Donnerstag, 10. Oktober 2019

Was uns betreffen wird

Ein Fernsehbeitrag über das Leben von schwerstmehrfach-behinderten Menschen in einem Heim in Griechenland zeigte sehr verstörende Bilder von einem Leben als gefesselter, eingesperrter, abgestellter, vom Rest der Gesellschaft isolierter Mensch. Journalisten, die zum zweiten Mal das Heim besuchten, um sich sogenannte „Verbesserungen“ anzusehen, zeigten ein sehr verstörendes Bild.

Es ist ja nur in Griechenland, kann man denken. Hier wird es sowas natürlich nicht geben. Kann man denken.

Natürlich ist das schon ein Extrem. Aber es gibt auch hierzulande fürsorglich Denkende, die es nur gutmeinen und sich mit Verbesserungen brüsten wollen, die von den Menschen, die mit diesen Verbesserungen leben müssen, nicht so gesehen werden. Die Förderung des behinderten Schulkindes soll zum Beispiel auf eine ganz besondere Art und Weise verwirklicht werden, die mir wiederum zu denken gibt. Gerade weil es kürzlich zwei Wahlen gab und demnächst eine weitere ansteht, kann man sich gut diese Denkweisen mal ansehen. Was man jedoch findet, ist nicht wirklich durchdacht. Es passt irgendwie nicht.


Pauschale Inklusion ist Verschwendung

Es gibt sehr viele Menschen in Deutschland, die sich als Fürsorgende sehen und es beispielsweise nur gut meinen mit den behinderten Schul-Kindern. Abgelehnt wird von diesen Gutmeinenden die jetzige, als „zu pauschalisierende“ Art der Inklusion. Wenn man das hört, könnte man tatsächlich glauben, bei dieser Sache mit der Inklusion werden Steuergelder per Gießkanne über Bedürftige verteilt und natürlich an den echten Bedarfen vorbei.

Was ebenfalls sehr kritisch gesehen wird, ist eine „Ideologisierung“ im Gesetzgebungsverfahren, die angeblich nicht das Kindeswohl, den Elternwillen und die Arbeitssituation von Lehrkräften unterdrückt. Gefordert wird dagegen, dass jedem behinderten Kind eine angemessene Förderung zuteil werden soll, welche die medizinische Versorgung, technische Hilfsmöglichkeiten und die Betreuung durch spezifisch ausgebildete Lehrer sicherstellt. Ebenso muss für Rückzugsmöglichkeiten gesorgt werden. Dies gelingt am besten in den Förderschulen – also keinesfalls an den Regelschulen.

Eine weitere Forderung zielt darauf ab, dass alle Schüler an „speziellen Schwerpunktschulen“, an der behinderte und nicht-behinderte Schulkinder gemeinsam unterrichtet werden, über die „Vor- und Nachteile dieser Art des Unterrichts informiert sind – und dies „ausdrücklich wünschen“.

Weiter sind diese Gedanken nicht ausformuliert worden.


Ideologie im Schulgesetz eines Landes

Nehmen wir als Beispiel das Schulgesetz vom Land Thüringen und schauen mal, welche (vielleicht ungebührliche) Ideologie zu finden ist (teilweise in der Fassung vom 20.12.2010 und gültig bis 31.7.2020, siehe aber auch unten den Verweis).

Das Recht auf schulische Bildung steht jedem jungen Menschen im Bundesland zu. Und dieses Recht wird gewährleistet nach Maßgabe des Landesschulgesetzes. Zugleich ist der Zugang zu den Schularten und den Bildungsgängen jedem Schüler offen, ganz gleich welcher Herkunft, Geschlecht, wirtschaftliche und gesellschaftliche Stellung der Eltern, Weltanschauung oder Religion (§ 1 ThürSchulG). Das klingt schon mal nicht schlecht, ist aber ganz und gar nicht so umfassend und inklusiv, wie es das Grundgesetz in Artikel 3 Abs. 3 formuliert.  

Die individuelle Förderung ist wiederum eine Pflicht, die alle Schulen im Land betrifft. Was man vielleicht kritisieren kann, ist die Formulierung, dass diese Pflicht „im Rahmen ihres Bildungs- und Erziehungsauftrags“ zu geschehen hat. Es kommt somit auf diesen Auftrag an, was natürlich wieder die Sorge nach dem sogenannten Ressourcenvorbehalt hervorrufen könnte (§ 2 Abs. 2 ThürSchulG).

Was den wirklichen Zugang weiter einschränkt, sind die Kriterien der Befähigung und Leistung des Schülers, die eine Wahlmöglichkeit zwischen den verschiedenen Schularten, Schulformen und Bildungsgängen verschafft. Weil es in Thüringen auch die Förderschulen gibt als eine Schulart (§ 4 Abs. 1 Nr. 7 ThürSchulG), könnten Kinder ohne Befähigung und Leistung auf nur diese eine Schulart beschränkt werden. Doch selbst wenn es so scheint, es ist dennoch möglich, dass Schüler mit einem festgestellten sonderpädagogischen Förderbedarf auch an allen anderen Schularten beschult sein können – es gibt dennoch beides, auch wenn es sich nicht sofort erschließt (vgl. dazu auch Abs. 11).

Der Gemeinsame Unterricht ist anzustreben, heißt es in § 53 Abs. 2 ThürSchulG. Damit unterscheidet sich das Schulgesetz kaum von anderen Landesschulgesetzen, die ebenfalls ein inklusives Lernumfeld ermöglichen wollen. Weil aber wieder in Satz 4 von dem Vorhandensein einer personellen, räumlichen und sächlichen Ausstattung gesprochen, erscheint dieser Grundsatz sehr fragil. Stellt man aber das „angemessene“ heraus, wäre das Nichtvorhandensein von ausreichenden Ressourcen nicht statthaft; das Land bzw. die Schulträger müssten dafür Sorge tragen, dass einem behinderten Schulkind die erforderlichen Ressourcen bereitgestellt werden (aber das ist meine Auslegung).

Man kann also sagen, dass das thüringische Landesschulrecht sehr sparsam ist mit der Ideologie. Das geht auch anders (z.B. § 4 Abs. 13 SchulG von Schleswig-Holstein).  


Wunsch- und Wahlrecht

Der zweite Punkt der Kritik ist leider nicht zur Gänze ausformuliert. Man wünscht sich jedenfalls, dass alle Schüler befragt werden, ob sie eine solche Unterrichtsform, in der ein gemeinsamer Unterricht stattfindet, „ausdrücklich wünschen“.

Was aber nun, wenn sie es nicht tun? Was dann?

Die Schule verlassen, müsste es konsequenterweise bedeuten. Der Schüler, der einen gemeinsamen Unterricht nicht wünscht, müsste zu einer anderen Schule wechseln. Und wenn es in der unmittelbaren Nachbarschaft keine solche Schule gibt, müsste jemand den Schüler dorthin bringen (z.B. der ÖPNV). Und wenn es dort schon zuviele Schüler gibt, der Andrang enorm wäre, wohin dann?

Oder ist mit der Forderung gemeint, dass alle behinderten Schüler von der Schule gehen müssen?

Das Wunsch- und Wahlrecht ist allenfalls im Landesschulgesetz verbrieft. Gemäß § 2 Abs. 1 ThürSchulG bleiben die „natürlichen Rechte der Eltern“ unberührt. Damit wird auf Artikel 6 GG angespielt, wonach die Pflege und Erziehung zum natürlichen Recht der Eltern gehören und die staatliche Gemeinschaft darüber wachen muss. Zu bestimmen, wo das Kind zur Schule gehen darf, ist aber nicht Teil des Grundgesetzes (Artikel 7 betrifft den Religionsunterricht). Von daher kommt es schlichtweg darauf an, welche Schule besucht werden kann am Wohnort bzw. in der näheren Umgebung.

Darüber hinaus wäre die Grundschule mit den Jahrgangs- / Klassenstufen 1 bis 4 „von allen Schülern gemeinsam“ zu besuchen (§ 4 Abs. 2 ThürSchulG). Es müsste somit diese Bestimmung über das „Gemeinsame“ entfernt werden, wobei dann noch immer nicht klar ist, wie die Alternative auszusehen hätte.


Es passt nicht

Alle behinderten Kinder müssten auf eine Förderschule gehen, selbst wenn diese nicht wohnortnah gelegen ist? Und wir hätten dann wieder ein Anstaltswesen, in dem eine individuelle Förderung nur darin besteht, diese jungen Menschen für eine Beschäftigung in einer WfbM oder Tagesförderstätte zu befähigen?

Ich frage mich sowieso, was wirtschaftlicher ist? Einen Menschen lebenslang fremdbestimmt zu verwahren oder für eine geringere Zeit so zu fördern, dass der Mensch selbstbestimmt und mit einem Maß an Eigenverantwortung Teil der Gesellschaft ist und beiträgt – wenn wir schon davon sprechen, dass „pauschale Inklusion“ eine Verschwendung von Steuergeldern sein soll.

Es passt alles nicht zusammen. Einerseits wollen die Fürsorger individuell fördern, andererseits sollen die behinderten Kinder keinen Gemeinsamen Unterricht erleben.

CGS


P.S.:

Warum nun das Ganze? – Bald ist wieder eine Wahl. Und es könnte passieren, dass eine Partei mit solchen unausgegorenen Ideen die Regierungsverantwortung erhält; unausgegorene Ideen deswegen, weil Menschen mit einem Hilfebedarf von diesen Menschen (an der Macht) fremdbestimmt werden. Unsere Verfassung erlaubt das aber nicht. Die Behindertenrechtskonvention spricht von einem selbstbestimmten Leben, was der Staat schützen und ermöglichen soll.

Sollte es aber so sein, dass diese Ideen absichtlich so ins Wahlprogramm übernommen wurden, dann stellen sich die Leute, die das geschrieben haben, gegen unsere Verfassung, unsere Werte und unsere Gesellschaft (und das wird von vielen auch so gesehen). Und diejenigen, die diese Leute wählen, macht sich zum Mitläufer, Unterstützer und Mittäter.

Später zu sagen, das habe man nicht gewusst, wäre eine sehr zynische Form des Versuchs einer Entschuldigung. Vor 80 Jahren gab es vielleicht noch nicht diese Informationsquellen, heute ist dank Internet und Flat-Rates aber vieles möglich.


Und von „Mittätern“ zu sprechen ist, wie man aktuell an den Nachrichten sehen kann, noch eine freundliche Untertreibung.

Verweis:




Landesschulgesetz vom Freistaat Thüringen






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