Sonntag, 5. Mai 2019

Bürgerschaftliches Engagement und Sozialraum-Arbeit

„Eine zukunftsfähige Engagementpolitik muss für das freiwillige Engagement sowie die ehrenamtliche Arbeit entsprechende Rahmenbedingungen schaffen, damit Jung und Alt, Frauen und Männer sich für die Gesellschaft engagieren können.“ (Quelle: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Hintergrundmeldung vom 11.11.2015)

Das sind schöne Worte. Die Bundesregierung veröffentlicht nun sogenannte Engagementberichte, in denen „empirische Befunde und Trends vorgestellt und zentrale gesellschaftliche Debatten aufgegriffen“ werden. Um aber über berichten zu können, braucht es Menschen, die etwas verändern wollen. Umfrageergebnisse einer „Freiwilligensurvey“ zeigten im Vergleich der Jahre 1999, 2004 und 2009 einen relativ abnehmenden Trend an „nicht zum Engagement bereiten“-Befragten (aus einer Präsentation des Pari-SH und Generali Versicherungen, kein Datum).

Das ist alles recht erfreulich. Wie man in einem Bericht  zum Projekt „Bürgernetzwerke für Schleswig-Holstein“ allerdings lesen kann, können solche Engagements jedoch schnell zum Erliegen kommen. Was kann man tun? Welche Rahmenbedingungen müssen geschaffen werden?


Sozialraum entsteht mit bürgerschaftlichen Engagement

Vor einigen Jahren war das Wort „Sozialraum“ in aller Munde. Diesen zu gestalten, wurde zu einem obersten Ziel gemacht, weil man sich durch ein Mehr an gesellschaftlicher Anteilnahme eine gute Unterstützung von Menschen mit Behinderung erhoffte. Eine Besonderheit daran ist, dass das Gemeinwesen viel Schutzraum und (nachbarschaftliche) Hilfe bieten kann, für die ansonsten langwierige Anträge und Bewilligungsverfahren nötig sind. Und darüber hinaus ist eine solche Ressource fast kostenlos.

Das Team Bürgerschaftliches Engagement, Gemeinwesenarbeit, Inklusion und Selbsthilfe im Paritätischen Schleswig-Holstein unter Federführung von Holger Wittig-Koppe hat sich hier eingebracht und nun Bilanz gezogen nach sechs Jahren Arbeit im Projekt „Bürgernetzwerke für Schleswig-Holstein“. *)

Es geht bei diesem Bericht jedoch weniger um die verschiedenen Schwerpunkte und Themen des bürgerschaftlichen Engagements an sich, vielmehr wird über das „Spannungsfeld“ berichtet, in dem sich jeder Engagierte plötzlich befinden kann. Die Autoren wollen über ihre Erfahrungen berichten, damit die Leserschaft versteht, wie eine „effektive Unterstützungsstruktur für zivilgesellschaftliches Engagement und einer Engagementpolitik“ gelingen kann (S. 6) – es geht um Rahmenbedingungen.


Verschiedene Arten von Engagement und seine Grenzen

Ein solches freiwilliges Engagement entsteht natürlich aufgrund eines Interesses bzw. weil man als Gesellschafter etwas beobachtet hat, was nicht richtig ist. Ein solches Interesse kann natürlich von außen wie eine Modeerscheinung betrachtet werden; es kommt und geht, wie in „Wellen“ (siehe hierzu S. 11 im Bericht).

Damit grenzt es sich allerdings ab vom „traditionellen, langfristigen Engagement und dem projektförmigen, zeitlich befristeten Engagement“ (S. 12). Dies wäre auch anzuerkennen und zu unterstützen, wenn es ein „demokratisches, inklusives Zusammenleben stärkt“, so die Autoren. Gerade an dieser Stelle zeigen sich zwei bedeutende Punkte: Bürgerschaftliches Engagement durchläuft ein Wechselbad an Entwicklungen, die sich aus der Aufmerksamkeit der Beteiligten speist; lässt das ursprüngliche Interesse nach, kommen die Aktivitäten zum Erliegen. Der zweite Punkt verlangt nach einer Unterstützung, um die Aktivitäten zu erhalten, doch gleichzeitig kann eine entsprechende Hilfe nur dann angeboten werden, wenn alles den verfassungsmäßigen Grundsätzen entspricht.

Schon immer gab es die „Ehrenamtlichen“, die bei etablierten Leistungsanbietern mitmachten und Lücken füllten. Ganz aktuell zeigt sich aber auch, dass ein bürgerschaftliches Engagement eine „Ressource zur Lösung gesellschaftlicher Problemlagen“ darstellt. Die Autoren stellen das sogar heraus, als etwas, was „zurzeit Konjunktur“ hat (S. 13). Eine solche Ressource kann durch Profis quasi ausgebeutet werden, in dem man sich das Engagement für eigene Zwecke nutzbar macht. Das muss an sich noch keine Widrigkeit sein. Und wenn man diese Freiwilligkeit mit kleinen Zuwendungen entschädigt, entsteht daraus noch keine Gefahr. Das Professionalisieren dieser Entwicklung birgt dagegen eine Gefahr für ein mögliches Nachlassen.


Professionalisiertes Engagement

Wenn Menschen wie Zielgruppen angesprochen werden, um sie für ein bürgerschaftliches Engagement bzw. „zur Übernahme fremdbestimmter Aufgaben“ zu „rekrutieren“, kann sehr schnell Frust entstehen (S. 14). Knackpunkt ist für mich hier das „Freiwilligen-Marketing“ und das Überreden. Es wird eine Kulisse aufgebaut, die vielleicht sogar bedrohlich wirken kann, die den Zweck verfolgt, die Zeit und die Mittel des Engagierten auszunutzen – aber eben ohne Arbeitsvertrag.

Ein anderes Problem zeigt sich, wenn man die gleichen Maßstäbe an die Freiwilligen stellt, wie sie die Profis für sich selbst sehen. Die Autoren stellen heraus, dass zwei Lebenswelten aufeinander treffen, bei denen die Wertvorstellungen voneinander abweichen. Die Arbeit der Freiwilligen entwickelt sich vor einem ganz anderen Hintergrund („subjektive Zeitökonomie“, S. 15).

Der Bericht hebt dann auch noch „Unprofessionalität als Stärke“ hervor und appelliert damit an die Profis, diese Besonderheit des bürgerlichen Engagements zu achten und zu schätzen. Mit einer solchen Sichtweise kann einerseits ein Bewusstsein geschaffen werden für das Aufeinandertreffen von Freiwilligkeit und Professionalität, andererseits gewinnt man „Sozialraumkompetenz“ der freiwillig Engagierten (S. 16). Genau darin definiert meines Erachtens der Sozialraum, weil kein bestimmtes Ziel (im Sinne einer Ergebnisqualität) von den Beteiligten verfolgt wird; es wird „Lebensqualität“ gewonnen (im Sinne von Strukturqualität).

Was man weniger als Hindernis und mehr als Gefährdungspunkt versteht, ist die „Monetarisierung“ (Monetisieren) der Freiwilligkeit. Die Kritik im Bericht stellt dabei heraus, dass damit ein „schleichender Übergang … hin zur regulären Erwerbsarbeit“ passieren kann (S. 17). Man spricht sogar von einem „Formalisieren“ und „Verrechtlichen“, womit ein Stück weit Professionalisierung und Strukturierung geschieht. Solche Faktoren führen nach meinem Dafürhalten tatsächlich zu einer Erwartungshaltung, die man bei einer anderen Prioritätensetzung leicht verfehlen kann. Wenn sich daraus dann wiederum Enttäuschung bildet, geht das Engagement verloren. Das Lockmittel der „Monetarisierung“ wird also genutzt, um ein Engagement zu fördern. Aber es besteht die Gefahr, dass der eigentliche Zweck einer selbstlosen Leistung verloren und es „schlicht ums Geldverdienen“ geht (S. 18).


Engagement als Garant für den Sozialraum

Wenn man sich allerdings gefunden hat und Struktur braucht, bietet sich als weitere Organisationsform der Verein an. Man muss sich allerdings immer wieder verdeutlichen, dass die Beteiligung schon sehr eingegrenzt und eingerahmt wird durch eine Satzung; also eine Formalität, die wiederum eine bürokratische Hürde darstellt. Von daher stellt sich im weiteren Entwicklungsprozess die Frage, ob aus dem ungeregelten Engagement einer privaten Initiative ein Verein werden soll. In dem Moment wird aus einer zeitlosen und ungeplanten Handlung eine dauerhafte und sich verstetigende Grundlage, die ein Garantie-Versprechen beinhaltet:  ein Ort der Leistungserbringung, wo man garantiert bedarfsdeckende Unterstützung bekommen kann.

Wie auch immer dieser Prozess weitergehen wird, durch die Befassung mit einer sozialen Aufgabe wird ein Sozialraum geschaffen, in dem Menschen mit Unterstützungsbedarfen mitgetragen werden – vielleicht nur vorübergehend, aber insoweit, dass eine teure Angebotsstruktur mittels professionellen Leistungserbringern und einer bürokratischen Leistungsträgerschaft unnötig sind.

CGS



*) = Ein solches Projekt zählt für mich zum Strukturbildungsgebot des Staates. Erst mit einer solchen Arbeit können Rahmenbedingungen in der Gesellschaft geschaffen werden, damit die Arbeit von Ehrenamtlichen genügend unterstützt wird. 



Quellen:

PARITÄTISCHER Wohlfahrtsverband Schleswig-Holstein e. V.

Veröffentlicht am 12.04.2019



Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Veröffentlicht am 11.11.2015
Engagement stärken

Veröffentlicht am 23.2.2018





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