Sonntag, 27. Februar 2022

Einrichtungen der Eingliederungshilfe könnten schließen – ein Klarstellungs-Versuch

Ab dem 15.3.2022 müssen lt. Neufassung des § 20a IfSG Beschäftigte in Einrichtungen der Pflege und der Eingliederungshilfe entweder nachweislich genesen oder geimpft sein. Bis zum Ablauf des 15.3.2022 und nach Gültigkeitsablauf müssen diese Beschäftigten, wie auch diejenigen, die über ein medizinisches Zeugnis über eine Kontraindikation bei Impfung verfügen, jedenfalls einen Nachweis erbringen. Tun oder können sie es nicht, muss der Arbeitgeber diese Mitarbeitenden an das zuständige Gesundheitsamt melden.

Etwas anders stellt sich die Lage dar für solche Personen, die ab dem 16.3.2022 in einer Einrichtung oder einem Unternehmen beschäftigt werden sollen. Sie müssen vor Aufnahme der Beschäftigung den Nachweis vorlegen. Tun oder können sie es nicht, darf der Arbeitgeber sie gar nicht erst beschäftigen.

Die Verbände der Leistungserbringer sahen sich mit dieser Bestimmung auf einmal zu Gehilfen der Politik degradiert. Gleichzeitig erkannten sie, dass mit dem Beschäftigungsverbot ein erheblicher Personalausfall drohte. Man wendete sich über die Verbände an die obersten Landesbehörden und forderte eine Klarstellung ein.

In Schleswig-Holstein gab es jüngst eine solche Klarstellung (ein Klarstellungs-Versuch), die einerseits die Verantwortlichkeiten benannte, andererseits allerdings einen sehr ernstzunehmenden Hinweis für die Leistungserbringer enthielt.

 

Eine Klarstellung des Gesundheitsministeriums in Schleswig-Holstein

Vor etwa einer Woche reagierte das schleswig-holsteinische Gesundheitsministerium auf ein Schreiben des Landesverbands der Lebenshilfe in Schleswig-Holstein. Man betonte dabei das hehre Ziel, der Belastung der Leistungserbringer und ihrer Mitarbeitenden „entgegen zu wirken“. Schließlich hätten „zahlreiche Studien“ den effektiven Schutz durch Impfungen bestätigt. Mit anderen Worten, alle würden doch hier am gleichen Strang ziehen – oder nicht?!

Die praktische Umsetzung des neuen § 20a IfSG sei zurzeit Gegenstand von Beratungen auf verschiedenen Ebenen von Bund und Ländern, so das Gesundheitsministerium-SH. Das soll wohl zeigen, dass man sich des Problems, welches mit dem neuen Gesetz bewältigt wird (oder losgetreten worden ist), eigentlich voll und ganz bewusst ist. Das Ministerium verweist in seinem Schreiben dabei auf die (laufen aktualisierte) Handlungsempfehlung des BMAS, was einerseits für ein besseres Verstehen der gesetzlichen Bestimmungen sorgen wird, andererseits auch das Verwaltungshandeln bundeseinheitlich regelt.

Kernaussage im Schreiben des Gesundheitsministeriums-SH ist, dass zuerst ein Verwaltungsverfahren beim zuständigen Gesundheitsamt eingeleitet werden muss, bevor in einer Ermessensentscheidung ein Beschäftigungs- oder Tätigkeitsverbot ausgesprochen wird für die bereits Tätigen; genau diese Personengruppe stellt den Problemfall dar, weil sie bereits in einem Beschäftigungsverhältnis beim Leistungserbringer stehen. Diejenigen, die erst noch tätig werden sollen, müssen gem. Abs. 3 vor Anbeginn des Beschäftigungsverhältnisses den Nachweis vorzulegen. Für bereits Tätige gelten nun die Bestimmungen nach Abs. 4 (Zeitablauf der Gültigkeit des Nachweises) und Abs. 5 (Vorlage beim Arbeitgeber). Die Ermessensentscheidung im Verwaltungsverfahren des Gesundheitsamtes soll die Umstände des Einzelfalls berücksichtigen und gewichten. Zu diesen Umständen des Einzelfalls zählen unter anderem die personellen Kapazitäten sowie die Sicherstellung der Versorgung der Menschen mit dem Leistungsanspruch (vgl. dazu auch § 20a Abs. 5 IfSG).

 

Das Gesundheitsamt entscheidet über ein Verbot

Ein Arbeitgeber müsste von daher zusammen mit der Meldung über Beschäftigte mit einem fehlenden Nachweis eine Stellungnahme abgeben. Während die Meldung eher Kontaktdaten der jeweiligen Beschäftigten und den Grund der Meldung (z.B. Fehlen des Nachweises, Fehlerhafter oder vermutlich unrichtiger Nachweis) enthält, muss die Stellungnahme die konkrete Situation der Einrichtung oder der Organisation darlegen. Inwieweit diese Stellungnahme umfassend sein muss, ist mehr als fraglich. Man kann sich aber denken, dass unrichtige oder missverständliche Aussagen zu vermeiden sind und dass „zu kurz“ gefasste Wiedergaben einen breiten Ermessensspielraum der Behörde erlauben. Man sollte sich als Arbeitgeber auch bewusst machen, dass im Falle eines Betretungs- und Tätigkeitsverbots ein betroffener Arbeitnehmer der Anordnung widerspricht und ggf. sogar anficht. Wenn dann Akteneinsicht verlangt wird und die Stellungnahme des Arbeitgebers eingesehen werden kann, diese womöglich sogar fehlerhaft ist, entsteht hier womöglich sogar ein Anspruch auf Schadensersatz.  

Das Verbot des Gesundheitsamts besagt, dass eine weitere Beschäftigung des Arbeitnehmers ohne gültigen Nachweis gem. § 20a IfSG „in öffentlich-rechtlicher Hinsicht nicht (mehr) zulässig“ ist (im Schreiben wird die Ausschussdrucksache 20(11)9 vom 14.2.2022 zitiert). Das bedeutet nicht zwingend, dass damit eine Kündigung einhergehen muss. Ein derartiges Verbot bezieht sich eigentlich nur auf den direkten Kontakt mit der vulnerablen, leistungsberechtigten Person. Sofern Unternehmen und Beschäftigte sich verständigen, könnte eine Weiterbeschäftigung an einer ganz anderen Stelle im Unternehmen erfolgen – wobei sich dann aber der Vergütungsanspruch ändern würde (Beispiel: Erzieher mit S8b geht in die Poststelle mit E3). Das Gesundheitsministerium-SH verweist übrigens darauf hin, dass es der eigenen Verantwortung des Leistungserbringers liegt, wenn er sich dafür entscheidet, seine „nicht geimpften“ Beschäftigten von der Arbeit freizustellen – ob mit oder ohne Bezüge wird nicht gesagt. Eine Freistellung ist keine Kündigung. Bezahlung ohne Gegenleistung wäre angesichts der knappen Kassen nicht machbar.

Geht das alles nicht und ein Nachweis oder das medizinische Zeugnis über die Kontraindikation bei Impfung werden nicht vorgelegt, ist ein solches Verhalten des Arbeitnehmers als eine Weigerung zu verstehen, die dann arbeitsrechtliche Konsequenzen mit sich bringt. Arbeitsrechtliche Konsequenzen beginnen mit der Abmahnung und enden schließlich mit der Kündigung. Das braucht Zeit und es kostet viel Geld.

 

Die Rechtskraft des Gesetzes ist befristet

Aber vielleicht ist das alles nur graue Theorie. Der § 20a IfSG verliert seine Rechtskraft am 31.12.2022. Denkbar wäre es natürlich, dass bis dahin eine Art „Verlängerung“ kommt, weil schon wieder eine Erkrankungswelle durch die Republik zieht. Sehr wahrscheinlich ist auf jeden Fall, dass die Gesundheitsämter in der Woche nach dem 15.3.2022 mit einer Flut von Mitteilungen zu tun bekommen; auch diejenigen Leistungserbringer, die nichts zu melden haben, sollten eine Negativ-Meldung abgeben. Das heißt wiederum, dass zuerst einmal ein Ermittlungsverfahren bei jedem einzelnen, gemeldeten Beschäftigten aufgenommen werden muss und der Arbeitgeber befragt wird. So etwas braucht mindestens ein bis zwei Monate Zeit. Von daher sollte man frühestens mit einer Anordnung über das Betretungs- und Tätigkeitsverbot zum Sommeranfang rechnen. Vielleicht entwickelt sich die Corona-Krise sowieso ganz anders, vielleicht werden die Behörden sich ohnehin etwas mehr Zeit ausbedingen.

Ein Arbeitgeber sollte über die Entscheidung des Gesundheitsamtes, dass ein Betretungs- und Tätigkeitsverbot gegenüber dem einzelnen Beschäftigten ausgesprochen wurde, informiert werden; dieser Bedarf an Unterrichtung ist meines Wissens nach noch nicht näher bestimmt worden. Solange nichts bekanntgemacht wurde, kann die Beschäftigung unverändert weiter erfolgen. Sobald aber der Beschäftigungsausfall eintritt und es kann nicht unverzüglich mit Hilfs- oder Ersatzpersonal (Zeitarbeit) gegengesteuert werden, könnte sich für den Arbeitgeber ein weiteres Problem ergeben: er kommt seinen Vereinbarungen nach § 125 SGB IX (Eingliederungshilfe) bzw. § 72 SGB XI (Pflege) nicht nach. Das Gesundheitsministerium-SH warnte diesbezüglich auch in seinem Schreiben.

An der Stelle sitzen Arbeitgeber und Arbeitnehmer wieder im gleichen Boot: keiner darf es zum Schaukeln bringen. Der Arbeitnehmer wird die Anordnung beachten müssen, auch wenn ein Widerspruchsverfahren eröffnet wird. Ein Widerspruchsverfahren und sogar die Anfechtungsklage haben keine aufschiebende Wirkung (Abs. 5 S. 4). Wenn der Beschäftigte die Einrichtung nicht betreten darf, wird der Arbeitgeber nach einer Karenzzeit und nach dem Ausnutzen von möglichen Urlaubszeiten, dem Abbau von Mehrarbeitsstunden oder sonstigen Überbrückungsmöglichkeiten die Kündigung in die Wege leiten müssen.

Es wäre gut, wenn sich beide jetzt noch einmal besprechen, denn mit viel mehr Klarheit sollte man nicht bei einem Ministerium rechnen.

CGS

 

 

Notizen:

§ 20a Abs. 5

Satz 1: Die in Absatz 1 Satz 1 genannten Personen [die Beschäftigten, eig. Anm.] haben dem Gesundheitsamt, in dessen Bezirk sich die jeweilige Einrichtung oder das jeweilige Unternehmen befindet [der Leistungserbringer als Arbeitgeber, eig. Anm.], auf Anforderung einen Nachweis nach Absatz 2 Satz 1 vorzulegen [Impfnachweis, Genesenennachweis oder ein ärztliches Zeugnis, eig. Anm.].

Satz 2: Bestehen Zweifel an der Echtheit oder inhaltlichen Richtigkeit des vorgelegten Nachweises, so kann das Gesundheitsamt eine ärztliche Untersuchung dazu anordnen, ob die betroffene Person auf Grund einer medizinischen Kontraindikation nicht gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 geimpft werden kann.

Satz 3: Das Gesundheitsamt kann einer Person, die trotz der Anforderung nach Satz 1 keinen Nachweis innerhalb einer angemessenen Frist vorlegt oder der Anordnung einer ärztlichen Untersuchung nach Satz 2 nicht Folge leistet, untersagen, dass sie die dem Betrieb einer in Absatz 1 Satz 1 genannten Einrichtung oder eines in Absatz 1 Satz 1 genannten Unternehmens dienenden Räume betritt oder in einer solchen Einrichtung oder einem solchen Unternehmen tätig wird.

Satz 4: Widerspruch und Anfechtungsklage gegen eine vom Gesundheitsamt nach Satz 2 erlassene Anordnung oder ein von ihm nach Satz 3 erteiltes Verbot haben keine aufschiebende Wirkung.

Quelle https://www.gesetze-im-internet.de/ifsg/__20a.html

 

 

Das hier ist keine Rechtsberatung oder Aufforderung zur Vornahme eines Rechtsgeschäftes. Der Beitrag stellt nur meine Sicht auf die Dinge dar. Und eine solche Sicht kann sich immer noch ändern. Brauchen Sie rechtliche Unterstützung, wenden Sie sich an die zuständigen Behörden, Sozial- und Betroffenenverbände oder rechtskundige Dritte. Lesen Sie bitte ebenfalls die Hinweise zum Rechtsstatus der Webseite, Urheberrechtsbestimmungen und Haftungsausschluss sowie die Datenschutzerklärung.

Hat Ihnen der Beitrag gefallen?

Empfehlen Sie ein//gegliedert weiter oder klicken Sie gleich reihum auf die übrigen Seiten dieses Blogs – ersetzt das Applaudieren und ist ein guter Motivator für mich.

Möchten Sie was sagen?

Schreiben Sie mir eine E-Mail – Ihre Meinung hilft mir, meine Sichtweise neu zu überdenken. Meine E-Mail-Adresse finden Sie auf der Seite Über mich.

Einrichtungen der Eingliederungshilfe könnten schließen – ein Klarstellungs-Versuch