Dienstag, 1. Oktober 2019

BTHG: Umsatzsteuer vielleicht doch, obwohl nicht

Am 21.8.2019 gab es nun eine Mitteilung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) bezüglich einer Frage aus dem Paritätischen Gesamtverband. Diese Mitteilung ist an sich schon mal ganz hilfreich in Bezug auf die kurzfristige Beherbergung. Was aber nach wie vor aussteht, ist die Klärung, ob oder ob nicht eine Umsatzsteuer auf die Lebensmittel-Versorgung und andere Haushalts-Leistungen zu berechnen ist.

Daraus wiederum kann ein erhebliches wirtschaftliches Risiko erwachsen für die Leistungserbringer, wenn die Frage nicht endlich bald geklärt ist. Werden die Leistungserbringer dann vorsorglich eine Umsatzsteuer anmelden und abführen?


Vorweg erst einmal dies:

Das Bundesteilhabegesetz hat die bisherige Komplexleistung Eingliederungshilfe aufgetrennt in zwei separate Leistungsbereiche mit den Zuständigkeiten Sozialhilfe (Grundsicherungsleistungen und Hilfen zum Lebensunterhalt, SGB XII) und Eingliederungshilfe (SGB IX). Geändert hat sich jedoch nicht die Leistungserbringung. Die leistungsberechtigten Menschen könnten sich jetzt die einzelnen Leistungen und Maßnahmen zusammensuchen und „einkaufen“, aber wer wie bisher in einer Wohnstätte lebt, wird aller Voraussicht nach seinen Bedarf zum Leben auch über diese Wohnstätte beziehen – selbst wenn die Wohnstätte nun eine „besondere Wohnform“ darstellt.


Lebensmittel-Versorgung trifft Umsatzsteuerpflicht

Im Gerede ist, dass die Lebensmittel-Versorgung und der Haushalt eine umsatzsteuerpflichtige Abrechnungsweise verlangt. Für die Leistungserbringer bedeutet dies, dass sie ihre Rechnungen mit einer Umsatzsteuer versehen müssten (7 % wenn gemeinnützig) und gleichzeitig eine Vorsteuer auf die eingekauften Waren dagegen setzen (mal 7 %, dann 10,7 % oder auch 19 %). An diesem Punkt muss das Rechnungswesen wissen, wann welche Rechnung mit dem Brutto oder mit dem Netto plus Vorsteuer gebucht werden soll. Und damit gemeint ist nicht das Wissen darüber, wie es geht; jemand muss ganz klar auf der jeweiligen Rechnung vermerken, dass es sich um eine Rechnung mit einem Brutto- oder einem Netto-Anteil handelt.

Weiterer Knackpunkt ist der, dass eine Umsatzsteuer-Voranmeldung zu erfolgen hat. Dazu braucht es nicht zwingend eine Umsatzsteuer Identifikationsnummer (USt-ID); eine solche wird nur dann benötigt, wenn man als Unternehmen innerhalb der Europäischen Union geschäftlich tätig sein möchte (vgl. § 27a UStG sowie Informationsmaterial vom Bundeszentralamt für Steuern). Nach § 18 UStG ist die Umsatzsteuer-Voranmeldung nämlich monatlich oder vierteljährlich abzugeben. Ausschlaggebend dafür wäre die Höhe der Steuer aus dem Vorjahr. Doch weil im ersten Jahr eine solche Vergleichsgröße nicht existiert, wird es grundsätzlich der Kalendermonat sein (§ 18 Abs. 2 UStG). Und das bedeutet, dass schon am 10. Februar 2020 die erste Umsatzsteuer-Voranmeldung zu geschehen hat.

Wenn die Leistungserbringung allerdings „eng verbunden“ ist mit einer privilegierten Leistung, wie z.B. der Betrieb von Einrichtungen zur Betreuung oder Pflege von Menschen mit körperlicher, geistiger oder seelischer Hilfsbedürftigkeit (siehe dazu insbesondere § 4 Nr. 16 UStG), sind die Umsätze steuerfrei. Dieser Tatbestand der Kopplung kann (meines Erachtens) insbesondere dann erreicht werden, wenn das privatrechtliche Schuldverhältnis mit einem WBVG-Vertrag und diversen Anlagen oder Passagen mit Bezug zu den sonstigen Leistungen vereinbart wird. Etwas offener formuliert, aber im Inhalt identisch, ist die Regelung in Nr. 28, wenn die gelieferten Gegenstände „ausschließlich für eine nach den Nummern 8 bis 27 steuerfreie Tätigkeit verwendet“ wurden. Man könnte also behaupten, dass die Lebensmittel-Versorgung hilfsweise erfolgt, damit der Betrieb einer privilegierten Einrichtung überhaupt möglich ist – wie gesagt, das ist meine Meinung.


Abgrenzung des Probewohnens und Kurzzeitpflege (gastweise Unterbringung)

Nun stellte sich eine etwas andere Frage: kurzfristige Beherbergung bzw. Probewohnen und Kurzzeitbetreuung (gastweise Unterbringung) – an diesem Punkt geht es nicht um die Lebensmittel-Versorgung, sondern um das Wohnen insgesamt. Das BMAS hatte anscheinend aufgrund einer solchen Problemstellung mit dem Finanzministerium (BMF) gesprochen. In einem Schreiben vom 21.8.2019 an den Geschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands e.V. wurde erklärt:

Für das Probewohnen könnte dem Vermieter [der Leistungserbringer, eig. Anm.] die Absicht unterstellt werden, dass die  Vermietung auf die längerfristige Begründung des Lebensmittelpunktes ausgerichtet ist (zunächst auch abhängig von der Dauer des Wohnens), weil es sich um eine Vermietungsleistung handelt, die auf eine langfristige Vertragsbindung abzielt. Wenn diese Vertragsbindung aus anderen Gründen (Nichtgefallen, falscher Schwerpunkt der Einrichtung etc.) nicht zu Stande kommt, würde dies die im Vorfeld (d.h. bei Einzug) bestandene Absicht nicht zwingend (rückwirkend) tangieren.

In Bezug auf die Kurzzeitpflege [d.h. gastweise Unterbringung, eig. Anm.], die immer auf eine bestimmte, im Vorwege zeitlich begrenzte Zeitspanne abzielt und die Rückkehr in die weiterbestehenden Wohnverhältnisse nach sich zieht (z.B. Pflege und Wohnen im familiären Umfeld und Kurzzeitpflege als kurze Auszeit (Urlaub) für die pflegende Person), kann die Befreiung nach § 4 Nr. 12 UStG nicht gelten. Es handelt sich unter dem Blickwinkel von § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG um eine steuerpflichtige, weil kurzfristige Beherbergung, die insbesondere (auch im Vorfeld) keine Absicht einer auf Dauer ausgerichteten Vermietungsleistung erkennen lässt. …“ – die im Vorwege schon bekannte Kurzfristigkeit der Unterbringung, die nicht ein Wohnen zum Ausprobieren zur Grundlage hat, erzwingt die Umsatzsteuerpflicht (vgl. dazu Nr. 12 S. 2). Damit ist vor Aufnahme eines Klienten ein solches Kriterium im Vertrag zu bestimmen.


Steuerfrei, wenn die Leistungen gekoppelt sind

An dieser Stelle im Schreiben wird noch einmal auf den Tatbestand der Kopplung verwiesen: „Eine Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 16 Buchstabe c bzw. h UStG kommt nur in Betracht, wenn mit der Einrichtung ein Vertrag nach § 72 SGB XI bzw. eine Vereinbarung nach § 75 SGB XII besteht.“ – das sind dann:

„Von den unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 fallenden Umsätzen sind steuerfrei die mit dem Betrieb von Einrichtungen zur Betreuung oder Pflege körperlich, geistig oder seelisch hilfsbedürftiger Personen eng verbundenen Leistungen, die von …

§ 4 Nr. 16 c): … Einrichtungen, mit denen ein Vertrag nach § 132a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch, § 72 oder § 77 des Elften Buches Sozialgesetzbuch besteht oder die Leistungen zur häuslichen Pflege oder zur Heimpflege erbringen und die hierzu nach § 26 Abs. 5 in Verbindung mit § 44 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch bestimmt sind.

§ 4 Nr. 16 h): … Einrichtungen, mit denen eine Vereinbarung nach § 123 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch oder nach § 76 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch besteht.“

Genau das ist aber zur Unsicherheit geworden, die noch immer auf eine Klärung wartet seitens des BMAS und des BMF. Durch die Neuordnung der Zuständigkeiten wird die Versorgungsleistung nicht mehr in den entsprechenden Verträgen oder Vereinbarungen enthalten sein. Von daher glaubt man, dass die enge Verbundenheit nicht mehr besteht. Früher waren die existenzsichernden Leistungen Bestandteil der Verträge und Vereinbarungen, jetzt sind sie es nicht mehr. Zwar will man den Leistungserbringern eine „‘Orientierungshilfe‘ an die Hand geben“, wenn einzelne Wohn- und Versorgungs-Verträge vorliegen, die Verantwortung für die Berechnung und Anmeldung von Umsatzsteuer von einzelnen Leistungen verbleibt bei den Leistungserbringern.

Auslöser für dieses Desaster sind jedoch nicht die Leistungserbringer gewesen, sondern die obersten Landessozialbehörden, die eine mögliche Umsatzsteuerpflicht für den Bereich der Versorgung gesehen haben. In den Empfehlungen der Länder-Bund-Arbeitsgruppe zur Umsetzung des BTHG vom 18. Oktober 2018 (S. 8) steht nämlich:

„[… Es] bedarf einer intensiven Prüfung auf Landes- und Bundesebene mit dem Ziel, dass keine steuerrechtliche Benachteiligung aufgrund der Personenzentrierung erfolgt“.

Auf diese intensive Prüfung warten alle schon fast ein Jahr.


Aus Vorsichtsgründen nun doch die Umsatzsteuer abführen

Was bedeutet es nun, wenn es keine Klärung gibt? – Die Leistungserbringer würden aus Vorsichtsgründen eine Umsatzsteuer berechnen und damit ihre Verwaltungskosten soweit belasten, dass die kommenden Vergütungsverhandlungen wieder zu Streitfällen verkommen.

Diese Vorsicht ist durchaus gerechtfertigt, da alles andere eine mögliche Steuerverkürzung darstellen würde und zu einer Ordnungswidrigkeit führt („leichtfertig“, § 26a UStG). Am 10. Februar 2020 wird es erstmalig eine Umsatzsteueranmeldung geben, die vielleicht nicht richtig ist. Sie muss allerdings geschehen, weil man dem Tatbestand der leichtfertigen Ordnungswidrigkeit entgehen muss.

Was angemeldet wurde, muss auch abgeführt werden, weil die Rechnungen eine Umsatzsteuer ausweisen. Wenn jedoch die Grundlage für die Anmeldung fehlerhaft ist, darf eine Vorsteuer nicht verrechnet werden. Und mit dem Fehlen einer zu verrechnenden Vorsteuer, erhöht sich der abzuführende Anteil der Umsatzsteuer.

CGS



Notizen:

Ist die Lebensmittel-Versorgung eine Leistung, die mit dem Betrieb von speziellen Einrichtungen eng verbunden ist? – Bei den Einrichtungen handelt es sich noch um Wohnstätten, die bald zu besonderen Wohnformen deklariert werden. Die Bewohner könnten sich ihren Bedarf über verschiedene andere Leistungserbringer einkaufen, wenn sie nicht durch einen Vertrag über das Wohnen, Leben und die Fachleistung daran gehindert werden (Koppelvertrag). Dann würde eine enge Verbundenheit entstehen, auch wenn die Bezahlung auf unterschiedliche Weisen erfolgt.

Eine Grundlage ergibt sich aus der Bestimmung, dass (Landesrahmen-) Verträge nach SGB V und SGB XI oder Vereinbarungen nach SGB IX und SGB XII bestehen müssen. Wenn dann ein Koppelvertrag mit dem leistungsberechtigten Menschen vorhanden ist, wäre das Kriterium für die enge Verbundenheit aus Satz 1 erfüllt.

Doch selbst wenn kein Landesrahmen-Vertrag oder eine Leistungs-/Vergütungs-Vereinbarung vorliegen (wie z.B. im Falle des alten § 75 Abs. 4 SGB XII), müsste das konkludente Handeln von beiden Seiten ausreichend für die Annahme einer Kopplung sein.




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