Leistungsberechtigte erhalten, insbesondere diejenigen, welche
in stationären Wohneinrichtungen leben und nicht in der Lage sind über eigene
Mittel (§ 27 SGB XII) die Kosten der Unterkunft (§ 35 SGB XII) zu decken, einen
Barbetrag zur persönlichen Verfügung (§ 27 b SGB XII, vgl. auch meinen Beitrag
vom 30.9.2014). Dieser Barbetrag steht nicht den Leistungserbringern zu,
sondern er gehört den jeweiligen Bewohnern der Einrichtung.
Zum einen wird dem Leistungsberechtigten der Umgang mit
Geld nahe gebracht, zum anderen ermöglicht die freie und uneingeschränkte
Verfügung und Verwendung von „eigenem“ Geld die Führung eines selbstbestimmten
Lebens. Erst mit der Verschaffung eines solchen Maßes an Verantwortung und
Freiheit wird ein Leben in Würde ermöglicht, was ja auch ein geschütztes
Grundrecht darstellt (§ 1 Abs. 1 SGB I i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG).
Wenn nun dieser Barbetrag nicht an den Bewohner
persönlich ausgezahlt werden kann, z.B. weil dieser aus welchen Gründen auch
immer nicht über ein eigenes Konto verfügt, sondern an die Einrichtung, ist die
Einrichtung zur Verwahrung bzw. zur Weiterleitung verpflichtet?
Andererseits ist zu bedenken, dass die treuhänderische
Verwaltung von Bewohnergeldern in stationären Wohneinrichtungen häufig eine
administrative Belastung für die Leistungserbringer bedeutet. Zur
treuhänderischen Verwaltung zählt eine eigene Rechnungslegung, die Verwahrung
der Gelder, Auszahlungen und Empfang der Beträge. Dies alles muss zügig
erfolgen, da jede Verzögerung das Recht auf Selbstbestimmung einschränken und
(finanzielle) Abhängigkeiten generieren würde. Bei einer solchen Last, kann ein
Träger von stationären Wohneinrichtungen diese treuhänderische Verwaltung
ablehnen?
(1.)
Der Bundesgerichtshof musste sich in der Vergangenheit
mit dieser Fragestellung auseinandersetzen und kam zu folgendem Ergebnis:
BGH-Urteil vom 2.
Dezember 2010 · Az. III ZR 19/10
Streitgegenstand:
Die Parteien
streiten um die Verpflichtung der Beklagten, einer Heimträgerin, die den
geistig behinderten Klägern durch den Träger der Sozialhilfe bewilligten
monatlichen Barbeträge zur persönlichen Verfügung (§ 35 Abs. 2 Satz 1 SGB XII)
entgegenzunehmen, zu verwalten und die Rücküberweisung an den Sozialhilfeträger
zu unterlassen.
Der Verweis auf § 35 Abs. 2 Satz 1 SGB XII erscheint mir
hier irreführend, da nicht die Differenz zwischen tatsächlichen und
angemessenen Kosten zum Streit führten (siehe Fußnote 1), sondern es ging in
erster Linie um die Verwaltung der Gelder. Dass dann auch noch in diesem
speziellen Fall eine Rücküberweisung an den Sozialhilfeträger stattgefunden
hatte, erscheint eher von untergeordneter Bedeutung.
(1.1.)
Ausgangspunkt ist nach Ansicht der mit diesem Fall
befassten Gerichte das, was in den Heimverträgen bzw. den Wohnstättenverträgen
steht. Zum Beispiel:
Die Hilfe-, Förder- und Betreuungsangebote umfassen insbesondere
folgende Leistungsbereiche und beinhalten Leistungen, die sich am individuellen
Hilfebedarf orientieren: … (abschließende Aufzählung, eig. Anm.)… im Bereich „Alltagskompetenzen, lebenspraktischer
Bereich“ gibt es die Leistung „Geld verwalten und Geld verwenden“.
Ziel ist es, den Leistungsberechtigten zur Selbständigkeit hinzuführen
in Form von Beratung, Assistenz, Unterstützung und / oder Hilfestellung bis hin
zur stellvertretenden Ausführung.
Der BGH kritisiert allerdings, dass eine solche Regelung
in Heim- oder Wohnstättenverträgen nicht zwingend eine alleinige Verpflichtung
des Einrichtungsträgers darstellt. Vielmehr ist nach Ansicht des BGH darauf
abzustellen, ob es nach den Besonderheiten des Einzelfalls gem. § 9 SGB XII einen
entsprechenden Hilfebedarf gibt (vgl. auch vorgenannte Regelung!).
Der Bedarf ergibt sich einerseits aus der jeweiligen
aktuellen Lebenssituation des Leistungsberechtigten. Andererseits wird der
Hilfebedarf im Gesamtplanverfahren nach § 58 SGB XII festgestellt und im
individuellen Hilfeplan verbindlich festgeschrieben. Aus beiden zusammen
entsteht die Leistungsschuld, welche vom Leistungserbringer übernommen wird.
Folgerichtig schreibt der BGH:
„Entscheidend ist
vielmehr, dass der Anspruch eines Berechtigten auf Leistungen, die sich nach
der Besonderheit des Einzelfalls richten (vgl. §9 SGB XII), seinem Umfang nach gegenüber
dem Leistungsberechtigten festgestellt wird. Hierdurch wird die im Allgemeinen
bleibende Zielbeschreibung (d.h. individueller Hilfeplan, eig. Anm.), nach der dem
Bewohner im Sinne der Normalisierung eine größtmögliche Selbstbestimmung und
Teilhabe ermöglicht werden und sich die Lebensgestaltung an seiner aktuellen
Lebenssituation und an seinen Bedürfnissen orientieren soll, auf die im
Einzelfall geschuldeten Leistungen konkretisiert und eine Grundlage für den
Vergütungsanspruch des Heimträgers geschaffen, hinsichtlich dessen der Sozialleistungsträger
ein Kostenanerkenntnis erklärt (vgl. Nr. 3 Abs. 2 der Vereinbarung gemäß § 75
Abs. 3 SGB XII).“ (Rz. 14)
(1.2.)
Der BGH sieht auch im (vorliegenden) Landesrahmenvertrag
eine mögliche Verpflichtung zur Verwaltung und Verwahrung von Barbeträgen für
die Bewohner. Da Landesrahmenverträge je nach Bundesland unterschiedlich
formuliert sein können, kommt es allerdings auf den Einzelfall an.
Angesprochen wurde dabei vom BGH, ob nicht doch im
allgemeinen Leistungskatalog, welcher dem Landesrahmenvertrag zugrunde liegt, eine
Leistung über den „sachgerechten Umgang mit Geld“ vereinbart worden ist. „Gemessen
an diesen Bestimmungen ist eine Pflicht der Beklagten, die Barbeträge der
Kläger zu verwalten, in Betracht zu ziehen.“ (Rz. 18)
(1.3.)
Der hat auch untersucht, ob nicht der rechtliche
Betreuer, sofern bestellt, in der Pflicht wäre.
„Ein Betreuer darf
nach § 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB nicht für Angelegenheiten bestellt werden, die durch andere Hilfen,
bei denen kein gesetzlicher Vertreter bestellt wird, ebenso gut wie durch einen
Betreuer besorgt werden können. Die Betreuung umfasst nach § 1901 Abs. 1 BGB
nur Tätigkeiten,
die erforderlich sind, um die Angelegenheiten des Betreuten rechtlich zu
besorgen. …“ (Rz. 24)
Es geht also um die „rechtliche Besorgung“ und nicht um
eine tatsächliche „Hilfeleistung“. Der BGH hatte schon vorher erkannt, dass es
sich bei der Verwaltung und Verwahrung von Barbeträgen um eine sonstige
Betreuungsleistung handelt. Darum folgert er:
„Tätigkeiten außerhalb
der Besorgung rechtlicher Angelegenheiten gehören insbesondere dann nicht zum
Aufgabenbereich eines Betreuers, wenn deren Vergütung durch andere Kostenträger
- etwa die Sozialhilfe - geregelt ist. Die faktische Führung des Betroffenen
durch Heimpersonal stellt eine andere Hilfe im Sinne des § 1896 Abs. 2 Satz 2
BGB dar, für
die ein gesetzlicher Vertreter nicht notwendig ist.“ (Rz. 24)
Der rechtliche Betreuer gerät deswegen nicht in die
Pflicht, weil der Leistungsberechtigte „faktisch geführt“ wird durch das
Personal der Einrichtung. Aber Ausgangspunkt für die Überlegungen des BGH ist,
dass es sich nicht um eine Hilfeleistung handelt, sondern um eine rechtliche
Besorgung. Nach meiner Lesart erfolgt hier ein logischer Zirkelschluss.
Die Vermögenssorge ist eine der Aufgaben des rechtlichen
Betreuers. Da es sich in diesem Fall um die Frage der Barbetragsverwaltung
handelt, würde ich die thematische Nähe zur Vermögenssorge sehen und nicht zur
Betreuungsleistung. Denn hätte der BGH diese Annahme nicht getroffen, würde nur
das Argument der „faktischen Führung“ alleine stehen; und es gibt noch andere
Bereiche, in denen das Heimpersonal bestimmend auf die Lebensführung einwirkt.
(1.4.)
Der BGH stellte sich dann noch die Frage, ob die
Barbetragsverwaltung nicht dem Ziel des § 1 SGB XII entgegenläuft. Doch genau
weil manche Leistungsberechtigte nicht in der Lage sind, eine eigene Verwaltung
der Geldmittel zu organisieren und vorzunehmen, hat der Gesetzgeber in Kenntnis
der Problematik es zugelassen, dass auch Fremde, wie z.B. die Einrichtungen,
Bargelder der Bewohner verwalten dürfen (vgl. Rz. 26).
Von daher bestimmt der BGH abschließend, dass über die
Erforderlichkeit der Verwaltung der Barbeträge der Sozialhilfeträger zu
bestimmen hat, da dieser den individuellen Hilfebedarf feststellt. In Rz. 27
steht somit:
„Das
Berufungsgericht wird daher im weiteren Verfahren zu klären haben, ob die
Annahme und Verwaltung der Barbeträge durch die Beklagte vom überörtlichen Sozialhilfeträger
individuell als erforderlich festgestellt worden ist (3 Nr. 1 Satz 3 der Heimverträge).“
(2.)
Hiervon abgesehen bestimmt § 13 HeimG, dass der Träger
der Einrichtungen „… nach den Grundsätzen
einer ordnungsgemäßen Buch- und Aktenführung Aufzeichnungen über den Betrieb zu
machen und die Qualitätssicherungsmaßnahmen und deren Ergebnisse so zu
dokumentieren, dass sich aus ihnen der ordnungsgemäße Betrieb des Heims ergibt.
Insbesondere muss ersichtlich werden:
…
10.
die für die
Bewohnerinnen und Bewohner verwalteten Gelder oder Wertsachen. …“
(3.)
Gänzlich losgelöst von den vorgenannten Überlegungen
ergibt sich noch eine weitere Perspektive im Falle einer unverlangten
Auszahlung von Barbeträgen an den Leistungserbringer.
§ 812 BGB, Herausgabeanspruch
(1) Wer durch die
Leistung eines anderen oder in sonstiger Weise auf dessen Kosten etwas ohne
rechtlichen Grund erlangt, ist ihm zur Herausgabe verpflichtet. Diese
Verpflichtung besteht auch dann, wenn der rechtliche Grund später wegfällt oder
der mit einer Leistung nach dem Inhalt des Rechtsgeschäfts bezweckte Erfolg
nicht eintritt.
(2) Als Leistung
gilt auch die durch Vertrag erfolgte Anerkennung des Bestehens oder des
Nichtbestehens eines Schuldverhältnisses.
Zu beachten ist, dass die Einrichtung nach diesem Gesetz
nur gegenüber dem leistenden Sozialhilfeträger zur Herausgabe verpflichtet ist.
Nicht gegenüber dem eigentlichen Empfänger der Leistung – dem Leistungsberechtigten.
Wenn im individuellen Hilfeplan die Barbetragsverwaltung
nicht vereinbart ist und die aktuelle Lebenssituation des Bewohners eine solche
Betreuungsleistung nicht rechtfertigt, dann könnte die Einrichtung auf die Aufforderung
zur Herausgabe warten; sie muss m.E. nicht von sich aus tätig werden, da es
sich bei der unverlangten Auszahlung des Barbetrages an die Einrichtung um eine
„aufgedrängte Bereicherung“ handelt. Allerdings steht dem wahrscheinlich
entgegen, dass durch die Auszahlung an den Leistungserbringer ein Bedarf
seitens des Leistungsberechtigten angenommen werden kann.
Als Fazit bleibt festzuhalten, dass es immer auf den
individuellen Hilfebedarf ankommt. Nur dieser entscheidet, ob eine
Barbetragsverwaltung durch die Einrichtung gerechtfertigt ist. Liegen Zweifel
darüber vor, muss eine Klärung seitens des Leistungsträgers erfolgen.
Es kommt vor, dass rechtliche Betreuer kein eigenes Konto
für ihre Betreuten einrichten wollen, weil sie einen Hilfebedarf bei der
Barbetragsverwaltung vermuten. Eine solche Begründung reicht m.E. nicht aus,
stellt aber ein Problem dar für die Einrichtungen. Von daher muss auch hier
wieder in der Gesamtplankonferenz der tatsächliche individuelle Hilfebedarf
festgestellt werden, um dann ggf. im Wege der verzögerten Herausgabe der unverlangt
ausgezahlten Barbeträge eine gemeinsame Linie zu erreichen.
Von daher kann ein Einrichtungsträger lediglich den
Versuch unternehmen, die treuhänderische Barbetragsverwaltung abzulehnen, doch
argumentiert werden muss immer mit dem individuellen Hilfebedarf des
Leistungsberechtigten.
CGS
Fußnote 1:
§ 35 SGB XII, Unterkunft und Heizung
…
(2) Übersteigen die
Aufwendungen für die Unterkunft den der Besonderheit des Einzelfalles
angemessenen Umfang, sind sie insoweit als Bedarf der Personen, deren Einkommen
und Vermögen nach § 27 Absatz 2 zu berücksichtigen sind, anzuerkennen. …
§ 27 SGB XII, Leistungsberechtigte
…
(2) Eigene Mittel sind insbesondere das eigene
Einkommen und Vermögen. Bei nicht getrennt lebenden Ehegatten oder
Lebenspartnern sind das Einkommen und Vermögen beider Ehegatten oder
Lebenspartner gemeinsam zu berücksichtigen. Gehören minderjährige
unverheiratete Kinder dem Haushalt ihrer Eltern oder eines Elternteils an und
können sie den notwendigen Lebensunterhalt aus ihrem Einkommen und Vermögen
nicht bestreiten, sind vorbehaltlich des § 39 Satz 3 Nummer 1 auch das
Einkommen und das Vermögen der Eltern oder des Elternteils gemeinsam zu
berücksichtigen. …
Das bedeutet schlichtweg, dass die Differenz zwischen
tatsächlichen und angemessenen Kosten anzuerkennen ist bei
Leistungsberechtigten. Eine Berechtigung zum Erhalt von Sozialleistungen ergibt
sich u.a. aus § 27 Abs. 1 SGB XII, wonach Personen, die aus eigenen Mitteln
ihren Lebensunterhalt nicht bestreiten können, solche zu gewähren sind.
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