Donnerstag, 17. Oktober 2019

Mindestlohn – 12 Euro und Beschäftigungsverluste

Vor einiger Zeit titelte das Handelsblatt: „Ökonomen warnen vor einer Mindestlohnerhöhung auf zwölf Euro“ (26.6.2019). Experten befürchten den Verlust von Arbeitsplätzen, wenn die Lohnuntergrenze angehoben wird. Eine gut klingende Bilanzziehung, wie es der DGB mit seiner Mindestlohnkonferenz zu dieser Zeit beabsichtigte, ist einfach nur verfrüht, so die Kritik. Die in den gesetzlichen Mindestlohn gesetzten Hoffnungen haben sich bisher „nicht komplett erfüllt“.

Im Artikel wird konstatiert: „Dem deutschen Jobwunder hat die staatliche Lohnregulierung jedenfalls nicht merkbar geschadet.“

Wie immer darf man solche Sachen nicht isoliert betrachten.


Der Mindestlohn steigt ab 2020 auf 9,35 Euro / Stunde

Zum 1.1.2020 steigt der Mindestlohn von 9,19 Euro die Stunde auf 9,35 Euro. Das sind bescheidene 0,16 Euro mehr, oder anders ausgedrückt: plus 1,7 % gegenüber dem Vorjahr. Würde man einen solchen Stundenlohn hochrechnen auf ein Vollzeit-Entgelt, käme – ohne Weihnachts-Gratifikation und Urlaubsgeld – monatlich ein Brutto von 1.620 Euro zusammen. Nimmt man sich einen Gehaltsrechner zur Hilfe, könnte man zum Beispiel daraus einen Nettoverdienst von etwa 1.185 Euro ermitteln (35-jährig, gesetzlich versichert, Steuerklasse 1 ohne Kinder). Ein politisches Ziel wäre damit scheinbar erreicht. Ob ein solcher Verdienst in einer deutschen Großstadt für ein wirklich unabhängiges Leben reicht, wäre nach wie vor fraglich.

Überhaupt stellt sich die Frage, ob in Zeiten des wirtschaftlichen Abschwungs Lohnuntergrenzen tragbar sind für angegriffene Unternehmen. Gerade dann, wenn die Auftragslage sehr zu wünschen übrig lässt, wird gerne auch am Personal gespart. Ob dies aber auch so ohne weiteres übertragbar ist auf die Bereiche Gesundheit, Soziales und Pflege, ist dagegen wirklich „fraglich“.


Der Mindestlohn soll am besten zwölf Euro die Stunde betragen

Der DGB fordert eine Anhebung auf 12 Euro die Stunde. Eine Steigerung um ganze 28 % wäre in der Tat sehr herausfordernd, da es sich beim Mindestlohn um eine breitangelegte, unabdingbare Lohnuntergrenze handelt (§ 3 MiLoG). Ziel des Mindestlohns soll es aber jedenfalls sein, zu einem angemessenen Mindestschutz für Arbeitnehmer beizutragen (aber nicht zu erreichen) sowie faire und funktionierende Wettbewerbsbedingungen zu ermöglichen ohne die Beschäftigung zu gefährden. Weil sich die Festsetzung des Mindestlohns „nachlaufend an der Tarifentwicklung“ zu orientieren hat, kann es eine solche Entwicklung, wie eingangs beschrieben, nicht geben (vgl. § 9 Abs. 2 MiLoG).

Im Bereich der Pflege wird an einem allgemeinverbindlichen Tarifvertrag gearbeitet, der dann für diese Branche einen etwas anderen Mindestlohn bereithält. Mit dem Gesetz für bessere Löhne in der Pflege (Pflegelöhneverbesserungsgesetz) soll dies zum 1.1.2020 geschehen. Ein Kritikpunkt verweist darauf, dass nicht nur weitere Verwaltungsstellen im BMAS geschaffen werden müssen, sondern man muss sich auch mit den „erwarteten Mehrkosten für die Pflegeversicherung, für die Eigenanteile der Versicherten oder die Hilfe zur Pflege durch den Träger der Sozialhilfe“ auseinandersetzen (Stellungnahme des BDA vom 11.6.2019).

Auch wenn mit einem solchen Gesetz die Tarifautonomie ein Stück weit abgetragen wird, so schlimm ist eine gesetzliche Lohnuntergrenze nicht. Es gibt zwar eine erhöhte Dokumentationspflicht für Arbeitgeber, doch für Tarifanwender ist der Zwang zur Gewinnung von Arbeitskräften sehr viel einfacher zu lösen, wenn man einen Stundenlohn anbieten kann, der über irgendwelchen Mindestlöhnen liegt.


Studien zeigen nichts Negatives

Was man bisher immer befürchtet hat, dass die Mindestlöhne zu drastischen Jobverlusten führen, konnte bislang nicht bewiesen werden. Diese Negativ-Effekte sind ausgeblieben.

In einer Arbeit des Statistischen Bundesamtes DESTATIS aus dem Jahr 2018 untersuchte man zum Beispiel die Auswirkungen des Mindestlohns auf die Beschäftigung in besonderen „stark vom Mindestlohn betroffenen Branchen“. Diese Auswirkungen fielen „eher moderat“ aus.

In einer Arbeit der Federal Reserve Bank of New York, die kürzlich veröffentlicht wurde, konnte man keine Auswirkungen feststellen auf die Beschäftigung in zwei Industrie-Sektoren mit niedrigem Bezahlungsniveau. Der eine Sektor befindet sich in einem Aufschwung, der andere Sektor nimmt dagegen ab. Das eigentlich Besondere an dieser Untersuchung ist aber, dass man hier den Vergleich entlang einer regionalen Grenze vornehmen konnte mit einem Bundesstaat ohne eine gesetzliche Lohnuntergrenze (Pennsylvania) und einem anderen Bundesstaat mit einer beständig ansteigenden Lohnuntergrenze (New York state).

Man kann also nicht behaupten, dass Mindestlöhne zu einem Beschäftigungsverlust führen. Dies hat andere Ursachen.

Man kann aber auch nicht so ohne weiteres verlangen, dass die Mindestlöhne auf 12 Euro angehoben werden. Auch wenn so etwas vermeintlich notwendig und erforderlich erscheint, schaut man sich die Stundensätze aus anderen Bereichen an, würde sich für diese dann ein erheblicher Druck aufbauen, die Entgelte aufzustocken, um den Abstand zu wahren. Und letztendlicher Kostenträger für solche Aufstockungen wären die Steuerzahler.

CGS




Quellen:

Statistisches Bundesamt (Destatis)
Kathrin Frentzen, Martin Beck, Jonas Stelzer
© Statistisches Bundesamt (Destatis), 2018

Fazit: „Insgesamt sind die Auswirkungen des Mindestlohns auf die Beschäftigung in den ausgewählten, stark vom Mindestlohn betroffenen Branchen eher moderat.“


Federal Reserve Bank of New York
Liberty Street Economics
Jason Bram, Fatih Karahan, and Brendan Moore
Veröffentlicht am 25.9.2019

Fazit (Conclusion): „In gauging the effects of New York’s escalating minimum wage on two sizable low-wage industry sectors, one growing and the other shrinking, we find that it appears to have had a positive effect on average wages but no discernible effect on employment.”


Handelsblatt
Veröffentlicht am 26.6.2019

DGB Deutscher Gewerkschaftsbund

klartext 24/2019
Veröffentlicht am 27.6.2019

BMG Bundesministerium für Gesundheit

BMAS Bundesministerium für Arbeit und Soziales

(letzter Aufruf für alle Quellen am 7.10.2019)






Hat Ihnen der Beitrag gefallen?

Empfehlen Sie ein//gegliedert weiter oder klicken Sie gleich reihum auf die Überschriften oder Seiten dieses Blogs – ersetzt das Applaudieren.

Gibt es eine Gegenrede?

Schreiben Sie mir eine Email – Ihre Meinung hilft mir, meine Perspektive neu zu überdenken. Meine Email-Adresse finden Sie auf der Seite Über mich.

Wollen Sie Ihre Anonymität wahren, versuchen Sie es mit einem Wegwerf-Email-Dienst. Rechnen Sie aber damit, dass der übergeordnete Dienstanbieter diese blockiert. Die Kommentarfunktion wird von mir nicht angeboten, weil die Moderation sehr zeitaufwändig ist. Ich bitte um Ihr Verständnis.

Mindestlohn – 12 Euro und Beschäftigungsverluste