Freitag, 13. Juni 2014

Vertragslose Zustände bzw. nicht-vertragsgebundene Einrichtungen

Was ist zu tun, wenn eine Vereinbarung nach § 75 Abs. 3 SGB XII nicht zustande kommt? (Wir erinnern uns, dass nur vertragsgebundene Einrichtungen und Dienste Vergütungsverhandlungen führen können)

Die kurze Antwort darauf wäre, einfach ins Gesetz schauen:

„… (4) 1 Ist eine der in Absatz 3 genannten Vereinbarungen nicht abgeschlossen, darf der Träger der Sozialhilfe [d.h. Leistungsträger, eig. Anm.] Leistungen durch diese Einrichtung nur erbringen, wenn dies nach der Besonderheit des Einzelfalls geboten ist.

2Hierzu hat der Träger der Einrichtung [d.h. Leistungserbringer, eig. Anm.] ein Leistungsangebot vorzulegen, das die Voraussetzung des § 76 erfüllt, und sich schriftlich zu verpflichten, Leistungen entsprechend diesem Angebot zu erbringen.

3Vergütungen dürfen nur bis zu der Höhe übernommen werden, wie sie der Träger der Sozialhilfe am Ort der Unterbringung oder in seiner nächsten Umgebung für vergleichbare Leistungen nach den nach Absatz 3 abgeschlossenen Vereinbarungen mit anderen Einrichtungen trägt.

4Für die Prüfung der Wirtschaftlichkeit und Qualität der Leistungen gelten die Vereinbarungsinhalte des Trägers der Sozialhilfe mit vergleichbaren Einrichtungen entsprechend.

5Der Träger der Sozialhilfe hat die Einrichtung über Inhalt und Umfang dieser Prüfung zu unterrichten. Absatz 5 gilt entsprechend.“

(ich habe mir erlaubt, den Wortlaut des § 75 Abs. 4 SGB XII satzweise darzustellen)

Dieser Fall trat jetzt im Jahr 2014 bei denjenigen Trägern ein, die stationäre Leistungen im Bereich der Eingliederungshilfe angeboten hatten. Zum 31.12.2013 hatte die Stadt Hamburg die eine Vielzahl von Gesamtvereinbarungen nach § 75 Abs. 3 SGB XII gekündigt, aber eine Neuvereinbarung blieb aus. Damit befanden sich viele (nicht alle) Leistungserbringer von stationären Wohngruppen in einem vertragslosen Zustand.

In so einer Situation greift die vorgenannte gesetzliche Regelung, wonach Leistungen der Sozialhilfe durch Einrichtungen „nur“ erbracht werden dürfen, „wenn dies nach der Besonderheit des Einzelfalls geboten ist“. Streng genommen hätte jetzt der Einzelfall geprüft werden müssen. Dies hat sich allerdings die zuständige Behörde erspart und stattdessen eine Übergangsregelung bis zum Beginn des neuen Kalkulationsverfahrens zum 1.1.2015 jedem Einrichtungsträger angeboten.

Ob tatsächlich ein Einrichtungsträger sein Leistungsangebot nach dem Wortlaut des Gesetzes vorgelegt hat, entzieht sich meiner Kenntnis. Durch die Annahme des Angebotes der zuständigen Behörde und Verpflichtung zur Erbringung der erforderlichen Leistungen, wurden die rechtlichen Voraussetzungen nach Satz 2 ansonsten wohl erfüllt.

Auch wenn es an einem Einigungswillen für das Vergütungsjahr 2014 fehlt, eine Vereinbarung nach § 75 Abs. 4 SGB XII wurde abgeschlossen und bindet nun beide Seiten. Sie schafft damit eine gewisse Rechtssicherheit, wenn man sich klar macht, was nun die jeweiligen Rechte und Pflichten sind!

Hätte ein Einrichtungsträger dagegen eine Gesamtvereinbarung nach § 75 Abs. 3 SGB XII verhandeln wollen,  hätte er sich wahrscheinlich gerichtlich durchsetzen müssen, da ein Rechtsanspruch auf Abschluss von Vereinbarungen nicht besteht (S. 555, Rz. 13 ff., LPK-SGB XII, 8. Auflage, Münder et al). Trotzdem gibt es für den Sozialhilfeträger die vorrangige Aufgabe der sozialen Sicherung. Nach § 75 Abs. 2 SGB XII sollen keine „eigenen Einrichtungen“ neu geschaffen werden, soweit „geeignete Einrichtungen anderer Träger vorhanden sind“. Der Sozialhilfeträger muss letztlich in Verhandlungen treten (vgl. auch meine Beiträge zur „BGB-Eingliederungshilfe“) und ein Ermessen ausüben, inwiefern der Einrichtungsträger geeignet ist als Leistungserbringer (S. 565, Rz. 34, a.a.O.).

Mit der Übergangsregelung wurden die alten Vergütungssätze gem. § 77 Abs. 2 Satz 4 SGB XII fortgeschrieben.

Nach dem Wortlaut des § 75 Abs. 4 SGB XII dürfen Vergütungen allerdings nur bis zu einer bestimmten Höhe übernommen werden. Hierfür sind in Satz 3 zwei Kriterien benannt:

+ Ort oder nächste Umgebung
+ Vergleichbare Leistung von Trägern mit Vereinbarungen nach Absatz 3

Im ersten Kriterium liegt der Fokus auf Ort oder wenigstens die nächste Umgebung. Diese Angaben sind allerdings nicht näher definiert, so dass man nur vermuten kann, Umgebung bezieht sich auf Wohnortnähe. In einem Stadtstaat wie Hamburg mit einer gewissen Einrichtungsträger-Dichte könnten tatsächlich mehrere Träger in die Auswahlmenge hineinfallen, wobei dies gerichtlich überprüfbar wäre.

Der antragsstellende Einrichtungsträger würde vermutlich die Wohnortnähe als „nächste Umgebung“ wählen, dies muss aber nicht zwingend von Vorteil sein. Liegt in einer etwas weiteren Entfernung ein Einrichtungsträger mit bekanntlich „vergleichbaren Leistungen“ und einer höheren Vergütung, müsste in der Argumentation darauf hingearbeitet werden, diesen Einrichtungsträger mit einzubeziehen. Ein solches umfassendes Wissen fehlt i.d.R. den Einrichtungsträgern, von daher scheitert ein solches Vorhaben. Andererseits kann eine antragsstellende Einrichtung vom Sozialhilfeträger verlangen, dass genauestens dargelegt wird, welche Einrichtungen „nicht“ einbezogen wurden in die Auswahlmenge und warum dies nicht geschah.

Das zweite Kriterium verlangt, dass nur solche Träger herangezogen werden, die Vereinbarungen nach Absatz 3 haben – im konkreten Fall also nur die ungekündigten bzw. vertragsgebundenen Einrichtungsträger, was die Auswahl für Hamburg sehr begrenzt. Problematisch wäre dann auch die Frage, inwieweit Träger mit Trägerbudgets in die Auswahlmenge einbezogen werden können – praktisch und rechtlich.

Es ist anzunehmen, dass nur die „teuersten“ Vereinbarungen gekündigt wurden, so dass mit den weiterhin vertragsgebundenen Einrichtungsträgern eine Auswahl an „günstigen, billigen“ Leistungserbringern besteht. Zuerst einmal sieht dies nach einem Vorteil für den Sozialhilfeträger aus. Da aber diese kleine Menge sich über ein ganzes Stadtgebiet verteilt, müsste wieder die örtliche Nähe herausgearbeitet werden, was einen Argumentationsnachteil mit sich bringt. Andererseits sind Trägerbudgetvereinbarungen noch immer Vereinbarungen nach § 75 Abs. 3 SGB XII und müssten zwangsläufig herangezogen werden zur Auswahlmenge. Sollten keine Kostensätze im bzw. neben dem Trägerbudget tatsächlich vereinbart worden sein, hätte hier ein Gericht einen gewissen Rechtsspielraum. Und eine solche Möglichkeit des Ermessens spielt Antragsstellern in die Hände.

Liegt die geforderte Vergütung über dem Entgelt des „teuersten“ Anbieters der so ermittelten Auswahlmenge, greift die Pflicht zur Deckelung, da die Vergütung „nur bis zu der Höhe übernommen werden“ darf – also einer zu bestimmenden Höhe aus Ort / nächste Umgebung sowie Leistungs-Vergleichbarkeit / Vertragsgebunden. In der Praxis werden sich hier allerdings für beide Seiten große Probleme auftun, was aber nicht mit „Risiken“ gleichzusetzen ist.

Darüber hinaus sehe ich keinen Ansatzpunkt zur Zahlung einer „Durchschnittsvergütung“ oder „ortsüblichen Vergütung“. Dies ergibt sich nicht zwingend aus dem Wortlaut, sondern es müsste vielmehr dahingehend argumentiert werden, warum ein Durchschnitt zu bilden wäre. Hier wäre ein Vergleich mit anderen Rechtsvorschriften, z.B. aus dem Mietrecht über Wohnraummietverhältnisse, opportun. Ohne jetzt näher darauf einzugehen, soll hier diese betreffende Vorschrift einmal auszugsweise wiedergegeben werden, um die grundlegenden Unterschiede deutlich zu machen:

§ 558 BGB, Mieterhöhung bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete

(1) Der Vermieter kann die Zustimmung zu einer Erhöhung der Miete bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete verlangen, …

(2) Die ortsübliche Vergleichsmiete wird gebildet aus den üblichen Entgelten, die in der Gemeinde oder einer vergleichbaren Gemeinde für Wohnraum vergleichbarer Art, Größe, Ausstattung, Beschaffenheit und Lage einschließlich der energetischen Ausstattung und Beschaffenheit in den letzten vier Jahren vereinbart oder, von Erhöhungen nach § 560 abgesehen, geändert worden sind. …

Von „ortsüblich“ steht nichts im § 75 Abs. 4 SGB XII. Und wie ein solcher Durchschnitt gebildet wird, fehlt auch bzw. reduziert sich auf „vergleichbare Leistungen nach den nach Absatz 3 abgeschlossenen Vereinbarungen mit anderen Einrichtungen“. Es heißt lediglich, dass die Vergütungen „nur bis zu der Höhe“ übernommen werden; darin könnte man „Durchschnitt“ verstehen, aber auch „Deckelung“.

Nun wurde im konkreten Fall auf jegliche Auseinandersetzung hinsichtlich der Vergütungshöhe verzichtet und die alte Vergütungsstruktur des jeweiligen Einrichtungsträgers aus den gekündigten Vereinbarungen unverändert fortgeschrieben (vgl. § 77 Abs. 2 Satz 4 SGB XII).

Problematisch ist m.E. allerdings der folgende Satz 4, nach dem die Prüfung der Wirtschaftlichkeit und Qualität der Leistungen gemäß der Vereinbarungsinhalte mit anderen, vergleichbaren Einrichtungsträgern erfolgen. Insbesondere die Qualität der Leistung, die heutzutage mit Stellenschlüsseln und Fachkraftquote gleichgesetzt wird, würde in keinem Zusammenhang mit der gezahlten Vergütung stehen. Ein Sozialhilfeträger müsste demnach umfangreich belegen, warum der jeweilige Einrichtungsträger vergleichbar sein soll in Ausstattung und Leistung.

Die Stadt Hamburg hat sich damit beholfen, dass nicht nur die alten Vergütungen weiter gezahlt werden, sondern auch das bisherige Leistungsangebot bestehen bleibt.

Zusammenfassend kann man sich schon fragen, wie beim Fehlen derart vieler Eigenschaften (z.B. Leistungsangebot, Fortschreibung einer alten Vergütung, usw.) noch dieser Absatz 4 überhaupt zur Anwendung kommen kann. Die Antwort hierauf ist, dass durch die Kündigung ein vertragsloser Zustand entstanden ist, der zwingend die Anwendung von Absatz 4 gebietet. Auch wenn dann alle sonstigen Vorgaben derart missachtet werden, letztlich entscheiden die beiden Parteien, inwieweit sie übergangsweise einen solchen vertragslosen Zustand gestalten wollen. Die Alternative wäre dann der Gang über die Sozialgerichte.

Der grundsätzliche Nachteil in der Anwendung des § 75 Abs. 4 SGB XII besteht allerdings darin, dass schlichtweg die Voraussetzungen für die Anrufung der Schiedsstelle nicht vorliegen.

§ 77 SGB XII, Abschluss von Vereinbarungen

(1) Die Vereinbarungen nach § 75 Abs. 3 sind vor Beginn der jeweiligen Wirtschaftsperiode für einen zukünftigen Zeitraum (Vereinbarungszeitraum) abzuschließen… . Vertragspartei der Vereinbarungen sind der Träger der Einrichtung und der für den Sitz der Einrichtung zuständige Träger der Sozialhilfe… . Kommt eine Vereinbarung nach § 76 Abs. 2 innerhalb von sechs Wochen nicht zustande, nachdem eine Partei schriftlich zu Verhandlungen aufgefordert hat, entscheidet die Schiedsstelle nach § 80 auf Antrag einer Partei unverzüglich über die Gegenstände, über die keine Einigung erreicht werden konnte. …

Fehlt es an den Vereinbarungen nach Absatz 3, wie im vorliegenden Fall, weil gekündigt, gibt es auch keine Möglichkeit, die Schiedsstelle anzurufen.

Von daher werden zumindest für dieses Jahr noch Einrichtungsträger zu unwirtschaftlichem Handeln oder einer bewussten Absenkung der Ergebnisqualität verführt, weil die gezahlten Vergütungen weder auskömmlich noch leistungsgerecht sind.



CGS


+++ Nachtrag vom 13.6.2014 +++

Die Übergangsregelung hatte zum Ziel, Leistung und Vergütung zu regeln und damit den vertragslosen Zustand im Sinne des § 75 Abs. 4 SGB XII zu decken; alles sollte so bleiben, wie zuletzt.

Im nächsten Schritt vereinbarten Sozialhilfeträger und Einrichtungsträger, dass die Beschlüsse der Vertragskommission anerkannt werden und die (zuletzt bestehenden) Vereinbarungen nach § 75 Abs. 3 SGB XII ab dem 1.1.2015 angepasst werden an die Beschlüsse der Vertragskommission.

Da aber die Vereinbarungen nach § 75 Abs. 3 SGB XII gekündigt waren, mussten entweder Neuverhandlungen geführt werden (sehr zeitaufwändig) oder eine Rücknahme der Kündigungen zum 31.12.2013 erfolgen.

Letzteres geschah, so dass nun der "alte" Zustand wiederhergestellt ist. Die Übergangsregelung, welche für den vertragslosen Zustand und im Sinne des § 75 Abs. 4 SGB XII vereinbart worden war, hat damit ihre Gültigkeit verloren.

CGS



Dienstag, 3. Juni 2014

Messbarkeit des Erfolgs von Maßnahmen (Teil 3, Serie Bundesteilhabegesetz)

In meinem zweiten Beitrag ging ich der Frage nach, welche Überlegungen aktuell angestellt werden hinsichtlich der Verteilung finanzieller Lasten. Der Bund soll zwar vorranging die Finanzierung eines Teilhabegeldes / Teilhabeleistungen übernehmen und damit die Kommunen entlasten, aber die Finanzierung solcher Leistungen müssen schließlich vorher von irgendwem eingeholt werden (i.d.R. die Gemeinschaft der Steuerzahler).

Leistungsberechtigte könnten z.B. herangezogen werden, um einen Eigenbeitrag zu tragen. Daneben gäbe es noch die Kranken-Pflege-Rentenversicherungsträger sowie unterhaltspflichtige Eltern. Leider gibt es meines Wissens noch keine EU-Ausgleichszahlungen für einen besonders hohen Sozialmittelbedarf in einem der EU-Mitgliedsländer. Nichtsdestotrotz kann es nicht nur um eine Erhöhung der Einnahmen gehen, sondern der Staat will das bezahlen, was auch verbraucht wird.

Verbraucht werden Ressourcen, die einen festgestellten Hilfebedarf abdecken sollen. Bei diesen Ressourcen handelt es sich um Sachen oder Dienste (in der klassischen Ökonomie kennt man die drei Produktionsfaktoren Arbeit – Boden – Kapital, aus denen die Ressourcen bestehen). Während Sachen im Zeitablauf immer billiger werden (Skalierungs- und Inflationseffekte), wird die Inanspruchnahme von Diensten immer teurer bzw. bleibt teuer (Lohnkostenanstiege).

Die Inanspruchnahme von Diensten geschieht dagegen im Wege der Planung von Maßnahmen, welche darauf hinzielen, den bedürftigen Menschen zu fördern und zu unterstützen. Da somit die Eingliederungshilfe vorrangig auf Maßnahmen beruht (und diese stets teuer bleiben), gilt es die Wirksamkeit bzw. den Erfolg der Maßnahmen zu kontrollieren; schließlich sollen keine Maßnahmen zum Einsatz kommen, welche den festgestellten Hilfebedarf nicht oder nur ungenügend abdecken.

Es fehlt also schlicht an einem Instrument zur Kontrolle der Ergebnisqualität.

In einer Arbeits- und Sozialminister-Konferenz (ASMK) gab es den Vorschlag, eine „zusätzliche Wirksamkeitsprüfung“ neben den bereits bestehenden Wirtschaftlichkeits- und Qualitätsprüfungen einzuführen. Dies könne mit dem neuen Gesetz zur Teilhabe von Menschen mit Behinderungen erfolgen. Hierzu muss man wissen, dass Wirtschaftlichkeits- und Qualitätsprüfungen eine solche Fragestellung bisher nicht abgedeckt hatten. Ergebnisqualität wurde in der Vergangenheit immer so verstanden, dass eine bestimmte Menge (d.h. gemäß Leistungsvereinbarung) Personal zum Einsatz kam und dieses Personal im Rahmen von auskömmlichen Vergütungssätzen (entsprechend der Vergütungsvereinbarung) angemessen bezahlt wurde. Ob der Stelleneinsatz erfolgreich war, wurde nicht erforscht.

Die Prüfung von Wirtschaftlichkeit und Qualität ist geregelt in einer eigenen, sogenannten Prüfungsvereinbarung nach § 75 Abs. 3 SGB XII. Untersuchungsgegenstände sind somit immer nur die Leistungsvereinbarungen als Soll-Größen und die Dienstpläne bzw. Stelleneinsatzpläne als Ist-Größen. Wenn die vereinbarten Stellen in den Dienst- und Stellenplänen umgesetzt werden, wird formal die Einhaltung der Ergebnisqualität angenommen. Zuständig für diese Prüfungen sind dann auch nicht die sozialen Unternehmen und Dienste, sondern regelmäßig die Heimaufsichten bzw. Wohn-Pflege-Aufsichten (vgl. auch S. 562 f., „Sozialgesetzbuch XII, Lehr- und Praxiskommentar, 8. Auflage“, Münder et al.).

Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) ist diesem Vorschlag nachgegangen und hat in einem eigenen Projekt versucht zu erforschen, wie ein solches Instrument aussehen muss.


Ziel des Projektes „Wie misst man Teilhabe in der Eingliederungshilfe?“  war es, ein „Instrument zur Bestimmung, Umsetzung und Messung von individuell definierter Teilhabe aus Nutzerperspektive zu entwickeln“ (vgl. Kapitel 10, Resümee). Hierfür wurde dann weiter unterschieden zwischen objektiver und subjektiver Teilhabe.

Objektive Teilhabe lässt sich anhand von „Teilhabeindikatoren“ messen, das sind z.B. Kennzahlen zum Anteil des Einkommens zur persönlichen Verfügung, Größe der sozialen Netzwerke, Anteil des Zugangs zu persönlichem Wohnraum sowie Größe und Ausstattung des privaten Wohnraums (Aufzählung nicht zwingend abschließend). Die Projektleiter weisen allerdings darauf hin, dass die Datengenerierung mit Schwierigkeiten verbunden ist (S. 59 des Projektberichtes).

Subjektive Teilhabe kann dagegen nicht mit „harten“ Fakten unterlegt werden, da sie von jedem Teilhabeberechtigten individuell hergestellt wird. Es geht also um eine erlebte Teilhabe. Von daher erscheint es zu erst einmal fragwürdig, wenn hier Ergebnisse präsentiert werden. Die Autoren der Projektarbeit resümieren somit: „Ergebnis ist, dass die in Phase I und II entwickelten Instrumente (Teilhabekiste) und Verfahrensanleitungen (Teilhabeanzeiger) aus der Perspektive der Nutzer die Messung von subjektiver Teilhabe leisten können“ ( S. 58 a.a.O.). Damit zeigt sich, dass mithilfe eines neu entwickelten Instrumentes (Teilhabekiste) und entsprechend darauf abgestimmten Prozessen Erkenntnisse für die weitere Maßnahmeplanung abgeleitet werden können. Diese Erkenntnisse sind aber auf eine Population nicht ohne weiteres übertragbar.

Das Projekt bestätigt einmal mehr, dass im Bereich der Dienstleistungen „harte“ Kriterien schwer zu finden sind. Nachdem bereits in der Vergangenheit andere Messinstrumente mit einem mehr oder minder großen Erfolg versuchsweise eingesetzt und dann wieder abgesetzt wurden, stellt sich die Frage, ob eine Wirksamkeitsprüfung sinnvoll ins Gesetzgebungsverfahren eingebracht werden sollte. Problematisch wird es allerdings, wenn ein nicht erprobtes System in den Gesetzestext hineingeschrieben wird, es aber dann nicht praktikabel und umsetzbar ist (Stichwort: „vorvertragliche Verbraucherinformationen bei anstehenden Entgeltverhandlungen“).

In BAGFW-Eckpunktepapier zum neuen Gesetz steht nun unter Ziffer 11, dass die Wirksamkeit „nur im Kontext von Ergebnisqualitätsprüfungen“ gemessen werden kann, wobei hierfür (noch?) die „wissenschaftlichen Voraussetzungen“ fehlen. Die Verantwortung wie auch die Durchführung wird also bei den Heim- bzw. Wohn-Pflege-Aufsichten liegen, was zumindest die Dienste nicht belasten sollte. Ob auf dem Weg zum Gesetz noch erkannt wird, dass subjektive Daten kaum zu gebrauchen sind für statistische Auswertungen, muss sich noch zeigen.

Trotzdem könnte auf gesetzgeberischer Seite die Überlegung angestellt werden, dass eine Weiterbefürwortung von Maßnahmen nur dann erfolgt, wenn Leistungsberechtigte oder Dienste den Nachweis der Wirksamkeit erbringen. Nicht zuletzt würde sich aus der Anwendung eines Instrumentes wie der Teilhabekiste für die sozialen Dienste und Einrichtungen Aufschluss ergeben über den individuellen Erfolg des Teilhabeprozesses. Im Projektbericht heißt es u.a.: „Die Teilhabewirkung von Diensten und Einrichtungen aus der Nutzerperspektive zu messen heißt dann: Schaffen wir als Fachkräfte es, Menschen mit Beeinträchtigungen so durch unseren Dienst / in unserem Haus zu unterstützen, dass individuelle Teilhabe (überwiegend) gelingt?“ (S. 62, a.a.O.).

Im Beschluss des Bundesrates ging es um die „Stärkung der Rechte behinderter Menschen“ und die Herauslösung aus dem bisherigen „Fürsorgesystem“. Beides kann nur dann gelingen, wenn einerseits das Verständnis der Beteiligten über ihre Rollen im Beziehungsgeflecht eine Wandlung erfährt. Noch besser gelingt es, wenn ein Kontrollinstrument für die Leistungsmessung zur Anwendung kommt. Denn wenn Teilhabe das Ziel ist, müssen die Faktoren, die dazu hinführen, benannt, geplant, eingesetzt und in ihrer Wirksamkeit gemessen werden.

Es bleibt somit die Frage, wie man die Ergebnisqualität messen will.

Kritiker werden einwerfen, dass mit dem Stärkungs-Argument nur Stellenschlüssel abgesenkt werden sollen. Denn wer in die Unabhängigkeit entlassen wird, der wird sich selbst überlassen. Selbstüberlassung ist aber keine befriedigende und gewollte Selbstbestimmung!

Selbstbestimmt als eigenverantwortlicher Verbraucher kann aber jeder behinderte Mensch, der Teilhabeleistungen in Anspruch nehmen möchte, schon jetzt. Mit dem sogenannten Persönlichen Budget nach § 17 SGB IX (bzw. § 57 SGB XII) sind rechtlich die Voraussetzungen geschaffen, im Rahmen eines eigenen Budgets Leistungen „einzukaufen“. Der teilhabende Mensch wird zum Einkäufer, das bekannte Dreiecksverhältnis löst sich in ein Verbraucher-Anbieter-Verhältnis auf.

Wer soweit ist, der wird Teilhaber. Aber wahrscheinlich trifft dies nur auf eine geringe Anzahl Leistungsberechtigter zu. Fragt man Einrichtungsträger nach ihren Erfahrungen mit Klienten und einem Persönlichen Budget, erntet man eher „fragende Blicke“.

Das große Ziel mit dem neu zu schaffenden Gesetz ist dennoch beachtlich:

Absage an den Fürsorge-Gedanken
Stärkung der Rechte behinderter Menschen
Gleichstellung.



CGS