Donnerstag, 17. März 2022

Schulbegleitungen freistellen aufgrund des § 20a IfSG?

Tag 2 des Wirkens der Impfnachweispflicht.

Mit der Öffnungsklausel in § 20a Abs. 1 S. 1 Nr. 3 IfSG sind auch schulbegleitende Dienste von der Anwendung des Gesetzes betroffen. Der Gesetzgeber nimmt zwar eine Aufzählung an Einrichtungen und Diensten vor, aber er sagt, dass auch die „weiteren Unternehmen, die … vergleichbare Dienstleistungen im ambulanten Bereich anbieten, …“ dazugehören. Damit müssen Beschäftigte als Schulbegleitungen ihren Nachweis liefern, oder sie werden ansonsten an das Gesundheitsamt gemeldet.

Die Auslegungshinweise des BMG sehen in Kindern und Jugendliche eine Risikogruppe. Das schleswig-holsteinische Sozialministerium wiederum hat eine ganz andere Auffassung, die somit zur Grundlage für das verwaltungsrechtliche Handeln hierzulande (im Bundesland Schleswig-Holstein) wird und schließlich zu einer Erledigung des Verfahrens führt.

Wenn sich ein Arbeitgeber diese Sichtweise des BMG allerdings aneignet und von sich aus die Freistellung der beschäftigten Person ohne Bezüge entscheidet, weil er die Leistungserbringung durch diese Person nicht gewährleistet sieht, überrascht das schon.

+++  Nachtrag vom 24.3.2022 +++

Im Schreiben vom 22.3.2022 des BMG mit dem Titel "Impfprävention im Bereich einrichtungsbezogener Tätigkeiten" heißt es, dass §20a IfSG "nicht auf die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Berufsgruppe, sondern auf die Tätigkeit in bestimmten Einrichtungen und Unternehmen [abstellt]." (Ziffer 14, S. 13).

Und weiter wird gesagt, dass "Förderschulen [...] hingegen ebenso wie andere Schulen im Grundsatz nicht vom Anwendungsbereich der Nachweispflicht ... umfasst [sind]." Besteht im konkreten Fall der Leistungserbringung eine Unsicherheit, weil es sich um verschiedenartige Angebote und Dienste handelt, soll in Abstimmung mit dem zuständigen Gesundheitsamt die Nachweiserbringung geklärt werden. Abzustellen ist dabei auf die räumliche Abgrenzbarkeit der Angebote, die ggf. der Nachweispflicht unterliegen.  

Allerdings unterliegen Schulbegleitungen der Nachweispflicht, soweit sie behinderte Menschen betreuen und soweit ihr Arbeitgeber Leistungen zur Teilhabe an Bildung nach § 112 SGB IX erbringt (Ziffer 16, S. 14). Die bekannte Begründung zu den "vulnerablen Personen" enthält keinen Hinweis auf zu betreuende Kinder ohne Risiko-Eigenschaften; das Gesetz ist nach wie vor nicht gut begründet.

Das Schreiben erklärt an anderer Stelle, dass die "öffentlich-rechtliche Vorschrift des § 20a IfSG [...] kein Recht des Arbeitgebers auf Freistellung [begründet]." Und weiter heißt es, dass erst mit der Anordung des Gesundheitsamtes über ein Tätigkeits- und Betretungsverbot, der Vergütungsanspruch "in der Regel" entfällt (Ziffer 27, S. 21 f.). 

Was ebenfalls noch fehlt, ist eine Erklärung, in welchem zeitlichen Rahmen die Prüfung durch das Gesundheitsamt stattfinden muss. Erwarten sollte man, dass das Gesundheitsamt unverzüglich mit der Arbeit beginnt und dies den Betroffenen bestätigt -- unverzüglich heißt: innerhalb weniger Tage.

+++ Nachtrag vom 21.3.2022 +++

Für die erfolgreiche Meldung an das Gesundheitsamt ist der Arbeitgeber verantwortlich. Geht die Meldung aufgrund eines technischen oder sonstigen Fehlers beim Gesundheitsamt nicht ein, muss der meldende Arbeitgeber beweisen, dass er unverzüglich gehandelt und die Meldung überbracht hat (Bring-Schuld).  

Pikant wird es, wenn der Arbeitgeber glaubt, er hat gemeldet und der gemeldete Arbeitnehmer wurde von ihm ohne Bezüge freigestellt. 

+++

 

Eine andere Sicht auf die Dinge nehmen

Mit den neuen Bestimmungen soll der Schutz von „vulnerablen Personen“, also Menschen, die mit dem hohen Risiko eines schweren Krankheitsverlaufs bei Ansteckung mit dem Corona-Virus leben müssten, verbessert werden. Gerade dann, wenn körpernahe Leistungen erbracht werden, kann einem isoliert lebenden Hochbetagten und Pflegebedürftigen über einen Beschäftigten des Leistungserbringers eine todbringende Infektion beigebracht werden. Der Gesetzgeber erkannte deswegen einen Schutzauftrag, der mit dem neuen Gesetz umgesetzt wurde.

In der Schulbegleitung geschieht die Leistungserbringung im engen und direkten Kontakt, häufig über eine längere Zeit und in geschlossenen Räumen. Nicht immer handelt es sich dabei um eine Leistung an pflegebedürftige Kinder oder solche, die eine Vorerkrankung aufweisen. Von einem „vulnerablen Personenkreis“ in diesem Moment zu sprechen, könnte also ein wenig weit ausgeholt sein. Und selbst bei psychisch-seelisch behinderten Kindern ist das Gefährdungspotential an diesem Punkt nicht so hoch. Es kommt halt auf den Einzelfall an.  

Das schleswig-holsteinische Sozialministerium hat in einem Schreiben vom 4.3.2022 ebenfalls zu dieser Erkenntnis gefunden und erklärte sogar, dass „das Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf bei Kindern und Jugendlichen eher gering“ ist (Punkt 2 in Ziffer 2, Seite 3). Kinder und Jugendliche können somit nicht mit den vulnerablen Gruppen, wie die Hochbetagten und Pflegebedürftigen, gleichgesetzt werden (vgl. ersten Absatz des Schreibens, Seite 1).

Daraus folgt, dass zwar ein Arbeitgeber seine Beschäftigten bei einem ungenügenden Nachweis an das Gesundheitsamt meldet, aber weil keine Risikogruppen betroffen sind, sollte sich das weitere Verfahren automatisch erledigen.

 

Eine übertriebene Sicht auf die Dinge nehmen

In den Auslegungshinweisen des BMG werden Kinder und Jugendlichen dagegen einfach pauschal und unbegründet dem vulnerablen Personenkreis zugerechnet (vgl. Seite 11, FAQs des BMG zu § 20a IfSG, Stand 22.2.2022; siehe auch die Notizen weiter unten). Vermutlich hatte man dort noch in Erinnerung, dass das RKI die Teilhabe von Kindern und Jugendlichen am „Transmissionsgeschehen“ wie bei allen anderen gesellschaftlichen Gruppen ansieht (Ziffer 17 im RKI-Steckbrief, letzter Quellenabruf am 17.3.2022). Koppelt man dies mit dem Kinder- und Jugendschutz, ist der Einbezug durchaus verständlich.

Immer wieder stellte sich nun die Frage, inwiefern ein Arbeitgeber seine Beschäftigten vom direkten Kontakt entfernen soll, bevor das Gesundheitsamt eine Entscheidung treffen würde. Die öffentliche Seite wiederholte dabei immer wieder, dass das Entfernen vom leistungsberechtigten Menschen empfohlen wird, aber die Entscheidungsgewalt dem Arbeitgeber allein zusteht. Das Gesundheitsamt prüft die Meldungen des Arbeitgebers und nimmt anschließend die Einzelfallprüfung auf. Bis zum Verfahrensende können „Bestandskräfte“ jedoch weiterbeschäftigt werden, so die klare Ansage (vgl. erster Absatz in Ziffer 2, Seite 2 des Schreibens).

Dieser Frage kann man sich nicht aus der Sicht des Arbeitnehmers nähern. Natürlich berührt es die Interesse des leistungsberechtigten Schulkindes, und in etwa auch die des Leistungsträgers. Aber die Entscheidung trifft der Arbeitgeber alleine, so dass aus dessen Blickwinkel nach einer Klärung gesucht werden sollte.

 

Warum schon jetzt Beschäftigte freistellen ohne Bezüge?

Eine Freistellung würde an sich bedeuten, dass die Leistungserbringung durch die beschäftigte Person nicht mehr vereinbarungsgemäß vonstattengeht oder ein besonderes Qualifikationsmerkmal gem. der gesetzlichen oder vertraglichen Bestimmungen in Bezug auf die sozialen Hilfen verloren gegangen ist.

Durch die Einfügung des § 20a IfSG wird einem ansonsten qualifizierten Arbeitnehmer der Impfschutz oder dergleichen als Merkmal zugewiesen; das wäre in etwa vergleichbar mit einer Assistenzkraft, die im Wege einer Fortbildung anstelle einer qualifizierten Assistenzfachkraft eingesetzt werden soll, und die dann zur Fachkraftquote genommen wird. Ein Leistungserbringer würde ein Anerkennungsverfahren beim Leistungsträger beantragen und eine begründete Stellungnahme einreichen. Erkennt der Leistungsträger den Fachkraftstatus nicht an, muss die beschäftigte Person anderweitig eingesetzt werden oder der Arbeitgeber kündigt den Vertrag.

Wenn der Arbeitsvertrag nicht gekündigt wurde, bleibt der Anspruch auf Gehaltszahlungen bestehen. Gegenteilige Gründe, die ein Unterlassen seitens des Arbeitgebers rechtfertigen, müssten dann vorhanden sein. Passierte das noch nicht, wird sich der Arbeitgeber sehr fahrlässig verhalten. Gegenteilige Gründe könnten dann zu finden sein, wenn das schulbegleitete Kind zu einer Risikogruppe gehört und in der Verweigerungshaltung des Arbeitnehmers eine hohe Gefährdung liegt. Das könnte zu einer verhaltensbedingten Kündigung des Arbeitsverhältnisses führen.

Denkt man das Ganze jetzt weiter, stellt sich unweigerlich die Frage, was passiert, wenn das Gesundheitsamt nach Verfahrensende kein Betretungs- und Tätigkeitsverbot anordnet? – die Freistellung ohne Bezüge wäre demnach ungerechtfertigt gewesen und könnte nachgefordert werden. Stünden vereinnahmte Entgelte aus der Leistungserbringung in gleichem Maße zur Verfügung (Anwalts- und Gerichtskosten mal außen vor gelassen)?

Könnte es sogar dazu kommen, dass ein Leistungserbringer seine Leistungen bei dem einen Kind einstellt, weil keine stellvertretenden Fachkräfte vorhanden sind? Und kann man von dem Kind verlangen, dass es sich an eine neue Begleitungskraft schnell mal eben gewöhnt?

Es hat bereits im eigenen Umfeld einen Fall gegeben, wo eine Freistellung ohne Bezüge ausgesprochen wurde. Wie es sich weiterentwickeln wird, ist sehr fraglich. Weil es keine Gefährdung (und somit das Risiko der unternehmerischen Haftung) oder Schlechtleistung in der Vergangenheit gegeben hat, ist diese Entscheidung von daher nicht verständlich. Man wird sehen müssen.

CGS

 

 

Quellenangaben finden sich oben im Text.

 

Notizen:

1.

Die Verwendung des Begriffs des vulnerablen Personenkreises stützt sich in den FAQs zu § 20a IfSG des BMG auf zwei Sub-Gruppen:

(a)

 „Insbesondere hochbetagte Menschen, pflegebedürftige Menschen und Personen mit akuten oder chronischen Grundkrankheiten haben ein deutlich erhöhtes Risiko für schwere, ggf. auch tödliche COVID-19 Krankheitsverläufe (vulnerable Personengruppen).“ (Seite 1, FAQs des BMG zu § 20a IfSG, Stand 22.2.2022).

(b)

„Da zu den besonders zu schützenden vulnerablen Personengruppen auch Personen mit psychiatrischen Erkrankungen (vgl. Stufe 3 des Stufenplans der STIKO zur Priorisierung der COVID-19-Impfung) sowie auch Personen mit psychischen Behinderungen gehören, sind grundsätzlich auch solche Einrichtungen erfasst, in denen Kinder und Jugendliche mit seelischen Behinderungen, die Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII erhalten, gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen ohne Behinderungen, die Hilfe zur Erziehung (z.B. nach §§ 27, 34 SGB VIII) erhalten, betreut werden und untergebracht sind.“ (Seite 11, a.a.O.).

Das „sind grundsätzlich“ schließt nun pauschal auch Kinder und Jugendliche ohne psychiatrische Erkrankungen und psychische Behinderungen ein. Ein solches Vorgehen missachtet die Maßgaben der Einzelfallprüfung aus Abs. 5 des Gesetzes. Diese Maßgaben beziehen sich zwar auf den nachweispflichtigen Mitarbeitenden, trotzdem muss die Risikoabwägung von den gleichen Erfordernissen ausgehen – also die leistungsberechtigten Menschen nach ihrem Gesundheitsrisiko differenzieren.

Diese Differenzierung folgt in den Ausführungen des BMG den klassischen zwei Welten: psychiatrisch Erkrankten und psychisch-seelisch Behinderten. Die geistig behinderten Menschen würden an dieser Stelle fehlen, so dass sie demnach nicht (automatisch) den vulnerablen Gruppen zuzuordnen wären.

2.

Das MSGFJS hat in seinem Schreiben vom 4.3.2022 dagegen auf folgendes hingewiesen:

„Neben personenbezogenen Gründen (z.B. geplante oder beabsichtigte Impfungen der betroffenen Personen) soll hierbei insbesondere für die betroffenen Einrichtungen der Jugendhilfe berücksichtigt werden, dass die betreuten Kinder und Jugendlichen in der Regel nicht zu einer vulnerablen Gruppe zählen. So ist das Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf bei Kindern und Jugendlichen eher gering.“

(a)

Bei dem o.g. Verweis „personenbezogenen Gründen“ bezieht man sich auf die leistungserbringenden Beschäftigten. Gerade aber dieser Verweis zeigt, dass auch nicht-personenbezogene Gründe, also solche, die unmittelbar in der Person des Beschäftigten liegen, hinzugenommen werden sollen bei der Ermessensentscheidung.

(b)

Andere Gründe können solche sein, die mit der Einrichtung selbst zu tun haben, zum Beispiel organisatorische und wirtschaftliche Erwägungen, oder im Zweck der Leistungserbringung selber liegen, zum Beispiel ist der Klient nur in der Zusammenarbeit mit der einen Begleitungskraft kooperativ.

3.

Das RKI sieht Kinder und Jugendliche nicht als Risikogruppe, obwohl sie am Transmissionsgeschehen durchaus teilnehmen:

https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikogruppen.html

Menschen mit Down-Syndrom (Trisomie 21) gehören zur Risikogruppe mit schweren Verläufen.

https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html

 

 

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