Sonntag, 18. Juli 2021

Neue Mustervereinbarung zu Leistungen der Eingliederungshilfe in Hamburg – dritte Fortsetzung

Das Folgende ist die Fortsetzung einiger früherer Beiträge.

Man muss sich aber manchmal die verschiedenen Interessenlagen noch einmal verdeutlichen, um Positionen zu verstehen und Handlungsfelder aufzudecken. Es gibt nun mal nicht „die Behörde“ und „die Leistungserbringer“. Das sind bestenfalls grobe Überschriften.

Die vielen Akteure müssen sich allerdings offen besprechen und an dem gemeinsamen Verständnis arbeiten, damit es zu Lösungen kommt. So, wie es sich zuletzt anfühlte, gab es eher eine Bereitschaft zum Konflikt. Doch dann siegte die Einsicht und eine Besprechung im kleinen Kreis wurde anberaumt; brachte – bis dato – jedoch keine Lösung. Mal schaun.

 

Zwei Streitpunkte: einer gelöst, ein anderer noch offen

Bei den Streitpunkten zur Leistungsvereinbarung über das Wohnen mit Assistenz für behinderte und seelisch-behinderte Menschen (WMA / WMAS) handelte es sich in einigen Fällen um gravierende Probleme. Betrachtet man die Gesamtheit der Interessen, wird man mit Mehrheitsverhältnissen zu tun haben. Selbst innerhalb eines Verbandes gibt es unterschiedliche Positionen, so dass am Ende niemand sagen kann, welche Streitpunkte wirklich neu verhandelt werden können.

Zum Beispiel gab es zum Verlangen der Hamburger Sozialbehörde, dass die Kapazitäten in Plätzen zu benennen sind und jegliche Änderung der Behörde mitzuteilen wäre, mittlerweile eine Zustimmung der Verbandsvertreter in der gemeinsamen Arbeitsgruppe (Punkt 2: „Der Leistungsvereinbarung liegt eine Kapazität von <<xx>> Plätzen vor“). Diese Zustimmung fand aber kein großes Echo in der Ebene darunter: bei einzelnen Leistungserbringer. Andere wiederum sahen in dieser Restriktion keine Gefahr und verhielten sich eher neutral.

Was dagegen die Sache mit der Vertragskopplung betrifft, entstand eine kleine Auseinandersetzung, die m.W. noch nicht gelöst worden ist. Bei der Vertragskopplung meint man Verträge über das Wohnen (und Leben) und die Betreuungsleistungen bei ein und demselben Leistungserbringer. Die Hamburger Sozialbehörde steht auf dem Standpunkt, dass das nicht geht. Ein Leistungserbringer würde durch eine solche Vertragsgestaltung dem leistungsberechtigten Menschen die Möglichkeit nehmen, bei einem (viel besser passenden) Angebot über eine Betreuung durch einen Dritten, den Leistungserbringer zu wechseln. Aufgrund der Kopplung müsste die leistungsberechtigte Person gezwungenermaßen auch den Wohnraummietvertrag kündigen. Und das geht nicht.

Bis zur Sitzung der gemeinsamen Stadt-Verbände-Arbeitsgruppe war das die kommunizierte Begründung.

 

Eine neue Sichtweise

Die Rechtsabteilung der Hamburger Sozialbehörde erarbeitete in einem Gutachten zu einer etwas anderen Fallkonstellation dieses Ergebnis folgendes: Sofern den Klienten „Räume zur eigenen Nutzung [und] Gemeinschaftsräume“ zur Verfügung gestellt werden und gleichzeitig ein „Zusammenhang zu den Fachleistungen nach dem 2. Teil SGB IX“ besteht (gemeint ist die Eingliederungshilfe), ist die Regelung nach § 42a Abs. 2 S. 1 Ziffer 2 SGB XII „einschlägig“.

Diese Feststellung brachte eine ganz neue Sichtweise.

Bei diesem Verweis der Rechtsabteilung geht es zuerst einmal um die Frage, wie die Bedarfe für Unterkunft und Heizung anerkannt werden. Grundsätzlich sollen leistungsberechtigte Menschen gleich gestellt werden mit anderen Empfängern von sozialen Leistungen nach dem SGB XII (Grundsicherung). Bevor aber nach diesen Regelungen verfahren wird, müssen einige bestimmte Fragen geprüft werden. Der Gesetzgeber hat dazu unterschieden zwischen dem Leben in einer Wohnung (Nr. 1; mit weiterem Bezug auf die Absätze 3 und 4), einem gemeinschaftlichen Wohnen (Nr. 2; mit weiterem Bezug auf die Absätze 5 und 6) sowie das Wohnen in einer anderen Unterbringungsform (Nr. 3; mit dem Bezug auf Absatz 7).  

Nach Abs. 2 S. 2 ist eine Wohnung „die Zusammenfassung mehrerer Räume, die von anderen Wohnungen … baulich getrennt sind und die in ihrer Gesamtheit alle für die Führung eines Haushalts notwendigen Einrichtungen, Ausstattungen und Räumlichkeiten umfassen“.

Nach Abs. 2 S. 3 handelt es sich (nur dann) um einen persönlichen Wohnraum, wenn dieser einer leistungsberechtigten Person „allein oder zu zweit zur alleinigen Nutzung überlassen wird…“. Dieser Wohnraum kann zusätzliche Räumlichkeiten beinhalten, die der leistungsberechtigten Person „zusammen mit weiteren Personen zur gemeinschaftlichen Nutzung überlassen werden“.

 

Und eine neue Erkenntnis mit Folgen

In dieser Differenzierung in Abs. 2 S. 1 Nr. 2 findet sich jedoch eine Besonderheit, welche die Problematik vielleicht klarer herausstellt. Wenn Menschen nämlich „zur Erbringung von [EGH]-Leistungen … ein persönlicher Wohnraum … überlassen [wird]…“, können sie nicht in einer eigenen Wohnung im Sinne von Nr. 1 leben. In diesem Passus wird ganz eindeutig die Leistungserbringung vorangestellt, so dass dann für diese Menschen nur noch ein Leben in einer besonderen Wohnform in Frage kommt. Und das bedeutet wiederum, dass ein Wohnen mit Assistenz nur auf solche Personen abzielt, die in einer ganz eigenen Wohnung leben und leben können. Personen, die das nicht können, müssten demzufolge in einer besonderen Wohnform oder einer anderen Unterkunft leben.

Für viele eine ganz neue Erkenntnis.

Es soll (vermutlich nur einen) Leistungserbringer geben, welcher eine Kopplung über das Wohnen und die Betreuungsdienste in seinen Klienten-Verträge aufgenommen hat. Die Einrichtung bzw. das Wohn-Angebot könnte in der Tat so gestaltet sein, dass man eigentlich von einer besonderen Wohnform sprechen müsste: z.B. Therapie-Räume, Bereitschaftsräume, Mitarbeiter-Büros. Diese Fachleistungsflächen wären nun mal Teil der Vergütung, die für die Betreuungsarbeit gezahlt wird. Wenn aber die Klienten einen anderen Leistungserbringer für die Fachleistung wünschen, würden diese (fixen) Kosten nicht mehr refinanziert werden können; es darf nicht vergessen werden, dass ein finanzieller Ausgleich über die Miete nicht möglich ist (Regelsätze, ortsübliche Vergleichsmiete). Von daher würde ein Anbieter-Wechsel bzw. die Möglichkeit zur Entkopplung der Verträge ein hohes, wirtschaftliches Risiko bedeuten.

Die Lösung wäre dann, und das war sogar ein Vorschlag des einen Behörden-Vertreters, dass eine Leistungsvereinbarung über eine besondere Wohnform (bWF) abgeschlossen wird. Das würde allerdings dem früheren Ziel, keine neuen stationären Wohnplätze zu schaffen, völlig widersprechen. Und es würde dazu führen, dass sämtliche Bewilligungen umgeschrieben werden müssen; statt von Hilfebedarfsgruppen würde man Leistungsstufen bewilligen müssen (die gesetzlich bestellten Betreuer der leistungsberechtigten Menschen würden wieder mit viel Papierkram konfrontiert werden).

Und das „i“-Tüpfelchen: Würde es jetzt schon Fremdanbieter in der vorhandenen Konstellation geben, beispielsweise Pflegedienste, müsste denen gekündigt werden.

CGS

 

 

Das hier ist keine Rechtsberatung oder Aufforderung zur Vornahme eines Rechtsgeschäftes. Der Beitrag stellt nur meine Sicht auf die Dinge dar. Und eine solche Sicht kann sich immer noch ändern. Brauchen Sie rechtliche Unterstützung, wenden Sie sich an die zuständigen Behörden, Sozial- und Betroffenenverbände oder rechtskundige Dritte. Lesen Sie bitte ebenfalls die Hinweise zum Rechtsstatus der Webseite, Urheberrechtsbestimmungen und Haftungsausschluss sowie die Datenschutzerklärung.

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