Samstag, 3. April 2021

Neue Mustervereinbarung zu Leistungen der Eingliederungshilfe in Hamburg - Fortsetzung

Das Jahr nimmt rasant seinen Lauf. Das erste Quartal ist vorbei, und schon in weniger als drei Monaten werden die Sommerferien das Arbeitstempo verlangsamen. In einer Arbeitsgruppe wird derzeit eine neue Mustervereinbarung über Leistungen der Eingliederungshilfen in Hamburg vorbereitet. Das mit der Mustervereinbarung ist schon die wesentliche Grundlage, um Leistungen der Eingliederungshilfe zu erbringen und vergütet zu bekommen. Was zurzeit als Erstentwurf für das Wohnen und der Betreuung im eigenen Wohnraum den Verbänden der Leistungserbringer zugeschickt wurde, ist schon sehr fragwürdig und benötigt einige Klärung. 

Das Folgende ist die Fortsetzung eines früheren Beitrags.

  

Streitpunkt 1: Eine Entkopplung der Verträge ist beim Wohnen mit Assistenz nicht zulässig.

Die Behörde will, wie schon beim letzten Mal gesagt, eine komplette Trennung erreichen zwischen den Wohn- und Versorgungsleistungen einerseits und der Fachleistung andererseits. Die Kopplung von Wohn- und Betreuungsverträgen soll sozusagen verboten werden, in dem in der Vereinbarung über die Leistungen hineingeschrieben wird: 

„Sofern der Leistungserbringer [das soziale Unternehmen als Vermieter und EGH-Leistender; eig. Anmerkung] neben der Erbringung von Assistenzleistungen auch Wohnraum an Leistungsberechtigte vermietet, sind vor dem Hintergrund der Wahrung des Wunsch- und Wahlrechtes der Leistungsberechtigten die Verträge zur Leistungserbringung (Betreuungsverträge) unabhängig von den Mietverträgen zu gestalten.“ 

Mancher sieht in dieser Formulierung einen unlauteren Versuch der Entkopplung von Wohn- und Betreuungsverträgen. Eine solche Forderung wäre der Eingriff in die Berufsfreiheit und freie Selbstbestimmung der Leistungsanbieter – schließlich haben sie ebenfalls Grundrechte. Daneben noch gibt es die Bestimmungen aus dem Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz zu beachten. Sobald eine Abhängigkeit besteht, selbst wenn Wohnen und Betreuung in verschiedenen Verträgen geregelt worden sind, das Gesetz anzuwenden ist (§ 1 Abs. 2 WBVG).

Überhaupt hatte man zu Beginn des Jahres 2020 (BTHG) die vollstationären Einrichtungen in „besondere Wohnformen“ verwandelt. Alle früheren Heimverträge wurden ganz neu zu Wohn- und Betreuungsverträgen gemacht, damit dem Gesetz entsprochen wurde. Soll man diese Verträge wieder ändern? Und wie entkoppelt ist das Ganze überhaupt, wenn es nach § 42a Abs. 6 SGB XII und § 113 Abs. 5 SGB IX wieder um eine Zusammenhangleistung geht, bei der ein Überschreiten von Angemessenheitsgrenzen die Eingliederungshilfe die „unangemessenen“ Kosten der besonderen Wohnform übernehmen soll. 

WBVG und SGB XII/SGB IX sind Bundesgesetze. Bundesrecht bricht Landesrecht, so der Grundsatz. Von daher kann man diese Forderung des Hamburger Leistungsträgers eigentlich getrost vergessen. Weil es sich aber nur um einen Muster-Text handelt, wird an diesem Punkt noch gar nichts wirklich geregelt. Würde sich ein Leistungserbringer dazu verpflichten, würde er vertragsbrüchig werden. Und deswegen sollten sich die Verbände und die Sozialbehörde auf ein Unterlassen dieses Unsinns verständigen.

  

Streitpunkt 2: Der Leistungsvereinbarung liegt eine Kapazität von <<xx>> Plätzen vor.

Einerseits soll es eine Entkopplung geben, andererseits wird eine Platzzahl-Begrenzung an den Standorten gefordert. Dass die Sozialbehörde der Ausuferung von Leistungsangeboten entgegnen will, wird zwar allgemein verstanden, aber vor diesem Hintergrund mit den Wohnverträgen nicht mehr nachvollzogen. 

„Der Leistungsvereinbarung liegt eine Kapazität von <<xx>> Plätzen zugrunde. Der Leistungserbringer informiert die Trägerin der Eingliederungshilfe bei Abschluss der Vereinbarung über die Standorte und deren jeweilige Platzzahl sowie bei tatsächlichen und geplanten Veränderungen dieser. Bei Kapazitätsänderungen ist § 4 Abs. 8 LRV nach § 131 Abs. 1 SGB IX vom 01.01.2020 zu beachten.“ 

Mit einem solchen Satz entsteht allerdings nicht zwingend eine Platzzahl-Begrenzung. Es ist mE. nur legitim, wenn die Vertragsparteien darüber Klarheit schaffen, wo die Leistungserbringung stattfindet. Gerade bei besonderen Wohnformen, in denen es Fachleistungs-Flächen gibt (z.B. Therapie-Räume, Büros, Pausenräume der Mitarbeiter), braucht es eine Benennung, um die Kosten dieser Strukturen vergütet zu bekommen. Und dann gibt es noch die Kosten des Wohnens, die als unangemessen gelten können und von der Eingliederungshilfe übernommen werden müssen (siehe oben, § 113 Abs. 6 SGB IX). Von daher ist dieser Text, der im Erstentwurf steht, schwierig, aber nicht abweisbar.

  

Streitpunkt 3: Fachkräfte als qualifizierte Assistenz

Nur Fachkräfte sind qualifiziert genug, um eine Befähigung der Leistungsberechtigten zu erreichen. Der Erstentwurf enthält diese Bestimmung: 

„Die Assistenzleistungen zur Befähigung der Leistungsberechtigten zu einer eigenständigen Alltagsbewältigung werden von Fachkräften als qualifizierte Assistenz erbracht. Sie umfasst insbesondere Anleitung und Übungen.“ 

In § 78 Abs. 2 SGB IX heißt es: 

„Die Leistungen nach Nummer 2 [das ist die Befähigung der Leistungsberechtigten zu einer eigenständigen Alltagsbewältigung] werden von Fachkräften als qualifizierte Assistenz erbracht. Sie umfassen insbesondere die Anleitungen und Übungen in den Bereichen nach Absatz 1 Satz 2 [sie umfassen insbesondere Leistungen für die allgemeinen Erledigungen des Alltags wie die Haushaltsführung, die Gestaltung sozialer Beziehungen, die persönliche Lebensplanung, die Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben, die Freizeitgestaltung einschließlich sportlicher Aktivitäten sowie die Sicherstellung der Wirksamkeit der ärztlichen und ärztlich verordneten Leistungen].“ 

Weil also nur Fachkräfte als eine qualifizierte Assistenz für diese Leistungen der Eingliederungshilfe gelten, stellt sich die Frage, welches Personal nun diesen Status hat. 

In § 97 SGB IX findet sich zwar eine Definition des Begriffs der Fachkräfte, aber diese bezieht sich auf die Träger der Eingliederungshilfe (Leistungsträger) und nicht der Leistungserbringer. Man könnte sich daran orientieren, doch wozu hat man schließlich das hamburgische Wohn- und Betreuungsqualitätsgesetz mitsamt seiner Verordnung über personelle Anforderungen an Wohn- und Betreuungsformen (Wohn- und Betreuungspersonalverordnung, WBPersVO, vom 14.2.2012)?! 

Für Wohneinrichtungen (Abschnitt 2 der WBPersVO) beispielsweise gibt es einige sehr klare Bestimmungen in § 5 Abs. 4. Zwar findet sich die etwas offene Formulierung „gleichwertige Berufsqualifikation“ an vierter Stelle, aber grundsätzlich wird eine mindestens dreijährige Ausbildung in ganz bestimmten Berufsfeldern oder ein höherer bzw. akademischer Abschluss verlangt. Und damit erledigt sich eigentlich der Streitpunkt.

 

Landesrechtlich anerkannte Assistenten könnten Fachkräfte sein

Zu den Fachkräften gezählt werden soll auch ein Personal mit einer kürzeren Ausbildungsdauer. Dazu heißt es im Erstentwurf: 

„Eine Anerkennung von Mitarbeitenden als Fachkräfte, die über eine mindestens zweijährige Ausbildung (z. B. als sozialpädagogische Assistenten) sowie einschlägige Fort- und Weiterbildungen verfügen, ist im Einzelfall nach Überprüfung durch die Sozialbehörde möglich.“ 

Diese Anerkennung muss nicht mit der Leistungsvereinbarung zeitlich zusammenfallen, wäre aber ein wesentlicher Punkt (siehe dazu gleich weiter unten). Woran es jedoch fehlt, ist der Bezug zur WBPersVO, so dass man noch viel besser nachvollziehen kann, wann die Überprüfung zu einer Anerkennung führen wird. In § 5 Abs. 5 finden sich diverse Berufsfelder, die eine landesrechtliche Anerkennung als Assistenz einbringen. Allerdings wäre ein Personal, welches trotz der Anerkennung „nur“ über eine einjährige Ausbildung verfügt, eigentlich automatisch ausgenommen. In dem besagten Absatz heißt es: 

„Landesrechtlich anerkannte Assistentin oder Assistent im Sinne von Absatz 3 ist, wer eine mindestens einjährige Ausbildung in den Arbeitsfeldern Pflege oder Hauswirtschaft beziehungsweise Sozialpädagogik oder Heilpädagogik mit berufsbezogenem schulischen Unterricht und eine praktische Ausbildung unter Anleitung einer Fachkraft nachweisen kann, die mit einer Prüfung durch die zuständige Landesbehörde abgeschlossen wurde. …“

Was folgt, ist eine Aufzählung verschiedener Ausbildungen und dem bekannten „gleichwertige Berufsqualifikation“.

 

Streitpunkt 4: Beschäftigungsquote von Fachkräften

Vereinbart werden soll dieser Text in der Leistungsvereinbarung zum Wohnen mit Assistenz: 

„Die Beschäftigungsquote von Fachkräften beträgt mindestens 90%. Un- und angelerntes Personal kann mit einer Beschäftigungsquote von bis zu 10% eingesetzt werden. …“ 

Welches Personal zu den Fachkräften zählt, ist schon an anderer Stelle geklärt worden. Die Mitarbeitenden verfügen grundsätzlich über eine mindestens dreijährige oder andere höhere Ausbildung. Und nur im Einzelfall können auch landesrechtlich anerkannte Assistenten mit einer mindestens zweijährigen Ausbildung sowie einer weiteren einschlägigen Fort- und Weiterbildung nach Überprüfung durch die Sozialbehörde dazugezählt werden. 

In § 5 Abs. 3 WBPersVO ist für Wohneinrichtungen eine ganz andere Aufteilung bestimmt worden (in der Verordnung spricht man von einer Fachkraftquote, im Text von der Beschäftigungsquote). Für die betreuenden Tätigkeiten jedenfalls soll der Anteil der Fachkräfte (mit dreijähriger Ausbildung und ohne die landesrechtlich anerkannten Assistenten) mindestens 50 % betragen (S. 1). Der Anteil der landesrechtlich anerkannten Assistenten soll höchstens nur 40 % des Betreuungspersonals betragen (S. 3). 

Daraus folgt nun aber, dass bei einem Fehlen von genügend Fachkräften nicht so ohne weiteres mit landesrechtlich anerkannten Assistenten „aufgefüllt“ werden kann – die Sozialbehörde will sich das Recht herausnehmen, die Anerkennung zu prüfen. Den Automatismus gibt es nicht, kann man nicht so ohne weiteres erwarten. Ansonsten aber wäre die Rechnung sehr einfach: man nimmt 50 % Fachkräfte und 40 % landesrechtlich anerkannte Assistenten mit einer mindestens zweijährigen Ausbildung und so weiter für die 90 % Betreuungspersonal. Das Personal, welches die Kriterien nicht erfüllt, würde man zu den 10 %. 

Was nun, wenn ein Leistungserbringer diese Fachkraftquote / Beschäftigungsquote nicht erfüllen kann? – betriebsbedingt kündigen? 

CGS


 +++ Nachtrag vom 4.4.2021 +++

Aus einer Unterlage zu einem Arbeitsentwurf BTHG, Stand 2015:

Für die qualifizierte Assistenz bestimmt Absatz 2, dass diese von einer Fachkraft zu erbringen ist. Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, dass es sich bei der qualifizierten Assistenz insbesondere um eine pädagogische, psychologische bzw. therapeutische Fachleistung handelt. Diese qualifizierte Assistenz erfordert, dass mit dem Menschen alltägliche Situationen und Handlungen gemeinsam geplant, besprochen, geübt und reflektiert werden. Es werden Gelegenheiten geschaffen, etwas zu lernen, die Menschen sollen angeregt werden, Handlungen selbständig zu übernehmen. Zur qualifizierten Assistenz gehören beispielsweise die psychosoziale Beratung und Anleitung bei der Herstellung und Aufrechterhaltung sozialer Beziehungen, bei der Gestaltung einer Partnerschaft, bei der Planung der Freizeitgestaltung oder bei der Ernährung. Es geht beispielsweise um die Frage, wie man sich gegenüber Freunden oder Fremden verhält, wie man eine Beziehung gestaltet oder mit Konflikten umgeht, wie man sich gesund ernähren und sich allein versorgen kann oder wie die Freizeit gestaltet werden kann.

Zu den Assistenzleistungen gehören auch entsprechende Leistungen, die Mütter und Väter mit Behinderungen bei der Erfüllung ihres Erziehungsauftrags benötigen, oftmals als „Elternassistenz“ oder „begleitete Elternschaft“ bezeichnet. Bei der „Elternassistenz“ geht es um „einfache“ Assistenzleistungen für Eltern mit körperlichen oder Sinnesbehinderungen nach Absatz 1 Nummer 1, bei der „begleiteten Elternschaft“ um pädagogische Anleitung, Beratung und Begleitung zur Wahrnehmung der Elternrolle, d.h. qualifizierte Assistenz.

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Das hier ist keine Rechtsberatung oder Aufforderung zur Vornahme eines Rechtsgeschäftes. Der Beitrag stellt nur meine Sicht auf die Dinge dar. Und eine solche Sicht kann sich immer noch ändern. Brauchen Sie rechtliche Unterstützung, wenden Sie sich an die zuständigen Behörden, Sozial- und Betroffenenverbände oder rechtskundige Dritte. Lesen Sie bitte ebenfalls die Hinweise zum Rechtsstatus der Webseite, Urheberrechtsbestimmungen und Haftungsausschluss sowie die Datenschutzerklärung. 

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