Samstag, 22. November 2014

Ist der Einrichtungsträger zur Verwahrung von Bewohnergeldern verpflichtet? (Fortsetzung des Themas Barbeträge)

Leistungsberechtigte erhalten, insbesondere diejenigen, welche in stationären Wohneinrichtungen leben und nicht in der Lage sind über eigene Mittel (§ 27 SGB XII) die Kosten der Unterkunft (§ 35 SGB XII) zu decken, einen Barbetrag zur persönlichen Verfügung (§ 27 b SGB XII, vgl. auch meinen Beitrag vom 30.9.2014). Dieser Barbetrag steht nicht den Leistungserbringern zu, sondern er gehört den jeweiligen Bewohnern der Einrichtung.

Zum einen wird dem Leistungsberechtigten der Umgang mit Geld nahe gebracht, zum anderen ermöglicht die freie und uneingeschränkte Verfügung und Verwendung von „eigenem“ Geld die Führung eines selbstbestimmten Lebens. Erst mit der Verschaffung eines solchen Maßes an Verantwortung und Freiheit wird ein Leben in Würde ermöglicht, was ja auch ein geschütztes Grundrecht darstellt (§ 1 Abs. 1 SGB I i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG).

Wenn nun dieser Barbetrag nicht an den Bewohner persönlich ausgezahlt werden kann, z.B. weil dieser aus welchen Gründen auch immer nicht über ein eigenes Konto verfügt, sondern an die Einrichtung, ist die Einrichtung zur Verwahrung bzw. zur Weiterleitung verpflichtet?

Andererseits ist zu bedenken, dass die treuhänderische Verwaltung von Bewohnergeldern in stationären Wohneinrichtungen häufig eine administrative Belastung für die Leistungserbringer bedeutet. Zur treuhänderischen Verwaltung zählt eine eigene Rechnungslegung, die Verwahrung der Gelder, Auszahlungen und Empfang der Beträge. Dies alles muss zügig erfolgen, da jede Verzögerung das Recht auf Selbstbestimmung einschränken und (finanzielle) Abhängigkeiten generieren würde. Bei einer solchen Last, kann ein Träger von stationären Wohneinrichtungen diese treuhänderische Verwaltung ablehnen?


(1.)

Der Bundesgerichtshof musste sich in der Vergangenheit mit dieser Fragestellung auseinandersetzen und kam zu folgendem Ergebnis:

BGH-Urteil vom 2. Dezember 2010 · Az. III ZR 19/10

Streitgegenstand:

Die Parteien streiten um die Verpflichtung der Beklagten, einer Heimträgerin, die den geistig behinderten Klägern durch den Träger der Sozialhilfe bewilligten monatlichen Barbeträge zur persönlichen Verfügung (§ 35 Abs. 2 Satz 1 SGB XII) entgegenzunehmen, zu verwalten und die Rücküberweisung an den Sozialhilfeträger zu unterlassen.

Der Verweis auf § 35 Abs. 2 Satz 1 SGB XII erscheint mir hier irreführend, da nicht die Differenz zwischen tatsächlichen und angemessenen Kosten zum Streit führten (siehe Fußnote 1), sondern es ging in erster Linie um die Verwaltung der Gelder. Dass dann auch noch in diesem speziellen Fall eine Rücküberweisung an den Sozialhilfeträger stattgefunden hatte, erscheint eher von untergeordneter Bedeutung.

(1.1.)

Ausgangspunkt ist nach Ansicht der mit diesem Fall befassten Gerichte das, was in den Heimverträgen bzw. den Wohnstättenverträgen steht. Zum Beispiel:

Die Hilfe-, Förder- und Betreuungsangebote umfassen insbesondere folgende Leistungsbereiche und beinhalten Leistungen, die sich am individuellen Hilfebedarf orientieren: … (abschließende Aufzählung, eig. Anm.)…  im Bereich „Alltagskompetenzen, lebenspraktischer Bereich“ gibt es die Leistung „Geld verwalten und Geld verwenden“.

Ziel ist es, den Leistungsberechtigten zur Selbständigkeit hinzuführen in Form von Beratung, Assistenz, Unterstützung und / oder Hilfestellung bis hin zur stellvertretenden Ausführung.

Der BGH kritisiert allerdings, dass eine solche Regelung in Heim- oder Wohnstättenverträgen nicht zwingend eine alleinige Verpflichtung des Einrichtungsträgers darstellt. Vielmehr ist nach Ansicht des BGH darauf abzustellen, ob es nach den Besonderheiten des Einzelfalls gem. § 9 SGB XII einen entsprechenden Hilfebedarf gibt (vgl. auch vorgenannte Regelung!).

Der Bedarf ergibt sich einerseits aus der jeweiligen aktuellen Lebenssituation des Leistungsberechtigten. Andererseits wird der Hilfebedarf im Gesamtplanverfahren nach § 58 SGB XII festgestellt und im individuellen Hilfeplan verbindlich festgeschrieben. Aus beiden zusammen entsteht die Leistungsschuld, welche vom Leistungserbringer übernommen wird.

Folgerichtig schreibt der BGH:

„Entscheidend ist vielmehr, dass der Anspruch eines Berechtigten auf Leistungen, die sich nach der Besonderheit des Einzelfalls richten (vgl. §Ÿ9 SGB XII), seinem Umfang nach gegenüber dem Leistungsberechtigten festgestellt wird. Hierdurch wird die im Allgemeinen bleibende Zielbeschreibung (d.h. individueller Hilfeplan, eig. Anm.), nach der dem Bewohner im Sinne der Normalisierung eine größtmögliche Selbstbestimmung und Teilhabe ermöglicht werden und sich die Lebensgestaltung an seiner aktuellen Lebenssituation und an seinen Bedürfnissen orientieren soll, auf die im Einzelfall geschuldeten Leistungen konkretisiert und eine Grundlage für den Vergütungsanspruch des Heimträgers geschaffen, hinsichtlich dessen der Sozialleistungsträger ein Kostenanerkenntnis erklärt (vgl. Nr. 3 Abs. 2 der Vereinbarung gemäß § 75 Abs. 3 SGB XII).“ (Rz. 14)

(1.2.)

Der BGH sieht auch im (vorliegenden) Landesrahmenvertrag eine mögliche Verpflichtung zur Verwaltung und Verwahrung von Barbeträgen für die Bewohner. Da Landesrahmenverträge je nach Bundesland unterschiedlich formuliert sein können, kommt es allerdings auf den Einzelfall an.

Angesprochen wurde dabei vom BGH, ob nicht doch im allgemeinen Leistungskatalog, welcher dem Landesrahmenvertrag zugrunde liegt, eine Leistung über den „sachgerechten Umgang mit Geld“ vereinbart worden ist. „Gemessen an diesen Bestimmungen ist eine Pflicht der Beklagten, die Barbeträge der Kläger zu verwalten, in Betracht zu ziehen.“ (Rz. 18)

(1.3.)

Der hat auch untersucht, ob nicht der rechtliche Betreuer, sofern bestellt, in der Pflicht wäre.

Ein Betreuer darf nach § 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB nicht für Angelegenheiten bestellt werden, die durch andere Hilfen, bei denen kein gesetzlicher Vertreter bestellt wird, ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden können. Die Betreuung umfasst nach § 1901 Abs. 1 BGB nur Tätigkeiten, die erforderlich sind, um die Angelegenheiten des Betreuten rechtlich zu besorgen. …“ (Rz. 24)

Es geht also um die „rechtliche Besorgung“ und nicht um eine tatsächliche „Hilfeleistung“. Der BGH hatte schon vorher erkannt, dass es sich bei der Verwaltung und Verwahrung von Barbeträgen um eine sonstige Betreuungsleistung handelt. Darum folgert er:

Tätigkeiten außerhalb der Besorgung rechtlicher Angelegenheiten gehören insbesondere dann nicht zum Aufgabenbereich eines Betreuers, wenn deren Vergütung durch andere Kostenträger - etwa die Sozialhilfe - geregelt ist. Die faktische Führung des Betroffenen durch Heimpersonal stellt eine andere Hilfe im Sinne des § 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB dar, für die ein gesetzlicher Vertreter nicht notwendig ist.“ (Rz. 24)

Der rechtliche Betreuer gerät deswegen nicht in die Pflicht, weil der Leistungsberechtigte „faktisch geführt“ wird durch das Personal der Einrichtung. Aber Ausgangspunkt für die Überlegungen des BGH ist, dass es sich nicht um eine Hilfeleistung handelt, sondern um eine rechtliche Besorgung. Nach meiner Lesart erfolgt hier ein logischer Zirkelschluss.

Die Vermögenssorge ist eine der Aufgaben des rechtlichen Betreuers. Da es sich in diesem Fall um die Frage der Barbetragsverwaltung handelt, würde ich die thematische Nähe zur Vermögenssorge sehen und nicht zur Betreuungsleistung. Denn hätte der BGH diese Annahme nicht getroffen, würde nur das Argument der „faktischen Führung“ alleine stehen; und es gibt noch andere Bereiche, in denen das Heimpersonal bestimmend auf die Lebensführung einwirkt.

(1.4.)

Der BGH stellte sich dann noch die Frage, ob die Barbetragsverwaltung nicht dem Ziel des § 1 SGB XII entgegenläuft. Doch genau weil manche Leistungsberechtigte nicht in der Lage sind, eine eigene Verwaltung der Geldmittel zu organisieren und vorzunehmen, hat der Gesetzgeber in Kenntnis der Problematik es zugelassen, dass auch Fremde, wie z.B. die Einrichtungen, Bargelder der Bewohner verwalten dürfen (vgl. Rz. 26).

Von daher bestimmt der BGH abschließend, dass über die Erforderlichkeit der Verwaltung der Barbeträge der Sozialhilfeträger zu bestimmen hat, da dieser den individuellen Hilfebedarf feststellt. In Rz. 27 steht somit:

Das Berufungsgericht wird daher im weiteren Verfahren zu klären haben, ob die Annahme und Verwaltung der Barbeträge durch die Beklagte vom überörtlichen Sozialhilfeträger individuell als erforderlich festgestellt worden ist (Ÿ3 Nr. 1 Satz 3 der Heimverträge).


(2.)

Hiervon abgesehen bestimmt § 13 HeimG, dass der Träger der Einrichtungen „… nach den Grundsätzen einer ordnungsgemäßen Buch- und Aktenführung Aufzeichnungen über den Betrieb zu machen und die Qualitätssicherungsmaßnahmen und deren Ergebnisse so zu dokumentieren, dass sich aus ihnen der ordnungsgemäße Betrieb des Heims ergibt. Insbesondere muss ersichtlich werden:
10.
die für die Bewohnerinnen und Bewohner verwalteten Gelder oder Wertsachen. …


(3.)

Gänzlich losgelöst von den vorgenannten Überlegungen ergibt sich noch eine weitere Perspektive im Falle einer unverlangten Auszahlung von Barbeträgen an den Leistungserbringer.

§ 812 BGB, Herausgabeanspruch

(1) Wer durch die Leistung eines anderen oder in sonstiger Weise auf dessen Kosten etwas ohne rechtlichen Grund erlangt, ist ihm zur Herausgabe verpflichtet. Diese Verpflichtung besteht auch dann, wenn der rechtliche Grund später wegfällt oder der mit einer Leistung nach dem Inhalt des Rechtsgeschäfts bezweckte Erfolg nicht eintritt.

(2) Als Leistung gilt auch die durch Vertrag erfolgte Anerkennung des Bestehens oder des Nichtbestehens eines Schuldverhältnisses.

Zu beachten ist, dass die Einrichtung nach diesem Gesetz nur gegenüber dem leistenden Sozialhilfeträger zur Herausgabe verpflichtet ist. Nicht gegenüber dem eigentlichen Empfänger der Leistung – dem Leistungsberechtigten.

Wenn im individuellen Hilfeplan die Barbetragsverwaltung nicht vereinbart ist und die aktuelle Lebenssituation des Bewohners eine solche Betreuungsleistung nicht rechtfertigt, dann könnte die Einrichtung auf die Aufforderung zur Herausgabe warten; sie muss m.E. nicht von sich aus tätig werden, da es sich bei der unverlangten Auszahlung des Barbetrages an die Einrichtung um eine „aufgedrängte Bereicherung“ handelt. Allerdings steht dem wahrscheinlich entgegen, dass durch die Auszahlung an den Leistungserbringer ein Bedarf seitens des Leistungsberechtigten angenommen werden kann.


Als Fazit bleibt festzuhalten, dass es immer auf den individuellen Hilfebedarf ankommt. Nur dieser entscheidet, ob eine Barbetragsverwaltung durch die Einrichtung gerechtfertigt ist. Liegen Zweifel darüber vor, muss eine Klärung seitens des Leistungsträgers erfolgen.

Es kommt vor, dass rechtliche Betreuer kein eigenes Konto für ihre Betreuten einrichten wollen, weil sie einen Hilfebedarf bei der Barbetragsverwaltung vermuten. Eine solche Begründung reicht m.E. nicht aus, stellt aber ein Problem dar für die Einrichtungen. Von daher muss auch hier wieder in der Gesamtplankonferenz der tatsächliche individuelle Hilfebedarf festgestellt werden, um dann ggf. im Wege der verzögerten Herausgabe der unverlangt ausgezahlten Barbeträge eine gemeinsame Linie zu erreichen.

Von daher kann ein Einrichtungsträger lediglich den Versuch unternehmen, die treuhänderische Barbetragsverwaltung abzulehnen, doch argumentiert werden muss immer mit dem individuellen Hilfebedarf des Leistungsberechtigten.


CGS


Fußnote 1:

§ 35 SGB XII, Unterkunft und Heizung
(2) Übersteigen die Aufwendungen für die Unterkunft den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang, sind sie insoweit als Bedarf der Personen, deren Einkommen und Vermögen nach § 27 Absatz 2 zu berücksichtigen sind, anzuerkennen. …


§ 27 SGB XII, Leistungsberechtigte
 (2) Eigene Mittel sind insbesondere das eigene Einkommen und Vermögen. Bei nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartnern sind das Einkommen und Vermögen beider Ehegatten oder Lebenspartner gemeinsam zu berücksichtigen. Gehören minderjährige unverheiratete Kinder dem Haushalt ihrer Eltern oder eines Elternteils an und können sie den notwendigen Lebensunterhalt aus ihrem Einkommen und Vermögen nicht bestreiten, sind vorbehaltlich des § 39 Satz 3 Nummer 1 auch das Einkommen und das Vermögen der Eltern oder des Elternteils gemeinsam zu berücksichtigen. …

Das bedeutet schlichtweg, dass die Differenz zwischen tatsächlichen und angemessenen Kosten anzuerkennen ist bei Leistungsberechtigten. Eine Berechtigung zum Erhalt von Sozialleistungen ergibt sich u.a. aus § 27 Abs. 1 SGB XII, wonach Personen, die aus eigenen Mitteln ihren Lebensunterhalt nicht bestreiten können, solche zu gewähren sind.




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