Donnerstag, 5. August 2021

Neue Mustervereinbarung zu Leistungen der Eingliederungshilfe in Hamburg – vierte Fortsetzung

Das Folgende ist eine Fortsetzung früherer Beiträge.

Es geht um den Begriff der Wirksamkeit. Schon einmal hatte es hierzu ein paar Beiträge gegeben. Doch weil es diesmal eine Mustervereinbarung betrifft, die zudem auch noch ein wesentlicher Teil ist des Landesrahmenvertrags über die Leistungen zur Eingliederungshilfe in Hamburg, kommt es vielmehr darauf an, was die Vertragsparteien darunter verstehen.

+++ Nachtrag vom 18.8.2021 +++

Der Streitpunkt „Koppel-Verträge“ ist noch nicht vom Tisch. Es gibt einen neuen Vorstoß seitens der Verbände. Zwei Möglichkeiten könnten meiner Ansicht nach bestehen. Der strittige Satz wird ganz einfach aus den Mustervereinbarungen gestrichen, was wieder einen gewissen Totraum erzeugt und man es der Schiedsstelle überlässt; Schiedsstelle aber auch nur dann, wenn es irgendwie mal eine Auseinandersetzung geben würde, und es würde diese eine trägerindividuelle Leistungsvereinbarung betreffen. Die zweite Möglichkeit wäre, dass sich der Träger-Einzelfall umwandelt in eine besondere Wohnform. 

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Wirksamkeit ist scheinbar nicht von Bedeutung

Während in den vorangegangenen Textstellen so manche Wiederholung und Ausschweifung formuliert worden ist, hat die Hamburger Sozialbehörde keine großen Anforderungen gestellt in der Frage der Wirksamkeit. In der Mustervereinbarung (Ziffer 8, Qualität der Leistungen) heißt es nämlich:

„Die vereinbarte Leistung wird nach dem Stand der Wissenschaft unter Beachtung des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit erbracht. Fortbildung und Supervision sind unverzichtbare Bestandteile der Leistungserbringung.“

In den folgenden zwei Passagen soll zum einen die Konzeption des jeweiligen Leistungserbringers beschrieben sein, zum anderen die trägerspezifischen Instrumente zur Prüfung von Wirkung und Wirksamkeit.

Was nun die Konzeption anbelangt, muss man die verschiedenen Weltanschauungen herausstellen. Es geht also nicht nur einfach um das „Wie wird eine Leistung erbracht“, sondern es sind zum Beispiel humanistische oder kirchliche-religiöse Ausrichtungen vorhanden, die das „Wie“ maßgeblich bestimmen; so finden sich u.a. sehr viele Leistungserbringer mit einem anthroposophischen Hintergrund in der sozialen Arbeit (eine von Rudolf Steiner begründete spirituelle und esoterische Weltanschauung). Die konfessionslose, neutrale Haltung der staatlichen Gewalt tritt allerdings zurück und beachtet das verfassungsrechtlich geschützte Wunsch- und Wahlrecht der leistungsberechtigten Menschen. Man erkennt an, dass Menschen mit Behinderung zu dem Leistungserbringer gehen, von dem sie sich in ihrer Würde bestätigt sehen. Nichtsdestotrotz darf ein Leistungsträger auf die Wirksamkeit der Leistung abstellen, um die Angemessenheit der Leistungen zu sichern.

Bevor man sich mit der konkreten Ausgestaltung des „Wie“ befasst, wird die Weltanschauung des Leistungserbringers vorangestellt. Weil es aber nun eine Abhängigkeit gibt zwischen Wirksamkeit und Weltanschauung, erschafft man einen Rahmen oder eine Grundlage für das Weitere mit den trägerspezifischen Instrumenten zur Prüfung von Wirkung und Wirksamkeit. Der Leistungserbringer wird in der zweiten Passage dem Leistungsträger konkret sagen können, wie die Leistungserbringung „wirksam“ gelingen soll. Das bedeutet wiederum, dass man eine Erwartung beschreibt, die später mit dem Erreichten verglichen wird. Doch weil es Punktlandungen in der sozialen Arbeit eigentlich nicht wirklich gibt, müssten die Toleranzen bzw. tolerierbaren Abweichungen vom Erwarteten anerkannt werden, so dass der Versuch alleine theoretisch ausreicht.

 

Wirksamkeit ist eine Sache der Wissenschaft und Reflektion – und muss angemessen sein

Zu Beginn des Abschnitts, also noch vor Konzeption und Messinstrumenten, werden Wissenschaft, Wirtschaftlichkeit und Fortbildung / Supervision genannt. Weil Wissenschaft zwar den Versuch unternimmt, absolut und objektiv zu sein, ist sie es nicht. Weil aber eine stete Fortbildung und die Reflektion der eigenen Methoden mithilfe eines Supervisors erforderlich ist, muss ein Leistungserbringer sich immer dem Neuesten zuwenden und anwenden können. Und das bedeutet für die Mitarbeitenden, dass sie nicht nur ein Recht auf Fortbildungen haben, sie unterliegen sogar der Pflicht dazu (allerdings jetzt nicht im arbeitsvertraglichen Sinn). Arbeitsorganisation und Umfeld müssen so gestaltet sein, dass in regelmäßigen Abständen Besprechungen und Schulungen stattfinden. Und wie üblich müssen in einer Besprechung ein aufmerksames Zuhören und ein wertschätzendes Miteinander vorhanden sein, damit eine Verständigung gelingt – versteht sich normalerweise von selbst, kommt aber nicht immer vor.

Führt man diesen Gedanken weiter, könnte ein Mangel an Wertschätzung ggü. den Mitarbeitenden oder sogar Beschwerden aus der Mitarbeiterschaft als ein pflichtwidriges Verhalten in Bezug auf die Leistungsvereinbarung ausgelegt werden – klingt zwar weit hergeholt, kann dennoch so gefolgert werden. Gerade weil es immer um viel Geld geht, könnten derartige Vorkommnisse ein Indiz für ein ganz anderes Fehlverhalten sein. Und dann wäre der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit vielleicht nicht mehr erfüllt. In der Muster-Leistungsvereinbarung wird nämlich dieser Grundsatz recht prominent vorangestellt und man sollte sich daran erinnern, dass alle Maßnahmen im Zusammenhang mit der Leistungsanbringung wirtschaftlich und sparsam sein müssen, und sie das Maß des Notwendigen nicht überschreiten dürfen (vgl. § 123 Abs. 2 SGB IX und § 75 Abs. 5 SGB XII).

Verwiesen wird auf die §§ 3, 4 und 9 des Landesrahmenvertrags (für Hamburg), und dazu noch auf die Anlage 3 nach § 10.

 

Wirksamkeit ist im Landesrahmenvertrag zu suchen – und nicht zu finden

In § 3 geht es nur um den Abschluss der Vereinbarungen nach § 123 SGB IX. Man wiederholt dort, was den Begriff der Wirksamkeit anbelangt, Altbekanntes – eine genaue Definition, was Wirksamkeit sein soll, findet sich in dem Abschnitt nicht.

In § 4 verweist man einerseits auf die Mustervereinbarung, die somit zwar Bestandteil wird, und andererseits auf den „Abschnitt IV dieses Vertrags“ – wieder keine genaue Definition. Die trägerindividuelle Leistungsvereinbarung sollte von daher Aufschluss über diese Sache mit der Wirksamkeit geben, die Muster-LV tut es jedenfalls nicht.

Im Abschnitt IV des Landesrahmenvertrags wird das Prüfungsrecht des Leistungsträgers beschrieben (vgl. auch §§ 128 Abs. 1 und 131 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 SGB IX). Grundsätzlich will der Leistungsträger sein Prüfungsrecht auf Qualität und Wirksamkeit beschränken und nur dann, wenn es Anhaltspunkte gibt, diese Sache mit der Wirtschaftlichkeit einbeziehen; somit ist – erfreulicherweise – der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit nicht mehr so sehr dem Ganzen vorangestellt (§ 9 Abs. 2). Wirksamkeit wird jedoch als Teil der (Ergebnis-) Qualität verstanden, und die wiederum orientiert sich an den Bedarfen der leistungsberechtigten Personen. Dennoch hebt man in der Anlage 4 des LRV-HH hervor:

Zur Prüfung der Qualität und Wirksamkeit werden insbesondere die in den Leistungsvereinbarungen vereinbarten wirkungsbezogenen Daten und Kennzahlen herangezogen. Daten und Kennzahlen, die die Wirksamkeit der Leistung im Interesse der Leistungsberechtigten betrachten, stehen grundsätzlich immer im Mittelpunkt einer allgemeinen Wirksamkeitsbetrachtung.“ (Nr. 2 in I. der Anlage 4).

Und das bleibt vorerst noch unklar, was mit wirkungsbezogenen Daten und Kennzahlen gemeint ist.

CGS

 

 

Quellen und weiterführende Links:


Hamburgisches Gesetz zur Ausführung des Neunten Buches Sozialgesetzbuch

- Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen - 

(AG SGB IX) 

vom 21. Juni 2018


§ 128 SGB IX (aus Gesetze im Internet)

(letzter Aufruf am 5.8.2021)

 

Notizen (ohne weitere Quellenangabe):

Überall liest man jetzt diesen Begriff. Anscheinend hat man Gefallen daran gefunden, weil mit dem Begriff auch gleich etwas Handfestes beschrieben wird. Doch wie diese Wirksamkeit gemessen wird, bleibt meistens etwas zurück.

Hier ein zwei Beispiele, um der Verwendung ein wenig auf die Spur zu kommen.

Die Paritätische Forschungsstelle titelt: "Kein Kind zurücklassen. Warum es wirksame Maßnahmen gegen Kinderarmut braucht.“ Man will darin zum Ausdruck bringen, dass es eine konträre Entwicklung gibt zwischen West- und Ostdeutschland (5NBLs). Ganz interessant ist dabei die Aussage, dass die Probleme im (reichen) Westen eher zunehmen und die Lage der Kinder und Jugendlichen im Osten sich dagegen verbessert hat. Man bezieht sich bei dieser Feststellung unter anderem auf Befunde von offizieller Seite zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie (S. 13). Und an anderer Stelle wird eingeräumt, dass man die Auswirkungen von relativer Einkommensverteilung und Einkommensverlust noch nicht absehen kann (S. 14).

Das ist bezogen auf diesen Begriff der "Wirksamkeit" nicht genug. Allerdings wird aufgezeigt, wie sich bestimmte Faktoren auswirken können (S. 5) und es wird auf andere Quellen verwiesen, die etwas als "kontra-produktiv" in ihrer Wirkung bestätigt haben (S. 25).

Möchte man Kinderarmut abgeschafft haben, dann muss man vorher natürlich diesen anderen Begriff definieren. Anhand von sozialen Leistungen und den damit verbundenen Geldbeträgen kann schon eine Aussage getroffen werden. Doch die verleitet am Ende meiner Ansicht nur dazu, die Geldmittel für die verarmten Kinder anzuheben, bis eine neuerliche Studie feststellt, Kinderarmut gäbe es nicht mehr.

In einer anderen Mitteilung an verschiedene Leistungserbringer in der sozialen Arbeit findet sich der einleitende Satz: "Der Fokus auf die Wirkung sozialer Arbeit bietet enorme Vorteile für den Dialog mit relevanten Stakeholdern wie Politik, Verwaltung und Geldgebern. Einerseits kann die Wirkungsorientierung als Steuerungshilfe transparenter aufzeigen, ob beabsichtige Veränderungen eingetreten sind. Andererseits ist sie hilfreich dabei dem Trend zur externen ex-post Evaluation etwas entgegenzusetzen."

Es geht dann weiter zu einem Angebot an Kursen zu einem Wirkungsmodell, welches vom Paritätischen Wohlfahrtsverband Berlin erarbeitet wurde. Und Ziel des Ganzen ist es, ein zertifiziertes Wirkungsmanagement anzubieten, um die Denk- und Arbeitsweisen der Beteiligten zu verbessern. Wirkungsorientierung wird als eine Erweiterung des Qualitätsmanagements verstanden.

 

 

Das hier ist keine Rechtsberatung oder Aufforderung zur Vornahme eines Rechtsgeschäftes. Der Beitrag stellt nur meine Sicht auf die Dinge dar. Und eine solche Sicht kann sich immer noch ändern. Brauchen Sie rechtliche Unterstützung, wenden Sie sich an die zuständigen Behörden, Sozial- und Betroffenenverbände oder rechtskundige Dritte. Lesen Sie bitte ebenfalls die Hinweise zum Rechtsstatus der Webseite, Urheberrechtsbestimmungen und Haftungsausschluss sowie die Datenschutzerklärung.

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