NDR Fernsehen - Weltbilder - Zustände in einem Heim |
Kommt man ins
Gespräch mit Angehörigen von Menschen mit Behinderung (ganz besonders mit den
Eltern von Schulkindern), stößt man auf ein Denken, was einen ebenfalls
betrifft – also mich zumindest.
Ich würde am
liebsten gleich darauf verweisen, was durch so ein einschränkendes Denken an
Behinderungen verursacht wird und was in letzter Konsequenz daraus passieren
kann. Leider verstehen es diese Menschen kaum, weil sie mit anderen, profaneren
(?) Dingen beschäftigt sind und das kritische Nachdenken verlernt haben. Aber
es muss mal ausgesprochen bzw. mal „ausgeschrieben“ werden, damit es von
anderen wenigstens zur Kenntnis genommen wird.
Typisch?
Vor einiger Zeit gab es in einem Fernsehbeitrag einen
Bericht über das Leben von schwerstmehrfach-behinderten Menschen in einem Heim
in Griechenland. Die Journalisten hatten nun zum zweiten Mal dieses Heim
besucht, um sich von den Verbesserungen, die man unternommen hatte, ein Bild zu
machen. Es sollte einen beängstigen, dass es bei dem Gezeigten um „Verbesserungen“
handelt – wie schlimm war es vorher?
Es ist ja nur in Griechenland, kann man denken, und dabei
die hiesigen Verhältnisse nicht zur Kenntnis nehmen. Einen Grund entspannt
damit umzugehen, gibt es jedoch nicht. Ein paar Beispiele:
Ein Neuropädiater (Facharzt für Nervenkrankheiten bei
Kindern) meinte, dass jegliche Therapie bei Kindern „sowieso nicht helfe, wenn
das Gehirn nicht funktioniert“. Ein anderer Neuropädiater (und gleichzeitiger
Chefarzt in einem Kinderzentrum) hob hervor, dass es sich bei einer geistigen
Behinderung um eine „syndromale Grunderkrankung“ handele und demzufolge keine
Maßnahme eine Verbesserung bringt.
Noch bis kurz vor Inkrafttreten des
Bundesteilhabegesetzes in 2016 wurden Vergütungen vereinbart, die sich am
Vergleich mit anderen Anbietern in Bezug auf die (scheinbar) gleiche Leistung
messen lassen mussten. Teuer werdendes Personal bzw. die alte Stammbelegschaft
musste abgebaut werden, unbesetzte Stellen wurden „bewirtschaftet“. Dadurch
entstanden vielfach Überforderungen, die zu einem Fehlverhalten der Mitarbeiter
gegenüber den Bewohnern von Behindertenheimen führten (in dem Zusammenhang sei
noch mal an die Recherchen des Teams Wallraff erinnert, siehe die Link-Angaben
weiter unten).
Schulische Inklusion wird anders gesehen
In einer kürzlich erschienen Veröffentlichung der
Ergebnisse eines Forschungsberichts zur Schulischen Inklusion (siehe unten)
zeigte sich einerseits eine sehr positive Haltung der Gesamtbevölkerung zur
Inklusion (Zustimmung lag bei 85 % bezogen auf alle Menschen mit und ohne
Beeinträchtigung, und bei 94 % in Bezug auf Kinder mit und ohne
Beeinträchtigung bei Freizeitangeboten). Als man aber wissen wollte, ob eine
gemeinsame Beschulung stattfinden sollte, ergaben sich ganz andere Werte (66 %
insgesamt, 61 % bei Eltern ohne Inklusionserfahrung, 78 % bei Eltern mit
Inklusionserfahrung). Noch gravierender war das Ergebnis zur Frage, ob ein
inklusives Schulsystem „besonders leistungsstarke Kinder im fachlichen Lernen
bremst“ (47 % der Eltern ohne Inklusionserfahrung und 55 % der Eltern mit
Inklusionserfahrung bestätigten dies).
In einem persönlichen Gespräch wurde für den Besuch an der
Förderschule das teils sehr verletzende Verhalten anderer Kinder, die
Überforderung (und die mangelhaft zur Verfügung gestellten Mittel) der Lehrer
und die „Aussichtslosigkeit“ angeführt. Und in einer Beratung hatte man den
Eltern gesagt, „behinderte Kinder fühlen sich unter ihresgleichen viel besser“.
In einem anderen Fall war die Person in
der Zuständigkeit eines Grundschulkoordinators bemüht darum, dass das Kind mit
einer festgestellten milden geistigen Behinderung nicht die Regelschule
besuchen wird (das war noch 2013).
Es sind zwar nur einige Beispiele, doch sie sollten uns
nachdenklich machen, da der nächste Schritt bzw. die letzte Konsequenz einer
solchen Überzeugung nichts mehr mit unserem Werteverständnis oder sogar unserer
Verfassung zu tun hat.
Denken bestimmt unsere Sprache, Sprache manipuliert
unser Denken
Vieles passiert unbewusst und ohne weiteres Nachdenken.
Menschen mit geistiger Behinderung zählen zum Beispiel nicht zu den „Normalen“.
Fragt man den, der das tut, was denn normal ist, weiß derjenige aber nichts zu
antworten. Dieses Denken hat sich nun leider so sehr eingebürgert, dass es als
ein Standard und ein Selbstverständnis gelebt wird. Ein solches Denken bestimmt
unsere Sprache, und die wiederum bestimmt unser Handeln, so dass wir plötzlich
nicht mehr in einer inklusiven Gesellschaft leben, sondern uns gegenseitig
ausgrenzen.
Viele Gut-Menschen glauben, die „armen Behinderten“
müssen geschützt werden; müssen sie doch auch, denn sie sind in Wirklichkeit so
wehr- und hilflos. Man fragt nicht mehr, was die Menschen mit Handicap wollen,
weil sie ganz bestimmt nicht selber wissen. Man bestimmt für diese Menschen,
dass sie in einer Anstalt leben sollen, am besten mit Gittern und Zäunen, damit
sie besser geschützt sind vor dem harten, unerbittlichen Konkurrenzkampf in der
Welt. Diejenigen, die so etwas propagieren, sehen sich als echte Fürsorgende.
Und sie sind bereit, Steuermittel einzusetzen, um Förderzentren, Heime und
Anstalten zu bauen für diese armen Behinderten.
Vielleicht ist es dann auch echte Fürsorge, wenn man den
unheilbar kranken Behinderten das harte Leben erspart und ihnen Gnade gewährt?
– Wohin das führt, sollte man kennen.
Das Beispiel aus Griechenland ist erschreckend. Der im
Bericht gezeigte Heimleiter scheint verstanden zu haben, dass etwas passieren
muss. Aber er scheint das Problem noch nicht zur Gänze durchdacht zu haben.
Oder er ist zu sehr im Überlebenskampf der Einrichtung verstrickt. Viele Eltern
von behinderten Kindern beschäftigen sich mit Fragen, die eigentlich keinen
Mehrwert bringen, sondern als echte Zeitverschwendung betrachtet werden können.
Dabei muss man sich keine großen Gedanken machen; es reicht aber, wenn man sich
dem Beispiel aus der deutschen Geschichte einfach mal zuwendet. Was da nämlich
als „Gnade“ und „menschlichem Ermessen“ erlassen wird, ist nichts anderes als
bloße (sozialdarwinistische) Vernichtung.
Das macht mich betroffen.
CGS
Weitere Informationen:
NDR – Weltbilder
Beitrag „Griechenland: Heimbewohner in Käfigen“
Erstveröffentlichung: Dienstag, 07. Mai 2019, 23:30 bis
00:00 Uhr
Von außen ein
typisches staatliches Heim für Menschen mit Behinderung - eines von ungefähr 70
in ganz Griechenland, in Lechena, einem kleinen Ort auf der Peleponnes. Yiorgos
Nikolaidis ist Psychiater und kritisiert die Zustände in dem Heim seit Jahren:
"Die Situation 2016 war schockierend. Es gab 51 Bewohner, 36 davon waren
permanent mit Geräten oder medikamentös ruhiggestellt. Es gab Menschen, die
seit 22 Jahren in Holz-Käfigen in der Größe von zwei mal zwei Metern gelebt
haben und nicht mal für eine Sekunde rauskamen. Dort drin wurden sie gefüttert
und dort hat man ihnen auch die Windeln gewechselt." Das Drama von
Lechena, es sollte nach 30 Jahren endlich beendet werden. Aktivisten, NGOs,
europäische Helfer - alle schlossen sich zusammen, um sich gemeinsam für einen
menschenwürdigen Umgang mit den Heimbewohnern einzusetzen. Seit zehn Jahren
berichten internationale Medien über diese Tragödie. Doch hat sich an den Zuständen
im Heim wirklich etwas entscheidend verändert?
Autorin: Ellen Trapp
(letzter Aufruf am 30.6.2019)
Forschungsbericht
Schulische Inklusion
Infas Institut für angewandte Sozialwissenschaften GmbH
Friedrich-Wilhelm-Straße 18
53113 Bonn
Im Zusammenwirken mit Aktion Mensch und Die Zeit
Brigitte Zypries / SPD
Eigene Beiträge:
Das Team Wallraff recherchiert auch in Einrichtungen der
Behindertenhilfe
Notizen:
Am 1. September 1939 erteilte der Reichskanzler und
Führer des Deutschlands zu dieser Zeit, dass „nach menschlichem Ermessen
unheilbar Kranken bei kritischster Beurteilung ihres Krankheitszustands der
Gnadentod gewährt werden kann“ (Hitlers Euthanasiebefehl "Gnadentoderlass";
https://www.ns-archiv.de/medizin/euthanasie/faksimile/).
Um das Volk zu schützen, müssen die Starken gestärkt
werden von den Nicht-Starken – also den Schwächeren.
Nach der Theorie des Sozialdarwinismus findet eine
Auslese statt, die sich in jedweder Hinsicht anwenden lässt (z.B. der Moral)
und bestimmend ist für die menschliche Entwicklung. Von daher kann man von
gutem und schlechtem Erbmaterial sprechen und dementsprechend alles daran
setzen, das schlechte Erbmaterial auszulöschen (Kernaussagen nach Franz M.
Wuketits, https://de.wikipedia.org/wiki/Sozialdarwinismus)
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