Mittwoch, 1. März 2017

Wie geht es nun weiter seit der TV-Ausstrahlung des Team Wallraff-Reports?

Anscheinend hat sich die Empörung in den anderen Mainstream-Medien nicht fortgesetzt. Trotzdem gibt es weiterhin Diskussionen auf verschiedenen Webseiten und Foren. Man berichtet, dass sogar die Mitarbeiter der einen Werkstatt unter Polizeischutz stehen müssen, weil die Menschen in der Region von einem Mitwissen und Mitmachen ausgehen. Sogar Lokalpolitiker melden sich zu Wort, was aber eher nach Populismus und Meinungsmache klingt. Und dann gibt es Systemkritiker, die hinter dem Wohlfahrtswesen eine Milliarden-Industrie sehen. Was also tun? Was geschieht nun weiter?

Man sollte die Meinungsmache mal am besten ausblenden und erst einmal Fakten sammeln. Das Team Wallraff hat schon seinen Beitrag dazu geleistet. Möglich ist aber, dass es sich nur um Momentaufnahmen handelte, die jetzt einfach nur falsch verstanden wurden. Man erinnere sich nur an das in einem anderen Artikel genannte Beispiel mit dem behinderten Mädchen, was zum Trinken „gezwungen“ wird, damit es sich nicht an seinen Medikamenten vergiftet. Was ist dann aber mit dem Bewohner, der vom Mitarbeiter weggeschubst wird, weil er neugierig, interessiert oder einfach nur kontaktsuchend sich an die Praktikantin wenden wollte. Wegschubsen ist keine Form der Hilfeleistung, sondern hat was mit Erniedrigung zu tun.

Die zuständigen Aufsichten und Prüfbehörden werden jetzt Befragungen durchführen und Einsicht in Dienstpläne, interne Richtlinien und Berichte nehmen. Wahrscheinlich wird man herausfinden, dass viele Misshandlungen in den gezeigten Einrichtungen schon seit sehr langer Zeit stattfinden. Jemanden Wegzuschubsen ist eine Handlung, die man sich angewöhnt hat im Umgang mit „nicht funktionierenden“ Bewohnern. Ebenso die Bestrafungsaktionen, die in einem Kuchen-Entzug, Zimmerarrest mit Verdunkelung und hochgestelltem Bett mündeten.

Die Geschäftsführung muss sich mit diesen Feststellungen auseinandersetzen und ihrerseits Gründe für ein Fehlverhalten suchen. Menschen benehmen sich so, weil sie vielleicht nicht (mehr) das gleiche Wertesystem teilen oder überfordert wurden. Sie reagieren in Stress-Momenten ohne weiteres Nachdenken, einfach impulsiv und reflexartig. Vielleicht konnten Sie sich nicht anders helfen. Es kann durchaus sein, dass sich diese Mitarbeiter schlichtweg alleine gelassen fühlten.

Wenn sich das Wertesystem von Menschen ändert, kann wahrscheinlich nicht mehr viel gemacht werden. Dazu müsste man schließlich auch das Privat-Leben dieser Leute kennen. Doch man kann mit einem Katalog an Fortbildungen, Supervisionen und bereichsübergreifenden Qualitäts-Debatten viel erreichen. Mit Gesprächen über das gemeinsame Ziel, Menschen mit Behinderung zu fördern und ihnen ein menschwürdiges Leben zu sichern, kann sich ein allgemeines Verständnis zusammen mit einem allgemein akzeptierten Leistungsstandard etablieren. Fühlen sich Menschen einer Gruppe zugehörig, identifizieren sie sich und ihre Leistung mit den gemeinsamen Werten. Caritas und Diakonie leiten zum Beispiel ihr Weltbild vom Christlichen Glaubensverständnis ab, die Lebenshilfen in Deutschland orientieren sich am Humanismus, die AWO wiederum entstammt aus der Arbeiterbewegung bzw. dem Sozialismus. Allen gemeinsam ist aber, dass sie sich dem Menschen verpflichtet fühlen und seine Würde schützen wollen.

Das Verständnis für Werte kann aber in Vergessenheit geraten – also nicht nur bei den einzelnen Mitarbeitern, sondern eben auch bei der Geschäftsführung (wozu man letztlich alle Hierarchien zählen darf): „Der Fisch stinkt vom Kopf her.“

Die Geschäftsführung berichtet stets an ihren Aufsichtsrat (im Falle von Kapitalgesellschaften) oder Vorstand (bei Stiftungen und Vereinen), doch dann geht es eher um den wirtschaftlichen Fortbestand des Betriebs. Kontrollieren diese Kontrolleure dann oder trifft man sich auf einen netten Plausch? Was überhaupt können sie kontrollieren und in Erfahrung bringen?

Aufsichtsräte berichten an Gesellschafter, Vorstände berichten an die Mitglieder, was allerhöchstens einmal im Jahr geschieht und einem Referat gleicht. Im Gegensatz zur Geschäftsführung, setzen sich Aufsichtsräte und Vorstände aus ihren Gesellschaftern und Mitgliedern zusammen. Mit anderen Worten, es sind hier Eltern und Angehörige, die sich aktiv einbringen. Man kann auch sagen, die Geschäftsführung ist hauptberuflich und somit darf man ein professionelles Verhalten erwarten, die Gremien wiederum bestehen aus „Ehrenämtlern“.

In manchen Organisationen gibt es zudem Beiräte und Fördervereine, in denen sich Einzelne ebenfalls engagieren können. Die Möglichkeiten zur Einflussnahme sind zwar gering, allerdings über die ehrenamtliche Mitarbeit in verschiedenen Diensten ist eine Einsichtnahme nicht unmöglich (meistens aber nur Tagdienste, keine Nachtdienste, vielleicht in Spät- und/oder Frühdiensten).

Es gibt dann auch noch die Landesverbände. Sie können sich allerdings nur einbringen, wenn sie von den Geschäftsführungen dazu gebeten werden. Es gibt Schulungsangebote zu einer Vielfalt an Themen, u.a. zu Fragen rund um Qualitätsmanagementsystemen und Prüfungsvereinbarungen als Teil der Vereinbarungen nach § 75 SGB XII. Was ist, wenn die Geschäftsführung diese Angebote aus Kostengründen oder Desinteresse nicht wahrnimmt?

Es sind hilflose Menschen geringschätzig und erniedrigt behandelt worden. Ihnen muss geholfen werden, damit Vertrauen wieder entsteht. Die Vertrauensarbeit wiederum muss von nun denjenigen geleistet werden, welche die Kollegen von denen sind, die sich dermaßen fehlverhalten haben. Und diese müssen sich jetzt fragen, warum sie nie etwas bemerkt haben – oder sich nie trauten, etwas zu sagen.

Sind sie dazu befähigt und erhalten Sie eine Unterstützung seitens der Geschäftsführung? Eine solche wertvolle Vertrauensrückgewinnungsarbeit braucht sehr viel Zeit und Geduld, Verständnis und Einfühlungsvermögen. Es reicht nicht, nach außen zu treten und ein Wertesystem zu propagieren, dass man sich wünscht. Es müssen nun Taten folgen.

Maßstab für alles ist die Unverletzbarkeit der Würde des Menschen (Art. 1 GG).


CGS


P.S.:


Seit dem 27.2.2017 gibt es in Hamburg eine Enquete-Kommission, die Kindesmisshandlungen versucht aufzuarbeiten und aufzuklären. Es geht dabei nicht um Schuldzuweisungen, sondern man versucht den Kinderschutz und die Kinderrechte zu stärken. Man will es besser machen. Abgeordnete der Bürgerschaft beraten mit Experten darüber, was in den Jugendämtern und in der Sozialbehörde falsch läuft. Auch wenn es hier einen anderen Personenkreis betrifft, Kontrollen und Prüfungs-Verfahren laufen häufig ins Leere. Was aber jetzt schon die ersten Teilnehmer sagen ist, man muss hinschauen und etwas dazu sagen.




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