Daraus wiederum
kann ein erhebliches wirtschaftliches Risiko erwachsen für die
Leistungserbringer, wenn die Frage nicht endlich bald geklärt ist. Werden die
Leistungserbringer dann vorsorglich eine Umsatzsteuer anmelden und abführen?
Vorweg erst einmal dies:
Das Bundesteilhabegesetz hat
die bisherige Komplexleistung Eingliederungshilfe aufgetrennt in zwei separate
Leistungsbereiche mit den Zuständigkeiten Sozialhilfe
(Grundsicherungsleistungen und Hilfen zum Lebensunterhalt, SGB XII) und
Eingliederungshilfe (SGB IX). Geändert hat sich jedoch nicht die
Leistungserbringung. Die leistungsberechtigten Menschen könnten sich jetzt die
einzelnen Leistungen und Maßnahmen zusammensuchen und „einkaufen“, aber wer wie
bisher in einer Wohnstätte lebt, wird aller Voraussicht nach seinen Bedarf zum
Leben auch über diese Wohnstätte beziehen – selbst wenn die Wohnstätte nun eine
„besondere Wohnform“ darstellt.
Lebensmittel-Versorgung trifft Umsatzsteuerpflicht
Im Gerede ist, dass die
Lebensmittel-Versorgung und der Haushalt eine umsatzsteuerpflichtige
Abrechnungsweise verlangt. Für die Leistungserbringer bedeutet dies, dass sie
ihre Rechnungen mit einer Umsatzsteuer versehen müssten (7 % wenn gemeinnützig)
und gleichzeitig eine Vorsteuer auf die eingekauften Waren dagegen setzen (mal
7 %, dann 10,7 % oder auch 19 %). An diesem Punkt muss das Rechnungswesen
wissen, wann welche Rechnung mit dem Brutto oder mit dem Netto plus Vorsteuer
gebucht werden soll. Und damit gemeint ist nicht das Wissen darüber, wie es
geht; jemand muss ganz klar auf der jeweiligen Rechnung vermerken, dass es sich
um eine Rechnung mit einem Brutto- oder einem Netto-Anteil handelt.
Weiterer Knackpunkt ist der,
dass eine Umsatzsteuer-Voranmeldung zu erfolgen hat. Dazu braucht es nicht
zwingend eine Umsatzsteuer Identifikationsnummer (USt-ID); eine solche wird nur
dann benötigt, wenn man als Unternehmen innerhalb der Europäischen Union
geschäftlich tätig sein möchte (vgl. § 27a UStG sowie Informationsmaterial vom
Bundeszentralamt für Steuern). Nach § 18 UStG ist die Umsatzsteuer-Voranmeldung
nämlich monatlich oder vierteljährlich abzugeben. Ausschlaggebend dafür wäre
die Höhe der Steuer aus dem Vorjahr. Doch weil im ersten Jahr eine solche
Vergleichsgröße nicht existiert, wird es grundsätzlich der Kalendermonat sein
(§ 18 Abs. 2 UStG). Und das bedeutet, dass schon am 10. Februar 2020 die erste
Umsatzsteuer-Voranmeldung zu geschehen hat.
Wenn die Leistungserbringung
allerdings „eng verbunden“ ist mit einer privilegierten Leistung, wie z.B. der
Betrieb von Einrichtungen zur Betreuung oder Pflege von Menschen mit
körperlicher, geistiger oder seelischer Hilfsbedürftigkeit (siehe dazu insbesondere
§ 4 Nr. 16 UStG), sind die Umsätze steuerfrei. Dieser Tatbestand der Kopplung
kann (meines Erachtens) insbesondere dann erreicht werden, wenn das
privatrechtliche Schuldverhältnis mit einem WBVG-Vertrag und diversen Anlagen
oder Passagen mit Bezug zu den sonstigen Leistungen vereinbart wird. Etwas
offener formuliert, aber im Inhalt identisch, ist die Regelung in Nr. 28, wenn
die gelieferten Gegenstände „ausschließlich für eine nach den Nummern 8 bis 27
steuerfreie Tätigkeit verwendet“ wurden. Man könnte also behaupten, dass die
Lebensmittel-Versorgung hilfsweise erfolgt, damit der Betrieb einer
privilegierten Einrichtung überhaupt möglich ist – wie gesagt, das ist meine
Meinung.
Abgrenzung des Probewohnens und Kurzzeitpflege
(gastweise Unterbringung)
Nun stellte sich eine etwas
andere Frage: kurzfristige Beherbergung bzw. Probewohnen und Kurzzeitbetreuung
(gastweise Unterbringung) – an diesem Punkt geht es nicht um die
Lebensmittel-Versorgung, sondern um das Wohnen insgesamt. Das BMAS hatte anscheinend
aufgrund einer solchen Problemstellung mit dem Finanzministerium (BMF)
gesprochen. In einem Schreiben vom 21.8.2019 an den Geschäftsführer des
Paritätischen Gesamtverbands e.V. wurde erklärt:
„Für das Probewohnen könnte
dem Vermieter [der Leistungserbringer, eig. Anm.] die Absicht unterstellt werden,
dass die Vermietung auf die
längerfristige Begründung des Lebensmittelpunktes ausgerichtet ist (zunächst
auch abhängig von der Dauer des Wohnens), weil es sich um eine
Vermietungsleistung handelt, die auf eine langfristige Vertragsbindung abzielt.
Wenn diese Vertragsbindung aus anderen Gründen (Nichtgefallen, falscher
Schwerpunkt der Einrichtung etc.) nicht zu Stande kommt, würde dies die im
Vorfeld (d.h. bei Einzug) bestandene Absicht nicht zwingend (rückwirkend)
tangieren.“
„In Bezug auf die Kurzzeitpflege
[d.h. gastweise Unterbringung, eig. Anm.], die immer auf eine bestimmte, im
Vorwege zeitlich begrenzte Zeitspanne abzielt und die Rückkehr in die
weiterbestehenden Wohnverhältnisse nach sich zieht (z.B. Pflege und Wohnen im
familiären Umfeld und Kurzzeitpflege als kurze Auszeit (Urlaub) für die
pflegende Person), kann die Befreiung nach § 4 Nr. 12 UStG nicht gelten. Es
handelt sich unter dem Blickwinkel von § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG um eine
steuerpflichtige, weil kurzfristige Beherbergung, die insbesondere (auch im
Vorfeld) keine Absicht einer auf Dauer ausgerichteten Vermietungsleistung
erkennen lässt. …“ – die im Vorwege schon bekannte Kurzfristigkeit der
Unterbringung, die nicht ein Wohnen zum Ausprobieren zur Grundlage hat,
erzwingt die Umsatzsteuerpflicht (vgl. dazu Nr. 12 S. 2). Damit ist vor
Aufnahme eines Klienten ein solches Kriterium im Vertrag zu bestimmen.
Steuerfrei, wenn die Leistungen gekoppelt sind
An dieser Stelle im Schreiben wird
noch einmal auf den Tatbestand der Kopplung verwiesen: „Eine Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 16 Buchstabe c bzw. h UStG kommt nur
in Betracht, wenn mit der Einrichtung ein Vertrag nach § 72 SGB XI bzw. eine
Vereinbarung nach § 75 SGB XII besteht.“ – das sind dann:
„Von den unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 fallenden Umsätzen sind
steuerfrei die mit dem Betrieb von Einrichtungen zur Betreuung oder Pflege
körperlich, geistig oder seelisch hilfsbedürftiger Personen eng verbundenen
Leistungen, die von …
§ 4 Nr. 16 c): … Einrichtungen, mit denen ein Vertrag nach
§ 132a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch, § 72 oder § 77 des Elften Buches
Sozialgesetzbuch besteht oder die Leistungen zur häuslichen Pflege oder zur
Heimpflege erbringen und die hierzu nach § 26 Abs. 5 in Verbindung mit § 44 des
Siebten Buches Sozialgesetzbuch bestimmt sind.
§ 4 Nr. 16 h): … Einrichtungen, mit denen eine Vereinbarung
nach § 123 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch oder nach § 76 des Zwölften Buches
Sozialgesetzbuch besteht.“
Genau das ist aber zur
Unsicherheit geworden, die noch immer auf eine Klärung wartet seitens des BMAS und
des BMF. Durch die Neuordnung der Zuständigkeiten wird die Versorgungsleistung
nicht mehr in den entsprechenden Verträgen oder Vereinbarungen enthalten sein. Von
daher glaubt man, dass die enge Verbundenheit nicht mehr besteht. Früher waren
die existenzsichernden Leistungen Bestandteil der Verträge und Vereinbarungen,
jetzt sind sie es nicht mehr. Zwar will man den Leistungserbringern eine „‘Orientierungshilfe‘
an die Hand geben“, wenn einzelne Wohn- und Versorgungs-Verträge vorliegen, die
Verantwortung für die Berechnung und Anmeldung von Umsatzsteuer von einzelnen
Leistungen verbleibt bei den Leistungserbringern.
Auslöser für dieses Desaster
sind jedoch nicht die Leistungserbringer gewesen, sondern die obersten
Landessozialbehörden, die eine mögliche Umsatzsteuerpflicht für den Bereich der
Versorgung gesehen haben. In den Empfehlungen der Länder-Bund-Arbeitsgruppe zur
Umsetzung des BTHG vom 18. Oktober 2018 (S. 8) steht nämlich:
„[… Es] bedarf einer intensiven Prüfung auf Landes- und Bundesebene mit dem
Ziel, dass keine steuerrechtliche Benachteiligung aufgrund der
Personenzentrierung erfolgt“.
Auf diese intensive Prüfung
warten alle schon fast ein Jahr.
Aus Vorsichtsgründen nun doch die Umsatzsteuer
abführen
Was bedeutet es nun, wenn es
keine Klärung gibt? – Die Leistungserbringer würden aus Vorsichtsgründen eine
Umsatzsteuer berechnen und damit ihre Verwaltungskosten soweit belasten, dass
die kommenden Vergütungsverhandlungen wieder zu Streitfällen verkommen.
Diese Vorsicht ist durchaus
gerechtfertigt, da alles andere eine mögliche Steuerverkürzung darstellen würde
und zu einer Ordnungswidrigkeit führt („leichtfertig“, § 26a UStG). Am 10.
Februar 2020 wird es erstmalig eine Umsatzsteueranmeldung geben, die vielleicht
nicht richtig ist. Sie muss allerdings geschehen, weil man dem Tatbestand der
leichtfertigen Ordnungswidrigkeit entgehen muss.
Was angemeldet wurde, muss auch
abgeführt werden, weil die Rechnungen eine Umsatzsteuer ausweisen. Wenn jedoch
die Grundlage für die Anmeldung fehlerhaft ist, darf eine Vorsteuer nicht
verrechnet werden. Und mit dem Fehlen einer zu verrechnenden Vorsteuer, erhöht
sich der abzuführende Anteil der Umsatzsteuer.
CGS
Notizen:
Ist die Lebensmittel-Versorgung eine Leistung, die mit
dem Betrieb von speziellen Einrichtungen eng verbunden ist? – Bei den
Einrichtungen handelt es sich noch um Wohnstätten, die bald zu besonderen
Wohnformen deklariert werden. Die Bewohner könnten sich ihren Bedarf über
verschiedene andere Leistungserbringer einkaufen, wenn sie nicht durch einen
Vertrag über das Wohnen, Leben und die Fachleistung daran gehindert werden
(Koppelvertrag). Dann würde eine enge Verbundenheit entstehen, auch wenn die
Bezahlung auf unterschiedliche Weisen erfolgt.
Eine Grundlage ergibt sich aus der Bestimmung, dass (Landesrahmen-)
Verträge nach SGB V und SGB XI oder Vereinbarungen nach SGB IX und SGB XII
bestehen müssen. Wenn dann ein Koppelvertrag mit dem leistungsberechtigten
Menschen vorhanden ist, wäre das Kriterium für die enge Verbundenheit aus Satz
1 erfüllt.
Doch selbst wenn kein Landesrahmen-Vertrag oder eine
Leistungs-/Vergütungs-Vereinbarung vorliegen (wie z.B. im Falle des alten § 75
Abs. 4 SGB XII), müsste das konkludente Handeln von beiden Seiten ausreichend
für die Annahme einer Kopplung sein.
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BTHG: Umsatzsteuer vielleicht doch, obwohl nicht