Donnerstag, 21. August 2014

Die Kosten der Eingliederungshilfe steigen. Stimmt das?

So könnte man es denken, wenn man die Zahlen liest, die herangezogen werden, um ein neues Gesetzesvorhaben (wie z.B. das erwartete Bundesteilhabegesetz a.k.a. Bundesleistungsgesetz für Menschen mit Behinderung) auf den Weg zu bringen. Da heißt es im Beschluss des Bundesrates auf Seite 3 der Bundesdrucksache 282/12, im Jahr 2000 hätten 414.000 behinderte Menschen Leistungen der Eingliederungshilfe mit einem Ausgabenvolumen von 8.321,6 Mio. EUR erhalten. Im Jahr 2010 waren es dagegen 630.000 Menschen und 12.481,3 Mio. EUR. Somit ist die Personenzahl um 52 % gestiegen, bei den Kosten liegt die Steigerung bei 50 %. Da die Kommunen einen solchen Anstieg der Ausgaben nicht mit dem eigenen Haushalt bewältigen können, ihnen fehlt entsprechendes Steueraufkommen, ist die Verteilung der Lasten auf den Bund natürlich wünschenswert.

Man könnte jetzt vor dem Hintergrund weiter steigender Fallzahlen zu dem Schluss kommen, dass sich die Kosten der Eingliederungshilfe linear verhalten und im Gleichschritt mit den Fallzahlen, d.h. Personenzahlen, steigen werden. Tatsächlich sind die Kosten pro Hilfeberechtigten gesunken:

2000:   8.321.600.000 EUR Kosten zu 414.000 Personen = 20.100 EUR / Person
2010: 12.481.300.000 EUR Kosten zu 630.000 Personen = 19.812 EUR / Person

In dieser Rechnung fehlen aber noch die Anstiege bei den Verbraucherpreisen und den Lohnkosten. Dem Vergleich zwischen 2000 und 2010 fehlt eine Berücksichtigung der Inflation bei den wesentlichen Kostenbestandteilen. Und je nachdem welche Maßnahmen zur Bedarfsdeckung herangezogen werden, ist der Anteil der Sach- und Personalkosten unterschiedlich zu gewichten. Während bei voll- und teilstationären Leistungen der Anteil der Sachkosten noch ca. 30 % ausmachen kann (darin enthalten sind Aufwendungen für Lebensmittel, Verwaltungs-, Wirtschafts- und Raumkosten), beträgt der Anteil der Sachkosten bei den ambulanten Diensten eher 10 % oder sogar noch weniger. Leider ist (an dieser Stelle) nun nicht bekannt, wie stark die ambulanten Leistungen in den letzten Jahren angestiegen sind. Dennoch sollte im Weiteren davon ausgegangen werden, dass die Kostenbestandteile Sach- und Personalkosten unterschiedlich stark angestiegen sind und demzufolge eine Aussage über die möglichen inflationsadjustierten Durchschnittskosten diese unterschiedlichen Entwicklungen berücksichtigen sollte.

Der Verbraucherpreisindex für Deutschland stieg lt. Statistischem Bundesamt im Zeitraum 2000 bis 2010 um rd. 14 % (vgl. nachfolgende Tabelle Verbraucherpreisindex). Ausgehend von den 20.100 EUR / Person im Jahr 2000 würden z.B. 30 % bzw. 6.030 EUR um 14 % auf 7.036 EUR im Jahr 2010 steigen.

Verbraucherpreisindex (inkl. Veränderungsraten):
Deutschland, Jahre
Verbraucherpreisindex für Deutschland
Deutschland
Verbraucherpreisindex insgesamt
Jahr
Verbraucherpreisindex
Veränderung zum Vorjahr
2010=100
in (%)
2000
85,7
1,4
2001
87,4
2
2002
88,6
1,4
2003
89,6
1,1
2004
91
1,6
2005
92,5
1,6
2006
93,9
1,5
2007
96,1
2,3
2008
98,6
2,6
2009
98,9
0,3
2010
100
1,1
__________
(C)opyright Statistisches Bundesamt, Wiesbaden 2014
Stand: 13.03.2014 / 10:44:41

Im gleichen Zeitraum sind dagegen die Lohnkosten für z.B. Beschäftigte im Öffentlichen Dienst um ca. 18 bis 26 % (Erzieher) bzw. 35 bis 45 % (Sozialpädagogen) gestiegen (vgl. untenstehende Vergleichsrechnung auf Grundlage der Tabelle „TVÖD nachgerechnet“ des Netzwerks Verdi, http://www.netzwerk-verdi.de/, Download August 2014). Die Berechnungen des Netzwerks Verdi umfassen leider nicht die Assistenzberufe, d.h. Sozialpädagogische Assistenz, Altenpflegehelfer, Krankenpflegehelfer und Heilerziehungshelfer. Immerhin muss angenommen werden, dass aufgrund von vertraglichen bzw. landesrechtlichen Bestimmungen für verschiedene Maßnahmen unter anderem Nicht-Fachkräfte, d.h. Assistenzberufe und angelernte Mitarbeiter, teilweise zum Einsatz kommen. Trotzdem wird es auch für diese Gruppe von Beschäftigen Gehaltssteigerungen in ähnlicher Höhe gegeben haben, da in den unteren Lohngruppen bei Sockelanhebungen eine höhere relative Steigerung erzielt wurde.

Aus Erhebungen der Hans-Böckler-Stiftung weiß man, dass in tarifgebundenen Betrieben das durchschnittliche Monatseinkommen von Erziehern um 9 % über dem Gehalt  von Beschäftigten in nicht-tarifgebundenen Betrieben liegt. Eine solche Ungleichbehandlung ist zu erwarten und kommt auch in anderen Wirtschaftszweigen vor. Daraus kann allerdings nicht automatisch geschlossen werden, dass eine solche Diskrepanz zwischen tarifgebundenen und nicht-tarifgebundenen Betrieben jährlich zunimmt. Vielmehr müssten Zeitreihen untersucht werden, die eine entsprechende Annahme begründen könnten; solche Auswertungen liegen aber nicht vor.

Es muss darüber hinaus auch berücksichtigt werden, wie hoch die Verteilung zwischen beiden Betriebsgruppen ausfällt. Von 108.000 befragten Erziehern gaben 75 % an, dass ihr Arbeitgeber tarifgebunden sei (vgl. Seite 3, Projekt LohnSpiegel.de – Arbeitspapier 26 vom Juli 2014, WSI in der Hans-Böckler-Stiftung). Man kann schon davon ausgehen, dass zwar das Lohnniveau (beständig?) verschieden ist, allerdings sich die Auswirkungen von Tarifverhandlungen oder gesetzlich bedingten Personalkostensteigerungen im Wesentlichen anhand der bekannten Steigerungsraten orientieren.

Geht man somit von 70 % Personalkosten der oben genannten 20.100 EUR / Person des Jahres 2000 aus, wobei darin auch ein relativ kleiner, aber fixer Anteil von z.B. 1/10 enthalten sein sollte für sonstige Personalnebenkosten, ergibt sich folgende Berechnung bei einem Personalkostenanstieg von z.B. 26 % (Tarif VKA) --  (20.100 EUR x (70 minus 7) % x 1,26) + (20.100 EUR x 7 %) = 17.362 EUR.

Sachkosten von 7.036 EUR plus Personalkosten von 17.362 EUR sollten somit insgesamt 24.398 EUR pro Hilfebedürftigen im Jahr 2010 ergeben – Sollkosten! Tatsächlich liegen die Durchschnittskosten im Jahr 2010, wie man aus der eingangs vorgenommenen Durchschnittsberechnung entnehmen kann, „nur“ bei 19.812 EUR pro Hilfebedürftigen. Die Durchschnittskosten sind also in inflationsadjustierten Werten um 19 % gesunken. Damit ist die Behauptung, die Kosten für Eingliederungshilfe steigen, teilweise widerlegt. Absolut betrachtet stimmt die Aussage, denn die Zuwächse bei den Anspruchsberechtigten korreliert mit der Entwicklung der Gesamtausgaben. Langfristig sollte der Zuwachs, wie bei anderen Populationen, stagnieren, so dass sich hieraus alleine keine Ausgabensteigerungen mehr ergeben.

Was nun die Gründe sind für die geringer ausfallenden Durchschnittskosten, kann an dieser Stelle nur vermutet werden. Ambulante Dienstleistungen sind in den letzten Jahren verstärkt gefördert worden, nicht zuletzt auch weil gerade die Diskussion um die UN-Behindertenrechtskonvention (Stichwort: Inklusion) eine gesellschaftliche Veränderung mit sich bringt.

CGS



PS:

Auf der Webseite von http://www.netzwerk-verdi.de/ findet sich eine Tabelle, in der die Lebenseinkommen von Beschäftigten im Bereich der Tarifsysteme BAT und TVöD vergleicht. Die Vergleichsrechnung ist sehr detailliert erstellt worden und umfasst neben den Tarifsteigerungen auch mögliche Bewährungsaufstiege mit Eintritt in das jeweilige System für eine Vielzahl von Berufsgruppen. Nicht enthalten sind Zulagen und Zuschläge, die in der Regel verdient werden müssen bzw. im direkten Zusammenhang mit der Tätigkeit stehen. Aufgrund der Vielzahl verschiedener Lebenssituationen (z.B. Familienstand, mit/ohne Kinder, Partner im ÖD), sind nicht alle Möglichkeiten ermittelt worden. Trotzdem wird sehr anschaulich die Tarifentwicklung dargestellt.

Die folgenden Daten wurden im August 2014 aus dieser Tabelle extrahiert. Aufgrund eigener Beobachtungen erachte ich diese Daten als durchaus plausibel an.

Tabellen-Nr., Berufsgruppe und Familienstand
Vergleichsentgelt
1/2000
Vergleichsentgelt
12/2010
Abweichung
in %
01a
Sozialpädagoge
Ledig
BAT
Vb / 1 / / 0
2.125 EUR
BAT
IVb / 7 / / 0
2.863 EUR
35 %
01a
Sozialpädagoge
Ledig
TVöD-VKA
EGr 9 / Stufe 1
2.082 EUR
TVöD-VKA
EGr 9 / Stufe 5
3.010 EUR
45 %
08 a
Erzieher
Ledig
BAT
Vc / 21 / / 0
1.927 EUR
BAT
Vb /29 / / 0
2.272 EUR
18 %
08 a
Erzieher
Ledig
TVöD-Bund
EGr 8 / Stufe 1
1.945 EUR
TVöD-Bund
EGr 8 / Stufe 5
2.454 EUR
26 %



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