Anscheinend hat sich die Empörung in den anderen
Mainstream-Medien nicht fortgesetzt. Trotzdem gibt es weiterhin Diskussionen
auf verschiedenen Webseiten und Foren. Man berichtet, dass sogar die
Mitarbeiter der einen Werkstatt unter Polizeischutz stehen müssen, weil die
Menschen in der Region von einem Mitwissen und Mitmachen ausgehen. Sogar Lokalpolitiker
melden sich zu Wort, was aber eher nach Populismus und Meinungsmache klingt. Und
dann gibt es Systemkritiker, die hinter dem Wohlfahrtswesen eine
Milliarden-Industrie sehen. Was also tun? Was geschieht nun weiter?
Man sollte die Meinungsmache
mal am besten ausblenden und erst einmal Fakten sammeln. Das Team Wallraff hat
schon seinen Beitrag dazu geleistet. Möglich ist aber, dass es sich nur um
Momentaufnahmen handelte, die jetzt einfach nur falsch verstanden wurden. Man
erinnere sich nur an das in einem anderen Artikel genannte Beispiel mit dem
behinderten Mädchen, was zum Trinken „gezwungen“ wird, damit es sich nicht an
seinen Medikamenten vergiftet. Was ist dann aber mit dem Bewohner, der vom
Mitarbeiter weggeschubst wird, weil er neugierig, interessiert oder einfach nur
kontaktsuchend sich an die Praktikantin wenden wollte. Wegschubsen ist keine
Form der Hilfeleistung, sondern hat was mit Erniedrigung zu tun.
Die zuständigen Aufsichten und
Prüfbehörden werden jetzt Befragungen durchführen und Einsicht in Dienstpläne,
interne Richtlinien und Berichte nehmen. Wahrscheinlich wird man herausfinden,
dass viele Misshandlungen in den gezeigten Einrichtungen schon seit sehr langer
Zeit stattfinden. Jemanden Wegzuschubsen ist eine Handlung, die man sich
angewöhnt hat im Umgang mit „nicht funktionierenden“ Bewohnern. Ebenso die
Bestrafungsaktionen, die in einem Kuchen-Entzug, Zimmerarrest mit Verdunkelung
und hochgestelltem Bett mündeten.
Die Geschäftsführung muss sich mit
diesen Feststellungen auseinandersetzen und ihrerseits Gründe für ein
Fehlverhalten suchen. Menschen benehmen sich so, weil sie vielleicht nicht
(mehr) das gleiche Wertesystem teilen oder überfordert wurden. Sie reagieren in
Stress-Momenten ohne weiteres Nachdenken, einfach impulsiv und reflexartig. Vielleicht
konnten Sie sich nicht anders helfen. Es kann durchaus sein, dass sich diese Mitarbeiter
schlichtweg alleine gelassen fühlten.
Wenn sich das Wertesystem von
Menschen ändert, kann wahrscheinlich nicht mehr viel gemacht werden. Dazu
müsste man schließlich auch das Privat-Leben dieser Leute kennen. Doch man kann
mit einem Katalog an Fortbildungen, Supervisionen und bereichsübergreifenden
Qualitäts-Debatten viel erreichen. Mit Gesprächen über das gemeinsame Ziel,
Menschen mit Behinderung zu fördern und ihnen ein menschwürdiges Leben zu
sichern, kann sich ein allgemeines Verständnis zusammen mit einem allgemein
akzeptierten Leistungsstandard etablieren. Fühlen sich Menschen einer Gruppe
zugehörig, identifizieren sie sich und ihre Leistung mit den gemeinsamen Werten.
Caritas und Diakonie leiten zum Beispiel ihr Weltbild vom Christlichen
Glaubensverständnis ab, die Lebenshilfen in Deutschland orientieren sich am
Humanismus, die AWO wiederum entstammt aus der Arbeiterbewegung bzw. dem
Sozialismus. Allen gemeinsam ist aber, dass sie sich dem Menschen verpflichtet
fühlen und seine Würde schützen wollen.
Das Verständnis für Werte kann aber
in Vergessenheit geraten – also nicht nur bei den einzelnen Mitarbeitern,
sondern eben auch bei der Geschäftsführung (wozu man letztlich alle Hierarchien
zählen darf): „Der Fisch stinkt vom Kopf her.“
Die Geschäftsführung berichtet
stets an ihren Aufsichtsrat (im Falle von Kapitalgesellschaften) oder Vorstand
(bei Stiftungen und Vereinen), doch dann geht es eher um den wirtschaftlichen
Fortbestand des Betriebs. Kontrollieren diese Kontrolleure dann oder trifft man
sich auf einen netten Plausch? Was überhaupt können sie kontrollieren und in
Erfahrung bringen?
Aufsichtsräte berichten an
Gesellschafter, Vorstände berichten an die Mitglieder, was allerhöchstens
einmal im Jahr geschieht und einem Referat gleicht. Im Gegensatz zur Geschäftsführung,
setzen sich Aufsichtsräte und Vorstände aus ihren Gesellschaftern und
Mitgliedern zusammen. Mit anderen Worten, es sind hier Eltern und Angehörige,
die sich aktiv einbringen. Man kann auch sagen, die Geschäftsführung ist
hauptberuflich und somit darf man ein professionelles Verhalten erwarten, die
Gremien wiederum bestehen aus „Ehrenämtlern“.
In manchen Organisationen gibt
es zudem Beiräte und Fördervereine, in denen sich Einzelne ebenfalls engagieren
können. Die Möglichkeiten zur Einflussnahme sind zwar gering, allerdings über
die ehrenamtliche Mitarbeit in verschiedenen Diensten ist eine Einsichtnahme nicht
unmöglich (meistens aber nur Tagdienste, keine Nachtdienste, vielleicht in
Spät- und/oder Frühdiensten).
Es gibt dann auch noch die
Landesverbände. Sie können sich allerdings nur einbringen, wenn sie von den
Geschäftsführungen dazu gebeten werden. Es gibt Schulungsangebote zu einer
Vielfalt an Themen, u.a. zu Fragen rund um Qualitätsmanagementsystemen und
Prüfungsvereinbarungen als Teil der Vereinbarungen nach § 75 SGB XII. Was ist,
wenn die Geschäftsführung diese Angebote aus Kostengründen oder Desinteresse
nicht wahrnimmt?
Es sind hilflose Menschen
geringschätzig und erniedrigt behandelt worden. Ihnen muss geholfen werden,
damit Vertrauen wieder entsteht. Die Vertrauensarbeit wiederum muss von nun
denjenigen geleistet werden, welche die Kollegen von denen sind, die sich
dermaßen fehlverhalten haben. Und diese müssen sich jetzt fragen, warum sie nie
etwas bemerkt haben – oder sich nie trauten, etwas zu sagen.
Sind sie dazu befähigt und
erhalten Sie eine Unterstützung seitens der Geschäftsführung? Eine solche
wertvolle Vertrauensrückgewinnungsarbeit braucht sehr viel Zeit und Geduld, Verständnis
und Einfühlungsvermögen. Es reicht nicht, nach außen zu treten und ein
Wertesystem zu propagieren, dass man sich wünscht. Es müssen nun Taten folgen.
Maßstab für alles ist die
Unverletzbarkeit der Würde des Menschen (Art. 1 GG).
CGS
P.S.:
Seit dem 27.2.2017 gibt es in Hamburg eine Enquete-Kommission,
die Kindesmisshandlungen versucht aufzuarbeiten und aufzuklären. Es geht dabei
nicht um Schuldzuweisungen, sondern man versucht den Kinderschutz und die
Kinderrechte zu stärken. Man will es besser machen. Abgeordnete der Bürgerschaft
beraten mit Experten darüber, was in den Jugendämtern und in der Sozialbehörde
falsch läuft. Auch wenn es hier einen anderen Personenkreis betrifft,
Kontrollen und Prüfungs-Verfahren laufen häufig ins Leere. Was aber jetzt schon
die ersten Teilnehmer sagen ist, man muss hinschauen und etwas dazu sagen.
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