Man verhandelt
wieder in Schleswig-Holstein über einen neuen Landesrahmenvertrag zu Leistungen
der Eingliederungshilfe. Anfang des Jahres 2024 hatte man schon einige
Fortschritte erreicht, bis es vermutlich aufgrund von Urlaub und Feiertagen zu
einem Stillstand kam.
Ein
Stillhalteabkommen wurde allerdings vereinbart, damit es ungestört weitergehen
konnte. Doch was die Sache ein wenig auf den Tisch bringt, sind Äußerungen von
Verhandlern der Leistungsträger, insbesondere die Stadt Kiel und die
Koordinierungsstelle soziale Hilfen (KOSOZ). Behauptet wird, dass es in einigen
entscheidenden Punkten bereits Einigkeit gibt und man von dieser
Schlechterstellung für die Leistungserbringer nicht abrücken kann.
Interessanterweise
gab es vor einigen Jahren eine Feststellung des Landesrechnungshofs von
Schleswig-Holstein zu den neuen Steuerungsmöglichkeiten, die aber nicht die „prognostizierte
Effizienzrendite” erzielt haben. Geht es also doch nur um das Einsparen von
Geldern? Wird die Landesverordnung wieder aufleben?
Was bisher geschah
Zurzeit verhandeln im Bundesland Schleswig-Holstein die
Vertragsparteien einen neuen Landesrahmenvertrag nach § 131 SGB IX zu
Leistungen der Eingliederungshilfe. Interessenvertretungen für die Belange der
Menschen mit Einschränkungen, die davon betroffen sind, sind ebenfalls dabei.
Die bisher geltende Version wurde am 12.8.2019 noch vor Inkrafttreten des
Bundesteilhabegesetzes (BTHG) unterzeichnet. Der Landesrahmenvertrag (auch
einfach nur Rahmenvertrag oder LRV) regelt die Ziele und Inhalte orientiert am Übereinkommen
über die Rechte von Menschen mit Behinderungen der Vereinten Nationen (UN-BRK).
Am 1.1.2022 trat zudem die Landesverordnung über Inhalte des
Rahmenvertrags nach § 131 SGB IX zur
Erbringung von Leistungen der Eingliederungshilfe in Schleswig-Holstein
(LandVO) in Kraft, die aber nur bis zum 31.12.2023 befristet war und zudem von
Verbänden gerichtlich angegangen wurde – die Verfahren laufen übrigens noch.
Weil die LandVO einige Kürzungen sowie ähnliche Ergänzungen bereithielt,
sehen nun viele Leistungserbringer die aktuellen Verhandlungen mit großer
Skepsis und Sorge. Und tatsächlich berichten die, die sich gerade in
Verhandlungen über ihre Leistung befinden, über Behauptungen der Gegenseite,
wesentliche Bestandteile des neuen LRV seien schon geeint.
Die Sorge ist nicht ganz unbegründet, wie man gleich sieht.
Was jedoch diese Behauptungen angeht, die da so “kursieren”, stellt sich die
Frage, wie überhaupt verhandelt wird – von beiden Seiten.
Was der Landesrechnungshof so denkt
Der Landesrechnungshof hatte vor einiger Zeit für den
Bereich der Eingliederungshilfe in Schleswig-Holstein festgestellt, dass die im
Bundesteilhabegesetz “verbesserten Steuerungsmöglichkeiten […] nicht zu der
prognostizierten Effizienzrendite” geführt haben (Bemerkungen mit Bericht zur
Landeshaushaltsrechnung 2021, vom 9.5.2023, Nr. 28.1, S. 222).
Dieser Begriff zur Effizienzrendite entstammt einer Gegenäußerung
der Bundesregierung vom 10.10.2016 zu den Änderungsempfehlungen des Bundesrates
vom 23.9.2016. Seinen Ursprung hat dieser Begriff in der interkommunalen
Zusammenarbeit von Gemeinden und Kreisen, die nach effizienten Lösungen suchen,
um Aufgaben gemeinsam zu erfüllen wie auch Kosten zu senken. Die gefundenen Lösungen
werden als Instrumente einer Steuerung verstanden, die einen wirtschaftlichen
Erfolg bescheren und somit zu einer Rendite führen (Erfolg geteilt durch Kosten
minus 1 = Rendite).
In einem Beitrag aus dem Jahr 2017 vom Diskussions-Forum
Rehabilitations- und Teilhaberecht beim DVfR hinterfragte man, “ob im
Zusammenhang mit der Betreuung von Menschen … von ‘Effizienz’ und ‘Rendite’
gesprochen werden darf.” (Seite 5). Es wird daneben noch hinzugefügt, dass “dieser
Passus [aus der vorgenannten Gegenäußerung; eig. Anmerkung] die Prioritäten im
BTHG” zeigt. Mit Steuerungsfähigkeit wird anscheinend nicht nur die “Verweigerung
von Hilfe” gemeint sein, sondern wohl auch die “Umsteuerung in andere
Hilfesysteme” der sozialen Leistungsgesetze (im Beitrag, S. 5: Bremer, 2016, S.
1 f.).
Die Erwartungshaltungen des Landesrechnungshofes offenbaren,
dass mit dem BTHG statt der Teilhaberechte der Menschen viel eher die
Kassenlagen der Kommunen gestärkt werden sollten. Die Instrumente, die zur “Kostendämpfung”
eingeführt wurden, betreffen die Einführung einer Wirkungskontrolle im
Gesamtplan (Nr. 28.2, S. 223), die Möglichkeiten einer Vergütungskürzung (Nr.
28.3, S. 224) sowie den externen Vergleich (Nr. 28.4, S. 226). Insgesamt
schafften es diese Instrumente nicht, “die bestehende Ausgabendynamik in der
Eingliederungshilfe zu bremsen” (Nr. 28.5, S. 227).
Was die Leistungserbringer denken
Wenn in den Verhandlungen zu einer neuen Leistungs- und Vergütungsvereinbarung
Behauptungen aufgestellt werden, die einfach falsch sind, stört so etwas ganz
enorm. Wenn zudem die Seite mit den falschen Behauptungen darauf beharrt und
man somit zum Stillstand kommt, werden die Verhandlungen damit effektiv
behindert. Was tun, fragen sich die betroffenen Leistungserbringer?
·
Klarstellen, dass es so nicht weitergeht und
gleichzeitig anbieten, diesen (hoffentlich nur einen) Punkt der Unstimmigkeit
ans Ende zu verlegen.
·
Beweise verlangen und, wenn es geht, einen
Gegenbeweis liefern. Vielleicht liegt ein Missverständnis vor, das zuerst
einmal beseitigt werden muss. Fakten stützen die weitere Diskussion.
·
Die Schiedsstelle wäre ebenfalls eine Möglichkeit,
um eine Klärung zu erreichen. Selbst wenn es viel Arbeit bereitet, reicht es
hin und wieder, wenn man seinem Gegenüber glaubhaft den weiteren Gang der Dinge
beschreibt.
Solange ein Landesrahmenvertrag nicht unterschrieben wurde,
kann sich keine Seite auf angebliche Neuerungen stützen. Zum Beispiel sind die
Personalbemessungen weiterhin offen und werden voraussichtlich erst ganz zum
Schluss wirklich geeint sein, obwohl man andererseits schon eine Richtgröße mit
P-Schlüsseln von 1:48 für Leitung sowie 1:42 für mittelbare Leistungen
besprochen hat. Bis dahin wird allerdings einiges zu klären sein, wie
beispielsweise diese Sache mit dem Wagniszuschlag, die keinesfalls durch eine
Auslastungsquote substituiert werden kann, so eine Erkenntnis vom Februar 2024.
Die Lenkungsgruppe “4 + 4 + 2” hat aber ein
Stillhalteabkommen vereinbart, so dass eigentlich gar nichts bekannt sein
sollte. Was bislang bekannt ist, ist ein erster Entwurf vom Anfang des Jahres
2024 – also schon wieder fünf Monate alt. Und was auch für alle Beteiligten
klar ist: Das, was jetzt schon geeinigt ist, wird erst mit der letzten
Unterschrift verbindlich und wirksam.
Da gibt es dennoch einen Text, der wohl zu Rückfragen geführt
haben soll. Die Lenkungsgruppe hat anscheinend eine neue Kündigungsklausel
entworfen, die die Möglichkeit von Teilkündigungen bis hin zum völligen Außerkraftsetzen
des Rahmenvertrags vorsieht. Kritisch gesehen werden dabei diese Teilkündigungen,
die vielleicht einen Bestandteil des LRV betreffen, allerdings das Gesamtwerk
weiterhin bestehen lassen – vergleichbar mit einer Salvatorischen Klausel.
Wenn es dann jedoch in einem gesetzten Zeitraum keine Lösung
gibt, müsste dann nicht der gesamte LRV gekündigt werden von der Seite, die
unzufrieden damit ist? Die Regelung aus dem bisherigen Rahmenvertrag würde eine
Fortgeltung bis zum Abschluss eines neuen LRV sichern, um vor einem
vertragslosen Zustand beide Seiten zu bewahren. Aber nun heißt es doch tatsächlich
im Text, dass der LRV außer Kraft gesetzt ist – und darin sehen einige
Beteiligte das Wiederaufleben einer LandVO-Version 2.
CGS
Quelle:
Deutsche Vereinigung für Rehabilitation DVfR
Fachbeitrag D44-2017 vom 5.10.2017
Von Christian Janßen (Dipl. Psych. PP)
letzter Aufruf 7.6.2024
Beitrag vom 11.12.2021: Was in der Landesverordnung von
Schleswig-Holstein zu finden ist
Beitrag vom 15.12.2021: Was in der Landesverordnung von Schleswig-Holstein zu finden ist – Nachtrag
Notizen:
Der
Schleswig-Holsteinische Landkreistag teilt die Feststellung des LRH, dass das
Bundesteilhabegesetz objektiv kein „Spargesetz“ ist, sondern die Rechte und
Versorgung der Menschen mit Behinderung - mit den entsprechenden Kostenfolgen -
stärkt. Aus fachlicher Sicht würde dies dem Grunde nach begrüßt. Die Regelungen
des BTHG würden nicht nur keine Effizienzrendite, sondern vielmehr eine nicht
unwesentliche Ausgabensteigerung zur Folge haben. Die Schaffung neuer
Leistungstatbestände, die Ausweitung bestehender Leistungsangebote, die
erhebliche Erweiterung des Teilhabe- und Gesamtplanverfahrens und der eingeschränkten
Heranziehung von Einkommen und Vermögen von Leistungsberechtigten würden zu
Mehrausgaben führen. Der Schleswig-Holsteinische Landkreistag und der Deutsche
Landkreistag hätten von Beginn der Überlegungen zur Implementierung des BTHG an
darauf hingewiesen.
Zudem teilt er die
Hinweise des LRH zu den gesetzlichen und vertraglichen
Regelungsnotwendigkeiten, insbesondere an der Schnittstelle zwischen
Eingliederungshilfe und Pflege.
Der Städteverband
Schleswig-Holstein unterstützt das Ziel des BTHG, den Menschen mit Behinderung
eine bessere Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen. Dass dies
nicht ohne eine höhere Ausgabendynamik erfolgen könne, habe auch der Städteverband
frühzeitig befürchtet und kommuniziert. Er teile die vom LRH aufgezeigten finanziellen
Auswirkungen uneingeschränkt. Die Steuerungsinstrumente würden (bislang) nicht
die erhoffte Wirkung zeigen. Auch wenn die kreisfreien Städte alle ihnen zur
Verfügung stehenden Steuerungsinstrumente einsetzen würden, könnten sie die
Kostendynamik nicht stoppen.
(unbekannte Quelle)
Bild zum Beitrag eigene Aufnahme.
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