Dienstag, 28. Oktober 2014

Pflegebedürftigkeit als Problem von Einrichtungsträgern

Am 17.9.2014 veröffentlichte die Bundesvereinigung Lebenshilfe das Ergebnis einer Umfrage zum Thema „Eingliederungshilfe / Pflege und Interne Tagesstruktur“ (Fußnote 1). Antworten von 149 der insgesamt 1.082 angeschriebenen ambulante und stationäre Wohneinrichtungen (darunter befanden sich auch Träger mit mehreren Einrichtungen), wie auch ambulante Pflegedienste und andere ambulante Dienste der Lebenshilfe wurden ausgewertet. Damit lag die Beteiligung bei rd. 14 %, was m.E. eine gewisse Aussagekraft bietet. Auch wenn die Befragung nur unter Einrichtungsträgern der Lebenshilfe stattgefunden hatte, Einrichtungsträger mit anderer Verbandszugehörigkeit werden höchstwahrscheinlich ähnliche Erfahrungen machen.

Das Ergebnis der Umfrage soll hier allerdings nicht zum Thema gemacht werden, sondern das Problem von Einrichtungsträgern mit der steigenden Pflegebedürftigkeit von Bewohnern. Immerhin bieten Wohneinrichtungen keine Pflegeleistungen an, sondern Leistungen der Eingliederungshilfe. Oder drastischer gesagt: Pflegeleistungen werden nicht vergütet!

„Doch!“, könnte an dieser Stelle eingeworfen werden, denn es findet sich folgende Vorschrift (Fettdruck von mir):

§ 43a SGB XI, Inhalt der Leistung

Für Pflegebedürftige in einer vollstationären Einrichtung der Hilfe für behinderte Menschen, in der die Teilhabe am Arbeitsleben und am Leben in der Gemeinschaft, die schulische Ausbildung oder die Erziehung behinderter Menschen im Vordergrund des Einrichtungszwecks stehen (§ 71 Abs. 4), übernimmt die Pflegekasse zur Abgeltung der in § 43 Abs. 2 genannten Aufwendungen zehn vom Hundert des nach § 75 Abs. 3 des Zwölften Buches vereinbarten Heimentgelts. Die Aufwendungen der Pflegekasse dürfen im Einzelfall je Kalendermonat 256 Euro nicht überschreiten. Wird für die Tage, an denen die pflegebedürftigen Behinderten zu Hause gepflegt und betreut werden, anteiliges Pflegegeld beansprucht, gelten die Tage der An- und Abreise als volle Tage der häuslichen Pflege.

Bei den in § 43 Abs. 2 SGB XI genannten Aufwendungen handelt es sich um sogenannte „pflegebedingte Aufwendungen, die Aufwendungen der sozialen Betreuung und die Aufwendungen für Leistungen der medizinischen Behandlungspflege“ für „Pflegebedürftige in vollstationären Einrichtungen“.

Damit werden nur für solche Bewohner, die eine Pflegebedürftigkeit in Form einer Pflegestufe aufweisen können, von der Pflegekasse maximal 256 EUR pro Monat vergütet. Die Auszahlung erfolgt allerdings nicht automatisch an den Einrichtungsträger, sondern an denjenigen, der mit der Pflegekasse abrechnen kann. Einrichtungsträger erbringen zwar die Leistungen, wie man anhand der Umfrage der Bundesvereinigung Lebenshilfe erkennen kann, doch sie haben keine Leistungsvereinbarung mit den Pflegekassen. Der Hinweis auf das Heimentgelt nach § 75 Abs. 3 SGB XII hilft insofern nicht weiter. Tatsächlich nutzen Sozialhilfeträger diese Regelung, um einen Teil der an die Einrichtungsträger gezahlten Vergütungen nach § 75 Abs. 3 SGB XII refinanziert zu bekommen. Es stellt sich hier die Frage: Wieso?

Bewohner mit einer anerkannten Pflegestufe, die zusätzlich dem Personenkreis nach § 53 SGB XII angehören, haben einen zweifachen Anspruch: gegenüber der Pflegekasse und gleichzeitig gegenüber dem Sozialhilfeträger. Dieser Anspruch ist allerdings begrenzt auf die in § 43 a i.V.m. § 43 Abs. 2 SGB XI genannten Leistungen bzw. Aufwendungen. Normalerweise tritt gem. § 2 SGB XII die Sozialhilfe zurück (Nachrangprinzip), da vorranging ein Dritter zu Leistungen verpflichtet ist. Weil aber die Leistungen im Interesse des Leistungsberechtigten nicht zersplittert werden sollen, übernimmt getreu dem Motto „Hilfe aus einer Hand“ nur ein Leistungsträger, und in diesem Fall ist es generell der Sozialhilfeträger, die Bedarfsdeckung. Dass das dann so passiert, wird z.B. in einer Vereinbarung zwischen den Pflegekassen und den Sozialhilfeträgern geregelt (Fußnote 2), wobei der Sozialhilfeträger die Geltendmachung kraft Gesetzes vornimmt.

§ 95 SGB XII, Feststellung der Sozialleistungen

Der erstattungsberechtigte Träger der Sozialhilfe kann die Feststellung einer Sozialleistung betreiben sowie Rechtsmittel einlegen. Der Ablauf der Fristen, die ohne sein Verschulden verstrichen sind, wirkt nicht gegen ihn. Satz 2 gilt nicht für die Verfahrensfristen, soweit der Träger der Sozialhilfe das Verfahren selbst betreibt.

Interessanterweise benötigen Pflegekassen sogenannte „Institutskennzeichen“ der an diesem Verfahren beteiligten abrechnenden Stellen; und dies sind dann die Sozialhilfeträger.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Leistungserbringung durch den Einrichtungsträger erfolgt, dieser aber keine andere, als die nach § 75 Abs. 3 SGB XII vereinbarte Vergütung abrechnen kann. Wenn zwischenzeitlich der Bedarf aufgrund einer erhöhten Pflegebedürftigkeit für den Einrichtungsträger gestiegenen ist, bekommt dieser deswegen keine höhere Vergütung. Erst in Neuverhandlungen mit dem Sozialhilfeträger könnte ein besserer Personalschlüssel vereinbart werden, der dann mit einer höheren Vergütung entgolten wird (die Betonung liegt hier auf „könnte“).

Aber auch der Sozialhilfeträger erzielt keinen Vorteil, da sein Refinanzierungspotential gem. § 43 a SGB XI auf 256 EUR pro Monat und Pflegebedürftigen begrenzt ist. Im Vergleich zu den üblichen Heimentgelten erscheint ein solcher Betrag eher gering. Doch wie teuer Pflegeleistungen sind, lässt sich nur mit einer Modellrechnung erahnen:

Beispiel 1: nur Waschen 20 Minuten täglich.
Bei einem Pflegebedarf von etwa 20 Minuten täglich an 30,44 Tagen im Monat, ergeben sich etwa 10,15 Zeitstunden pro Monat als Personalbedarf für Pflegehandlungen (siehe Fußnote 3). Bei einem Stundensatz von 20 bis 30 EUR hätte man Kosten von insgesamt 203 bis 304 EUR im Monat; in etwa ein ausgeglichenes Geschäft, doch kommt es auf den jeweiligen Einzelfall an und die Personalkosten des Einrichtungsträgers.

Beispiel 2: Waschen 20 Min., Rasieren 10 Min. tgl. sowie 3-mal täglich Toilettengang á 7 Minuten.
Bei einem Pflegebedarf von 20 + 10 + (3 x 7) = 51 Minuten täglich an 30,44 Tagen im Monat, ergeben sich etwa 26 Zeitstunden pro Monat als Personalbedarf für Pflegehandlungen. Bei einem Stundensatz von 20 bis 30 EUR hätte man nunmehr Kosten von 517 bis 776 EUR im Monat (gerundet); kein ausgeglichenes Geschäft mehr.

In der von der Bundesvereinigung vorgelegten Umfrage gaben nur 9,5 % der Teilnehmer an, dass der Pflegebedarf in den letzten fünf Jahren „gleich geblieben“ ist. Im Umkehrschluss heißt dies, dass der Pflegebedarf durch die Bank angestiegen ist, wobei mehrere Teilnehmer aussagten, dass sich der Pflegebedarf zwar erhöht habe, aber eine „offizielle Höherstufung“ nicht stattfand (S. 2 der Umfrageergebnisse). Somit ist der reale Aufwand noch viel höher anzunehmen, als es jede einrichtungsinterne Statistik über die Bewohnerschaft nach Pflegestufen darstellt.

Als Ursache für den gestiegenen Pflegebedarf werden Erhöhtes Alter (95,6 %) und eine gestiegene Anzahl an schwerst-mehrfach behinderten Menschen, die in stationären Einrichtungen leben, (62,5 %) in den Ergebnissen der Umfrage genannt (S. 4).

Der erhöhte Pflegebedarf findet sich dagegen zumeist bei der Grundpflege (97,2 %) und Behandlungspflege (68,7 %) wieder (S. 5). Inkontinenz, Nahrungsaufnahme und Körperpflege werden im Fall der Grundpflege als die Tätigkeiten identifiziert, die als Ursache für den gestiegenen Bedarf angesehen werden. Dagegen sind es im Fall der Behandlungspflege Wundversorgung und Medikamentengabe durch Injektion (S. 6 und 7).

Einrichtungsträger müssen hier reagieren und ihren Personalmix entsprechend ausrichten. Wo noch in früheren Jahren Erzieher gesucht wurden, werden es heute mehr und mehr Pflegefachkräfte und Altenpfleger sein. Dem entgegen wirkt aber der stete Fachkräftemangel, so dass soziale Unternehmen wieder gefordert sind, attraktive Arbeitsbedingungen zu schaffen. Und das kann nur geschehen, wenn auskömmliche Vergütungen gezahlt werden, was bei chronisch knappen Haushalten gar nicht erst diskutiert werden kann.

Einrichtungsträger können aber insofern agieren, indem sie beständig Verhandlungen mit Sozialhilfeträger führen und ihr Leistungsangebot entsprechend dem Hilfebedarf ausrichten – sprich: altert die Bewohnerschaft und ändern sich die Pflegestufen, muss auch das Personal neu ausgerichtet werden und es entsteht ein erhöhter Fortbildungsaufwand. Zur Not müssen Interessenten mit hohen Einschränkungen abgewiesen bzw. stark pflegebedürftige Bewohner zum Auszug bewegt werden.

Da der Erstattungsbetrag der Pflegekassen auf die 256 EUR begrenzt ist, fehlt es den Sozialhilfeträgern am Interesse, die Pflegestufen durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) kontinuierlich überprüfen zu lassen. Erst wenn die Politik die Schranke des § 43 a SGB XI fällt, wird mehr Bewegung in die Sache kommen.

CGS



Fußnote 1:
Bezug über die Bundesvereinigung Lebenshilfe e.V., www.lebenshilfe.de

Fußnote 2:

Fußnote 3:



Dienstag, 21. Oktober 2014

Schulbegleitung in Schleswig-Holstein - Schafft den Ressourcenvorbehalt ab!

Weil es noch immer Barrieren gibt, welche den Menschen mit Behinderung benachteiligen, darum muss sich etwas tun. Weil in vielen Köpfen behinderte Menschen ihren Platz woanders haben sollen, darum muss sich etwas ändern. Weil Menschen nach ihrem Nutzen für eine angeblich moderne und auf Effizienz getrimmte Leistungsträgergesellschaft bewertet werden, darum muss ein neues Denken her.

(Der nachfolgende Aufsatz bezieht sich auf meinen Beitrag vom 22.9.2014.)

Der erste Schritt ist eigentlich schon getan: Man hat, zumindest in Schleswig-Holstein, die inklusive Bildung ins Landesschulgesetz aufgenommen. Ein Mindestmaß an rechtlichen, verpflichtenden Rahmenbedingungen ist damit gegeben.

Der zweite Schritt wäre jetzt die praktische Umsetzung. Daran wird zwar derzeit gearbeitet, und so lange bleibt das bisherige Verfahren noch in Kraft, aber zum Ende des jetzigen Schuljahres 2014 / 2015 soll ein Ergebnis vorliegen.

Auslöser war bekanntermaßen ein Beschluss des Landessozialgerichtes. In der Folge lehnten die Sozialen Dienste bei den Kreisen und kreisfreien Städten die Kostenübernahme von Integrationsassistenzen bzw. Schulbegleitungen ab. Erst zum Sommer konnte eine Einigung zwischen Bildungsministerium und Landkreistag erzielt werden, was aber im Endeffekt eine Änderung des bestehenden Verfahrens zur Folge haben wird.

Bisher machen die Erziehungsberechtigten den Anspruch auf Integrationsassistenz geltend bei den jeweiligen Fachdiensten der Kreise und kreisfreien Städten. Dies setzt natürlich voraus, dass bei den Antragstellern der rechtliche Anspruch bekannt ist. Die Anspruchsgrundlage ergibt sich aus den Bundesgesetzen zur Jugendhilfe oder Eingliederungshilfe (Sozialhilfe). Die somit erstangegangenen Leistungsträger prüfen vorab natürlich ihre Zuständigkeit und leiten ggf. Anträge weiter an die aus ihrer Sicht zuständigen Leistungsträger. Trotzdem erfolgt eine fachliche Bearbeitung, an deren Ende   Leistungsberechtigte und Leistungsträger benannt sind – also das Wer und Was.

Die Fachdienste prüfen dann den Antrag und holen ggf. weitere Stellungnahmen z.B. durch einen Fachdienst Gesundheit ein, in dem der tatsächliche Hilfebedarf beschrieben ist. Beachtet wird dabei insbesondere das Wunsch- und Wahlrecht der Leistungsberechtigten, so dass dann eine individualisierte Maßnahme zur Bedarfsdeckung geplant werden kann.

Aus einer Anbieterliste wird dann der geeignetste Leistungserbringer ausgewählt (es sollte möglichst eine Leistungs- und Vergütungsvereinbarung bestehen), so dass schließlich eine personenzentrierte, auf den individuellen Hilfebedarf genauestens abgestimmte Leistung erbracht wird (Leistungserbringung) – also das Wie.

Der Leistungsträger erteilt dann eine Kostenübernahme, die vom Leistungsberechtigten beim Leistungserbringer vorgelegt wird. Der Leistungserbringer erbringt die Leistungen und rechnet mit dem Leistungsträger i.d.R. direkt ab. Zu erwähnen sei noch hier, dass die tatsächliche Leistungserbringung immer in Absprache mit den Erziehungsberechtigten und der Schule stattfindet, die leistungsgewährenden Fachdienste wirken lediglich im Rahmen der periodischen Hilfeplangespräche bzw. Gesamtplankonferenzen mit.

Dieses Verfahren soll sich nun ändern, oder anders gesagt: Das Verfahren soll nun auf die Schulträger übergehen.

Ein wesentliches Problem liegt schon darin begründet, dass das Landesschulrecht eine Regelung beinhaltet, die effektiv inklusive Bildung aushebelt. Zwar ergibt sich ein Anspruch auf Bildung, weil eine Verpflichtung im Gesetz aufgenommen ist (vgl. § 4 SchulG-SH). Aber gleichzeitig wird diese Verpflichtung begrenzt aufgrund des im Gesetz enthaltenen Ressourcenvorbehalts (vgl. § 5 SchulG-SH). Damit kann zwar ein Anspruch geltend gemacht werden, gleichzeitig können sich Schulträger der Pflicht entziehen, wenn finanzielle Mittel im Haushalt schlichtweg fehlen.

Ein weiteres Manko liegt im Landesschulrecht darin begründet, dass ein Verfahren zur Bedarfsfeststellung fehlt. Dies scheint wohl nach Ansicht des Bildungsministeriums in Schleswig-Holstein nicht nötig zu sein, da doch die Schulträger zukünftig über „schulische Assistenten“ verfügen werden. Problematisch ist hier allerdings weniger die Anzahl der geschaffenen Stellen, sondern vielmehr die Zuweisung dieser Stellen an die hilfebedürftigen Schüler. Die Schule müsste und könnte bestimmen, wo die schulischen Assistenten eingesetzt werden und nach welchem Bedarf sich dieser Einsatz richtet; Bedarf bezieht sich hier nicht auf den individuellen Hilfebedarf des Leistungsberechtigten, sondern bedeutet eher „organisatorischer Bedarf der Schule“.

Hinzu kommt, dass die dann vorgehaltenen schulischen Assistenten ein Leistungsspektrum abdecken sollen, für das sie ggf. nicht qualifiziert genug sind. Zu den Aufgaben kann z.B. eine Kommunikationsassistenz gehören oder einfach nur die Begleitung des Schulkindes auf dem Schulweg. Es gibt Fälle, in denen die Begleitperson heilpädagogische oder sogar pflegerische Hilfen leisten muss. Die Bandbreite des Leistungsspektrums reicht von niedrigschwelligen bis hin zu höchst fachlichen Angeboten.

Das Landesschulrecht kennt nur seinen Bildungsauftrag. Die Bereithaltung von inklusiven Leistungen, die eine Teilhabe behinderter Schüler am Bildungswesen ermöglichen, ist überhaupt nicht vorgesehen.

Was immer an Lösung präsentiert wird, der grundsätzliche Anspruch auf Sozialleistungen bleibt weiterhin bestehen. Die zu erwartenden Änderungen können sich nur auf das Landesschulrecht beziehen, aber nicht auf das Bundesgesetz; hierzu müsste eine großangelegte Reform, wie sie z.B. mit dem Bundesteilhabegesetz angestrebt wird, stattfinden. So etwas kann dann erst in viel späterer Zeit seine Wirkung entfalten, aber niemals schon im kommenden Jahr.

Von daher sollten die Änderungen, wenn sie denn überhaupt kommen, an anderer Stelle vorgenommen werden:

+ das Bedarfsfeststellungsverfahren verbleibt weiterhin bei der Jugendhilfe bzw. der Sozialhilfe. Anträge werden wie gehabt entgegengenommen, nach dem bisherigen erprobten Verfahren bearbeitet und schließlich gewährt. Hierzu reicht es, wenn Landkreistag und Bildungsministerium eine entsprechende Vereinbarung unterzeichnen bzw. die bisherige Vereinbarung zurücknehmen.

+ die Hilfeleistung erfolgt weiterhin aus „einer Hand“. Die Fachdienste übernehmen die Verantwortung für die reibungslose Abwicklung. Sie bleiben weiterhin zuständig, wenn auch nicht kostenverantwortlich. Hierzu ist eine Gesetzesänderung nicht nötig.

+ im Wege der Anspruchsüberleitung bzw. Kostenrückgriffs erfolgt dann eine Kostenbeteiligung der Schulträger. Hierzu bedarf es m.E. lediglich der Abschaffung des Ressourcenvorbehalts.

+ Schulträger müssen verpflichtet werden, Barrierefreiheit zu garantieren und nötigenfalls zu schaffen. Hierzu bedarf es wahrscheinlich eine regulatorische Änderung.

Es bietet sich somit an, dass das Verfahren weiterhin beim Jugendhilfe- oder Sozialhilfeträger (als Leistungsträger) beheimatet ist. Dieser stellt mit seinem Sachverstand und unter Beachtung der Rechtslage den individuellen Bedarf fest. Die Befürwortung erlaubt den Bezug der nötigen Leistungen, die Abrechnung der Kosten erfolgt dagegen wie gehabt über den Leistungsträger. Schulträger müssen dann keine Verfahren und Verwaltungsstellen einrichten, die im Grunde genommen das Gleiche machen, wie die jetzigen Leistungsträger.

Schulträger müssen dann auch keine Angebote extra bereitstellen, da auf bewährte und vorhandene Ressourcen zurückgegriffen werden kann. Diese Ressourcen sind zudem gebunden an den festgestellten, individuellen Hilfebedarf, so dass eine personenzentrierte Hilfeleistung ermöglicht wird. Über den Bedarf hinausgehende Maßnahmen würden nicht anfallen, eine Ressourcen-Verdoppelung oder sogar konkurrierende Maßnahmen, wie es jetzt durch die Bereitstellung von schulischen Assistenzen vermutlich der Fall sein wird, wären unwahrscheinlich. Eine exakte Bedarfsdeckung sollte möglich sein.

Ein weiterer Vorteil ergibt sich bereits dadurch, dass die von manchen Schulträgern geschaffenen strukturellen Nachteile und Barrieren nun im Wege des Kostenrückgriffs (vgl. § 93 SGB XII) doch noch in die Zuständigkeit des Schulträgers zurückkehren. Schulen müssen barrierefrei werden und Zugang zu Bildungsangeboten auch Menschen mit besonderen Bedarfen zu ermöglichen; wenn es sein muss, auch durch neue Regularien.

Es könnte alles so einfach sein, wenn das Verständnis für die sozialhilferechtlichen Verfahren ein wenig mehr ausgeprägter gewesen wäre beim LSG. Denn wäre das LSG in seinem damaligen Beschluss etwas näher auf die Möglichkeiten des Kostenrückgriffs eingegangen, würde es meiner Ansicht nach nicht diesen Regelungsaufwand auf den verschiedenen Ebenen gegeben.

Darum fordere ich nun: Schafft den Ressourcenvorbehalt ab!


CGS

Montag, 6. Oktober 2014

Stoppt das Bundesteilhabegesetz!?

Bisher gab es viel Zuspruch: von Betroffenen, den Interessenvertretungen und Verbänden, sogar die Politik nahm das Thema auf. Bis Mitte 2016 soll es ein Gesetz geben, was die Rechte der Menschen mit Behinderung stärkt, den Behinderungsbegriff neu definiert, Rehabilitationsträger zu Barrierefreiheit und Inklusion verpflichtet, schulische und berufliche Teilhabe ermöglicht, Wunsch- und Wahlrecht behinderter Menschen stärkt, ein sog. Bundesteilhabegeld unabhängig von eigenem Vermögen zahlt usw.

Das BMAS hat hierzu sogar einen Flyer erstellt (Stand August 2014), der die wichtigsten Ziele dann so wiederum formuliert:

„Mit dem Bundesteilhabegesetz soll entsprechend den Vorgaben des Koalitionsvertrages die Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen verbessert und damit das deutsche Recht im Licht der UN-Behindertenrechtskonvention weiterentwickelt werden. Konkretisierend sollen mit dem Bundesteilhabegesetz folgende Ziel erreicht werden:

1.       Dem neuen gesellschaftlichen Verständnis nach einer inklusiven Gesellschaft im Lichte der UN-Behindertenrechtskonvention wird Rechnung getragen.

2.       Selbstbestimmung und individuelle Lebensplanung werden dem gewandelten Rollenverständnis von Menschen mit Behinderung entsprechend vollumfänglich unterstützt.

3.       Die Eingliederungshilfe wird zu einem modernen Teilhaberecht entwickelt, in dessen Mittelpunkt der Mensch mit seinen behinderungsspezifischen Bedarfen steht.

4.       Die vorgelagerten Systeme und die mit der Eingliederungshilfe verbundenen Systeme sowie ihre Zusammenarbeit werden verbessert.

5.       Die Koordinierung der Rehabilitationsträger wird verbessert. Dazu wird eine Weiterentwicklung des SGB IX angestrebt. Die Leistungen sollen für den Bürger wie aus einer Hand erbracht werden.“


Doch meiner Ansicht nach gibt es einen ganz anderen, viel gewichtigeren Grund für dieses Gesetz: Abwälzung der Finanzierung der Sozialleistung Eingliederungshilfe auf den Bund bzw. Steuerzahler. Doch davon steht nichts in den Forderungskatalogen der Initiativen und im vorgenannten Flyer. Und auch in der Arbeitsgruppe beim BMAS, welche nun am Entwurf für ein Bundesteilhabegesetz arbeitet, ist nach wie vor diejenige Gruppe nicht vertreten, die letztlich für die Kosten aufkommen müsste: die Steuerzahler.

Nun wird aber gleichzeitig auf Länder- und kommunaler Ebene an Einsparungsmodellen gearbeitet, um die Kosten der Eingliederungshilfe jetzt und für die Zukunft nachhaltig zu begrenzen (oder zu drücken!). In Hamburg wird derzeit mit Trägerbudgets experimentiert, und bald kommt auch noch die Egalisierung von stationären und ambulanten Leistungen hinzu. Es könnte sein, dass das Hamburger Modell als ein Nonplusultra bundesweit angepriesen wird, was dann natürlich eine gewisse Bremswirkung erzielen könnte auf das jetzige Gesetzgebungsverfahren. Aber: Einerseits sind Trägerbudgets keine Erfindung aus Hamburg, man kann hier z.B. auf die Erfahrungen aus Berlin schauen, andererseits muss die Reform im Bereich des stationären Wohnens zuerst einmal vereinbart werden mit den beteiligten Trägern der jeweiligen Einrichtungen, und daran wird gerade herum verhandelt. Ein Haushaltsjahr später kann man mit Gewissheit davon sprechen, ob diese Maßnahmen erfolgreich waren; und das würde erst Mitte 2016 der Fall sein.

Einen weiteren Einfluss können steigende Steuereinnahmen und zurückgehende Refinanzierungsaufwendungen für Altschulden haben. Noch auf sehr viele Jahre hinaus rechnen Finanzexperten damit, dass die Zinsen auf einem sehr niedrigen Niveau verharren werden, wobei aber die Konjunktur aufgrund der reichlich vorhandenen Liquidität schon wieder (wenn auch moderat) anzieht. Der Wille zu Strukturveränderungen scheint aber bei den Kommunen, Ländern und Bund nicht sehr ausgeprägt zu sein. Gerne wird auf den hohen Reformstau in den südeuropäischen Ländern verwiesen; wahrscheinlich um von den eigenen Schwächen abzulenken. Für den Bund will man schon einen ausgeglichenen Haushalt in 2015 erreichen, in Hamburg ist aufgrund sprudelnder Steuerquellen schon vor 2019 ein Haushalt ohne Neuverschuldung denkbar.

Wenn also Einsparungen und Liquiditätsüberhang die erwarteten Kostensteigerungen bei der Eingliederungshilfe auffangen können, fehlt somit der maßgeblichste Grund für das neue Bundesteilhabegesetz. Es wird also nicht mehr benötigt – warum dann noch forcieren?

Die Antwort:

Weil es noch immer Barrieren gibt, welche den Menschen mit Behinderung benachteiligen. Weil in vielen Köpfen behinderte Menschen woanders hin gehören sollen, da sie keinen Nutzen für die moderne und auf Effizienz getrimmte Leistungsträgergesellschaft haben.



CGS