Mittwoch, 2. März 2022

Notizen von einem Treffen mit Finanzexperten

Sowas gibt es zur Abwechslung mal auch: ein Treffen mit Finanzexperten.

Und wenn man sich über das liebe Geld unterhält, kommen (mit den richtigen Leuten) so einige Szenarien zur Sprache, die es durchaus in sich haben würden, wenn sie denn Realität werden. Doch bei allem Aus-Denken landet man letztendlich an einer Erkenntnis, die viel mächtiger ist und sich lediglich durch den Ukraine-Konflikt beschleunigt hat.

Alles hängt irgendwie zusammen, muss man anerkennen. Von daher wird sich der Ukraine-Konflikt auch auf die Arbeit der Leistungserbringer auswirken und es für alle Beteiligten schwieriger machen.

+++ Nachtrag vom 5.3.2022 +++

Auch wenn die Börsen jetzt den Krieg und seine Auswirkungen in den Kursen verarbeiten, das Thema Inflation bestimmt nach wie vor das Parkett -- jetzt aber mit dem Beigeschmack der Auswirkungen des Krieges auf den gesamten Globus (siehe insbesondere das weiter unten stehende Szenario).

+++ Nachtrag vom 9.3.2022 +++

Während Schreckensszenarien die Runde machen, kehren "die Bullen" zurück an den Markt; oder anders gesagt: man wird wieder mutig und "preist" eine erwartete Friedensverhandlung in die Kurse ein. Sobald es tatsächlich dazu kommt, wird diese Angst die Geldentscheidungen nicht mehr betreffen, sondern die andere Angst vor der Inflation kehrt zurück.

+++

Der Krieg in der Ukraine als Beschleunigungs-Faktor

Der Krieg in der Ukraine zeigt, dass nicht nur mit militärischen Mitteln ein solcher geführt werden kann. Der Ausschluss aus dem SWIFT-System und das Blockieren von Zahlungsmittel-Reserven der russischen Banken sind anscheinend sehr mächtige Waffen, die zu einem Umdenken führen könnten. Der Krieg zeigt allerdings auch, dass die Drohungen mit der „Abschreckungsmacht“ der russischen Streitkräfte die Finanzmärkte kaum schockt – es gibt zwar Markteinbrüche, aber was man von der Corona-Krise her erinnert, ist das hier kein Vergleich; noch nicht zumindest.

Die Finanzmärkt reagierten zwar, aber die Reaktionen waren bis jetzt (Stand 2.3.2022) eher verhalten (ändert sich momentan allerdings wieder). Man konnte sagen, dass der Angriffskrieg für einen Anschub in einer bestehenden Entwicklung sorgte. Und diese bestehende Entwicklung muss man als viel mächtiger bezeichnen, als der gerade eben stattfindende Konflikt. Hier ein paar Markt-Schnappschüsse:

Die weltweit bedeutendsten Finanzmärkte S&P500, NASDAQ und DOW-JONES befinden sich mit Dreiviertel aller Titel an oder unterhalb der berühmten 200-Tage-Linie. Der US-Dollar bewegt sich knapp oberhalb der Marke von 1,11 Euro, der Goldpreis hatte kurz die Spitze von vor einem Jahr bei 1.961 US-Dollar pro Feinunze (endlich und mal wieder) überschritten, liegt zurzeit jedoch wieder darunter. Die Anleihen-Renditen sind etwas mehr zurückgegangen, was allerdings derzeit nicht als Hinweis auf eine großangelegte „Flucht in den sicheren Hafen“ gewertet werden kann. Kurzum muss man anerkennen, dass ganz andere Sorgen die Finanzmärkte fundamental belasten und der Angriffskrieg nur einen verstärkenden Einfluss auf diese Belastungen hat.

 

Der deutsche Paradigmen-Wechsel als Beschleuniger

Mit Deutschlands Aufgabe von historisch bedeutsamen Positionen in der Politik hat es tatsächlich eine Zeitenwende gegeben. Die Waffenlieferungen in eine Krisenregion, die Ankündigungen über eine Aufrüstung der Bundeswehr sowie das noch in diesem Jahr erreichte Ziel der „2 %“ für Verteidigungsausgaben werden den öffentlichen Finanzhaushalt deutlich beschränken, es sei denn, es werden neue Schulden aufgenommen und die sich im Umlauf befindliche Liquidität weiterhin erhöht. Neue Schulden bedeuten, dass das Anleihe-Angebot weiter zunehmen wird. Da die EZB nicht mehr als potentieller Abnehmer am Finanzmarkt auftreten wird, entsteht auf diese Weise ein leichtes Überangebot. Und ein Angebots-Überhang führt gezwungenermaßen zu sinkenden Kursen (= steigenden Renditen).

Profitieren werden von dieser Zeitenwende natürlich die deutschen Waffenschmieden (am Tag nach der Verkündigung des deutschen Paradigmen-Wechsels gab es bei Rheinmetall einen Kurssprung zum Vortag um 30 %). Andere erleben dagegen Kursverluste, weil für sie die Absatzmärkte nicht mehr vorhanden sind oder durch die Aufkündigung von Joint-Ventures die Bewertungen neu bestimmt werden müssen. Alleine schon das Aus für „Nordstream 2“ bzw. die Insolvenz der Betreiber stellt ein gutes Beispiel dar. Trotzdem zeigen erste Analysen über die „Russland-Engagements“ deutscher und europäischer Unternehmen, dass diese „überschaubar“ sind und nur kurzfristig einen negativen Einfluss haben werden (Beispiel VW: Umsatzanteil etwas über 2 %, Gewinnanteil rd. 2 %; Quelle DB Research). Die Frage zu den Auswirkungen des Vertrauensverlustes wurde dabei allerdings noch nicht untersucht. Russland wird von anderen Analysten als ein Zukunftsmarkt gesehen, der sich nunmehr für immer verschlossen hat.

Das Handelsvolumen zwischen Deutschland und Russland lag im Jahr 2021 bei insgesamt 59,8 Mrd. Euro (Quelle: destatis, Statistisches Bundesamt). Die Importe hatten einen Anteil von 33,1 Mrd. Euro, die der Exporte dagegen geringere 26,6 Mrd. Euro (Rundungen). Bei den Importen zählten Erdöl und Erdgas mit gut 59 % zu den absolut größten Handelsgrößen. Darüber hinaus importierte man sehr gerne noch Metalle, Mineralöl- und Kokerei-Erzeugnisse sowie Kohle. Der Export wiederum verteilte sich eher gleichlaufend auf Maschinen, Kraftwagen und Kraftwagenteile sowie chemische Erzeugnisse. Für ein einzelnes Unternehmen kann der Anteil schon recht hoch ausfallen (Beispiel Total SE: Umsatz- und Gewinnanteil jeweils 8 %; Quelle DB Research). Doch im Vergleich zu dem Sondervermögen, was nun überraschend mit 100 Mrd. Euro ins Leben gerufen wurde, sind das keine großen Werte. Vergleicht man diese Werte einem Bundeshaushalt, ist das dennoch recht ordentlich (der BHH für 2021 lag bei 498,6 Mrd. Euro, aber ohne Nachtragsgrößen; im Jahr 2021 lag die Ermächtigung für neue Kredite bei 179,8 Mrd. Euro) – eine veritable Konjunkturhilfe.

Mit den Flüchtlingen wird es ebenfalls eine höhere Mittelaufstockung geben, die Corona-Krise ist dazu noch lange nicht vorbei, der Impfschutz wird mehr denn je gefragt bleiben, die Hilfen für die Dritte Welt müssten ebenso berücksichtigt werden wie auch der erneute Appell, den Klimaschutz endlich und wirksam zu verbessern (Stichwort: IPCC-Klimabericht).  *)

 

Die Beschleunigung abbremsen

Konjunkturhilfen zu schaffen, wenn sich die Preise gerade erhöhen, sind gar nicht gut. Gerade die Angebotsverknappung bei den Rohstoffen, gestörte Lieferketten vor gar nicht so langer Zeit (und wahrscheinlich erneut aufgrund des Krieges in der Ukraine) sowie eine hohe Liquidität in den Finanzmärkten sind starke Antreiber für Inflation. Die Finanzmärkte hatten diese Gefahr schon sehr früh begriffen und in Erwartung einer strafferen Notenbankpolitik sich risikoscheu verhalten. Aktien von Wachstumswerten und langlaufende Anleihen wurden reihenweise abgestoßen. Zum Ende des ersten Quartals 2022 erwartete man eine Leitzinsanhebung der Federal Reserve (FED) um 50 Basispunkte, für die EZB sah man ein ähnliches Verhalten aber erst zum Jahresende. Das ändert sich gerade zumindest bei der FED, die diese Erwartung nun halbiert hat. Das bedeutet, dass den Finanzmärkten weniger Liquidität entzogen wird, und weil Liquidität eine Ware ist, sind die Kurse bei den Aktien schon wieder am Steigen, bei den „sicheren Häfen“ dagegen am Sinken.

Wenn Liquidität gebraucht wird, werden die Preise steigen: Inflation.

Inflation ist aber genau das, was überhaupt nicht gebraucht wird. Gerade eine sich verfestigende Inflation, die sich aus einem Wechselspiel der Verteuerung bei den Produktionsfaktoren Arbeit, Boden und Kapital ergibt, kann nicht ad hoc aufgelöst oder sogar zurückgeführt werden. Konkret bedeutet dies, dass sich aus dem Preisanstieg bei Energie und Verbrauchsgütern ein Verlangen nach höheren Löhnen ergibt. Die öffentlichen Arbeitgeber werden eine harte Haltung zeigen, damit diese Preisspirale nicht ins Drehen kommt. Die Gewerkschaften werden das wissen und gleichzeitig von einer aufgebrachten Basis unter Druck gesetzt. Übrigens soll es schon bald zu einem ersten Treffen kommen bei den Tarifparteien zum TVöD. Und die Refinanzierungsrunden für die Eingliederungshilfe in Schleswig-Holstein verhandeln Steigerungssätze, die geradezu bescheiden klingen.

Wenn es halt so sein muss, öffnet man die Tür zu einer erneuten „Stellenbewirtschaftung“ und „verschleppter Ersatzinvestition“. Mal schauen.

CGS

 

 

*) = Szenarien, denn man kann sich so vieles Ausdenken.

Zum Beispiel stand die Überlegung im Raum, dass die Ukraine ein sehr exportorientiertes Land sein soll. In 20202 exportierte die Ukraine im Wesentlichen Getreide (18 % Anteil), Metallerzeugnisse (17 %), Pflanzen- und Tierfette (13 %). Vieles davon wird nun durch den Krieg nicht mehr zu schaffen sein. Selbst wenn man sich schnell gegen Russland durchsetzen kann, die Ukraine wird enorme Wiederaufbauhilfen benötigen; eine Chance für die ebenfalls exportverliebten Deutschen? Durch den Wegfall der Exporte fehlt es dann bei den importierenden Partnerländern, was ebenfalls die dortige Situation verschlimmern kann.

Je länger der Krieg andauern wird, umso gravierender wird der Zustrom von Flüchtlingen. Zwar sind sehr gut funktionierende Strukturen hierzulande im Einsatz, die damit zurechtkommen können, nur wie gut wird die Rückführung oder das Rückkehren gelingen? Vom syrischen Bürgerkrieg her kennt man diese Flüchtlingsströme, die so manchem EU-Mitglied eine schwierige Zeit beschert hat. Werden mit diesem Krieg Flüchtlingsströme zu einer Waffe?

 

 

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