Donnerstag, 10. August 2017

Der K(r)ampf um gute Schulbegleitungen

Es gibt Fragen, die wohl in vielen Familien sehr viel Zeit beanspruchen und Ressourcen binden. Damit meinte ich zuletzt eigentlich nur die Fragen um die Beschulung: Regelschule oder Förderschule. Doch es gibt noch weitere Problemfelder, mit denen sich Eltern behinderter Schulkinder „quälen“ müssen – ausgerechnet die leistungserbringenden Dienste, also diejenigen, die eigentlich unterstützen sollen, haben manchmal ganz komische Ansichten.

Für alles gibt es eine Lösung.

Eine große Hilfe für behinderte Kinder und ihre Eltern sind Schulbegleiter, manchmal auch bekannt als Integrationsassistenten, Schulhelfer oder Integrationshelfer. Im folgenden Beitrag geht es aber nicht um Assistenzkräfte an Förderschulen und auch nicht um Schulassistenten an Regelschulen (diese sollen z.B. nicht für ein einzelnes Kind zuständig sein).

Finanziert wird der Einsatz von Schulbegleitern aus Mitteln der Eingliederungshilfe, wobei die Kosten je nach Zuständigkeit von der Jugendhilfe (§ 35 a SGB VIII) oder der Sozialhilfe (§ 53 SGB XII) getragen werden.

Die Voraussetzungen für ein Gelingen

Schulbegleiter sollen mindestens sozial erfahrene Personen sein. Das bedeutet, eine besondere, berufliche Ausbildung wird in der Regel nicht benötigt. Grund dafür ist, auf Seiten der öffentlichen Verwaltung bzw. der Kommunen als Träger der Eingliederungshilfe (Leistungsträger) erwartet man fast nie einen hohen Hilfebedarf. Kinder, die einen hohen Bedarf hätten, würden sowieso auf die Förderschule gehen und keine Regelschule besuchen. Demzufolge geht man von sehr geringen Anforderungen aus. Im Einzelfall kann es aber dagegen so sein, dass tatsächlich ein erhöhter Bedarf vorliegt, so dass dann eine bestimmte fachliche Eignung benötigt wird – z.B. bei einem bestimmten Pflegebedarf.

Schulbegleiter sollen stets dabei sein, wenn das Kind sich durch den Schulalltag bewegen muss. In manchen Leistungsvereinbarungen zwischen dem Dienst (Leistungserbringer) und dem Träger der Eingliederungshilfe steht, dass die Leistungserbringung „in Absprache mit der Schule“ erfolgen soll. Damit ist jetzt aber nicht gemeint, dass die Schule über die Inhalte der eigentlichen Leistungen des Schulbegleiters bestimmen kann. Es geht hier vielmehr um die Arbeit vor Ort, also in der Klasse und was zu tun ist, wenn sich andere Kinder mit Hilfeersuchen an die erwachsene Begleitungskraft wenden. Weiterhin kann sich die Regelung darin finden, dass die Leistungserbringung „ohne zeitliche Unterbrechung“ vorgenommen wird. Natürlich dürfen und müssen Schulbegleiter Pausen einlegen, doch man wünscht sich, dass die Begleitungsarbeit nicht unterbrochen wird wegen einer Pause.

Bei der Leistungsvereinbarung handelt es sich um eine vertragsähnliche Grundlage, welche die zu leistende Arbeit konkretisiert. Darin sind die „wesentlichen Leistungsmerkmale“ der Tätigkeit für einen bestimmten Personenkreis festgelegt. Es geht aber nicht um eine Auflistung aller Leistungen einer Schulbegleitung für ein bestimmtes Kind, sondern es geht um die Einzelleistungen von Schulbegleitungen des jeweiligen Leistungserbringers (vgl. § 76 Abs. 1 SGB XII i.V.m. § 54 SGB XII).

Im Wesentlichen geht es um folgende Einzelleistungen (Inhalte):

- Schulbegleitung im Unterricht
- Pausenbegleitung
- Schulwegbegleitung / -abholung
- Unterstützung bei pflegerischem Bedarf
- Hilfen bei fremd- und eigengefährdendem Verhalten
- Hilfen bei sozialen Interaktionen und Interpretationen

Es kann dann auch noch die Aufteilung geben in einen Teil „Grundleistung“ und einen weiteren Teil „Zielleistungen / Zielvereinbarungen“. Mit letzterem wären individuelle Teilhabeziele gemeint, mit denen eine zielgerichtete Entwicklung und Förderung stattfinden soll. Doch weil es sich hier um eine Leistung handelt, die in den Kernbereich der pädagogischen Arbeit fällt, muss sie klar ausgeklammert werden.

Schulbegleiter sind in jedem Fall keine zweiten Lehrkräfte. Sie unterstützen in manchen Fällen bei der Kommunikation zwischen Lehrer und Kind. Und manchmal ist es hilfreich, wenn die Aufmerksamkeit des Kindes sozusagen „gelenkt“ wird, damit eine Konzentration möglich ist und Störungen, die zu einer Reizüberflutung führen, vermieden werden. Was aber ganz wichtig ist, ist die Entwicklung einer Vertrauensstellung, so dass sich für das Kind eine Schutzzone in Stresssituationen ergibt.

Eine besondere Vertrauensstellung

Gute Schulbegleiter müssen dennoch eine professionelle Distanz zum Kind bewahren. Es soll zwar eine Einflussnahme möglich sein, doch diese findet eben nur zielgerichtet statt. Hin und wieder berichten Eltern allerdings von Ereignissen, die beunruhigen können – zwei Beispiele:

Eine Begleitung versuchte dem Kind einen Schulwechsel einzureden. Nachdem die Eltern ein solches Verhalten rügten und sogar einen Trägerwechsel überlegten, wendete sich die Schulbegleitung an die Schulleitung.

Eine andere Begleitungskraft wollte in der Schulpause nicht gestört werden und verweigerte die Begleitungsarbeit.

Schulbegleiter müssen viel Verständnis und Geduld aufbringen, damit sich die Kinder mit ihren Besonderheiten nicht unterdrückt, heraus- und überfordert fühlen. Sie müssen Abstand halten und doch ansprechbar bleiben, damit das Kind aus dem Randbereich der Gemeinschaft abgeholt wird. Nur so kann eine Inklusion im Sozialraum Schule entstehen und andere Kinder könnten dem Kind benötigte Hilfen geben.

Wie auch in sehr vielen anderen Berufen: Gutes Personal ist zuverlässig, vertrauensvoll und verhält sich wertschätzend – aber nicht nur gegenüber Erwachsenen, sondern ganz besonders gegenüber den Kindern. Gutes Personal zu finden, ist aber nicht ganz einfach. Gerade dann, wenn die großen Sommerferien sich dem Ende zuneigen, kann die Auswahl an Bewerbern für diese Tätigkeit sehr mager ausfallen. Man nimmt, was verfügbar ist – und muss notfalls seitens der übergeordneten Leitungsebene (Bereichsleitung) mit Qualifizierungsmaßnahmen steuern.

Ebenso wichtig sind neben einer guten Einarbeitung, Planungs- und Konzeptionsgesprächen (Konzeptarbeit), Fall- und Dienstbesprechungen und sogar die Supervision.

Unterschiedliche Interessen

Während für die Eltern das Wohlbefinden des Kindes im Vordergrund steht (manchmal vielleicht ein wenig „überbetont“), sehen Schulbegleiter ihren Erziehungs- und Begleitungsauftrag. Sie werden Teil des Schulalltags, dürfen aber jetzt nicht zu Lehrkräften mutieren.

Die den Schulbegleitern übergeordnete Ebene, die Bereichsleitungen, sehen dagegen häufig nur die eigenen Strukturen, Ressourcen und Prozesse. Als Organisation und Leistungserbringer unterliegen sie in erster Linie einer Leistungsvereinbarung, welche Grundlage ist für die zu zahlende Vergütung. In Koordinierungsgesprächen zwischen Schulträgern, Jugendhilfe und Eingliederungshilfe ergeben sich vielfach weitere „Rahmenbedingungen“, die den Eltern aber völlig unbekannt sind.

Das alles bedeutet noch lange keine Personenzentrierung bzw. Zentrierung auf die individuellen Bedarfe des Kindes. Hilfreich wäre es, hierüber Gespräche insbesondere mit den Eltern zu führen, damit sich auch bei diesen ein Verständnis entwickeln kann und so alle Beteiligten vertrauensvoll und zusammen zum Wohl des Kindes arbeiten. Fehlt dagegen eine solche Grundlage, sollte es nicht überraschen, dass Eltern sich irritiert zeigen bei einem Wechsel in der begleitenden Person.

Für den Wechsel gibt es meistens einen dieser Gründe:

Persönliche Gründe, z.B. die Schulbegleitung wünscht eine Veränderung. In diesen Fällen erübrigt sich jeglicher Interventionsversuch. Gegen den freien Willen kann man nicht argumentieren – man muss den Wechsel einfach hinnehmen.

Fachliche Gründe, z.B. das Kind erhält nicht die Leistungen, die es wirklich braucht. In diesen Fällen muss nicht nur eingegriffen und sofort Abhilfe geschaffen werden, es sind unter Umständen sogar die Aufsichtsführenden Stellen zu benachrichtigen und ein Trägerwechsel anzustreben.

Organisatorische Gründe, z.B. wird an anderer Stelle dieser Schulbegleiter „dringender“ benötigt. Hier muss eine Aussprache stattfinden, damit auf Seiten der Eltern ein Verständnis entsteht und beim Leistungserbringer eine stärkere Berücksichtigung der Hilfebedarfe erfolgt. Leidtragender ist ansonsten das Kind.

Bei dem Letztgenannten handelt es sich um institutsorientierte, einrichtungsbezogene Interessen, die nichts mit dem Bedarf des Kindes zu tun haben. Solche Interessen sollen nach dem Willen des Gesetzgebers nicht gelten. Maßgebend sind die Besonderheiten des Einzelfalls (§ 9 Abs. 1 SGB XII), was bedeutet, dass sich die Menschen mit Einschränkungen nicht dem Angebot anpassen, sondern sich das Angebot auf die Bedarfe der Menschen ausrichtet. 

Ein Beispiel:

Die Bereichsleitung wünscht sich vielleicht ein Team für den Grundschulbereich und ein zweites Team für die Sekundarstufe. Innerhalb der jeweiligen Teams kann effektiver eine Stellvertretung gelingen, so dass die Arbeit zuverlässiger und sicherer erfolgen kann. Darüber hinaus sieht man in einer guten Strukturierung der Ressourcen eine Erfüllung des Wirtschaftlichkeitsgebots nach § 75 Abs. 3 SGB XII, weil die Leistungserbringung nicht mehr von einer bestimmten, einzelnen Person übernommen wird.

Was nun fehlt, ist eine (instituts-) neutrale Interessen-Abwägung aus Sicht des Kindes.

Eine Arbeitsverteilung auf mehrere Personen begegnet allerdings möglichen Beziehungs-Fallen. Gerade wenn durch die Beziehungsarbeit eine besondere Vertrauensstellung entstanden ist, können sich Abhängigkeiten ergeben, die wiederum zu weiteren Problemen führen würden (siehe nochmal oben). Was also benötigt wird, ist eine „personenunabhängige“ Leistungserbringung.

Eltern und Leistungserbringer missverstehen einander  – und was ist mit dem Kind?

Häufig wird die Begleitung durch eine gut bekannte und als besonders vertrauensvoll erachtete Person gewünscht. Dieses Vertrauensverhältnis bietet dem Kind eine Schutzzone. Besonders wenn sich das vertraute Umfeld ändert, wie z.B. eine neue Klasse und der damit einhergehende Verlust von Kontakten, entsteht Stress, der zu Unsicherheiten und Ängsten führt. Erfolgt nun ein Wechsel der Begleitung, fehlt es an dieser Schutzzone, so dass dann das Kind blockiert, vielleicht sogar ein aggressives Verhalten zeigt, und sich zurückzieht, bis hin zur Isolation und Abschottung.

Stressfaktoren behindern ein freies Lernen. Damit kein „Absturz“ passiert, klammern sich Eltern an das Bekannte und Leistungserbringer sehen darin wiederum eine „Personenabhängigkeit“.

Wenn so ein Wechsel in der Person der Schulbegleitung „von oben herab“ veranlasst wird, fühlen sich besonders die Eltern eines Kindes mit (lebenslangen) Einschränkungen missachtet. Statt nun auf der Sachebene über die Chancen, Risiken, Stärken und Schwächen zu sprechen (SWOT-Analyse), die mit dem Wechsel für das Kind verbunden sind, wird eine Ausweichstrategie im Gespräch mit den Eltern verfolgt – dies passiert unreflektiert und wirft kein gutes Licht auf die Fachlichkeit.

Wenn dann auch noch vom Leistungserbringer selbst ein Trägerwechsel / Anbieterwechsel oder die Inanspruchnahme des Persönliches Budget (§ 57 SGB XII) eingeworfen wird, muss man von einem sehr gestörten Verhältnis ausgehen. Jeder Leistungserbringer ist aufgrund der Leistungsvereinbarung verpflichtet, eine sicherstellende Leistung zu erbringen im Auftrag des Staates (vgl. § 75 Abs. 3 SGB XII). Einen Trägerwechsel anzusprechen, lässt an die Leistungsfähigkeit zweifeln.

Bei allem scheint eins völlig vergessen worden zu sein: Was ist mit dem Kind?

Eltern / Sorgeberechtigte und Leistungserbringer müssen zusammenfinden und eine gemeinsame Lösung erarbeiten. Es geht nur um das Kind und seine Bedarfe. Gerade was die Erarbeitung einer Vertrauensstellung anbelangt, muss die Bereichsleitung frühzeitig eine zweite Person mit dem Kind bekannt machen, damit eine „Personenunabhängigkeit“ in der Leistungserbringung geschehen kann. Über die Elternarbeit (Angehörigenarbeit), die leider eine unbezahlte Nebenleistung darstellt, müssen die fachlichen Aspekte und die im Gesetz verankerten Wirtschaftlichkeitsgebote mitgeteilt werden, damit sich ein gemeinsames Verständnis und Anerkennung für die schwierige Arbeit entwickeln kann.

Es muss aber eingesehen werden, dass Eltern manchmal etwas überfordert sind und nicht wissen, was genau und wie zu beantragen ist. Die Elternarbeit stellt also auch eine Form der Beratung und Schulung dar, damit Eltern mehr über die Einschränkungen und Fähigkeiten des Kindes erfahren.

CGS



P.S.

Am 27.9.2017 findet in Hannover eine Fachtagung zum Thema "Kinder verantwortungsbewusst begleiten und fördern – Wie Kooperation zwischen Jugendhilfe, Eingliederungshilfe und Schule am Beispiel der Schulbegleitung gelingen kann!?"

Veranstaltet wird diese von verschiedenen Fachverbänden und Hochschulen. Dazu eingeladen werden aber nicht nur Leistungserbringer bzw. diejenigen Dienste, welche die Schulbegleitungen stellen. Die Veranstaltung richtet sich insbesondere an die verschiedenen Leistungsträger (u.a. Jugendhilfe, Eingliederungshilfe als Teil der Sozialhilfe), Schulträger, Schulverwaltungen und staatliche Aufsichten, aber auch an Wissenschaft und Eltern.

Man möchte verschiedene Fragen klären und stellt dabei die bereits gemachten Erfahrungen in der Praxis mit dem Pooling-Konzept bzw. der gemeinsamen Inanspruchnahme von Teilhabeleistungen von mehreren Leistungsberechtigten im Bereich Bildung in den Mittelpunkt der Diskussionen und Fachbeiträgen (§ 112 Abs. 4 SGB IX-E aus Bundesteilhabegesetz). Die Praxisbeiträge kommen dabei aus Lübeck (Lübecker Modell), Hamburg und Hannover; vorgestellt wird eine AFET-Expertise der Uni Bielefeld. Gerade weil die Schule Zentrum eines Inklusiven Lernens sein soll, muss eine individuelle Förderung gelingen, die innerhalb eines Gruppenangebots (Klasse) stattfinden soll.

Schulbegleitungen entwickeln sich zu multiprofessionellen Helfern. Sie leisten keineswegs nur noch eine niedrigschwellige Begleitung.

Quelle:





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