Während vier große Leistungserbringer in Hamburg eine
Rahmenvereinbarung mit Trägerbudget unterzeichnet haben, müssen sich die
vielen, kleineren Leistungserbringer an einem neuen, zeitbasierten Leistungs-
und Vergütungssystem beteiligen. Täten sie es nicht, müssten sie mit einer
Kündigung der Leistungsvereinbarung rechnen, und dann würden sie an zukünftigen
Beschlüssen der Vertragskommission zum
Landesrahmenvertrag (VK) zu Vergütungssteigerungen nicht teilnehmen (so
zumindest die Sorge).
Schon jetzt steht fest, dass die Einführung zu einer
enormen Umverteilung von Geldern führen wird, wobei noch längst nicht alle
Einzelheiten klar sind. Die Verhandlungen auf der Ebene der Verbände sind abgeschlossen,
nun sind die Träger der Einrichtungen gefordert.
Herzstück des neuen Systems ist das zeitbasierte
Kalkulationsverfahren, wobei die Einführung eines Stundensatzes (pro Träger)
eine eher untergeordnete Rolle spielt. Die beiden wesentlichsten Ziele, die mit
dem neuen System verfolgt werden, sind die Einhaltung von Haushaltsvorgaben der
Stadt (d.h. das zu verteilende Budget) und die Sicherung der Betreuungsleistung
(d.h. die im Einsatz befindlichen Stellen für das Betreuungspersonal).
Umstellung des bisherigen Vergütungssystems von Tages-
auf Stundensätze
Im bisherigen Vergütungssystem errechnete man aus der
Platzkapazität, einem Auslastungsgrad und der Kalendertage im Jahr (unter
Berücksichtigung einer Anpassung für Schaltjahre) einen Divisor. In jedem
errechneten Divisor steckte somit im Kern der Operand „365,25“ (entsprechend
der Formel: (365 + 365 + 365 + 366) / 4) für Kalendertage im Jahr.
Im neuen System geht dies natürlich nicht. Man verwendet
stattdessen eine Größe, die man schon in früheren Verhandlungen zwischen den
Verbänden der Leistungserbringer und der Stadt Hamburg als Leistungsträger zu
stundenbasierten Leistungen im ambulanten Bereich verhandelt hatte: die
Nettojahresarbeitszeit (NJAZ) einer Vollzeit-Betreuungskraft ausgedrückt in Stunden
per annum (vgl. VK-Beschluss vom 15.6.2007).
Bei der NJAZ handelt es sich um eine stundenbasierte
Größe, welche die Wochenarbeitszeit einer Vollzeitkraft hochrechnet auf ein
Jahr und dabei berufsspezifische Minder- und typische Ausfallzeiten, wie z.B.
Urlaube, Feiertage und Krankheitsabwesenheiten, berücksichtigt. Ausgangsgröße
für die Ermittlung der NJAZ ist dabei die Bruttoarbeitszeit, welche sich aus
der tariflichen Wochenarbeitszeit einer Vollzeitkraft, ausgedrückt in z.B. 40-
oder 38,5-Stunden-Woche, hochrechnen lässt. Anschließend werden die tariflichen
und gesetzlichen Minderzeiten davon in Abzug gebracht und eine angemessene
Ausfallzeit wg. Arbeitsunfähigkeit berücksichtigt.
Die Kommunale Gemeinschaftsstelle für
Verwaltungsmanagement (www.kgst.de) wird z.B.
mit einer NJAZ von 1.574 Stunden in einigen Unterlagen mit Hinweis auf die KGSt-Berichte
7/98, 8/2001 und 6/2002 zitiert, wobei es sich um die „bereinigte Arbeitszeit
einer Normalarbeitskraft“ handeln soll. Für die eigenen Zwecke hatte das Land
Nordrhein-Westfalen im (Landes-) Rahmenvertrag von 2003 diesen Wert noch einmal
um 10 % reduziert für berufsspezifische Minderzeiten; allerdings handelt es
sich hierbei um nicht-klientenbezogene, also indirekte Leistungszeiten, die im
Hamburger Vergütungsmodell in der Fachleistung wiederum enthalten sind. Davon
abgesehen muss man auch berücksichtigen, dass es regionale Unterschiede bei den
Feiertagen und nicht zuletzt tarifvertragliche Besonderheiten gibt, welche die
NJAZ deutlich verändern können.
Nach einem Beschluss der VK in Hamburg vom 15.6.2007
werden grundsätzlich 1.629,80 Stunden auf Basis der 39-Stunden-Woche als NJAZ
anerkannt. Darin enthalten sind 42,94 Ausfalltage bzw. 17,05 % Ausfallquote.
Bei einer 38,5-Stunden-Woche gelangt man dagegen zu einer NJAZ von 1.608,50
Stunden. Angeblich sei diese nicht mehr vereinbarungsfähig, aber das kann auch
daran liegen, dass die entsprechenden Nachweise der Sozialbehörde noch
vorzulegen sind. Einen solchen Nachweis bietet in erster Linie der Tarifvertrag
an, entsprechende aussagekräftige, nachvollziehbare Statistiken können hier
unterstützend wirken.
Übrigens sind Platzkapazität und Auslastungsgrad mit dem
neuen Vergütungssystem kein Thema mehr. Wer in der seinerzeitigen Datenerhebung
eine Unterauslastung mitgeteilt hatte oder, noch schlimmer, im Vertrauen auf
mögliche Neuzugänge einen höheren Personalstand meldete, für den ist der
Auslastungsgrad jetzt ein Thema. Ein Ansatzpunkt könnte hier die Vereinbarung über
das anstehende Verfahren zwischen den Leistungserbringern und dem
Leistungsträger sein. Wenn wesentliche Abweichungen zwischen den seinerzeit
gemeldeten Daten und dem aktuellen Stand bestehen, könnte eine Berücksichtigung
in gewisser Weise stattfinden. Zu Gute sollte kommen, dass die „Wesentlichkeit“
im letzten VK-Beschluss aus 2014 nicht weiter definiert worden war.
Einhaltung von Haushaltsvorgaben
Das zweite Ziel, die Einhaltung der Haushaltsvorgaben,
machte es erforderlich, dass vom Leistungsträger zuallererst einmal in
Erfahrung gebracht werden musste, wie hoch das bisherige Budget für diesen
Leistungsbereich ausfiel – aufgeteilt in die Kategorien: Personalkosten pro
Vollzeitstelle, Lebensmittel und Sachkosten. Im Jahr 2013 fand eine erste
Datenerhebung statt. Da allerdings einige Träger von Einrichtungen, sich
schlichtweg weigerten ihre Daten offenzulegen, und viele andere die
Fragestellungen missverstanden, erbrachte die Auswertung keine klaren
Antworten. Stattdessen zeigten sich eklatante Unterschiede. Mit einer erneuten
Datenerhebung zum Stichtag 1.1.2014 sollte von daher die Grundlage für das neue
Kalkulationsverfahren gelegt werden.
Weil der entsprechende Haushaltstitel die „Deckelung“
ausmachte und auf keinen Fall überschritten werden durfte, mussten sich alle
anderen Positionen dem unterordnen. Das machte es wiederum erforderlich, dass
eine Leistungsposition (oder Kategorie innerhalb des Budgets, sozusagen) je
nach Verhandlungsfortschritt anzupassen war.
Statt die Formel „ax + b = c“ zu schreiben (mit „c“ für
Gesamtbudget), drehte man einfach die Formel um und löste nach „b“ auf.
Egal was die weiteren Verhandlungen erbringen würden, z.B.
Versuche von Leistungsausweitungen, der Haushalt würde niemals überschritten
werden können. Solche Versuche gab es, liefen aber systembedingt ins Leere;
besonders ein Versuch in der sprichwörtlich letzten Minute scheiterte kläglich.
Sicherung der Betreuungsleistung
Das dritte Ziel, nämlich die Sicherung der
Betreuungsleistung, ist die sprichwörtliche Krönung des neuen Leistungs- und
Vergütungssystems. Denn durch die höchstrichterliche Vorgabe, dass
Tarifverträge als „wirtschaftlich und sparsam“ anzusehen sind, hätte in
zukünftigen Schiedsstellen- und Sozialgerichtsverfahren bei einigen Trägern von
Einrichtungen eine Anhebung der Vergütungen um zweistellige Prozentsätze
stattfinden müssen. Von daher musste das neue System diesem Umstand Rechnung
tragen.
Dadurch, dass man frühzeitig die Anzahl der Stellen und
die durchschnittlichen Personalkosten pro Vollzeitstelle kannte, konnte man den
Trägern zusichern, dass die Stellen für das Betreuungspersonal wie auch die
darauf entfallenden Personalkosten im neuen Vergütungssystem refinanziert
werden würden. Für alle übrigen Stellen, wie z.B. die Verwaltungskräfte, gab es
eine solche Zusicherung nicht. Indem man die bekannten Stellen mit den
jeweiligen Personalkosten hochrechnete zu einem Personalkostenbudget (innerhalb
des Gesamtbudgets), musste man nur noch den Rest „wie auch immer“ verteilen.
Der Rest teilte sich dann weiter auf in einen Anteil für
die Lebenshaltungskosten der einzelnen Bewohner in stationären Einrichtungen
(d.h. Regelbedarfsstufe 3 und Betriebskosten-Warm), damit auch die Bedürfnisse
der leistungsberechtigten Menschen abgedeckt waren, sowie einen Anteil für die
sonstigen Personal-, Verwaltungs- und Sachkosten. Dass es gerade bei letztem
Punkt zu teilweise herben Einschnitten bei den Leistungserbringern gekommen
ist, kann als Opfer angesehen werden.
Aufgrund dieser Differenzierung haben diejenigen
Leistungserbringer einen Vorteil, deren Personalkosten beispielsweise unterhalb
des Durchschnitts aller Einrichtungen innerhalb eines Tarifes liegen. Die
teuren Träger müssen zusehen, dass sie ihr Personal fluktuieren lassen, die Fachkraftquote
abbauen oder sogar Stellen abbauen. Doch gerade letzter Punkt lässt sich nur
unter Beachtung des notwendigen Stundenkontingents aus der Summe der
Stundebemessung pro Leistungsstufe und der jeweiligen Belegung umsetzen.
Die Stundenbemessung pro Leistungsstufe erfolgte nicht
aufgrund einer analytischen, statistischen oder bedarfsorientierten Maßnahme,
sondern rein aus kalkulatorischen Gründen. Die am Stichtag 1.1.2014 erhobenen
Belegungsdaten wurden quasi 1:1 umgesetzt in Leistungsstufen – Ausnahme: HEG 1
/ HBG 1 werden nunmehr „zwangsambulantisiert“. Mit den bekannten Stellen und
der festgelegten NJAZ (siehe oben) wurde ein Stundenkontingent ermittelt,
welches sich dann im Wege einer händischen Verteilung um die mittlere
Leistungsstufe 2 (vormals HEG 3 / HBG 3) verteilte. Am Ende der Verteilung gab
es nur noch kleine Reste an nicht verteilten Stunden oder ein leichter
Überhang.
Da Stunden faktisch gleichzusetzen sind mit Stellen für
das Betreuungspersonal, ist in der Gesamtschau die Betreuungsleistung gesichert
– denn es wird weder an den Personalkosten noch an den Stellen gespart!
Dass die Ergebnisqualität trotzdem leiden wird, hängt
damit zusammen, dass diese Verteilung für alle Leistungserbringer gleich ist. Früher
gab es noch genau definierte Stellen pro Einrichtung, manchmal sogar ein
Stellenschlüssel. Doch mit dem neuen System werden trägerseitige Unterschiede
abgeschafft. Rechnerisch ergibt sich aufgrund der gemeldeten
Leistungsberechtigten und Stellen in den Einrichtungen ein Stellenschlüssel von
1:1,7 – es gibt Träger, die noch einen besseren Stellenschlüssel aus früheren
Jahren im Einsatz hatten (d.h. niedriger als 1,7), so dass diese Personal und
ggf. sogar Strukturen abbauen müssen. Für die Bewohner solcher Träger bedeutet es subjektiv eine Verschlechterung der Betreuungsqualität.
Fazit
Das neue zeitbasierte Kalkulationsverfahren wird
Änderungen bedingen. Es gibt Träger von Einrichtungen, die mit erheblichen
Fehlbeträgen rechnen müssen. Doch weil es sich um eine Verteilung um einen
Durchschnitt handelt, gibt es auch Gewinner. Ob diese nun Stellen aufstocken
werden, welche die anderen abgeben müssen – das wird man sehen. Die Erfahrung
mit solchen Situationen lehrt, dass solche materiellen Umverteilungen eher zu
einem Abbau von Strukturen und Gewinnmitnahmen führen.
Man darf auch gespannt sein, wen es wie (hart) treffen
wird. Meine Vermutung ist die, dass besonders die kleinen und bislang
günstigsten Träger schwer getroffen werden. Die großen und etwas größeren
Träger, also nicht nur diejenigen mit den Rahmenvereinbarungen, werden sich,
wenn sie sich nicht vorab schon gut positioniert haben, in den kommenden Jahren
einem Strukturwandel unterziehen. Hierzu wäre es dann hilfreich, wenn die
bisherigen Differenzierungen zwischen den unterschiedlichsten
Leistungsbereichen (d.h. PBW, AWG und Stationäres Wohnen) aufgegeben werden.
Aufgrund einer noch zu vereinbarenden trägerindividuellen
Übergangs- bzw. Konvergenzphase könnte einige Träger, besonders diejenigen, die
den „Geber-Status“ innehaben, versucht sein, zu fusionieren. Sogenannte
Trägerkooperativen / Trägergenossenschaften hat es schon in anderen
Bundesländern gegeben, doch solche Modelle gelingen meines Erachtens nur, wenn
Synergieeffekte erzielt werden können (z.B. gemeinsame Verwaltungsstrukturen).
Nicht zuletzt stellt sich die Frage, ob es
Leistungserbringer geben wird, die zu keinem Ergebnis in den Verhandlungen
kommen. Würde die Behörde tatsächlich Leistungsvereinbarungen kündigen?
Was planen die Verbände der Leistungserbringer? Gibt es
noch in den kommenden Monaten eine Anhebung der Grund- und Maßnahmepauschalen?
Oder wird man die Berechnungsgrundlagen, z.B. die durchschnittlichen
Personalkosten oder die Pauschale für Sonstiges Personal & Sachkosten
anheben?
Viele Fragen! Für den Moment scheint die Strategie der
Stadt Hamburg aufzugehen: Umstellung auf ein stundenbasiertes System,
Einhaltung von Haushaltsvorgaben und Sicherung der Betreuungsleistungen.
Damit erfüllt sich der Grundsatz: Alle im System
befindlichen Stellen zum Umstellungszeitpunkt, werden erhalten bleiben. Kein
Qualitätsverlust in der Betreuung, oder?!
CGS