Am
17.9.2014 veröffentlichte die Bundesvereinigung Lebenshilfe das Ergebnis einer
Umfrage zum Thema „Eingliederungshilfe / Pflege und Interne Tagesstruktur“
(Fußnote 1). Antworten von 149 der insgesamt 1.082 angeschriebenen ambulante
und stationäre Wohneinrichtungen (darunter befanden sich auch Träger mit
mehreren Einrichtungen), wie auch ambulante Pflegedienste und andere ambulante
Dienste der Lebenshilfe wurden ausgewertet. Damit lag die Beteiligung bei rd.
14 %, was m.E. eine gewisse Aussagekraft bietet. Auch wenn die Befragung nur
unter Einrichtungsträgern der Lebenshilfe stattgefunden hatte,
Einrichtungsträger mit anderer Verbandszugehörigkeit werden
höchstwahrscheinlich ähnliche Erfahrungen machen.
Das
Ergebnis der Umfrage soll hier allerdings nicht zum Thema gemacht werden,
sondern das Problem von Einrichtungsträgern mit der steigenden
Pflegebedürftigkeit von Bewohnern. Immerhin bieten Wohneinrichtungen keine
Pflegeleistungen an, sondern Leistungen der Eingliederungshilfe. Oder
drastischer gesagt: Pflegeleistungen werden nicht vergütet!
„Doch!“,
könnte an dieser Stelle eingeworfen werden, denn es findet sich folgende
Vorschrift (Fettdruck von mir):
§ 43a SGB XI, Inhalt der Leistung
Für Pflegebedürftige in einer
vollstationären Einrichtung der Hilfe für behinderte Menschen, in der die
Teilhabe am Arbeitsleben und am Leben in der Gemeinschaft, die schulische
Ausbildung oder die Erziehung behinderter Menschen im Vordergrund des
Einrichtungszwecks stehen (§ 71 Abs. 4), übernimmt
die Pflegekasse zur Abgeltung der in § 43 Abs. 2 genannten Aufwendungen zehn
vom Hundert des nach § 75 Abs. 3 des Zwölften Buches vereinbarten Heimentgelts.
Die Aufwendungen der Pflegekasse dürfen im Einzelfall je Kalendermonat 256 Euro
nicht überschreiten. Wird für die Tage, an denen die pflegebedürftigen
Behinderten zu Hause gepflegt und betreut werden, anteiliges Pflegegeld
beansprucht, gelten die Tage der An- und Abreise als volle Tage der häuslichen
Pflege.
Bei
den in § 43 Abs. 2 SGB XI genannten Aufwendungen handelt es sich um sogenannte
„pflegebedingte Aufwendungen, die Aufwendungen der sozialen Betreuung und die
Aufwendungen für Leistungen der medizinischen Behandlungspflege“ für „Pflegebedürftige
in vollstationären Einrichtungen“.
Damit
werden nur für solche Bewohner, die eine Pflegebedürftigkeit in Form einer
Pflegestufe aufweisen können, von der Pflegekasse maximal 256 EUR pro Monat vergütet.
Die Auszahlung erfolgt allerdings nicht automatisch an den Einrichtungsträger,
sondern an denjenigen, der mit der Pflegekasse abrechnen kann.
Einrichtungsträger erbringen zwar die Leistungen, wie man anhand der Umfrage
der Bundesvereinigung Lebenshilfe erkennen kann, doch sie haben keine
Leistungsvereinbarung mit den Pflegekassen. Der Hinweis auf das Heimentgelt
nach § 75 Abs. 3 SGB XII hilft insofern nicht weiter. Tatsächlich nutzen
Sozialhilfeträger diese Regelung, um einen Teil der an die Einrichtungsträger gezahlten
Vergütungen nach § 75 Abs. 3 SGB XII refinanziert zu bekommen. Es stellt sich
hier die Frage: Wieso?
Bewohner
mit einer anerkannten Pflegestufe, die zusätzlich dem Personenkreis nach § 53
SGB XII angehören, haben einen zweifachen Anspruch: gegenüber der Pflegekasse
und gleichzeitig gegenüber dem Sozialhilfeträger. Dieser Anspruch ist allerdings
begrenzt auf die in § 43 a i.V.m. § 43 Abs. 2 SGB XI genannten Leistungen bzw.
Aufwendungen. Normalerweise tritt gem. § 2 SGB XII die Sozialhilfe zurück
(Nachrangprinzip), da vorranging ein Dritter zu Leistungen verpflichtet ist. Weil
aber die Leistungen im Interesse des Leistungsberechtigten nicht zersplittert
werden sollen, übernimmt getreu dem Motto „Hilfe aus einer Hand“ nur ein
Leistungsträger, und in diesem Fall ist es generell der Sozialhilfeträger, die
Bedarfsdeckung. Dass das dann so passiert, wird z.B. in einer Vereinbarung
zwischen den Pflegekassen und den Sozialhilfeträgern geregelt (Fußnote 2),
wobei der Sozialhilfeträger die Geltendmachung kraft Gesetzes vornimmt.
§ 95 SGB XII, Feststellung der Sozialleistungen
Der erstattungsberechtigte Träger
der Sozialhilfe kann die Feststellung einer Sozialleistung betreiben sowie
Rechtsmittel einlegen. Der Ablauf der Fristen, die ohne sein Verschulden
verstrichen sind, wirkt nicht gegen ihn. Satz 2 gilt nicht für die Verfahrensfristen,
soweit der Träger der Sozialhilfe das Verfahren selbst betreibt.
Interessanterweise
benötigen Pflegekassen sogenannte „Institutskennzeichen“ der an diesem
Verfahren beteiligten abrechnenden Stellen; und dies sind dann die
Sozialhilfeträger.
Zusammenfassend
kann gesagt werden, dass die Leistungserbringung durch den Einrichtungsträger
erfolgt, dieser aber keine andere, als die nach § 75 Abs. 3 SGB XII vereinbarte
Vergütung abrechnen kann. Wenn zwischenzeitlich der Bedarf aufgrund einer
erhöhten Pflegebedürftigkeit für den Einrichtungsträger gestiegenen ist,
bekommt dieser deswegen keine höhere Vergütung. Erst in Neuverhandlungen mit
dem Sozialhilfeträger könnte ein besserer Personalschlüssel vereinbart werden,
der dann mit einer höheren Vergütung entgolten wird (die Betonung liegt hier
auf „könnte“).
Aber
auch der Sozialhilfeträger erzielt keinen Vorteil, da sein
Refinanzierungspotential gem. § 43 a SGB XI auf 256 EUR pro Monat und
Pflegebedürftigen begrenzt ist. Im Vergleich zu den üblichen Heimentgelten
erscheint ein solcher Betrag eher gering. Doch wie teuer Pflegeleistungen sind,
lässt sich nur mit einer Modellrechnung erahnen:
Beispiel
1: nur Waschen 20 Minuten täglich.
Bei
einem Pflegebedarf von etwa 20 Minuten täglich an 30,44 Tagen im Monat, ergeben
sich etwa 10,15 Zeitstunden pro Monat als Personalbedarf für Pflegehandlungen
(siehe Fußnote 3). Bei einem Stundensatz von 20 bis 30 EUR hätte man Kosten von
insgesamt 203 bis 304 EUR im Monat; in etwa ein ausgeglichenes Geschäft, doch
kommt es auf den jeweiligen Einzelfall an und die Personalkosten des
Einrichtungsträgers.
Beispiel
2: Waschen 20 Min., Rasieren 10 Min. tgl. sowie 3-mal täglich Toilettengang á 7
Minuten.
Bei
einem Pflegebedarf von 20 + 10 + (3 x 7) = 51 Minuten täglich an 30,44 Tagen im
Monat, ergeben sich etwa 26 Zeitstunden pro Monat als Personalbedarf für
Pflegehandlungen. Bei einem Stundensatz von 20 bis 30 EUR hätte man nunmehr Kosten
von 517 bis 776 EUR im Monat (gerundet); kein ausgeglichenes Geschäft mehr.
In
der von der Bundesvereinigung vorgelegten Umfrage gaben nur 9,5 % der
Teilnehmer an, dass der Pflegebedarf in den letzten fünf Jahren „gleich
geblieben“ ist. Im Umkehrschluss heißt dies, dass der Pflegebedarf durch die
Bank angestiegen ist, wobei mehrere Teilnehmer aussagten, dass sich der
Pflegebedarf zwar erhöht habe, aber eine „offizielle Höherstufung“ nicht
stattfand (S. 2 der Umfrageergebnisse). Somit ist der reale Aufwand noch viel
höher anzunehmen, als es jede einrichtungsinterne Statistik über die
Bewohnerschaft nach Pflegestufen darstellt.
Als
Ursache für den gestiegenen Pflegebedarf werden Erhöhtes Alter (95,6 %) und
eine gestiegene Anzahl an schwerst-mehrfach behinderten Menschen, die in
stationären Einrichtungen leben, (62,5 %) in den Ergebnissen der Umfrage genannt
(S. 4).
Der
erhöhte Pflegebedarf findet sich dagegen zumeist bei der Grundpflege (97,2 %)
und Behandlungspflege (68,7 %) wieder (S. 5). Inkontinenz, Nahrungsaufnahme und
Körperpflege werden im Fall der Grundpflege als die Tätigkeiten identifiziert,
die als Ursache für den gestiegenen Bedarf angesehen werden. Dagegen sind es im
Fall der Behandlungspflege Wundversorgung und Medikamentengabe durch Injektion
(S. 6 und 7).
Einrichtungsträger
müssen hier reagieren und ihren Personalmix entsprechend ausrichten. Wo noch in
früheren Jahren Erzieher gesucht wurden, werden es heute mehr und mehr
Pflegefachkräfte und Altenpfleger sein. Dem entgegen wirkt aber der stete
Fachkräftemangel, so dass soziale Unternehmen wieder gefordert sind, attraktive
Arbeitsbedingungen zu schaffen. Und das kann nur geschehen, wenn auskömmliche
Vergütungen gezahlt werden, was bei chronisch knappen Haushalten gar nicht erst
diskutiert werden kann.
Einrichtungsträger
können aber insofern agieren, indem sie beständig Verhandlungen mit
Sozialhilfeträger führen und ihr Leistungsangebot entsprechend dem Hilfebedarf
ausrichten – sprich: altert die Bewohnerschaft und ändern sich die
Pflegestufen, muss auch das Personal neu ausgerichtet werden und es entsteht
ein erhöhter Fortbildungsaufwand. Zur Not müssen Interessenten mit hohen
Einschränkungen abgewiesen bzw. stark pflegebedürftige Bewohner zum Auszug
bewegt werden.
Da
der Erstattungsbetrag der Pflegekassen auf die 256 EUR begrenzt ist, fehlt es
den Sozialhilfeträgern am Interesse, die Pflegestufen durch den Medizinischen
Dienst der Krankenkassen (MDK) kontinuierlich überprüfen zu lassen. Erst wenn
die Politik die Schranke des § 43 a SGB XI fällt, wird mehr Bewegung in die
Sache kommen.
CGS
Fußnote
1:
Bezug
über die Bundesvereinigung Lebenshilfe e.V., www.lebenshilfe.de
Fußnote
2:
Fußnote
3: