Noch im Dezember des letzten Jahres fanden zwischen dem
Land und den Kommunen noch weitere Verhandlungen statt, quasi im Hintergrund.
Was man vereinbarte kann als völlig übertrieben und abseits jeglicher Vernunft
betrachtet werden, weil doch eigentlich die Frage der Kostenübernahme weit
vorher geklärt erschien. Der Text der Vereinbarung spiegelt sehr gut das damals
vorherrschende Rechtsverständnis wider. Und gleichzeitig gelingt es den
Machern, alle Seiten so zu verpflichten, dass jegliche Abkehr von den „Handlungsempfehlungen“
eine moralische Schuld darstellen würde.
(Achtung - es wird jetzt langatmig. Wer sich doch dafür interessiert, aber nicht noch einmal die Vorgeschichte lesen will, sollte die ersten vier Absätze überspringen)
Das Landessozialgericht von Schleswig Holstein hatte noch
am 17. Februar 2014 in einem Beschluss festgestellt, dass manche Tätigkeiten
der Schulbegleitungen den „Kernbereich der pädagogischen Arbeit“ betreffen und somit
nicht in den Aufgabenbereich der Eingliederungshilfe fallen. Aufgabe der
Schule, so die Begründung des Landessozialgerichts, geht „laut Schulgesetz weit
über die reine Wissensvermittlung hinaus“ hin zu einer inklusiven Schule.
Daraufhin verweigerten viele Kommunen im Land die Kostenübernahme für
Schulbegleitungen.
Damit der Schulbesuch an der Regelschule für Kinder mit
Behinderungen nicht gefährdet war, trafen sich Landesregierung und kommunale
Landesverbände im April 2015 und verständigten sich auf den Einsatz von
Schulischen Assistenzkräften im Grundschulbereich (314 Stellen). Es zog sich
allerdings noch weit über den angepeilten 1. August 2015 hin, weil nämlich
zuerst die Finanzierung geklärt wie auch die Einstellungsverfahren in Gang
gesetzt werden mussten. Was man als Lösung anpries, wurde dagegen von manchen
Kommunen als Bestätigung ihrer Rechtsauffassung angesehen. Nicht die Kommunen
als Eingliederungshilfeträger, sondern Schulen wären vorrangig zur
Leistungsübernahme verpflichtet. In zwei Landkreisen wurden dann Bewilligungen
unter dem Vorbehalt ausgestellt, dass bei Einsatz der Schulassistenten an den
Grundschulen die Leistungsbescheide auslaufen würden bzw. nur bis zum Ende des
ersten Schulhalbjahres im Januar 2016 gelten.
Dass hier die Kreise gegen geltendes Bundesrecht
verstießen, blieb irgendwie unkommentiert. Schon in 2012 stellte das
Bundessozialgericht klar, dass das Prinzip der Nachrangigkeit der Sozialhilfe
gem. § 2 SGB XII nur dann eintritt, wenn Leistungen tatsächlich von einem
anderen Leistungsträger (für Sozialleistungen) erbracht werden. Leistungen
müssen tatsächlich „erhalten“ werden, damit ein Sozialhilfeträger sich
erfolgreich seiner Leistungspflicht entziehen kann. Die betroffenen Eltern
mussten somit Widerspruchsverfahren und sogar Klage erheben.
Am 7. November 2016
vereinbarten das Bundesland Schleswig-Holstein und die kommunalen
Landesverbände eine Beteiligung des Bundeslandes an den Kosten der Integration
auf kommunaler Ebene sowie weitere finanzielle Entlastungen. Die Vertreter der
Kommunen erreichten jetzt, dass ein Teil der Kosten vom Land übernommen wurden
für die Schuljahre 2016/2017 und 2017/2018 – man kann auch sagen, dass sich das
Land irgendwie „freikaufte“.
Am 15. Dezember 2016 entstand
dann ein Schriftstück mit der Überschrift „Empfehlungen des Ministeriums für
Schule und Berufsbildung, des Ministeriums für Soziales, Gesundheit,
Wissenschaft und Gleichstellung und den Kommunalen Landesverbänden zum
Zusammenwirken von Schulbegleitung / Schulischer Assistenz an den Grundschulen“.
Unterzeichner waren Vertreter von zwei Landesministerien wie auch Vertretern
der Gemeinden, Städte und Landkreistag von Schleswig-Holstein. Diese Unterlage
macht aber eher den Eindruck eines Vertrages, denn die Beteiligten vereinbaren,
dass das gemeinsame und übergeordnete Ziel „die Unterstützung von Schülerinnen
und Schülern mit (drohenden) Behinderungen aus einer Hand“ ist. Die Teilhabe
dieser Kinder und Jugendlichen mit Behinderung ist „zu gewährleisten und zu
fördern“ (S. 2). An dieses Ziel sollen sich alle Unterzeichner binden, und
dafür werden nun Handlungsschritte vereinbart, mit denen dies erreicht werden
kann.
Interessant und kritikwürdig an
dieser Unterlage sind eigentlich alle Punkte, die nun als Handlungsempfehlungen
betitelt sind:
-
In jedem Kreis soll
eine „federführende Stelle als Ansprechpartner“ bestimmt werden, welche die
Zusammenarbeit aller Beteiligten im Verfahren (Unterstützung behinderter
Schüler zum Besuch an einer Regelschule) koordiniert. Eltern und Schüler sollen
dabei umfassend einbezogen werden, damit Transparenz und Nachvollziehbarkeit
der behördlichen Entscheidungen entsteht. Das bedeutet aber nicht, dass sich
Eltern direkt an diese Stelle mit einem Antrag oder einer Beschwerde richten
können – dazu müssten sie schließlich wissen, wer und wo diese Stelle wäre.
Beteiligte sind zudem diejenigen, die über die Leistungsträgerschaft zu
entscheiden haben (dazu später mehr).
-
Notwendige
gutachterliche Prozesse sind zwischen Schule und Leistungsträger bestmöglich
abzustimmen, damit es keine Doppelbegutachtungen gibt. Stellungnahmen von
Ärzten, Therapeuten, Klassenlehrkraft und bisherigen Leistungserbringern wie
auch den Eltern sollen zudem berücksichtigt werden. Am Ende soll dann ein
Teilhabe- oder Förderplan stehen, der
„den Grundsätzen des Rehabilitationsrechts“ entspricht – klingt
irgendwie nach einer Gesamtplankonferenz gem. § 58 SGB XII, allerdings ohne
Mitspracherecht des behinderten Menschen und somit ohne Berücksichtigung des
Wunsch- und Wahlrechtes nach § 9 SGB XII.
-
Hinsichtlich der
Leistungserbringung soll die Schulische Assistenz einbezogen werden. Hierzu
würden sich die Sozialleistungsträger (!), der Träger der Schulische Assistenz
(!) und Schule über ein fachlich orientiertes „Unterstützungssetting“
abstimmen. Mit Sozialleistungsträger sind sehr wahrscheinlich die
Eingliederungshilfeträger und Jugendhilfeträger gemeint, nicht aber
Krankenkassen als Rehabilitationsträger. Träger der Schulischen Assistenz sind
dagegen in der Regel die Schulen selber, auch wenn die Einstellung durch das
Land erfolgte. Nicht mit einbezogen bzw. hier nicht benannt ist der
Leistungserbringer der Schulbegleitung.
-
Die Erbringung der als
notwendig erachteten Unterstützungsleistungen soll im Wege der Zusammenarbeit
zwischen den Trägern der Schulbegleitung und der Schulische Assistenz „im
Benehmen mit der Schulleitung bzw. den Lehrkräften“ erfolgen. Das bedeutet,
dass eine Steuerung der Leistungserbringung durch die Schule geschehen soll,
was wiederum einer Orientierung nach den vorhandenen Ressourcen darstellt und
nicht dem persönlichen, situationsbedingten Bedarf des Menschen mit
Behinderung.
-
Ist die
Leistungsträgerschaft weiterhin streitig, soll eine „Clearing/Task
Force“-Stelle erneut alle möglichen und „vorhandenen Ressourcen einschließlich
… Sonderpädagogik und die Schulische Assistenz“ prüfen, damit eine
Unterstützung dennoch gewährleistet ist. Diese Stelle setzt sich zusammen aus
Vertretern der Sozial- und Jugendhilfe sowie der jeweiligen Schule vor Ort.
Wenn zudem dies gewünscht ist, sollen auch Vertreter der beiden Landesministerien beteiligt sein, damit eine
„gütliche Einigung“ gefördert wird. Die Clearing-Stelle soll in Aktion treten,
bevor ein Widerspruchsverfahren abschließend entschieden wird.
Nachdem aber am 13. Januar 2017
das Landessozialgericht von Schleswig-Holstein sich nunmehr von seiner früheren
Rechtsauffassung verabschiedete und erklärte, dass die schulrechtlichen
Vorschriften nicht die Auslegung des SGB XII bestimmen können und die schulrechtlichen
Bestimmungen nach einer inklusiven Schule keine Überschneidung mit den Aufgaben
der Eingliederungshilfe entstehen lassen, gibt es meines Erachtens die in den
„Empfehlungen“ dargestellte „gemischte Aufgaben- und Zuständigkeitssphäre von
Schule und Eingliederungshilfe“ schlichtweg nicht. Und somit müssten sich die
oben genannten Punkte erledigt haben.
Dass es zu einer solchen
Sammlung von „Empfehlungen“ gekommen ist, kann man nachvollziehen. Wie gesagt,
erst durch den Beschluss des Landessozialgerichts sah man die
Verantwortlichkeit „insbesondere“ bei einer „anderen“ Stelle (§ 2 Abs. 1 SGB
XII), die sich ihrer Pflicht somit nicht durch Verweis auf die Vorschriften der
Sozialhilfe entziehen durfte (Abs.2). Doch weil damit die Beschulung
behinderter Kinder und somit eine Exklusion drohte, mussten sofort
Verhandlungen aufgenommen werden. Die Regelungen zur Kostenübernahme, auch wenn
zeitlich befristet und nicht wirklich bedingungslos, waren nur ein Schritt. Man
glaubte an eine „Grauzone“ zwischen den Bereichen Schulbegleitung als Leistung
der Eingliederungshilfe und dem Auftrag der Schule, für eine inklusive Schule
zu sorgen. Von daher war es notwendig, eine Verpflichtung für beide Seiten
herzustellen, die man dann in „Handlungsempfehlungen“ einpackte. In diesem
Schriftstück ging es nicht ums Geld, sondern um die Pflicht zur Leistung von
unterstützenden Maßnahmen für Kinder mit und drohender Behinderung – und das
ist ein Kunststück gewesen. Wer von den kommunalen Landesverbänden sich nun
davon abkehrt, trägt die Schuld. Das Land hat nun alles getan und wird in jedem
Einzelfall für die Findung einer Lösung bereitstehen. Doch auch die Kommunen
sind in der Pflicht.
Man kann an der Kompetenz der
Höheren Verwaltung des Landes und den Kommunen zweifeln, weil man die
höchstrichterliche Rechtsprechung aus dem Jahr 2012 nicht zur Kenntnis nehmen
wollte. Andererseits schafften die Kommunen es, sich ein wenig mehr Geld vom
Land zu erstreiten. Doch dafür geopfert wurden die Eltern und ihre behinderten
Kinder.
Wie geht es nun weiter? Werden
die Schulassistenten abgeschafft oder weitet man ihren Einsatz sogar auf andere
Bereiche aus? Werden notwendige Schulbegleitungen trotzdem nicht weiter
bewilligt? Oder war es das – endlich?
CGS
Bitte lesen Sie die Hinweise
zum Rechtsstatus der Webseite, Urheberrechtsbestimmungen und Haftungsausschluss
sowie die Datenschutzerklärung.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Helfen Sie mit, dass
es besser wird und bewerten sie. Über Ihre Kritik oder vielleicht sogar eine
neue Perspektive freue ich mich.
Wollen Sie mir Ihre Meinung sagen? Meine Email-Adresse
finden Sie auf der Seite Über mich.
Schulassistenten und Schulbegleitungen – Was man als
Handlungsempfehlungen sich so ausdachte und warum – eingegliedert.blogspot.de