Sonntag, 12. März 2017

Schulassistenten und Schulbegleitungen - Was man als Handlungsempfehlungen sich so ausdachte und warum

Noch im Dezember des letzten Jahres fanden zwischen dem Land und den Kommunen noch weitere Verhandlungen statt, quasi im Hintergrund. Was man vereinbarte kann als völlig übertrieben und abseits jeglicher Vernunft betrachtet werden, weil doch eigentlich die Frage der Kostenübernahme weit vorher geklärt erschien. Der Text der Vereinbarung spiegelt sehr gut das damals vorherrschende Rechtsverständnis wider. Und gleichzeitig gelingt es den Machern, alle Seiten so zu verpflichten, dass jegliche Abkehr von den „Handlungsempfehlungen“ eine moralische Schuld darstellen würde. 

(Achtung - es wird jetzt langatmig. Wer sich doch dafür interessiert, aber nicht noch einmal die Vorgeschichte lesen will, sollte die ersten vier Absätze überspringen)  

Das Landessozialgericht von Schleswig Holstein hatte noch am 17. Februar 2014 in einem Beschluss festgestellt, dass manche Tätigkeiten der Schulbegleitungen den „Kernbereich der pädagogischen Arbeit“ betreffen und somit nicht in den Aufgabenbereich der Eingliederungshilfe fallen. Aufgabe der Schule, so die Begründung des Landessozialgerichts, geht „laut Schulgesetz weit über die reine Wissensvermittlung hinaus“ hin zu einer inklusiven Schule. Daraufhin verweigerten viele Kommunen im Land die Kostenübernahme für Schulbegleitungen.

Damit der Schulbesuch an der Regelschule für Kinder mit Behinderungen nicht gefährdet war, trafen sich Landesregierung und kommunale Landesverbände im April 2015 und verständigten sich auf den Einsatz von Schulischen Assistenzkräften im Grundschulbereich (314 Stellen). Es zog sich allerdings noch weit über den angepeilten 1. August 2015 hin, weil nämlich zuerst die Finanzierung geklärt wie auch die Einstellungsverfahren in Gang gesetzt werden mussten. Was man als Lösung anpries, wurde dagegen von manchen Kommunen als Bestätigung ihrer Rechtsauffassung angesehen. Nicht die Kommunen als Eingliederungshilfeträger, sondern Schulen wären vorrangig zur Leistungsübernahme verpflichtet. In zwei Landkreisen wurden dann Bewilligungen unter dem Vorbehalt ausgestellt, dass bei Einsatz der Schulassistenten an den Grundschulen die Leistungsbescheide auslaufen würden bzw. nur bis zum Ende des ersten Schulhalbjahres im Januar 2016 gelten.

Dass hier die Kreise gegen geltendes Bundesrecht verstießen, blieb irgendwie unkommentiert. Schon in 2012 stellte das Bundessozialgericht klar, dass das Prinzip der Nachrangigkeit der Sozialhilfe gem. § 2 SGB XII nur dann eintritt, wenn Leistungen tatsächlich von einem anderen Leistungsträger (für Sozialleistungen) erbracht werden. Leistungen müssen tatsächlich „erhalten“ werden, damit ein Sozialhilfeträger sich erfolgreich seiner Leistungspflicht entziehen kann. Die betroffenen Eltern mussten somit Widerspruchsverfahren und sogar Klage erheben.

Am 7. November 2016 vereinbarten das Bundesland Schleswig-Holstein und die kommunalen Landesverbände eine Beteiligung des Bundeslandes an den Kosten der Integration auf kommunaler Ebene sowie weitere finanzielle Entlastungen. Die Vertreter der Kommunen erreichten jetzt, dass ein Teil der Kosten vom Land übernommen wurden für die Schuljahre 2016/2017 und 2017/2018 – man kann auch sagen, dass sich das Land irgendwie „freikaufte“.

Am 15. Dezember 2016 entstand dann ein Schriftstück mit der Überschrift „Empfehlungen des Ministeriums für Schule und Berufsbildung, des Ministeriums für Soziales, Gesundheit, Wissenschaft und Gleichstellung und den Kommunalen Landesverbänden zum Zusammenwirken von Schulbegleitung / Schulischer Assistenz an den Grundschulen“. Unterzeichner waren Vertreter von zwei Landesministerien wie auch Vertretern der Gemeinden, Städte und Landkreistag von Schleswig-Holstein. Diese Unterlage macht aber eher den Eindruck eines Vertrages, denn die Beteiligten vereinbaren, dass das gemeinsame und übergeordnete Ziel „die Unterstützung von Schülerinnen und Schülern mit (drohenden) Behinderungen aus einer Hand“ ist. Die Teilhabe dieser Kinder und Jugendlichen mit Behinderung ist „zu gewährleisten und zu fördern“ (S. 2). An dieses Ziel sollen sich alle Unterzeichner binden, und dafür werden nun Handlungsschritte vereinbart, mit denen dies erreicht werden kann.

Interessant und kritikwürdig an dieser Unterlage sind eigentlich alle Punkte, die nun als Handlungsempfehlungen betitelt sind:

-        In jedem Kreis soll eine „federführende Stelle als Ansprechpartner“ bestimmt werden, welche die Zusammenarbeit aller Beteiligten im Verfahren (Unterstützung behinderter Schüler zum Besuch an einer Regelschule) koordiniert. Eltern und Schüler sollen dabei umfassend einbezogen werden, damit Transparenz und Nachvollziehbarkeit der behördlichen Entscheidungen entsteht. Das bedeutet aber nicht, dass sich Eltern direkt an diese Stelle mit einem Antrag oder einer Beschwerde richten können – dazu müssten sie schließlich wissen, wer und wo diese Stelle wäre. Beteiligte sind zudem diejenigen, die über die Leistungsträgerschaft zu entscheiden haben (dazu später mehr).

-        Notwendige gutachterliche Prozesse sind zwischen Schule und Leistungsträger bestmöglich abzustimmen, damit es keine Doppelbegutachtungen gibt. Stellungnahmen von Ärzten, Therapeuten, Klassenlehrkraft und bisherigen Leistungserbringern wie auch den Eltern sollen zudem berücksichtigt werden. Am Ende soll dann ein Teilhabe- oder Förderplan stehen, der  „den Grundsätzen des Rehabilitationsrechts“ entspricht – klingt irgendwie nach einer Gesamtplankonferenz gem. § 58 SGB XII, allerdings ohne Mitspracherecht des behinderten Menschen und somit ohne Berücksichtigung des Wunsch- und Wahlrechtes nach § 9 SGB XII.

-        Hinsichtlich der Leistungserbringung soll die Schulische Assistenz einbezogen werden. Hierzu würden sich die Sozialleistungsträger (!), der Träger der Schulische Assistenz (!) und Schule über ein fachlich orientiertes „Unterstützungssetting“ abstimmen. Mit Sozialleistungsträger sind sehr wahrscheinlich die Eingliederungshilfeträger und Jugendhilfeträger gemeint, nicht aber Krankenkassen als Rehabilitationsträger. Träger der Schulischen Assistenz sind dagegen in der Regel die Schulen selber, auch wenn die Einstellung durch das Land erfolgte. Nicht mit einbezogen bzw. hier nicht benannt ist der Leistungserbringer der Schulbegleitung.

-        Die Erbringung der als notwendig erachteten Unterstützungsleistungen soll im Wege der Zusammenarbeit zwischen den Trägern der Schulbegleitung und der Schulische Assistenz „im Benehmen mit der Schulleitung bzw. den Lehrkräften“ erfolgen. Das bedeutet, dass eine Steuerung der Leistungserbringung durch die Schule geschehen soll, was wiederum einer Orientierung nach den vorhandenen Ressourcen darstellt und nicht dem persönlichen, situationsbedingten Bedarf des Menschen mit Behinderung.

-        Ist die Leistungsträgerschaft weiterhin streitig, soll eine „Clearing/Task Force“-Stelle erneut alle möglichen und „vorhandenen Ressourcen einschließlich … Sonderpädagogik und die Schulische Assistenz“ prüfen, damit eine Unterstützung dennoch gewährleistet ist. Diese Stelle setzt sich zusammen aus Vertretern der Sozial- und Jugendhilfe sowie der jeweiligen Schule vor Ort. Wenn zudem dies gewünscht ist, sollen auch Vertreter der beiden  Landesministerien beteiligt sein, damit eine „gütliche Einigung“ gefördert wird. Die Clearing-Stelle soll in Aktion treten, bevor ein Widerspruchsverfahren abschließend entschieden wird.

Nachdem aber am 13. Januar 2017 das Landessozialgericht von Schleswig-Holstein sich nunmehr von seiner früheren Rechtsauffassung verabschiedete und erklärte, dass die schulrechtlichen Vorschriften nicht die Auslegung des SGB XII bestimmen können und die schulrechtlichen Bestimmungen nach einer inklusiven Schule keine Überschneidung mit den Aufgaben der Eingliederungshilfe entstehen lassen, gibt es meines Erachtens die in den „Empfehlungen“ dargestellte „gemischte Aufgaben- und Zuständigkeitssphäre von Schule und Eingliederungshilfe“ schlichtweg nicht. Und somit müssten sich die oben genannten Punkte erledigt haben.

Dass es zu einer solchen Sammlung von „Empfehlungen“ gekommen ist, kann man nachvollziehen. Wie gesagt, erst durch den Beschluss des Landessozialgerichts sah man die Verantwortlichkeit „insbesondere“ bei einer „anderen“ Stelle (§ 2 Abs. 1 SGB XII), die sich ihrer Pflicht somit nicht durch Verweis auf die Vorschriften der Sozialhilfe entziehen durfte (Abs.2). Doch weil damit die Beschulung behinderter Kinder und somit eine Exklusion drohte, mussten sofort Verhandlungen aufgenommen werden. Die Regelungen zur Kostenübernahme, auch wenn zeitlich befristet und nicht wirklich bedingungslos, waren nur ein Schritt. Man glaubte an eine „Grauzone“ zwischen den Bereichen Schulbegleitung als Leistung der Eingliederungshilfe und dem Auftrag der Schule, für eine inklusive Schule zu sorgen. Von daher war es notwendig, eine Verpflichtung für beide Seiten herzustellen, die man dann in „Handlungsempfehlungen“ einpackte. In diesem Schriftstück ging es nicht ums Geld, sondern um die Pflicht zur Leistung von unterstützenden Maßnahmen für Kinder mit und drohender Behinderung – und das ist ein Kunststück gewesen. Wer von den kommunalen Landesverbänden sich nun davon abkehrt, trägt die Schuld. Das Land hat nun alles getan und wird in jedem Einzelfall für die Findung einer Lösung bereitstehen. Doch auch die Kommunen sind in der Pflicht.

Man kann an der Kompetenz der Höheren Verwaltung des Landes und den Kommunen zweifeln, weil man die höchstrichterliche Rechtsprechung aus dem Jahr 2012 nicht zur Kenntnis nehmen wollte. Andererseits schafften die Kommunen es, sich ein wenig mehr Geld vom Land zu erstreiten. Doch dafür geopfert wurden die Eltern und ihre behinderten Kinder.

Wie geht es nun weiter? Werden die Schulassistenten abgeschafft oder weitet man ihren Einsatz sogar auf andere Bereiche aus? Werden notwendige Schulbegleitungen trotzdem nicht weiter bewilligt? Oder war es das – endlich?

CGS



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