Man sollte
eigentlich das Thema längst ad acta gelegt haben. Doch noch immer gibt es so
viele Fragen und Probleme, Vereinbarungen und Verständnisschwierigkeiten, dass
man sich trotz allem weiterhin damit auseinandersetzen muss.
In
Schleswig-Holstein hatte es jetzt zum Ende des letzten Jahres erneut
Verhandlungen zwischen dem Land und seinen Kommunen gegeben, weil die einen
eine Sicherstellung erreichen wollten und die anderen – boshaft gesprochen –
die Gunst der Stunde nutzten. Das für sich genommen, ist auch recht interessant,
zeigt es doch eine Auseinandersetzung in der Politik und Verwaltung, die es in
sich hat.
Was nun kommt, ist
zugegebener Maßen recht lang geworden. Die wirklich wesentlichen Punkte finden
sich dort, wo es um die beiden BSG-Urteile geht. Alles andere ist nur
Chronologie.
Wie der Streit im
Land entstand
Das Landessozialgericht von Schleswig Holstein hatte noch
am 17. Februar 2014 in einem Beschluss festgestellt, dass manche Tätigkeiten
der Schulbegleitungen den „Kernbereich der pädagogischen Arbeit“ betreffen und somit
nicht in den Aufgabenbereich der Eingliederungshilfe fallen. Aufgabe der
Schule, so die Begründung des Landessozialgerichts, geht „laut Schulgesetz weit
über die reine Wissensvermittlung hinaus“ hin zu einer inklusiven Schule.
Daraufhin verweigerten viele Kommunen im Land die Kostenübernahme für
Schulbegleitungen.
Damit der Schulbesuch an der Regelschule für Kinder mit
Behinderungen nicht gefährdet war, trafen sich Landesregierung und kommunale
Landesverbände im April 2015 und verständigten sich auf den Einsatz von
Schulischen Assistenzkräften im Grundschulbereich (314 Stellen). Es zog sich
allerdings noch weit über den angepeilten 1. August 2015 hin, weil nämlich
zuerst die Finanzierung geklärt wie auch die Einstellungsverfahren in Gang
gesetzt werden mussten.
Was man als Lösung in den Medien anpries, wurde dagegen
von manchen Kommunen und ihren Landräten als Bestätigung ihrer Rechtsauffassung
angesehen. Nicht die Kommunen als Eingliederungshilfeträger, sondern Schulen wären
vorrangig zur Leistungsübernahme verpflichtet. In zwei Landkreisen wurden dann Bewilligungen
unter dem Vorbehalt ausgestellt, dass bei Einsatz der Schulassistenten an den
Grundschulen die Leistungsbescheide auslaufen würden bzw. nur bis zum Ende des
ersten Schulhalbjahres im Januar 2016 gelten.
Landesrecht ist
nicht Bundesrecht
Dass hier die Kreise gegen geltendes Bundesrecht
verstießen, blieb irgendwie unkommentiert:
·
In seinem Urteil vom 22. März 2012 erklärte das
Bundessozialgericht, dass grundsätzlich „alle Maßnahmen in Betracht kommen, die
im Zusammenhang mit der Ermöglichung einer angemessenen Schulbildung geeignet
und erforderlich sind, die Behinderungsfolgen zu beseitigen oder zu mildern“.
Deshalb trifft die Leistungspflicht den Sozialhilfeträger (als Träger der
Eingliederungshilfe), d.h. die Kommunen, selbst dann, wenn diese Maßnahmen in
den Aufgabenbereich der Schulverwaltung fallen. Hervorgehoben wird zwar vom
Gericht, dass davon der „Kernbereich der pädagogischen Arbeit“ ausgenommen
wird, dies bezieht sich aber nicht auf unterstützende Leistungen zur
Beseitigung oder Milderung von Behinderungsfolgen (vgl. BSG-Urteil Az. B 8
SO 30/10 R; Rz. 22). Somit würde die Schulbegleitung eine Hilfeleistung
sein, die unter § 54 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB XII fällt.
·
Zudem machte das Bundessozialgericht deutlich,
dass der Nachranggrundsatz in § 2 SGB XII keine Ausschlussnorm darstellt.
Leistungen müssen tatsächlich „erhalten“ werden, damit ein Sozialhilfeträger
sich erfolgreich seiner Leistungspflicht entziehen kann (Rz. 25).
·
In einem weiteren Urteil vom 9. Dezember 2016
definierte das Bundessozialgericht, was es mit dem Kernbereich pädagogischer
Arbeit meinte. Das Gericht schrieb, dass die „Vorgabe und Vermittlung der
Lerninhalte, somit der Unterricht selbst, seine Inhalte, das pädagogische
Konzept der Wissensvermittlung wie auch die Bewertung der Schülerleistungen“
den Lehrkräfte vorbehalten bleiben und damit diesem Bereich zuzuordnen wären.
Die Schulbegleitung „flankiert“ lediglich bzw. sichert die pädagogische Arbeit
der Lehrkraft ab; „alle integrierenden, beaufsichtigenden und fördernden
Assistenzdienste“ berühren diesen Kernbereich pädagogischer Tätigkeit nicht (vgl.
BSG-Urteil, Az. B 8 SO 8/15 R; Rz. 25).
·
Die zu erbringenden Hilfen müssen „geeignet“ und
„erforderlich“ sein, um die Ziele der Eingliederungshilfe zu erreichen, führte
das Bundessozialgericht weiter aus. Es muss dabei auf die Besonderheiten des
Einzelfalls geschaut werden. Dabei ist ein „individualisiertes
Förderverständnis“ anzuwenden und keine verallgemeinernden Annahmen und
Differenzierungen über Hilfen mit „pädagogischen Charakter“ vorzunehmen; so
etwas „verbietet“ sich, bestimmte das Gericht (Rz. 26). Eine angemessene Hilfe
war im Verfahren eine „Fokussierung“ der Aufmerksamkeit der Schülerin auf die
zu erledigende Aufgabe. Dass dabei seitens der Schulbegleitung in gewisser
Weise „pädagogische Kenntnisse und Fertigkeiten notwendig waren und zur
Anwendung kamen, … [war] qualitativ für die Beurteilung der Erforderlichkeit
und Eignung der Hilfe ohne Bedeutung“ (Rz. 27).
·
Abschließend stellte das Bundessozialgericht dann
klar, dass die Leistungspflicht, wenn auch „nachrangig“, bestehen bleibt. Eine
Ablehnung der Leistung war nicht gerechtfertigt, hätte also nicht stattfinden
dürfen, selbst wenn die Schulverwaltung zur Leistung vorrangig verpflichtet
gewesen wäre. Das Gericht führte sogar aus, dass es unerheblich sei, welche
andere „juristische Person“ für diese Hilfen zuständig gewesen wäre und auf
welcher Rechtsgrundlage ein solcher Anspruch bestehen würde. Eine solche Frage
wäre lediglich relevant für die Kostenerstattung „gegen einen denkbaren
Schuldner nach Überleitung eines sich ggf aus dem Schulrecht ergebenden
Anspruchs (§ 93 SGB XII)“ (Rz. 30).
Man kann daraus folgern, dass die Bundesrichter den
Träger der Eingliederungshilfe, also die Kommunen, wie einen Ausfallbürgen
betrachten. Dieser ist zuerst einmal verpflichtet, die geeigneten und
erforderlichen Hilfen festzustellen, ohne dabei eine Abgrenzung zu anderen Bereichen
vorzunehmen. Ziel ist, Hilfen für den Schulbesuch bereitzustellen und zu
gewähren. Dass diese Sicherstellung vielleicht aufgrund des Landesrechts von
Dritten eigentlich zu übernehmen ist, kann lediglich dazu führen, dass die
Kommune sich die Mittel von diesen erstattet lässt. Von einem solchen Erstattungsverfahren
müssen die Leistungsberechtigten, also die Eltern und ihre Kinder, unbehelligt
bleiben. Es handelt sich dabei um ein internes Verfahren zwischen
Eingliederungshilfe und z.B. dem landesrechtlich zur Inklusion verpflichteten
Schulträger.
Land und Kommunen
vereinbaren was
Am 7. November 2016
vereinbarten das Bundesland Schleswig-Holstein und die kommunalen
Landesverbände eine Beteiligung des Landes an den Kosten der Integration auf
kommunaler Ebene sowie weitere finanzielle Entlastungen. Die Vertreter der
Kommunen erreichten jetzt, dass ein Teil der Kosten übernommen wurden für die
Schuljahre 2016/2017 und 2017/2018 – man kann auch sagen, dass sich das Land
irgendwie „freikaufte“.
Am 15. Dezember 2016 entstand
dann ein Schriftstück mit der Überschrift „Empfehlungen des Ministeriums für
Schule und Berufsbildung, des Ministeriums für Soziales, Gesundheit,
Wissenschaft und Gleichstellung und den Kommunalen Landesverbänden zum
Zusammenwirken von Schulbegleitung / Schulischer Assistenz an den Grundschulen“.
Unterzeichner waren Vertreter von zwei Landesministerien wie auch Vertretern
der Gemeinden, Städte und Landkreistag von Schleswig-Holstein. Diese Unterlage
macht aber eher den Eindruck eines Vertrages. Die Beteiligten vereinbaren, dass
das gemeinsame und übergeordnete Ziel „die Unterstützung von Schülerinnen und
Schülern mit (drohenden) Behinderungen aus einer Hand“ ist. Die Teilhabe dieser
Kinder und Jugendlichen mit Behinderung ist „zu gewährleisten und zu fördern“
(S. 2).
Interessant und kritikwürdig an
dieser Unterlage sind eigentlich alle Punkte:
-
In jedem Kreis soll
eine „federführende Stelle als Ansprechpartner“ bestimmt werden, welche die
Zusammenarbeit aller Beteiligten im Verfahren (Unterstützung behinderter
Schüler zum Besuch an einer Regelschule) koordiniert. Eltern und Schüler sollen
dabei umfassend einbezogen werden, damit Transparenz und Nachvollziehbarkeit
der behördlichen Entscheidungen entsteht. Das bedeutet aber nicht, dass sich
Eltern direkt an diese Stelle mit einem Antrag oder einer Beschwerde richten
können – dazu müssten sie schließlich wissen, wer und wo diese Stelle wäre.
Beteiligte sind zudem diejenigen, die über die Leistungsträgerschaft zu
entscheiden haben (dazu später mehr).
-
Notwendige
gutachterliche Prozesse sind zwischen Schule und Leistungsträger bestmöglich
abzustimmen, damit es keine Doppelbegutachtungen gibt. Stellungnahmen von
Ärzten, Therapeuten, Klassenlehrkraft und bisherigen Leistungserbringern wie
auch den Eltern sollen zudem berücksichtigt werden. Am Ende soll dann ein Teilhabe-
oder Förderplan stehen, der „den
Grundsätzen des Rehabilitationsrechts“ entspricht – klingt irgendwie nach einer
Gesamtplankonferenz gem. § 58 SGB XII, allerdings ohne Mitspracherecht des
behinderten Menschen und somit ohne Berücksichtigung des Wunsch- und
Wahlrechtes nach § 9 SGB XII.
-
Hinsichtlich der
Leistungserbringung soll die Schulische Assistenz einbezogen werden. Hierzu
würden sich die Sozialleistungsträger (!), der Träger der Schulischen Assistenz
(!) und Schule über ein fachlich orientiertes „Unterstützungssetting“
abstimmen. Mit Sozialleistungsträger sind sehr wahrscheinlich die
Eingliederungshilfeträger und Jugendhilfeträger gemeint, nicht aber
Krankenkassen als Rehabilitationsträger. Träger der Schulischen Assistenz sind
dagegen in der Regel die Schulen selber, auch wenn die Einstellung durch das
Land erfolgte. Nicht mit einbezogen bzw. hier nicht benannt ist der
Leistungserbringer für die Schulbegleitung.
-
Die Erbringung der als
notwendig erachteten Unterstützungsleistungen soll im Wege der Zusammenarbeit
zwischen den Trägern der Schulbegleitung und der Schulische Assistenz „im
Benehmen mit der Schulleitung bzw. den Lehrkräften“ erfolgen. Das bedeutet,
dass eine Steuerung der Leistungserbringung durch die Schule geschehen soll,
was wiederum einer Orientierung nach den vorhandenen Ressourcen darstellt und
nicht dem persönlichen Bedarf des Menschen mit Behinderung entspricht – eine totale
Institutsorientierung bzw. das Gegenteil vom Wunsch- und Wahlrecht des Kindes
und seiner Eltern.
-
Ist die
Leistungsträgerschaft weiterhin streitig, soll eine „Clearing/Task
Force“-Stelle erneut alle möglichen und „vorhandenen Ressourcen einschließlich
… Sonderpädagogik und die Schulische Assistenz“ prüfen, damit eine
Unterstützung dennoch gewährleistet ist. Diese Stelle setzt sich zusammen aus
Vertretern der Sozial- und Jugendhilfe sowie der jeweiligen Schule vor Ort.
Wenn zudem dies gewünscht ist, sollen auch Vertreter der beiden Landesministerien beteiligt sein, damit eine
„gütliche Einigung“ gefördert wird. Die Clearing-Stelle soll in Aktion treten,
bevor ein Widerspruchsverfahren abschließend entschieden wird.
Das
Landessozialgericht verabschiedet sich von seiner früheren Rechtsauffassung
Nachdem aber am 13. Januar 2017
das Landessozialgericht von Schleswig-Holstein sich nunmehr von seiner früheren
Rechtsauffassung verabschiedete und erklärte, dass die schulrechtlichen
Vorschriften nicht die Auslegung des SGB XII bestimmen können und die schulrechtlichen
Bestimmungen nach einer inklusiven Schule keine Überschneidung mit den Aufgaben
der Eingliederungshilfe darstellen, gibt es die in den „Empfehlungen“ genannte
„gemischte Aufgaben- und Zuständigkeitssphäre von Schule und
Eingliederungshilfe“ eigentlich nicht. Und somit müssten sich die oben
genannten Punkte erledigt haben.
Dass es zu einer solchen
Sammlung von „Empfehlungen“ gekommen ist, kann man nachvollziehen. Wie gesagt,
erst durch den Beschluss des Landessozialgerichts sah man die
Verantwortlichkeit „insbesondere“ bei einer „anderen“ Stelle (§ 2 Abs. 1 SGB
XII), die sich ihrer Pflicht somit nicht durch Verweis auf die Vorschriften der
Sozialhilfe entziehen durfte (Abs.2). Doch weil damit die Beschulung
behinderter Kinder und somit eine Exklusion drohte, mussten sofort
Verhandlungen aufgenommen werden. Für das Bundesland war dies eine sehr
schwerwiegende Fehlentwicklung, der man begegnen musste.
Die Regelungen zur
Kostenübernahme, auch wenn zeitlich befristet und nicht wirklich bedingungslos,
waren nur ein Schritt. Man glaubte an eine „Grauzone“ zwischen den Bereichen
Schulbegleitung als Leistung der Eingliederungshilfe und dem Auftrag der
Schule, für eine inklusive Schule zu sorgen. Von daher war es notwendig, eine
Verpflichtung für beide Seiten herzustellen, die man dann in
„Handlungsempfehlungen“ einpackte. In diesem Schriftstück ging es nicht ums
Geld, sondern um die Pflicht zur Leistung von unterstützenden Maßnahmen für
Kinder mit und drohender Behinderung – und das ist ein Kunststück gewesen: Wer
von den kommunalen Landesverbänden sich nun davon abkehren würde, trägt die
Schuld am Versagen. Das Land dagegen hätte nun alles getan und würde in jedem
Einzelfall für die Findung einer Lösung bereitstehen.
Wie es weitergeht
– Fragezeichen.
Man kann an der Kompetenz der
Höheren Verwaltung des Landes und den Kommunen schon zweifeln, weil man die
höchstrichterliche Rechtsprechung zumindest aus dem ersten BSG-Urteil nicht zur
Kenntnis nehmen wollte. Was das zweite BSG-Urteil anbelangt, gab es hier
offenbar eine terminliche Überschneidung, so dass man die klaren Worte daraus
vielleicht überhörte. Andererseits schafften die Kommunen es, sich ein wenig
mehr Geld vom Land zu erstreiten. Dafür geopfert wurden die Nerven der Eltern
und die Zukunft der Kinder.
Wie geht es nun weiter? Werden
die Schulassistenten abgeschafft oder weitet man ihren Einsatz sogar auf andere
Bereiche aus? Immerhin erinnern sich die Landkreise daran, dass das Thema
Schulassistenten eigentlich nur bis zum Ende des Schuljahres 2017/2018 läuft.
Die Zeit läuft und nun wird man einen weiteren Akt in diesem Drama erwarten
dürfen.
CGS
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Eine (lange) Chronologie des Streits um Schulbegleitungen
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