96,1
2,3
2008
98,6
2,6
2009
98,9
0,3
2010
100
1,1
__________
(C)opyright Statistisches Bundesamt, Wiesbaden 2014
Stand: 13.03.2014 / 10:44:41

Im gleichen Zeitraum sind dagegen die Lohnkosten für z.B. Beschäftigte im Öffentlichen Dienst um ca. 18 bis 26 % (Erzieher) bzw. 35 bis 45 % (Sozialpädagogen) gestiegen (vgl. untenstehende Vergleichsrechnung auf Grundlage der Tabelle „TVÖD nachgerechnet“ des Netzwerks Verdi, http://www.netzwerk-verdi.de/, Download August 2014). Die Berechnungen des Netzwerks Verdi umfassen leider nicht die Assistenzberufe, d.h. Sozialpädagogische Assistenz, Altenpflegehelfer, Krankenpflegehelfer und Heilerziehungshelfer. Immerhin muss angenommen werden, dass aufgrund von vertraglichen bzw. landesrechtlichen Bestimmungen für verschiedene Maßnahmen unter anderem Nicht-Fachkräfte, d.h. Assistenzberufe und angelernte Mitarbeiter, teilweise zum Einsatz kommen. Trotzdem wird es auch für diese Gruppe von Beschäftigen Gehaltssteigerungen in ähnlicher Höhe gegeben haben, da in den unteren Lohngruppen bei Sockelanhebungen eine höhere relative Steigerung erzielt wurde.

Aus Erhebungen der Hans-Böckler-Stiftung weiß man, dass in tarifgebundenen Betrieben das durchschnittliche Monatseinkommen von Erziehern um 9 % über dem Gehalt  von Beschäftigten in nicht-tarifgebundenen Betrieben liegt. Eine solche Ungleichbehandlung ist zu erwarten und kommt auch in anderen Wirtschaftszweigen vor. Daraus kann allerdings nicht automatisch geschlossen werden, dass eine solche Diskrepanz zwischen tarifgebundenen und nicht-tarifgebundenen Betrieben jährlich zunimmt. Vielmehr müssten Zeitreihen untersucht werden, die eine entsprechende Annahme begründen könnten; solche Auswertungen liegen aber nicht vor.

Es muss darüber hinaus auch berücksichtigt werden, wie hoch die Verteilung zwischen beiden Betriebsgruppen ausfällt. Von 108.000 befragten Erziehern gaben 75 % an, dass ihr Arbeitgeber tarifgebunden sei (vgl. Seite 3, Projekt LohnSpiegel.de – Arbeitspapier 26 vom Juli 2014, WSI in der Hans-Böckler-Stiftung). Man kann schon davon ausgehen, dass zwar das Lohnniveau (beständig?) verschieden ist, allerdings sich die Auswirkungen von Tarifverhandlungen oder gesetzlich bedingten Personalkostensteigerungen im Wesentlichen anhand der bekannten Steigerungsraten orientieren.

Geht man somit von 70 % Personalkosten der oben genannten 20.100 EUR / Person des Jahres 2000 aus, wobei darin auch ein relativ kleiner, aber fixer Anteil von z.B. 1/10 enthalten sein sollte für sonstige Personalnebenkosten, ergibt sich folgende Berechnung bei einem Personalkostenanstieg von z.B. 26 % (Tarif VKA) --  (20.100 EUR x (70 minus 7) % x 1,26) + (20.100 EUR x 7 %) = 17.362 EUR.

Sachkosten von 7.036 EUR plus Personalkosten von 17.362 EUR sollten somit insgesamt 24.398 EUR pro Hilfebedürftigen im Jahr 2010 ergeben – Sollkosten! Tatsächlich liegen die Durchschnittskosten im Jahr 2010, wie man aus der eingangs vorgenommenen Durchschnittsberechnung entnehmen kann, „nur“ bei 19.812 EUR pro Hilfebedürftigen. Die Durchschnittskosten sind also in inflationsadjustierten Werten um 19 % gesunken. Damit ist die Behauptung, die Kosten für Eingliederungshilfe steigen, teilweise widerlegt. Absolut betrachtet stimmt die Aussage, denn die Zuwächse bei den Anspruchsberechtigten korreliert mit der Entwicklung der Gesamtausgaben. Langfristig sollte der Zuwachs, wie bei anderen Populationen, stagnieren, so dass sich hieraus alleine keine Ausgabensteigerungen mehr ergeben.

Was nun die Gründe sind für die geringer ausfallenden Durchschnittskosten, kann an dieser Stelle nur vermutet werden. Ambulante Dienstleistungen sind in den letzten Jahren verstärkt gefördert worden, nicht zuletzt auch weil gerade die Diskussion um die UN-Behindertenrechtskonvention (Stichwort: Inklusion) eine gesellschaftliche Veränderung mit sich bringt.

CGS



PS:

Auf der Webseite von http://www.netzwerk-verdi.de/ findet sich eine Tabelle, in der die Lebenseinkommen von Beschäftigten im Bereich der Tarifsysteme BAT und TVöD vergleicht. Die Vergleichsrechnung ist sehr detailliert erstellt worden und umfasst neben den Tarifsteigerungen auch mögliche Bewährungsaufstiege mit Eintritt in das jeweilige System für eine Vielzahl von Berufsgruppen. Nicht enthalten sind Zulagen und Zuschläge, die in der Regel verdient werden müssen bzw. im direkten Zusammenhang mit der Tätigkeit stehen. Aufgrund der Vielzahl verschiedener Lebenssituationen (z.B. Familienstand, mit/ohne Kinder, Partner im ÖD), sind nicht alle Möglichkeiten ermittelt worden. Trotzdem wird sehr anschaulich die Tarifentwicklung dargestellt.

Die folgenden Daten wurden im August 2014 aus dieser Tabelle extrahiert. Aufgrund eigener Beobachtungen erachte ich diese Daten als durchaus plausibel an.

Tabellen-Nr., Berufsgruppe und Familienstand
Vergleichsentgelt
1/2000
Vergleichsentgelt
12/2010
Abweichung
in %
01a
Sozialpädagoge
Ledig
BAT
Vb / 1 / / 0
2.125 EUR
BAT
IVb / 7 / / 0
2.863 EUR
35 %
01a
Sozialpädagoge
Ledig
TVöD-VKA
EGr 9 / Stufe 1
2.082 EUR
TVöD-VKA
EGr 9 / Stufe 5
3.010 EUR
45 %
08 a
Erzieher
Ledig
BAT
Vc / 21 / / 0
1.927 EUR
BAT
Vb /29 / / 0
2.272 EUR
18 %
08 a
Erzieher
Ledig
TVöD-Bund
EGr 8 / Stufe 1
1.945 EUR
TVöD-Bund
EGr 8 / Stufe 5
2.454 EUR
26 %



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