Tag 2 des Wirkens der Impfnachweispflicht.
Mit der Öffnungsklausel in § 20a Abs. 1 S. 1 Nr. 3 IfSG sind
auch schulbegleitende Dienste von der Anwendung des Gesetzes betroffen. Der
Gesetzgeber nimmt zwar eine Aufzählung an Einrichtungen und Diensten vor, aber
er sagt, dass auch die „weiteren Unternehmen, die … vergleichbare
Dienstleistungen im ambulanten Bereich anbieten, …“ dazugehören. Damit müssen Beschäftigte
als Schulbegleitungen ihren Nachweis liefern, oder sie werden ansonsten an das
Gesundheitsamt gemeldet.
Die Auslegungshinweise des BMG sehen in Kindern und
Jugendliche eine Risikogruppe. Das schleswig-holsteinische Sozialministerium
wiederum hat eine ganz andere Auffassung, die somit zur Grundlage für das verwaltungsrechtliche
Handeln hierzulande (im Bundesland Schleswig-Holstein) wird und schließlich zu
einer Erledigung des Verfahrens führt.
Wenn sich ein Arbeitgeber diese Sichtweise des BMG
allerdings aneignet und von sich aus die Freistellung der beschäftigten Person
ohne Bezüge entscheidet, weil er die Leistungserbringung durch diese Person
nicht gewährleistet sieht, überrascht das schon.
+++ Nachtrag vom 24.3.2022 +++
Im Schreiben vom 22.3.2022 des BMG mit dem Titel "Impfprävention im Bereich einrichtungsbezogener Tätigkeiten" heißt es, dass §20a IfSG "nicht auf die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Berufsgruppe, sondern auf die Tätigkeit in bestimmten Einrichtungen und Unternehmen [abstellt]." (Ziffer 14, S. 13).
Und weiter wird gesagt, dass "Förderschulen [...] hingegen ebenso wie andere Schulen im Grundsatz nicht vom Anwendungsbereich der Nachweispflicht ... umfasst [sind]." Besteht im konkreten Fall der Leistungserbringung eine Unsicherheit, weil es sich um verschiedenartige Angebote und Dienste handelt, soll in Abstimmung mit dem zuständigen Gesundheitsamt die Nachweiserbringung geklärt werden. Abzustellen ist dabei auf die räumliche Abgrenzbarkeit der Angebote, die ggf. der Nachweispflicht unterliegen.
Allerdings unterliegen Schulbegleitungen der Nachweispflicht, soweit sie behinderte Menschen betreuen und soweit ihr Arbeitgeber Leistungen zur Teilhabe an Bildung nach § 112 SGB IX erbringt (Ziffer 16, S. 14). Die bekannte Begründung zu den "vulnerablen Personen" enthält keinen Hinweis auf zu betreuende Kinder ohne Risiko-Eigenschaften; das Gesetz ist nach wie vor nicht gut begründet.
Das Schreiben erklärt an anderer Stelle, dass die "öffentlich-rechtliche Vorschrift des § 20a IfSG [...] kein Recht des Arbeitgebers auf Freistellung [begründet]." Und weiter heißt es, dass erst mit der Anordung des Gesundheitsamtes über ein Tätigkeits- und Betretungsverbot, der Vergütungsanspruch "in der Regel" entfällt (Ziffer 27, S. 21 f.).
Was ebenfalls noch fehlt, ist eine Erklärung, in welchem zeitlichen Rahmen die Prüfung durch das Gesundheitsamt stattfinden muss. Erwarten sollte man, dass das Gesundheitsamt unverzüglich mit der Arbeit beginnt und dies den Betroffenen bestätigt -- unverzüglich heißt: innerhalb weniger Tage.
+++ Nachtrag vom 21.3.2022 +++
Für die erfolgreiche Meldung an das Gesundheitsamt ist der Arbeitgeber verantwortlich. Geht die Meldung aufgrund eines technischen oder sonstigen Fehlers beim Gesundheitsamt nicht ein, muss der meldende Arbeitgeber beweisen, dass er unverzüglich gehandelt und die Meldung überbracht hat (Bring-Schuld).
Pikant wird es, wenn der Arbeitgeber glaubt, er hat gemeldet und der gemeldete Arbeitnehmer wurde von ihm ohne Bezüge freigestellt.
+++
Eine andere Sicht auf die Dinge nehmen
Mit den neuen Bestimmungen soll der Schutz von „vulnerablen
Personen“, also Menschen, die mit dem hohen Risiko eines schweren
Krankheitsverlaufs bei Ansteckung mit dem Corona-Virus leben müssten,
verbessert werden. Gerade dann, wenn körpernahe Leistungen erbracht werden,
kann einem isoliert lebenden Hochbetagten und Pflegebedürftigen über einen
Beschäftigten des Leistungserbringers eine todbringende Infektion beigebracht
werden. Der Gesetzgeber erkannte deswegen einen Schutzauftrag, der mit dem
neuen Gesetz umgesetzt wurde.
In der Schulbegleitung geschieht die Leistungserbringung
im engen und direkten Kontakt, häufig über eine längere Zeit und in
geschlossenen Räumen. Nicht immer handelt es sich dabei um eine Leistung an
pflegebedürftige Kinder oder solche, die eine Vorerkrankung aufweisen. Von einem
„vulnerablen Personenkreis“ in diesem Moment zu sprechen, könnte also ein wenig
weit ausgeholt sein. Und selbst bei psychisch-seelisch behinderten Kindern ist
das Gefährdungspotential an diesem Punkt nicht so hoch. Es kommt halt auf den
Einzelfall an.
Das schleswig-holsteinische Sozialministerium hat in einem
Schreiben vom 4.3.2022 ebenfalls zu dieser Erkenntnis gefunden und erklärte
sogar, dass „das Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf bei Kindern und
Jugendlichen eher gering“ ist (Punkt 2 in Ziffer 2, Seite 3). Kinder und Jugendliche
können somit nicht mit den vulnerablen Gruppen, wie die Hochbetagten und
Pflegebedürftigen, gleichgesetzt werden (vgl. ersten Absatz des Schreibens,
Seite 1).
Daraus folgt, dass zwar ein Arbeitgeber seine
Beschäftigten bei einem ungenügenden Nachweis an das Gesundheitsamt meldet,
aber weil keine Risikogruppen betroffen sind, sollte sich das weitere Verfahren
automatisch erledigen.
Eine übertriebene Sicht auf die Dinge nehmen
In den Auslegungshinweisen des BMG werden Kinder und
Jugendlichen dagegen einfach pauschal und unbegründet dem vulnerablen
Personenkreis zugerechnet (vgl. Seite 11, FAQs des BMG zu § 20a IfSG, Stand
22.2.2022; siehe auch die Notizen weiter unten). Vermutlich hatte man dort noch
in Erinnerung, dass das RKI die Teilhabe von Kindern und Jugendlichen am „Transmissionsgeschehen“
wie bei allen anderen gesellschaftlichen Gruppen ansieht (Ziffer 17 im
RKI-Steckbrief, letzter Quellenabruf am 17.3.2022). Koppelt man dies mit dem
Kinder- und Jugendschutz, ist der Einbezug durchaus verständlich.
Immer wieder stellte sich nun die Frage, inwiefern ein
Arbeitgeber seine Beschäftigten vom direkten Kontakt entfernen soll, bevor das
Gesundheitsamt eine Entscheidung treffen würde. Die öffentliche Seite
wiederholte dabei immer wieder, dass das Entfernen vom leistungsberechtigten
Menschen empfohlen wird, aber die Entscheidungsgewalt dem Arbeitgeber allein
zusteht. Das Gesundheitsamt prüft die Meldungen des Arbeitgebers und nimmt
anschließend die Einzelfallprüfung auf. Bis zum Verfahrensende können „Bestandskräfte“
jedoch weiterbeschäftigt werden, so die klare Ansage (vgl. erster Absatz in Ziffer
2, Seite 2 des Schreibens).
Dieser Frage kann man sich nicht aus der Sicht des
Arbeitnehmers nähern. Natürlich berührt es die Interesse des
leistungsberechtigten Schulkindes, und in etwa auch die des Leistungsträgers.
Aber die Entscheidung trifft der Arbeitgeber alleine, so dass aus dessen
Blickwinkel nach einer Klärung gesucht werden sollte.
Warum schon jetzt Beschäftigte freistellen ohne Bezüge?
Eine Freistellung würde an sich bedeuten, dass die
Leistungserbringung durch die beschäftigte Person nicht mehr vereinbarungsgemäß
vonstattengeht oder ein besonderes Qualifikationsmerkmal gem. der gesetzlichen
oder vertraglichen Bestimmungen in Bezug auf die sozialen Hilfen verloren
gegangen ist.
Durch die Einfügung des § 20a IfSG wird einem ansonsten
qualifizierten Arbeitnehmer der Impfschutz oder dergleichen als Merkmal zugewiesen;
das wäre in etwa vergleichbar mit einer Assistenzkraft, die im Wege einer
Fortbildung anstelle einer qualifizierten Assistenzfachkraft eingesetzt werden
soll, und die dann zur Fachkraftquote genommen wird. Ein Leistungserbringer
würde ein Anerkennungsverfahren beim Leistungsträger beantragen und eine begründete
Stellungnahme einreichen. Erkennt der Leistungsträger den Fachkraftstatus nicht
an, muss die beschäftigte Person anderweitig eingesetzt werden oder der
Arbeitgeber kündigt den Vertrag.
Wenn der Arbeitsvertrag nicht gekündigt wurde, bleibt der
Anspruch auf Gehaltszahlungen bestehen. Gegenteilige Gründe, die ein Unterlassen
seitens des Arbeitgebers rechtfertigen, müssten dann vorhanden sein. Passierte
das noch nicht, wird sich der Arbeitgeber sehr fahrlässig verhalten. Gegenteilige
Gründe könnten dann zu finden sein, wenn das schulbegleitete Kind zu einer
Risikogruppe gehört und in der Verweigerungshaltung des Arbeitnehmers eine hohe
Gefährdung liegt. Das könnte zu einer verhaltensbedingten Kündigung des Arbeitsverhältnisses
führen.
Denkt man das Ganze jetzt weiter, stellt sich
unweigerlich die Frage, was passiert, wenn das Gesundheitsamt nach
Verfahrensende kein Betretungs- und Tätigkeitsverbot anordnet? – die Freistellung
ohne Bezüge wäre demnach ungerechtfertigt gewesen und könnte nachgefordert
werden. Stünden vereinnahmte Entgelte aus der Leistungserbringung in gleichem
Maße zur Verfügung (Anwalts- und Gerichtskosten mal außen vor gelassen)?
Könnte es sogar dazu kommen, dass ein Leistungserbringer seine
Leistungen bei dem einen Kind einstellt, weil keine stellvertretenden
Fachkräfte vorhanden sind? Und kann man von dem Kind verlangen, dass es sich an
eine neue Begleitungskraft schnell mal eben gewöhnt?
Es hat bereits im eigenen Umfeld einen Fall gegeben, wo
eine Freistellung ohne Bezüge ausgesprochen wurde. Wie es sich weiterentwickeln
wird, ist sehr fraglich. Weil es keine Gefährdung (und somit das Risiko der
unternehmerischen Haftung) oder Schlechtleistung in der Vergangenheit gegeben
hat, ist diese Entscheidung von daher nicht verständlich. Man wird sehen
müssen.
CGS
Quellenangaben finden sich oben im Text.
Notizen:
1.
Die Verwendung des Begriffs des vulnerablen
Personenkreises stützt sich in den FAQs zu § 20a IfSG des BMG auf zwei
Sub-Gruppen:
(a)
„Insbesondere
hochbetagte Menschen, pflegebedürftige Menschen und Personen mit akuten oder
chronischen Grundkrankheiten haben ein deutlich erhöhtes Risiko für schwere,
ggf. auch tödliche COVID-19 Krankheitsverläufe (vulnerable Personengruppen).“
(Seite 1, FAQs des BMG zu § 20a IfSG, Stand 22.2.2022).
(b)
„Da zu den besonders zu schützenden vulnerablen
Personengruppen auch Personen mit psychiatrischen Erkrankungen (vgl. Stufe 3
des Stufenplans der STIKO zur Priorisierung der COVID-19-Impfung) sowie auch
Personen mit psychischen Behinderungen gehören, sind grundsätzlich auch solche
Einrichtungen erfasst, in denen Kinder und Jugendliche mit seelischen
Behinderungen, die Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII erhalten, gemeinsam
mit Kindern und Jugendlichen ohne Behinderungen, die Hilfe zur Erziehung (z.B.
nach §§ 27, 34 SGB VIII) erhalten, betreut werden und untergebracht sind.“
(Seite 11, a.a.O.).
Das „sind grundsätzlich“ schließt nun pauschal auch
Kinder und Jugendliche ohne psychiatrische Erkrankungen und psychische
Behinderungen ein. Ein solches Vorgehen missachtet die Maßgaben der
Einzelfallprüfung aus Abs. 5 des Gesetzes. Diese Maßgaben beziehen sich zwar auf
den nachweispflichtigen Mitarbeitenden, trotzdem muss die Risikoabwägung von
den gleichen Erfordernissen ausgehen – also die leistungsberechtigten Menschen
nach ihrem Gesundheitsrisiko differenzieren.
Diese Differenzierung folgt in den Ausführungen des BMG
den klassischen zwei Welten: psychiatrisch Erkrankten und psychisch-seelisch
Behinderten. Die geistig behinderten Menschen würden an dieser Stelle fehlen,
so dass sie demnach nicht (automatisch) den vulnerablen Gruppen zuzuordnen
wären.
2.
Das MSGFJS hat in seinem Schreiben vom 4.3.2022 dagegen
auf folgendes hingewiesen:
„Neben personenbezogenen Gründen (z.B. geplante oder
beabsichtigte Impfungen der betroffenen Personen) soll hierbei insbesondere für
die betroffenen Einrichtungen der Jugendhilfe berücksichtigt werden, dass die
betreuten Kinder und Jugendlichen in der Regel nicht zu einer vulnerablen
Gruppe zählen. So ist das Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf bei
Kindern und Jugendlichen eher gering.“
(a)
Bei dem o.g. Verweis „personenbezogenen Gründen“ bezieht
man sich auf die leistungserbringenden Beschäftigten. Gerade aber dieser
Verweis zeigt, dass auch nicht-personenbezogene Gründe, also solche, die
unmittelbar in der Person des Beschäftigten liegen, hinzugenommen werden sollen
bei der Ermessensentscheidung.
(b)
Andere Gründe können solche sein, die mit der Einrichtung
selbst zu tun haben, zum Beispiel organisatorische und wirtschaftliche
Erwägungen, oder im Zweck der Leistungserbringung selber liegen, zum Beispiel
ist der Klient nur in der Zusammenarbeit mit der einen Begleitungskraft
kooperativ.
3.
Das RKI sieht Kinder und Jugendliche nicht als
Risikogruppe, obwohl sie am Transmissionsgeschehen durchaus teilnehmen:
https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikogruppen.html
Menschen mit Down-Syndrom (Trisomie 21) gehören zur Risikogruppe mit schweren Verläufen.
https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html
Das hier ist keine Rechtsberatung oder Aufforderung zur
Vornahme eines Rechtsgeschäftes. Der Beitrag stellt nur meine Sicht auf die
Dinge dar. Und eine solche Sicht kann sich immer noch ändern. Brauchen Sie
rechtliche Unterstützung, wenden Sie sich an die zuständigen Behörden, Sozial-
und Betroffenenverbände oder rechtskundige Dritte. Lesen Sie bitte ebenfalls die
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