In der jetzigen
Diskussion ist davon nichts mehr zu spüren. Es dreht sich nun um den „neuen“
Behinderungsbegriff der Eingliederungshilfe und die Neu-Strukturierung der
Arbeit der Jugendämter.
Behinderung ist, wenn Körper- und Gesundheitszustand
vom typischen Zustand abweichen
Es war mal im Gespräch, dass sich auch die Jugendhilfe (SGB
VIII) reformieren müsste angesichts der Reform der Eingliederungshilfe. Doch es
hat ziemlich lange gedauert, bis man die durch das BTHG entstandenen
Abweichungen zur bisherigen Arbeit der Jugendhilfe verstanden hat.
Menschen mit einer Behinderung, oder die von einer
Behinderung bedroht sind, haben einen Anspruch auf Hilfen zur Eingliederung in
die Gesellschaft (Eingliederungshilfe). Sie brauchen diese Hilfen, weil unsere
Verfassung den Schutz der menschlichen Würde garantiert. Und Sie haben einen
Rechtsanspruch auf diese Hilfen, weil unsere Verfassung den Grundsatz der
Gleichbehandlung herausstellt. Die Grundlage für den Anspruch auf solche
Sozialleistungen fand sich bisher noch als Bestandteil der Sozialhilfe (6.
Kapitel SGB XII). Durch das Bundesteilhabegesetz begann dann allerdings eine
Herauslösung aus der Sozialhilfe, die ebenfalls den Fürsorge-Gedanken beendete.
Die Eingliederungshilfe wurde nun zu einem neuen Teil des Rehabilitationsrechts
(Teil II SGB IX).
Die Eingliederungshilfe umfasst alle Hilfen, die geeignet
sind, einen Nachteilsausgleich zu verschaffen. Einen Nachteilsausgleich
brauchen zudem Kinder und Jugendliche, die keine körperlichen oder geistigen
Beeinträchtigungen aufzeigen. Bei dieser Gruppe von Leistungsberechtigten
spricht man insofern von seelisch Behinderten, und meint damit Personen, bei
denen eine „nicht messbare Dimension wie Fühlen, Handeln, Wahrnehmung oder
Orientierung“ *) eingeschränkt ist.
Eine seelische Behinderung ist deswegen eine
Beeinträchtigung, weil damit diesen jungen Menschen das Recht auf Förderung und
Entwicklung hin zu einer selbstbestimmten Persönlichkeit als Teil der
Gemeinschaft verwehrt wäre. Bisher ergab sich die Anspruchsgrundlage auf
Leistungen der Eingliederungshilfe (im 6. Kapitel SGB XII, bald Teil II SGB IX)
aus dem eigenen Gesetz für Kinder- und Jugendhilfe (§ 35a SGB VIII). Mit dem
Zugang zu den Leistungen der Eingliederungshilfe kann ihnen beispielsweise auch
eine Schulbegleitung zugebilligt werden.
Im Zuge der Reform der Eingliederungshilfe wurde nun ein
Vorrang gegenüber allen anderen Leistungsgesetzen formuliert in Bezug auf die
Einleitung der Rehabilitation von Amts wegen (2. Kapitel SGB IX), Erkennung und
Ermittlung des Rehabilitationsbedarfs (3. Kapitel SGB IX) und die Koordinierung
der Leistungen (4. Kapitel SGB IX). Die Begriffsbestimmung aus § 2 SGB IX ist von
diesem Vorrang allerdings nicht berührt, aber sie stellt klar, wann von einer
Beeinträchtigung auszugehen ist. Personen, die einen Anspruch auf Hilfen nach
dem SGB IX geltend machen wollen, können dies nur, wenn der „Körper- und
Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand“ abweicht (§ 2
Abs. 1 S. 2 SGB IX).
Der Behinderungsbegriff passt nicht ganz auf die
Belange der Kinder- und Jugendhilfe
Bei Kindern und Jugendlichen ist dies aber schwierig, da es
eigentlich keinen „typischen“ Zustand gibt. Im Gegenteil, das sehr unterschiedliche
und sprunghafte Verhalten würde, sollte es zu einer Norm gemacht werden,
vielmehr ein Versagen auf jegliche Eingliederungshilfe mit sich bringen. Von
daher müsste der Behinderungsbegriff aus § 35a SGB VIII an die Stelle von dem
des § 2 SGB IX treten, wenn es um Kinder und Jugendliche geht, doch das ist so
nicht vorgesehen.
In der Praxis wird es zu einer entsprechend nachteiligen
Auslegung wahrscheinlich nicht kommen. Vielmehr wird zu klären sein, wer alles
zu beteiligen ist (§ 20 SGB IX i.V.m. § 12 SGB X), wenn Leistungen zur
medizinischen Rehabilitation, Teilhabe am Arbeitsleben, Teilhabe an Bildung und
der sozialen Teilhabe benötigt werden. Im Falle der Teilhabe an Bildung sollte
sich die Zuständigkeit der Jugendämter nicht ändern, da sie die entsprechende
Expertise aufbringen. Was dagegen die unterhaltssichernden und anderen
ergänzenden Leistungen anbelangt, werden die Grundsicherungsämter bestimmen und
auf Regelsätze verweisen.
Nach wie vor wird die Ermittlung des individuellen Bedarfs
eine besondere Herausforderung darstellen. Vorab braucht es dazu einen Anlass,
wie zum Beispiel die Beobachtung eines besonderen Verhaltens beim Kind oder die
Rückmeldung einer pädagogischen Fachkraft, dass das Kind „bei allem nicht
mitkommt“. Grundsätzlich müssen Leistungsträger, und dazu gehören auch
Jugendämter, bei Bekanntwerden eines Bedarfs tätig werden
(Untersuchungsgrundsatz, § 20 SGB X), aber im Falle von Kindern und
Jugendlichen müssen die Eltern einbezogen werden. Und dies wiederum setzt eine
gute Beratung voraus, die dann sogar zu einem Antrag führen kann (§§ 12 Abs. 1,
14, 15, 20 SGB IX).
Den
Bedarf richtig und umfassend bemessen
Oberstes Ziel sollte es weiterhin sein, einer möglichen
Chronifizierung von Erkrankung (d.h. dem Risiko einer sich ergebenden
Behinderung) zu begegnen (§ 13, § 26 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 7 SGB IX; ebenso § 11
und § 36 GE Reha-Prozess, Screening-Bögen, https://www.bar-frankfurt.de/). Damit
dies effizient passiert, braucht es sogenannte Bedarfsermittlungsinstrumente;
im Bereich der Eingliederungshilfe für erwachsene geistig behinderte Menschen
war es gelegentlich das Metzler-Verfahren. Im Bereich der Jugendhilfe wird man
wohl diese Instrumente auf die „Lebensbereiche“ des SGB IX ausrichten müssen,
damit auch wirklich alle Fragestellungen geprüft werden und somit eine
umfassende Bedarfsermittlung stattfindet.
An dieser Stelle zeigt sich, dass die Jugendämter ebenso den
Unterstützungsbedarf der Eltern hinsichtlich ihres Erziehungsauftrages
untersuchen müssen. Von daher bezieht sich die Arbeit des Leistungsträgers
nicht nur auf den behinderten Menschen alleine, sondern es wird ebenso die
mögliche Überforderung der Eltern mit untersucht, um evtl. einen Bedarf an Hilfe
zur Erziehung abzuklären. Man könnte somit sagen, dass der Behinderungsbegriff
aus § 2 SGB IX einfach nicht umfassend genug ist, weil er sich nur auf eine
Person bezieht. In der Kinder- und Jugendhilfe ist die Gestaltung des
Leistungsfalls aber viel komplexer. Und dementsprechend darf die Arbeit der
Jugendämter durch das BTHG nicht eingeschränkt werden; allenfalls kann es zu
einer Neu-Strukturierung kommen, die aber dennoch innerhalb ganz bestimmter
Fristen erbracht werden muss (z.B. die 2 Wochen nach § 14 Abs. 2 S. 1 SGB IX).
Mit der Reform der Eingliederungshilfe wird es auch eine
Reform in der Arbeit der Jugendhilfe geben, die sich dann wahrscheinlich wieder
auf das SGB IX erstrecken wird. Im Ergebnis sollte es dabei aber keine
Leistungsverschlechterung geben für die Menschen mit einem Leistungsbedarf,
sondern eine qualitative Aufwertung. Man kann dennoch schon jetzt feststellen,
dass das Befassen mit dem BTHG zu einer Verbesserung in der Arbeit führt, weil
damit verbunden eine Wertschätzung eintritt. Und das, obwohl derzeit alle
Stellen und personellen Ressourcen eingesetzt werden müssen. Mit Blick auf das
Ziel einer Teilhabe von Menschen mit Behinderungen in der Gesellschaft ist dies
schon mal ein guter Schritt.
CGS
*) = dazu zählen u.a. Belastungs- und Anpassungsstörungen,
Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen, Akzeptanz-Defizite, Schizophrenie
(bis hin zu Wahnvorstellungen), Depressionen. (https://www.integrationsaemter.de/Fachlexikon/...)
Neben dem Bundesteilhabegesetz wird es auch eine SGB
VIII-Reform geben, welche die Eingliederungshilfe ebenso betreffen wird
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BTHG und Jugendhilfe