Freitag, 14. November 2014

Zum Kurzgutachten einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft zur Fragestellung, welche Umsatzrendite erzielt werden sollte um nachhaltig wirtschaften zu können

Rendite und Sozialhilfe? Wie kann das gehen? Dürfen gemeinnützige Unternehmen überhaupt einen Gewinn erwirtschaften?

Häufig genug wird sozialen Unternehmen in Vergütungsverhandlungen der Vorwurf gemacht, sie würden auf Kosten der Sozialhilfe Gewinne machen. In der Tat weisen einige Kapitalgesellschaften in ihren jährlichen Rechnungslegungsberichten einen Jahresüberschuss aus, der, wenn sie gemeinnützig sind, regelmäßig den Gewinnrücklagen zugeführt wird. Wenn dieselben Unternehmen dann höhere Vergütungen fordern, weil die prospektiven Gestehungskosten gestiegen sind, fühlen sich Sozialhilfeträger „an der Nase“ geführt und verweigern die Verhandlungen. Stattdessen verlangt man, dass Gewinnrücklagen eingesetzt werden, bis eine Verlustsituation eintritt – jetzt schon höhere Vergütungen zu fordern, sei unangemessen.


(1)

Vergütungen müssen immer für die Zukunft verhandelt werden, da nach § 77 Abs. 1 Satz 1 SGB XII „nachträgliche Ausgleiche“ nicht zulässig sind. Einrichtungsträger müssen von daher immer so kalkulieren, dass sie voraussichtlich mit den erzielten Einnahmen auskommen. Ist dies nicht der Fall, geht dies zu ihren Lasten – Unternehmerrisiko!

Umgekehrt erlaubt diese Regelung, dass Einrichtungsträger Überschüsse behalten dürfen: § 77 Abs. 1 Satz 1 SGB XII sagt nichts über die Unzulässigkeit von Ausgleichen nur bei Verlusten aber doch wiederum bei Überschüssen. Das steht dort nicht!

Die Vertragsparteien verhandeln und können auf Basis der vorgebrachten Argumente abwägen, ob eine Vergütungsanhebung plausibel begründet worden ist. Zum Problem wird es allerdings, wenn sich aufgrund vorjähriger positiver Jahresergebnisse offenkundig ständige Einnahmeüberschüsse herausbilden. Dann muss ein Sozialhilfeträger durchaus skeptisch reagieren, dies gibt ihm aber nicht das Recht, Verhandlungen gänzlich zu verweigern; im Gegenteil: Verhandlungen sind zu führen, weil eine Vertragspartei die andere zu Verhandlungen auffordert (vgl. auch die Bestimmungen in den jeweiligen Landesrahmenverträgen nach § 79 SGB XII). Vielmehr muss die angegangene Vertragspartei kritisch die vorgebrachten Argumente prüfen und dann auf die einzelnen Forderungen inhaltlich eingehen.

Wenn also z.B. der Einrichtungsträger konkrete Forderungen stellt, der Sozialhilfeträger mit Blick auf den vorjährigen Jahresabschluss die Angemessenheit pauschal in Frage stellt und die Verhandlungen nicht führen möchte, dann bleibt nur noch die Anrufung der Schiedsstelle nach § 80 SGB XII. Mangels vorgebrachter konkretisierter Streitpunkte seitens des Sozialhilfeträgers, müsste das Votum eindeutig zugunsten des vortragenden Einrichtungsträgers ausgehen (das sieht in der Praxis manchmal ganz anders aus, aber es gibt wieder ein – für mich – neueres Schiedsstellenurteil, welches nach Umweg über das LSG, seine Entscheidung zugunsten des antragsstellenden Einrichtungsträgers änderte. Der Entscheidungsgegenstand war seinerzeit nicht Bestandteil des eingereichten Schiedsstellenantrags war und somit nicht Befassungsgegenstand. Die Schiedsstelle hätte nur über solche Gegenstände entscheiden müssen, die konkret strittig und im Schiedsstellenantrag als Streitgegenstand benannt worden waren).

Dreh- und Angelpunkt für Fehlbeträge oder Überschüsse waren bislang die Vergütungen, welche die Aufwendungen des Unternehmens überdeckten oder auch nicht. Hinzu kam dann noch eine Auslastungsquote, mit der die Unternehmen mögliche Auslastungsschwankungen kompensiert haben wollten. Während Sozialhilfeträger immer in Richtung einer 100 %igen Auslastung verhandeln wollen, argumentieren Einrichtungsträger damit, dass die Vorhaltung von 100 % der Ressourcen (d.h. Personal, Räumlichkeiten, usw. = Fixkosten) im Jahresdurchschnitt mit einer z.B. 97 %igen Belegung erreicht werden muss. Von daher wurden die Vergütungen um den Faktor 100/97 = 1,03 angehoben. Wenn dann im Jahresverlauf tatsächlich 100 % Auslastung erreicht werden, erzielt der Einrichtungsträger i.d.R. einen Überschuss. Würde die Auslastung z.B. auf 90 % zurückgehen, dann würde diese Verlustsituation aufgrund der o.g. Vorschrift nach § 77 SGB XII zum Unternehmerrisiko zählen: „nachträgliche Ausgleiche sind nicht zulässig“!

Als Zwischenfazit bleibt vorerst festzustellen, dass ein soziales Unternehmen durchaus Gewinne erzielen kann und darf!


(2)

Das Gutachten beginnt seine Analyse damit, dass es eine Entscheidung des Bundessozialgerichtes vom 16.5.2013 (Az. B 3 P 2/12 R) heranzieht. Dort heißt es im zweiten Leitsatz:

 „Soll der mit der Pflegevergütung zu erzielende Gewinn einer Pflegeeinrichtung über die Auslastungsquote gesteuert werden, muss die Quote so realistisch angesetzt sein, dass sie bei ordnungsgemäßer Betriebsführung zu einem angemessenen Überschuss führen kann.“

Es geht zwar vordringlich um ein Unternehmen der Altenpflege, die Systematik der Vergütungsverhandlungen und Kalkulation sind sich so ähnlich, dass viele Fachleute eine Übertragbarkeit auf den Bereich der Eingliederungshilfe für möglich halten.

Bemerkenswert ist nun der Denkansatz, dass ein Gewinn erzielt werden soll, und zwar „angemessen“ mit Hilfe der „Auslastungsquote gesteuert“ bei „ordnungsgemäßer Betriebsführung“. Die letztgenannten Begriffe sind klar und müssen nicht weiter ausgelegt werden. Was nun zu prüfen gilt ist die Frage der „Angemessenheit“; oder anders die Frage gestellt: Wenn ein Gewinn (wie auch immer) eingeplant werden kann, wie hoch darf dieser Gewinn ausfallen, um als angemessen zu gelten?

Das Gutachten hat nun diese Frage versucht zu klären. Da die Unterlagen vermutlich nur für einen kleinen Leserkreis gedacht sind, wird nachfolgend auf eine passagenweise Wiedergabe verzichtet. Es sollte reichen, wenn man sich die Schlussfolgerung im Ergebnis ansieht und von dort ausgehend verschiedene Überlegungen anstellt.

Im Gutachten wird geschlussfolgert, dass eine Umsatzrendite von „4 %“ als angemessen erachtet werden kann (vgl. Ziff. 10, S. 12 des Gutachtens). Die Umsatzrendite ist eine Kennziffer, die sich aus dem Verhältnis des Jahresüberschusses zu den Umsatzerlösen ergibt. Die Prozentzahl wiederum ergibt sich aus den Überlegungen, dass auch ein gemeinnütziges Unternehmen nachhaltig wirtschaften muss und andere Unternehmen (Branchenfremde Unternehmen wie auch andere Pflegeeinrichtungen) eine entsprechende Rentabilität erzielen. Leider wird der Begriff „nachhaltiges Wirtschaften“ nicht weiter erläutert im Gutachten, wo doch das Fortführungsprinzip („Going Concern“) gemeint ist. Daraus folgt, dass ein auf Dauer ausgerichtetes Überleben des Unternehmens am Markt eine positive Prozentzahl erforderlich macht. Der verwendete Begriff der Nachhaltigkeit wie auch das Fortführungsprinzip korrelieren ganz stark mit dem im Sozialrecht verankerten Begriff der Leistungsfähigkeit (vgl. § 75 Abs. 2 SGB XII).

Problematisch erscheint dagegen die Höhe der als angemessen erachteten Umsatzrendite. Ein soziales Unternehmen wird in der Regel mit einem hohen Anteil an Eigenkapital ausgestattet sein (durchaus 70 bis 80 % der Bilanzsumme). Würde man hier den Vergleich zu privatwirtschaftlichen Banken führen, hätte man die Endpunkte zweier Extreme gegenübergestellt, da Banken notorisch unterkapitalisiert sind mit Eigenkapital (derzeit wird eine Mindestkernkapitalrate von 4,5 % bis 2019 nach Basel III angestrebt).

Wenn man die Annahme trifft, dass soziale Unternehmen lediglich das zwei- oder dreifache der Bilanzsumme als Umsatzerlöse erreichen, dann bedeutet dies bei einer Umsatzrendite von 4 % bei dreifachen Umsatzerlösen und einer EK-Quote von 80 % eine EK-Rentabilität von à 100 * 3 * 4 % / 80 % = 15 %.

Die Deutsche Bank AG erreichte in 2013 mit einem bilanziellen Eigenkapital von 54.719 Mio. EUR bei einer Bilanzsumme von 1.611.400 Mio. EUR in 2013 eine EK-Quote von 3,4 %. Der Jahresüberschuss lag dagegen bei „mageren“ 666 Mio. EUR, was einer EK-Rentabilität von 1,2 % entsprach (Quelle: FWB, Kennzahlenübersicht)

Die Allianz SE schaffte dagegen mit einem bilanziellen Eigenkapital von 50.084 Mio. EUR und einer Bilanzsumme von 711.530 Mio. EUR eine EK-Quote von 7,0 %. Der Jahresüberschuss betrug 5.996 Mio. EUR und das entsprach einer EK-Rentabilität von 11,9 % (Quelle: FWB, Kennzahlenübersicht).

Können gemeinnützige Unternehmen wirklich auf eine Stufe gestellt werden mit profitorientierten, börsennotierten Kapitalgesellschaften? Die propagierte Angemessenheit von „4 % Umsatzrendite“ erscheint im Vergleich zu den beiden o.g. DAX-Schwergewichten eher unangemessen, zumal diese sehr danach bestrebt sind, einen Leverage-Effekt zu erzielen, indem die EK-Quote nach Möglichkeit optimiert wird. Soziale Unternehmen streben dies nicht an.

Darum kann man nicht ohne weiteres schlussfolgern, dass eine Umsatzrendite eine bestimmte Höhe haben darf. Wollte man dann daraus weiter folgern, dass Vergütungen mit einem Umsatzzuschlag von „4 %“ oder einer Auslastungsquote von 96 statt 100 % kalkuliert werden müssen, dann geht dies m.E. auch am BSG-Urteil vorbei.


(3)

Das BSG bejaht die Steuerungsmöglichkeit über die Auslastungsquote und verneint die Kalkulation einer Eigenkapitalverzinsung. Beides zusammen wäre auch verkehrt, denn die aktiv vorgenommene EK-Verzinsungskalkulation würde bei einer höheren tatsächlichen im Vergleich zur kalkulierten Auslastungsquote einen sehr hohen „Gewinnzuschlag“ bedeuten. Doch erst einmal die Begründung im Einzelnen:

In Randziffer 26 heißt es:

„…Umgekehrt muss die Pflegevergütung dem Pflegeheim aber auch die Möglichkeit bieten, Gewinne zu erzielen, die ihm iS von § 84 Abs 2 S 5 Halbs 1 SGB XI als Überschuss verbleiben können. Wie diese Gewinnchance zu bemessen ist, hat der Gesetzgeber nicht vorgezeichnet, sondern der Aushandlung der Vertragspartner und im Streitfall der Entscheidung der Schiedsstelle im Verfahren nach § 85 Abs 5 S 1 SGB XI überlassen. …“

Zum Glücke für Pflegeheime gibt es tatsächlich in § 84 Abs. 2 SGB XI einen Passus, wonach es Pflegeheimen gestattet ist, Überschüsse zu erzielen. Warum dies im Bereich der Eingliederungshilfe ausgelassen wurde, bleibt unverständlich.

Weiter heißt es:

„…Dies kann entweder über einen festen umsatzbezogenen Prozentsatz geschehen oder auch - wie
hier - über die Auslastungsquote gesteuert werden; das ist im Grundsatz nicht zu beanstanden. …“

Auf keinen Fall kann es sich um einen Zuschlag handeln. In Randziffer 27 wird entschieden:

„…  Damit hat der Senat - anders als die Klägerin möglicherweise meint - keine besonders zu ermittelnde Rechnungsposition umschrieben, die wie die Gestehungskosten einer Einrichtung zu behandeln wären. Schon mit der Bezeichnung als "Vergütung" ist vielmehr zum Ausdruck gebracht, dass dieser Zuschlag dem Vergütungsinteresse der Einrichtung und damit ihrer Gewinnchance zuzurechnen ist. Das folgt auch aus der Sache selbst, weil der Unternehmergewinn die Kehrseite der unternehmerischen Wagnisse eines Pflegeheimträgers ist: Realisiert sich keines der allgemeinen unternehmerischen Risiken etwa infolge der gesamtwirtschaftlichen Lage, der Nachfrageentwicklung oder von unternehmerischen (Fehl-)Entscheidungen, kann die Einrichtung bei ausreichend
bemessener Pflegevergütung einen ihr verbleibenden Überschuss erzielen (§ 84 Abs 2 S 5 Halbs 1 SGB XI); andernfalls hat sie den Verlust zu tragen (§ 84 Abs 2 S 5 Halbs 2 SGB XI). Muss in der Pflegevergütung schon nach den allgemeinen Grundsätzen Raum sein für die Realisierung von Unternehmensgewinnen, besteht deshalb für weitere Zuschläge zur Abgeltung der mit dem Betrieb von Pflegeeinrichtungen getragenen allgemeinen unternehmerischen Risiken kein Anlass. “

In Randziffer 29 wird dann noch einmal klar gestellt, dass auch etwaige Eigenkapital-Verzinsungen nicht zulässig sind.

Dass das BSG dennoch weiter oben einen „festen umsatzbezogenen Prozentsatz“ als Gewinn anerkannt hat, erscheint m.E. irreführend. Wie sollte so ein Prozentsatz Berücksichtigung finden? Es bleibt nach meinem Dafürhalten nur die Aushandlung einer kalkulatorischen Auslastungsquote unter 100 %, die der Unternehmer dann nach bestem Unternehmertum bis 100 % ausfüllen darf.  

CGS



PS:

Eine interessante Diskussion über dieses Urteil findet sich im Rechtsdienst der Lebenshilfe, Ausgabe 4/2013, S. 179 f.