Dienstag, 21. Oktober 2014

Schulbegleitung in Schleswig-Holstein - Schafft den Ressourcenvorbehalt ab!

Weil es noch immer Barrieren gibt, welche den Menschen mit Behinderung benachteiligen, darum muss sich etwas tun. Weil in vielen Köpfen behinderte Menschen ihren Platz woanders haben sollen, darum muss sich etwas ändern. Weil Menschen nach ihrem Nutzen für eine angeblich moderne und auf Effizienz getrimmte Leistungsträgergesellschaft bewertet werden, darum muss ein neues Denken her.

(Der nachfolgende Aufsatz bezieht sich auf meinen Beitrag vom 22.9.2014.)

Der erste Schritt ist eigentlich schon getan: Man hat, zumindest in Schleswig-Holstein, die inklusive Bildung ins Landesschulgesetz aufgenommen. Ein Mindestmaß an rechtlichen, verpflichtenden Rahmenbedingungen ist damit gegeben.

Der zweite Schritt wäre jetzt die praktische Umsetzung. Daran wird zwar derzeit gearbeitet, und so lange bleibt das bisherige Verfahren noch in Kraft, aber zum Ende des jetzigen Schuljahres 2014 / 2015 soll ein Ergebnis vorliegen.

Auslöser war bekanntermaßen ein Beschluss des Landessozialgerichtes. In der Folge lehnten die Sozialen Dienste bei den Kreisen und kreisfreien Städten die Kostenübernahme von Integrationsassistenzen bzw. Schulbegleitungen ab. Erst zum Sommer konnte eine Einigung zwischen Bildungsministerium und Landkreistag erzielt werden, was aber im Endeffekt eine Änderung des bestehenden Verfahrens zur Folge haben wird.

Bisher machen die Erziehungsberechtigten den Anspruch auf Integrationsassistenz geltend bei den jeweiligen Fachdiensten der Kreise und kreisfreien Städten. Dies setzt natürlich voraus, dass bei den Antragstellern der rechtliche Anspruch bekannt ist. Die Anspruchsgrundlage ergibt sich aus den Bundesgesetzen zur Jugendhilfe oder Eingliederungshilfe (Sozialhilfe). Die somit erstangegangenen Leistungsträger prüfen vorab natürlich ihre Zuständigkeit und leiten ggf. Anträge weiter an die aus ihrer Sicht zuständigen Leistungsträger. Trotzdem erfolgt eine fachliche Bearbeitung, an deren Ende   Leistungsberechtigte und Leistungsträger benannt sind – also das Wer und Was.

Die Fachdienste prüfen dann den Antrag und holen ggf. weitere Stellungnahmen z.B. durch einen Fachdienst Gesundheit ein, in dem der tatsächliche Hilfebedarf beschrieben ist. Beachtet wird dabei insbesondere das Wunsch- und Wahlrecht der Leistungsberechtigten, so dass dann eine individualisierte Maßnahme zur Bedarfsdeckung geplant werden kann.

Aus einer Anbieterliste wird dann der geeignetste Leistungserbringer ausgewählt (es sollte möglichst eine Leistungs- und Vergütungsvereinbarung bestehen), so dass schließlich eine personenzentrierte, auf den individuellen Hilfebedarf genauestens abgestimmte Leistung erbracht wird (Leistungserbringung) – also das Wie.

Der Leistungsträger erteilt dann eine Kostenübernahme, die vom Leistungsberechtigten beim Leistungserbringer vorgelegt wird. Der Leistungserbringer erbringt die Leistungen und rechnet mit dem Leistungsträger i.d.R. direkt ab. Zu erwähnen sei noch hier, dass die tatsächliche Leistungserbringung immer in Absprache mit den Erziehungsberechtigten und der Schule stattfindet, die leistungsgewährenden Fachdienste wirken lediglich im Rahmen der periodischen Hilfeplangespräche bzw. Gesamtplankonferenzen mit.

Dieses Verfahren soll sich nun ändern, oder anders gesagt: Das Verfahren soll nun auf die Schulträger übergehen.

Ein wesentliches Problem liegt schon darin begründet, dass das Landesschulrecht eine Regelung beinhaltet, die effektiv inklusive Bildung aushebelt. Zwar ergibt sich ein Anspruch auf Bildung, weil eine Verpflichtung im Gesetz aufgenommen ist (vgl. § 4 SchulG-SH). Aber gleichzeitig wird diese Verpflichtung begrenzt aufgrund des im Gesetz enthaltenen Ressourcenvorbehalts (vgl. § 5 SchulG-SH). Damit kann zwar ein Anspruch geltend gemacht werden, gleichzeitig können sich Schulträger der Pflicht entziehen, wenn finanzielle Mittel im Haushalt schlichtweg fehlen.

Ein weiteres Manko liegt im Landesschulrecht darin begründet, dass ein Verfahren zur Bedarfsfeststellung fehlt. Dies scheint wohl nach Ansicht des Bildungsministeriums in Schleswig-Holstein nicht nötig zu sein, da doch die Schulträger zukünftig über „schulische Assistenten“ verfügen werden. Problematisch ist hier allerdings weniger die Anzahl der geschaffenen Stellen, sondern vielmehr die Zuweisung dieser Stellen an die hilfebedürftigen Schüler. Die Schule müsste und könnte bestimmen, wo die schulischen Assistenten eingesetzt werden und nach welchem Bedarf sich dieser Einsatz richtet; Bedarf bezieht sich hier nicht auf den individuellen Hilfebedarf des Leistungsberechtigten, sondern bedeutet eher „organisatorischer Bedarf der Schule“.

Hinzu kommt, dass die dann vorgehaltenen schulischen Assistenten ein Leistungsspektrum abdecken sollen, für das sie ggf. nicht qualifiziert genug sind. Zu den Aufgaben kann z.B. eine Kommunikationsassistenz gehören oder einfach nur die Begleitung des Schulkindes auf dem Schulweg. Es gibt Fälle, in denen die Begleitperson heilpädagogische oder sogar pflegerische Hilfen leisten muss. Die Bandbreite des Leistungsspektrums reicht von niedrigschwelligen bis hin zu höchst fachlichen Angeboten.

Das Landesschulrecht kennt nur seinen Bildungsauftrag. Die Bereithaltung von inklusiven Leistungen, die eine Teilhabe behinderter Schüler am Bildungswesen ermöglichen, ist überhaupt nicht vorgesehen.

Was immer an Lösung präsentiert wird, der grundsätzliche Anspruch auf Sozialleistungen bleibt weiterhin bestehen. Die zu erwartenden Änderungen können sich nur auf das Landesschulrecht beziehen, aber nicht auf das Bundesgesetz; hierzu müsste eine großangelegte Reform, wie sie z.B. mit dem Bundesteilhabegesetz angestrebt wird, stattfinden. So etwas kann dann erst in viel späterer Zeit seine Wirkung entfalten, aber niemals schon im kommenden Jahr.

Von daher sollten die Änderungen, wenn sie denn überhaupt kommen, an anderer Stelle vorgenommen werden:

+ das Bedarfsfeststellungsverfahren verbleibt weiterhin bei der Jugendhilfe bzw. der Sozialhilfe. Anträge werden wie gehabt entgegengenommen, nach dem bisherigen erprobten Verfahren bearbeitet und schließlich gewährt. Hierzu reicht es, wenn Landkreistag und Bildungsministerium eine entsprechende Vereinbarung unterzeichnen bzw. die bisherige Vereinbarung zurücknehmen.

+ die Hilfeleistung erfolgt weiterhin aus „einer Hand“. Die Fachdienste übernehmen die Verantwortung für die reibungslose Abwicklung. Sie bleiben weiterhin zuständig, wenn auch nicht kostenverantwortlich. Hierzu ist eine Gesetzesänderung nicht nötig.

+ im Wege der Anspruchsüberleitung bzw. Kostenrückgriffs erfolgt dann eine Kostenbeteiligung der Schulträger. Hierzu bedarf es m.E. lediglich der Abschaffung des Ressourcenvorbehalts.

+ Schulträger müssen verpflichtet werden, Barrierefreiheit zu garantieren und nötigenfalls zu schaffen. Hierzu bedarf es wahrscheinlich eine regulatorische Änderung.

Es bietet sich somit an, dass das Verfahren weiterhin beim Jugendhilfe- oder Sozialhilfeträger (als Leistungsträger) beheimatet ist. Dieser stellt mit seinem Sachverstand und unter Beachtung der Rechtslage den individuellen Bedarf fest. Die Befürwortung erlaubt den Bezug der nötigen Leistungen, die Abrechnung der Kosten erfolgt dagegen wie gehabt über den Leistungsträger. Schulträger müssen dann keine Verfahren und Verwaltungsstellen einrichten, die im Grunde genommen das Gleiche machen, wie die jetzigen Leistungsträger.

Schulträger müssen dann auch keine Angebote extra bereitstellen, da auf bewährte und vorhandene Ressourcen zurückgegriffen werden kann. Diese Ressourcen sind zudem gebunden an den festgestellten, individuellen Hilfebedarf, so dass eine personenzentrierte Hilfeleistung ermöglicht wird. Über den Bedarf hinausgehende Maßnahmen würden nicht anfallen, eine Ressourcen-Verdoppelung oder sogar konkurrierende Maßnahmen, wie es jetzt durch die Bereitstellung von schulischen Assistenzen vermutlich der Fall sein wird, wären unwahrscheinlich. Eine exakte Bedarfsdeckung sollte möglich sein.

Ein weiterer Vorteil ergibt sich bereits dadurch, dass die von manchen Schulträgern geschaffenen strukturellen Nachteile und Barrieren nun im Wege des Kostenrückgriffs (vgl. § 93 SGB XII) doch noch in die Zuständigkeit des Schulträgers zurückkehren. Schulen müssen barrierefrei werden und Zugang zu Bildungsangeboten auch Menschen mit besonderen Bedarfen zu ermöglichen; wenn es sein muss, auch durch neue Regularien.

Es könnte alles so einfach sein, wenn das Verständnis für die sozialhilferechtlichen Verfahren ein wenig mehr ausgeprägter gewesen wäre beim LSG. Denn wäre das LSG in seinem damaligen Beschluss etwas näher auf die Möglichkeiten des Kostenrückgriffs eingegangen, würde es meiner Ansicht nach nicht diesen Regelungsaufwand auf den verschiedenen Ebenen gegeben.

Darum fordere ich nun: Schafft den Ressourcenvorbehalt ab!


CGS