Weil
es noch immer Barrieren gibt, welche den Menschen mit Behinderung
benachteiligen, darum muss sich etwas tun. Weil in vielen Köpfen behinderte
Menschen ihren Platz woanders haben sollen, darum muss sich etwas ändern. Weil
Menschen nach ihrem Nutzen für eine angeblich moderne und auf Effizienz
getrimmte Leistungsträgergesellschaft bewertet werden, darum muss ein neues
Denken her.
(Der nachfolgende Aufsatz bezieht
sich auf meinen Beitrag vom 22.9.2014.)
Der
erste Schritt ist eigentlich schon getan: Man hat, zumindest in
Schleswig-Holstein, die inklusive Bildung ins Landesschulgesetz aufgenommen.
Ein Mindestmaß an rechtlichen, verpflichtenden Rahmenbedingungen ist damit
gegeben.
Der
zweite Schritt wäre jetzt die praktische Umsetzung. Daran wird zwar derzeit
gearbeitet, und so lange bleibt das bisherige Verfahren noch in Kraft, aber zum
Ende des jetzigen Schuljahres 2014 / 2015 soll ein Ergebnis vorliegen.
Auslöser
war bekanntermaßen ein Beschluss des Landessozialgerichtes. In der Folge
lehnten die Sozialen Dienste bei den Kreisen und kreisfreien Städten die
Kostenübernahme von Integrationsassistenzen bzw. Schulbegleitungen ab. Erst zum
Sommer konnte eine Einigung zwischen Bildungsministerium und Landkreistag
erzielt werden, was aber im Endeffekt eine Änderung des bestehenden Verfahrens
zur Folge haben wird.
Bisher
machen die Erziehungsberechtigten den Anspruch auf Integrationsassistenz geltend
bei den jeweiligen Fachdiensten der Kreise und kreisfreien Städten. Dies setzt
natürlich voraus, dass bei den Antragstellern der rechtliche Anspruch bekannt
ist. Die Anspruchsgrundlage ergibt sich aus den Bundesgesetzen zur Jugendhilfe
oder Eingliederungshilfe (Sozialhilfe). Die somit erstangegangenen
Leistungsträger prüfen vorab natürlich ihre Zuständigkeit und leiten ggf.
Anträge weiter an die aus ihrer Sicht zuständigen Leistungsträger. Trotzdem
erfolgt eine fachliche Bearbeitung, an deren Ende Leistungsberechtigte und Leistungsträger benannt
sind – also das Wer und Was.
Die
Fachdienste prüfen dann den Antrag und holen ggf. weitere Stellungnahmen z.B.
durch einen Fachdienst Gesundheit ein, in dem der tatsächliche Hilfebedarf beschrieben
ist. Beachtet wird dabei insbesondere das Wunsch- und Wahlrecht der
Leistungsberechtigten, so dass dann eine individualisierte Maßnahme zur
Bedarfsdeckung geplant werden kann.
Aus
einer Anbieterliste wird dann der geeignetste Leistungserbringer ausgewählt (es
sollte möglichst eine Leistungs- und Vergütungsvereinbarung bestehen), so dass schließlich
eine personenzentrierte, auf den individuellen Hilfebedarf genauestens
abgestimmte Leistung erbracht wird (Leistungserbringung) – also das Wie.
Der
Leistungsträger erteilt dann eine Kostenübernahme, die vom
Leistungsberechtigten beim Leistungserbringer vorgelegt wird. Der
Leistungserbringer erbringt die Leistungen und rechnet mit dem Leistungsträger i.d.R.
direkt ab. Zu erwähnen sei noch hier, dass die tatsächliche Leistungserbringung
immer in Absprache mit den Erziehungsberechtigten und der Schule stattfindet,
die leistungsgewährenden Fachdienste wirken lediglich im Rahmen der periodischen
Hilfeplangespräche bzw. Gesamtplankonferenzen mit.
Dieses
Verfahren soll sich nun ändern, oder anders gesagt: Das Verfahren soll nun auf
die Schulträger übergehen.
Ein
wesentliches Problem liegt schon darin begründet, dass das Landesschulrecht
eine Regelung beinhaltet, die effektiv inklusive Bildung aushebelt. Zwar ergibt
sich ein Anspruch auf Bildung, weil eine Verpflichtung im Gesetz aufgenommen
ist (vgl. § 4 SchulG-SH). Aber gleichzeitig wird diese Verpflichtung begrenzt
aufgrund des im Gesetz enthaltenen Ressourcenvorbehalts (vgl. § 5 SchulG-SH).
Damit kann zwar ein Anspruch geltend gemacht werden, gleichzeitig können sich
Schulträger der Pflicht entziehen, wenn finanzielle Mittel im Haushalt
schlichtweg fehlen.
Ein
weiteres Manko liegt im Landesschulrecht darin begründet, dass ein Verfahren
zur Bedarfsfeststellung fehlt. Dies scheint wohl nach Ansicht des
Bildungsministeriums in Schleswig-Holstein nicht nötig zu sein, da doch die
Schulträger zukünftig über „schulische Assistenten“ verfügen werden. Problematisch
ist hier allerdings weniger die Anzahl der geschaffenen Stellen, sondern
vielmehr die Zuweisung dieser Stellen an die hilfebedürftigen Schüler. Die
Schule müsste und könnte bestimmen, wo die schulischen Assistenten eingesetzt
werden und nach welchem Bedarf sich dieser Einsatz richtet; Bedarf bezieht sich
hier nicht auf den individuellen Hilfebedarf des Leistungsberechtigten, sondern
bedeutet eher „organisatorischer Bedarf der Schule“.
Hinzu
kommt, dass die dann vorgehaltenen schulischen Assistenten ein Leistungsspektrum
abdecken sollen, für das sie ggf. nicht qualifiziert genug sind. Zu den
Aufgaben kann z.B. eine Kommunikationsassistenz gehören oder einfach nur die
Begleitung des Schulkindes auf dem Schulweg. Es gibt Fälle, in denen die
Begleitperson heilpädagogische oder sogar pflegerische Hilfen leisten muss. Die
Bandbreite des Leistungsspektrums reicht von niedrigschwelligen bis hin zu
höchst fachlichen Angeboten.
Das
Landesschulrecht kennt nur seinen Bildungsauftrag. Die Bereithaltung von
inklusiven Leistungen, die eine Teilhabe behinderter Schüler am Bildungswesen
ermöglichen, ist überhaupt nicht vorgesehen.
Was
immer an Lösung präsentiert wird, der grundsätzliche Anspruch auf
Sozialleistungen bleibt weiterhin bestehen. Die zu erwartenden Änderungen
können sich nur auf das Landesschulrecht beziehen, aber nicht auf das
Bundesgesetz; hierzu müsste eine großangelegte Reform, wie sie z.B. mit dem
Bundesteilhabegesetz angestrebt wird, stattfinden. So etwas kann dann erst in
viel späterer Zeit seine Wirkung entfalten, aber niemals schon im kommenden
Jahr.
Von
daher sollten die Änderungen, wenn sie denn überhaupt kommen, an anderer Stelle
vorgenommen werden:
+ das
Bedarfsfeststellungsverfahren verbleibt weiterhin bei der Jugendhilfe bzw. der
Sozialhilfe. Anträge werden wie gehabt entgegengenommen, nach dem bisherigen
erprobten Verfahren bearbeitet und schließlich gewährt. Hierzu reicht es,
wenn Landkreistag und Bildungsministerium eine entsprechende Vereinbarung
unterzeichnen bzw. die bisherige Vereinbarung zurücknehmen.
+ die
Hilfeleistung erfolgt weiterhin aus „einer Hand“. Die Fachdienste übernehmen
die Verantwortung für die reibungslose Abwicklung. Sie bleiben weiterhin
zuständig, wenn auch nicht kostenverantwortlich. Hierzu ist eine
Gesetzesänderung nicht nötig.
+ im
Wege der Anspruchsüberleitung bzw. Kostenrückgriffs erfolgt dann eine
Kostenbeteiligung der Schulträger. Hierzu bedarf es m.E. lediglich der
Abschaffung des Ressourcenvorbehalts.
+
Schulträger müssen verpflichtet werden, Barrierefreiheit zu garantieren und
nötigenfalls zu schaffen. Hierzu bedarf es wahrscheinlich eine
regulatorische Änderung.
Es
bietet sich somit an, dass das Verfahren weiterhin beim Jugendhilfe- oder Sozialhilfeträger
(als Leistungsträger) beheimatet ist. Dieser stellt mit seinem Sachverstand und
unter Beachtung der Rechtslage den individuellen Bedarf fest. Die Befürwortung
erlaubt den Bezug der nötigen Leistungen, die Abrechnung der Kosten erfolgt dagegen
wie gehabt über den Leistungsträger. Schulträger müssen dann keine Verfahren
und Verwaltungsstellen einrichten, die im Grunde genommen das Gleiche machen,
wie die jetzigen Leistungsträger.
Schulträger
müssen dann auch keine Angebote extra bereitstellen, da auf bewährte und
vorhandene Ressourcen zurückgegriffen werden kann. Diese Ressourcen sind zudem
gebunden an den festgestellten, individuellen Hilfebedarf, so dass eine
personenzentrierte Hilfeleistung ermöglicht wird. Über den Bedarf hinausgehende
Maßnahmen würden nicht anfallen, eine Ressourcen-Verdoppelung oder sogar
konkurrierende Maßnahmen, wie es jetzt durch die Bereitstellung von schulischen
Assistenzen vermutlich der Fall sein wird, wären unwahrscheinlich. Eine exakte
Bedarfsdeckung sollte möglich sein.
Ein
weiterer Vorteil ergibt sich bereits dadurch, dass die von manchen Schulträgern
geschaffenen strukturellen Nachteile und Barrieren nun im Wege des Kostenrückgriffs
(vgl. § 93 SGB XII) doch noch in die Zuständigkeit des Schulträgers
zurückkehren. Schulen müssen barrierefrei werden und Zugang zu Bildungsangeboten
auch Menschen mit besonderen Bedarfen zu ermöglichen; wenn es sein muss, auch
durch neue Regularien.
Es
könnte alles so einfach sein, wenn das Verständnis für die
sozialhilferechtlichen Verfahren ein wenig mehr ausgeprägter gewesen wäre beim
LSG. Denn wäre das LSG in seinem damaligen Beschluss etwas näher auf die
Möglichkeiten des Kostenrückgriffs eingegangen, würde es meiner Ansicht nach
nicht diesen Regelungsaufwand auf den verschiedenen Ebenen gegeben.
Darum fordere ich nun: Schafft
den Ressourcenvorbehalt ab!
CGS