Bis Ende des Jahres soll alles final sein, damit es endlich in die letzte Stufe der Reform der Eingliederungshilfe im SGB IX gehen kann. In Hamburg hatte es ziemlich schnell mit einer neuen Fassung eines Landesrahmenvertrags geklappt (§ 131 SGB IX). Darauf aufbauen müssen nun die Vereinbarungen mit den einzelnen Leistungserbringern, damit der begünstigte Personenkreis auch die Hilfen bekommt, die gebraucht werden (§§ 123 ff. SGB IX).
Damit man nicht für jeden Anbieter dieser Leistungen „das Rad neu erfinden“ muss, versucht man über eine Muster-Vereinbarung eine Vielzahl an gleichlautenden Formulierungen und Regeln zu finden. In Hamburg ist es die Sozialbehörde auf der einen Seite, und acht Verbände der Leistungserbringer. Eine gemeinsame Arbeitsgruppe trifft sich dabei in regelmäßigen Abständen und erörtert die jeweiligen Texte. Das ist häufig schwierig und überhaupt nicht zielführend. Doch was soll man sonst machen?
Nachfolgend ein paar Beispiele bei der Mustervereinbarung für das Wohnen und der Betreuung im eigenen Wohnraum.
Streitpunkt 1: Eine Entkopplung der Verträge ist beim Wohnen mit Assistenz
nicht zulässig.
Die Behörde möchte größtmögliche Durchlässigkeit gewinnen
und eine echte Wahlfreiheit erreichen, so dass die Menschen mit
Unterstützungsbedarf wohnen können, wo sie wollen, und sich die pädagogische
Betreuung sichern können, von wem sie wollen. Diese Forderung soll endlich die
Strukturen aus der alten Zeit mit den Einrichtungen und Anstalten abschaffen
helfen. Ein behinderter Mensch, der unzufrieden wäre mit der
Leistungserbringung an seinem Wohnort, womöglich eine besondere Wohnform
(ehemals stationäre Wohneinrichtung bzw. Heim), müsste in so einem Fall
ausziehen. Vermieter und Betreuungsleistender sind nämlich personen-identisch;
ein Klient könnte sich gar keinen anderen Betreuenden nehmen, weil das
vertraglich ausgeschlossen ist.
Das mit den stationären Einrichtungen ist erst vor kurzem beendet worden. Bis Ende 2019 gab es nur die Komplexleistung Eingliederungshilfe (nach dem SGB XII), mit der neben der Betreuung auch gleichzeitig das Wohnen und Versorgtwerden zwischen den Parteien verhandelt werden musste. Diese Komplexleistung wurde mit großen Mühen zwar aufgebrochen in die einzelnen Bestandteile, aber damit sind noch lange nicht die Wohnstrukturen abgeschafft worden. Sollen die sozialen Unternehmen die Quartiere verkaufen an Investoren, damit sie nur noch Fachleistungs-Anbieter sind?
Sowas wäre natürlich machbar; verbunden mit viel Aufwand und einigen Konsequenzen auf immer und ewig (würden sich die Investoren gemeinwohlorientiert verhalten und auf ständige Erhöhungen verzichten? – wohl kaum!). Diese Forderung greift jedenfalls ein in das Recht auf Berufsfreiheit und die freie Selbstbestimmung der Leistungsanbieter (darf man jemanden zwingen, nur noch pädagogisch tätig zu sein?, soll man jemanden zum Hausverkauf zwingen, egal zu welchem Preis?). Darüber hinaus ist die Behauptung, dass es mit der Forderung in erster Linie um den Verbraucherschutz gehen soll, völlig unsinnig. Sobald es eine Abhängigkeit gibt zwischen dem Wohnen und den Betreuungsleistungen, selbst dann, wenn „die vom Unternehmer geschuldeten Leistungen Gegenstand verschiedener Verträge sind…“, ist das Gesetz anzuwenden (§ 1 Abs. 2 WBVG).
Zusammenfassend kann man nur darum bitten, dass diese Forderung verschwindet.
Streitpunkt 2: Der Leistungsvereinbarung liegt eine Kapazität von
<<xx>> Plätzen vor.
Man möchte seitens der Sozialbehörde jeglichen Prozess
der Ausuferung von Leistungsangeboten einen Riegel vorschieben. Man möchte
kontrollieren und damit das Ausgabeverhalten steuern. Befürchtet wird, und so
etwas gab es schon in der Vergangenheit, dass Einrichtungen errichtet und mit
den leistungsberechtigten Menschen quasi bestückt wurden, weil es sich
rechnete. Die jetzigen Anbieter sollen nun bei Abschluss der neuen
Vereinbarungen über die Standorte und die jeweiligen Platzkapazitäten
informieren und beabsichtigte Kapazitätsänderungen mit der Sozialbehörde
abstimmen.
Die Verbände der Leistungserbringer verstehen nicht, dass diese Platzzahl-Begrenzung, die noch aus der Zeit der stationären Einrichtungen stammte, jetzt auch auf die sogenannten Ambulant betreuten Wohngemeinschaften (bisher AWG, bald WMA = Wohnen mit Assistenz) ausgeweitet werden soll. Man muss dazu kurz wissen, dass es bei diesen Wohngemeinschaften sich nicht nur um echte WGs handelt, sondern es können auch ganze Häuser mit verschiedenen Einzelwohnungen darunter fallen. Weil es allerdings vor Ort kein Büro des Dienstleisters gibt und sogar andere Dienste eine Assistenz unterbreiten können, wird darin keine besondere Wohnform gesehen; das städtische Fachamt für Eingliederungshilfe bewilligt an diesen Standorten eine Monatspauschale nach altem HBG-HEG-Muster statt nach Leistungsstufen oder Stundensätzen, was zudem verwaltungssparender ist.
Streitpunkt 3: Fachkräfte als qualifizierte Assistenz
Dieser Begriff stammt aus § 78 Abs. 2 SGB IX und richtet
sich auf eine ganz bestimmte Aufgabe: die Befähigung der Leistungsberechtigten
zu einer eigenständigen Alltagsbewältigung (Abs. 2 Nr. 2). Das bedeutet also,
dass dieses Ziel tatsächlich nur von Fachkräften angegangen werden soll. Zu dieser
Aufgabe gehören „insbesondere Leistungen für die allgemeinen Erledigungen des
Alltags wie die Haushaltsführung, die Gestaltung sozialer Beziehungen, die
persönliche Lebensplanung, die Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen
Leben, die Freizeitgestaltung einschließlich sportlicher Aktivitäten sowie die
Sicherstellung der Wirksamkeit der ärztlichen und ärztlich verordneten
Leistungen“ (Abs. 1 Satz 2).
Die Aufgaben selber sind nicht der Streitpunkt. Es ist vielmehr sehr unklar, was nun mit einer „qualifizierten Assistenz“ gemeint sein könnte – oder umgekehrt gefragt: Wann ist eine Assistenz etwa unqualifiziert?
In der personellen Ausstattung findet sich die Forderung, dass es sich bei Fachkräften um solche handelt, die eine „mindestens dreijährige Fach- oder Hochschulausbildung“ in einschlägigen Fächern vorweisen können(Ziffer 6 in Anlage 3.1 der Mustervereinbarung). Jedes andere Personal müsste über eine vergleichbare Qualifikation verfügen und einschlägig fortgebildet sein mitsamt einer entsprechenden Berufserfahrung. Dies soll allerdings der Sozialbehörde zur Entscheidung gebracht werden.
Weil sich nun „hauswirtschaftlich ausgebildetes Personal“ nicht beim „Hilfs- und angelerntem Personal“ mit einer Quote von 10 % findet, zählt es somit zu den Fachkräften, welche einen Anteil von 90 % ausmachen sollen. Demzufolge würde es sich dann um eine qualifizierte Assistenz handeln, was von einigen angesehen wird als ein wenig eigentümlich.
CGS
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Neue Mustervereinbarung zu Leistungen der Eingliederungshilfe in Hamburg