Dienstag, 21. Februar 2017

Das Team Wallraff recherchiert auch in Einrichtungen der Behindertenhilfe

Sensationsjournalismus? Lüstern und Neugierig?
Oder werden Missstände aufgedeckt, die dringend zu beseitigen sind?

Reporter des Teams Wallraff sind als Praktikanten in verschiedenen Einrichtungen für Menschen mit geistiger und psychischer Behinderung immer wieder einige Tage oder Wochen tätig und zeichnen Ereignisse auf, die einen Zuschauer sprachlos machen. Sicherlich kann vieles vielleicht einseitig und ohne Kenntnisse der Hintergründe zusammengestellt sein, man kann auch eine „reißerische“ Aufmachung unterstellen. Und auch wenn es sehr wahrscheinlich Einzelfälle sind, man sollte hinschauen.

Was gezeigt wird, ist eine Sammlung von Respektlosigkeiten, Abwertungen, Schikanen und Missachtungen.

Ein Beispiel: In einer Wohnstätte für Senioren mit geistiger Behinderung (Personenkreis nach § 53 SGB XII) scheint das Personal sich laufend Zigarettenpausen zu gönnen und dabei seine Klienten und ihre Bedürfnisse völlig zu ignorieren.

Fachlich gesprochen fällt auf, dass offenbar keinerlei Tagesstrukturierende Maßnahmen geleistet werden. Diese Maßnahmen sollen eigentlich den behinderten Menschen eine Struktur geben und ihnen eine Beschäftigung bieten, die sie ansonsten nicht hätten. Solche Maßnahmen kommen immer dann infrage, wenn eine Tagesförderung als Teilhabe am Arbeitsleben oder eine Beschäftigung in einer WfbM nicht möglich sind. Doch in der Einrichtung kümmert sich das Personal nicht um die Bewohner, oder wenn es das tut, dann eher geringschätzend und strafend.

Nicht-fachlich gesprochen sieht man andere Dinge. Da kann ein Bewohner anscheinend nach Meinung des Betreuers nicht „ordentlich“ trinken und macht sich deswegen nass. Doch man kann auch sehen, dass die körperlichen Einschränkungen dieses Menschen die eigentliche Ursache für das Verschütten des Getränks sind. Der Betreuer nimmt es dagegen persönlich und bestraft den behinderten Menschen mit „Entzug“.

Es wird ein „Erziehungsinstrument“ gebraucht, weil ein Bewohner angeblich provoziert hat und mit Absicht in sein Bett urinierte. Die Betreuer erklären der Praktikantin, dass der behinderte Mensch durchaus in der Lage ist, seinen Urin zu halten. Hat er also vorsätzlich sein Bett eingenässt, dann muss im der Aufenthalt im Snoezel-Room, einem Entspannungs-Raum, versagt werden.

Weil der Rollstuhl eingenässt wurde, muss eine „Bestrafungsaktion“ durchgeführt werden. Der behinderte Mensch, möglicherweise ein Mensch mit einem sehr hohen Hilfebedarf, muss sich in seinem abgedunkelten Zimmer alleine und für Stunden sitzend aufhalten. Damit er nicht in sein Bett gehen kann, in dem er seinen Mittagsschlaf halten würde, wird das Pflegebett hochgefahren.

Die Bestrafungsaktion dauert schon zwei Stunden. Der Mann ist im Dunkeln alleine, und gleichzeitig sitzt in der Küche eine Betreuerin herum und „befiehlt“ einer Bewohnerin leere Flaschen weg zu räumen.

Schon wieder lässt ein Bewohner etwas im Frühstücksraum fallen – ob die Spastik oder ein Vorsatz dafür Ursache waren? Der Betreuer unterstützt den Menschen nicht beim Aufheben, sondern er bleibt neben ihm aufrecht stehen und verlangt, dass der Bewohner das Fallengelassene wieder aufhebt. Ein demütigendes Verhalten.

An einem Sonntag sind anscheinend drei „Fachkräfte“ im Einsatz, die bei schönem Wetter alle gleichzeitig eine Raucherpause einlegen. Die Praktikantin, die sich nun mit einer Bewohnerin beschäftigt, hört ein lautes Rufen und findet einen Bewohner, der auf das WC muss. Weil sie anscheinend nicht unterstützen darf, rennt sie zu den rauchenden Betreuern auf der Terrasse. Man reagiert gelassen und lässt es darauf ankommen, dass sich der Mann beschmutzt.

In der Spätschicht muss ein Betreuer einen Bewohner, der sich in die Hose gemacht hat, reinigen. Die Arbeit stellt mit Sicherheit eine persönliche Herausforderung dar, doch nun lässt der Mann seine Frustrationen heraus und schreit den Bewohner an. Man fragt sich, wie es dazu kommen kann – warum passiert eine solche beleidigende Handlung?

Immer wieder zeigt die Journalistin, dass die Betreuer auf der Terrasse eine rauchen sind oder sich demütigend und abschätzig gegenüber den Bewohner verhalten. Eine Psychologin, die Supervision als Reflexion für solche Betreuungskräfte anbietet, ist betroffen und meint, dass hier eine Abwertung stattfindet. Ein Fachmann für Pflege-Leistungen zeigt sich entsetzt über die Demütigungen. Man ist sprachlos über die gezeigten Missachtungen und ständigen Aggressivität bei den Betreuern. Es fehlt jede Empathie. Fachkompetenz scheint nicht vorhanden zu sein. Doch man fragt sich auch, warum die Betreuungskräfte so reagieren – handeln diese aus eigener Hilflosigkeit heraus?

Die weiteren Hintergründe werden leider nicht aufgedeckt. Die mit diesen Ergebnissen konfrontierten Geschäftsführungen zeigten sich „überrascht“ oder schockiert – im Falle der Wohnstätte schaltete der betroffene Träger der Einrichtung die zuständige Prüfbehörde ein. Diese „begleitete“ daraufhin sehr eng „beratend“ die Einrichtung, doch auch die Staatsanwaltschaft nahm die Ermittlungen auf, weil der Verdacht auf Misshandlung von Schutzbefohlenen bestand.

Was weiter passiert ist, bleibt derzeit noch unbekannt. Die Diskussion ist nun im Gange, was sich für alle übrigen Leistungserbringer mit Sicherheit ebenfalls auswirken wird / könnte.

CGS


Quellen:

RTL Fernsehen, Sendung vom 20.2.2017:





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