Es ist ja nur in
Griechenland, kann man denken. Hier wird es sowas natürlich nicht geben. Kann
man denken.
Natürlich ist das
schon ein Extrem. Aber es gibt auch hierzulande fürsorglich Denkende, die es
nur gutmeinen und sich mit Verbesserungen brüsten wollen, die von den Menschen,
die mit diesen Verbesserungen leben müssen, nicht so gesehen werden. Die
Förderung des behinderten Schulkindes soll zum Beispiel auf eine ganz besondere
Art und Weise verwirklicht werden, die mir wiederum zu denken gibt. Gerade weil
es kürzlich zwei Wahlen gab und demnächst eine weitere ansteht, kann man sich
gut diese Denkweisen mal ansehen. Was man jedoch findet, ist nicht wirklich durchdacht.
Es passt irgendwie nicht.
Pauschale Inklusion ist Verschwendung
Es gibt sehr viele Menschen in Deutschland, die sich als
Fürsorgende sehen und es beispielsweise nur gut meinen mit den behinderten Schul-Kindern.
Abgelehnt wird von diesen Gutmeinenden die jetzige, als „zu pauschalisierende“
Art der Inklusion. Wenn man das hört, könnte man tatsächlich glauben, bei
dieser Sache mit der Inklusion werden Steuergelder per Gießkanne über
Bedürftige verteilt und natürlich an den echten Bedarfen vorbei.
Was ebenfalls sehr kritisch gesehen wird, ist eine „Ideologisierung“
im Gesetzgebungsverfahren, die angeblich nicht das Kindeswohl, den Elternwillen
und die Arbeitssituation von Lehrkräften unterdrückt. Gefordert wird dagegen,
dass jedem behinderten Kind eine angemessene Förderung zuteil werden soll, welche
die medizinische Versorgung, technische Hilfsmöglichkeiten und die Betreuung
durch spezifisch ausgebildete Lehrer sicherstellt. Ebenso muss für Rückzugsmöglichkeiten
gesorgt werden. Dies gelingt am besten in den Förderschulen – also keinesfalls an
den Regelschulen.
Eine weitere Forderung zielt darauf ab, dass alle Schüler
an „speziellen Schwerpunktschulen“, an der behinderte und nicht-behinderte
Schulkinder gemeinsam unterrichtet werden, über die „Vor- und Nachteile dieser
Art des Unterrichts informiert sind – und dies „ausdrücklich wünschen“.
Weiter sind diese Gedanken nicht ausformuliert worden.
Ideologie im Schulgesetz eines Landes
Nehmen wir als Beispiel das Schulgesetz vom Land
Thüringen und schauen mal, welche (vielleicht ungebührliche) Ideologie zu
finden ist (teilweise in der Fassung vom 20.12.2010 und gültig bis 31.7.2020,
siehe aber auch unten den Verweis).
Das Recht auf schulische Bildung steht jedem jungen
Menschen im Bundesland zu. Und dieses Recht wird gewährleistet nach Maßgabe des
Landesschulgesetzes. Zugleich ist der Zugang zu den Schularten und den
Bildungsgängen jedem Schüler offen, ganz gleich welcher Herkunft, Geschlecht,
wirtschaftliche und gesellschaftliche Stellung der Eltern, Weltanschauung oder
Religion (§ 1 ThürSchulG). Das klingt schon mal nicht schlecht, ist aber ganz
und gar nicht so umfassend und inklusiv, wie es das Grundgesetz in Artikel 3
Abs. 3 formuliert.
Die individuelle Förderung ist wiederum eine Pflicht, die
alle Schulen im Land betrifft. Was man vielleicht kritisieren kann, ist die
Formulierung, dass diese Pflicht „im Rahmen ihres Bildungs- und
Erziehungsauftrags“ zu geschehen hat. Es kommt somit auf diesen Auftrag an, was
natürlich wieder die Sorge nach dem sogenannten Ressourcenvorbehalt hervorrufen
könnte (§ 2 Abs. 2 ThürSchulG).
Was den wirklichen Zugang weiter einschränkt, sind die
Kriterien der Befähigung und Leistung des Schülers, die eine Wahlmöglichkeit
zwischen den verschiedenen Schularten, Schulformen und Bildungsgängen
verschafft. Weil es in Thüringen auch die Förderschulen gibt als eine Schulart
(§ 4 Abs. 1 Nr. 7 ThürSchulG), könnten Kinder ohne Befähigung und Leistung auf
nur diese eine Schulart beschränkt werden. Doch selbst wenn es so scheint, es
ist dennoch möglich, dass Schüler mit einem festgestellten sonderpädagogischen
Förderbedarf auch an allen anderen Schularten beschult sein können – es gibt
dennoch beides, auch wenn es sich nicht sofort erschließt (vgl. dazu auch Abs.
11).
Der Gemeinsame Unterricht ist anzustreben, heißt es in §
53 Abs. 2 ThürSchulG. Damit unterscheidet sich das Schulgesetz kaum von anderen
Landesschulgesetzen, die ebenfalls ein inklusives Lernumfeld ermöglichen
wollen. Weil aber wieder in Satz 4 von dem Vorhandensein einer personellen,
räumlichen und sächlichen Ausstattung gesprochen, erscheint dieser Grundsatz sehr
fragil. Stellt man aber das „angemessene“ heraus, wäre das Nichtvorhandensein
von ausreichenden Ressourcen nicht statthaft; das Land bzw. die Schulträger
müssten dafür Sorge tragen, dass einem behinderten Schulkind die erforderlichen
Ressourcen bereitgestellt werden (aber das ist meine Auslegung).
Man kann also sagen, dass das thüringische
Landesschulrecht sehr sparsam ist mit der Ideologie. Das geht auch anders (z.B.
§ 4 Abs. 13 SchulG von Schleswig-Holstein).
Wunsch- und Wahlrecht
Der zweite Punkt der Kritik ist leider nicht zur Gänze
ausformuliert. Man wünscht sich jedenfalls, dass alle Schüler befragt werden,
ob sie eine solche Unterrichtsform, in der ein gemeinsamer Unterricht
stattfindet, „ausdrücklich wünschen“.
Was aber nun, wenn sie es nicht tun? Was dann?
Die Schule verlassen, müsste es konsequenterweise
bedeuten. Der Schüler, der einen gemeinsamen Unterricht nicht wünscht, müsste
zu einer anderen Schule wechseln. Und wenn es in der unmittelbaren
Nachbarschaft keine solche Schule gibt, müsste jemand den Schüler dorthin
bringen (z.B. der ÖPNV). Und wenn es dort schon zuviele Schüler gibt, der
Andrang enorm wäre, wohin dann?
Oder ist mit der Forderung gemeint, dass alle behinderten
Schüler von der Schule gehen müssen?
Das Wunsch- und Wahlrecht ist allenfalls im
Landesschulgesetz verbrieft. Gemäß § 2 Abs. 1 ThürSchulG bleiben die „natürlichen
Rechte der Eltern“ unberührt. Damit wird auf Artikel 6 GG angespielt, wonach
die Pflege und Erziehung zum natürlichen Recht der Eltern gehören und die
staatliche Gemeinschaft darüber wachen muss. Zu bestimmen, wo das Kind zur
Schule gehen darf, ist aber nicht Teil des Grundgesetzes (Artikel 7 betrifft den
Religionsunterricht). Von daher kommt es schlichtweg darauf an, welche Schule
besucht werden kann am Wohnort bzw. in der näheren Umgebung.
Darüber hinaus wäre die Grundschule mit den Jahrgangs- /
Klassenstufen 1 bis 4 „von allen Schülern gemeinsam“ zu besuchen (§ 4 Abs. 2 ThürSchulG).
Es müsste somit diese Bestimmung über das „Gemeinsame“ entfernt werden, wobei
dann noch immer nicht klar ist, wie die Alternative auszusehen hätte.
Es passt nicht
Alle behinderten Kinder müssten auf eine Förderschule
gehen, selbst wenn diese nicht wohnortnah gelegen ist? Und wir hätten dann
wieder ein Anstaltswesen, in dem eine individuelle Förderung nur darin besteht,
diese jungen Menschen für eine Beschäftigung in einer WfbM oder
Tagesförderstätte zu befähigen?
Ich frage mich sowieso, was wirtschaftlicher ist? Einen
Menschen lebenslang fremdbestimmt zu verwahren oder für eine geringere Zeit so
zu fördern, dass der Mensch selbstbestimmt und mit einem Maß an
Eigenverantwortung Teil der Gesellschaft ist und beiträgt – wenn wir schon
davon sprechen, dass „pauschale Inklusion“ eine Verschwendung von Steuergeldern
sein soll.
Es passt alles nicht zusammen. Einerseits wollen die
Fürsorger individuell fördern, andererseits sollen die behinderten Kinder
keinen Gemeinsamen Unterricht erleben.
CGS
P.S.:
Warum nun das Ganze? – Bald ist wieder eine Wahl. Und es
könnte passieren, dass eine Partei mit solchen unausgegorenen Ideen die
Regierungsverantwortung erhält; unausgegorene Ideen deswegen, weil Menschen mit
einem Hilfebedarf von diesen Menschen (an der Macht) fremdbestimmt werden.
Unsere Verfassung erlaubt das aber nicht. Die Behindertenrechtskonvention spricht
von einem selbstbestimmten Leben, was der Staat schützen und ermöglichen soll.
Sollte es aber so sein, dass diese Ideen absichtlich so
ins Wahlprogramm übernommen wurden, dann stellen sich die Leute, die das
geschrieben haben, gegen unsere Verfassung, unsere Werte und unsere
Gesellschaft (und das wird von vielen auch so gesehen). Und diejenigen, die
diese Leute wählen, macht sich zum Mitläufer, Unterstützer und Mittäter.
Später zu sagen, das habe man nicht gewusst, wäre eine
sehr zynische Form des Versuchs einer Entschuldigung. Vor 80 Jahren gab es
vielleicht noch nicht diese Informationsquellen, heute ist dank Internet und
Flat-Rates aber vieles möglich.
Und von „Mittätern“ zu sprechen ist, wie man aktuell an
den Nachrichten sehen kann, noch eine freundliche Untertreibung.
Verweis:
Landesschulgesetz vom Freistaat Thüringen
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