Mittwoch, 12. Juni 2024

Könnte die Landesverordnung wieder auferstehen?

 

Man verhandelt wieder in Schleswig-Holstein über einen neuen Landesrahmenvertrag zu Leistungen der Eingliederungshilfe. Anfang des Jahres 2024 hatte man schon einige Fortschritte erreicht, bis es vermutlich aufgrund von Urlaub und Feiertagen zu einem Stillstand kam.

Ein Stillhalteabkommen wurde allerdings vereinbart, damit es ungestört weitergehen konnte. Doch was die Sache ein wenig auf den Tisch bringt, sind Äußerungen von Verhandlern der Leistungsträger, insbesondere die Stadt Kiel und die Koordinierungsstelle soziale Hilfen (KOSOZ). Behauptet wird, dass es in einigen entscheidenden Punkten bereits Einigkeit gibt und man von dieser Schlechterstellung für die Leistungserbringer nicht abrücken kann.

Interessanterweise gab es vor einigen Jahren eine Feststellung des Landesrechnungshofs von Schleswig-Holstein zu den neuen Steuerungsmöglichkeiten, die aber nicht die „prognostizierte Effizienzrendite” erzielt haben. Geht es also doch nur um das Einsparen von Geldern? Wird die Landesverordnung wieder aufleben?

 

Was bisher geschah

Zurzeit verhandeln im Bundesland Schleswig-Holstein die Vertragsparteien einen neuen Landesrahmenvertrag nach § 131 SGB IX zu Leistungen der Eingliederungshilfe. Interessenvertretungen für die Belange der Menschen mit Einschränkungen, die davon betroffen sind, sind ebenfalls dabei. Die bisher geltende Version wurde am 12.8.2019 noch vor Inkrafttreten des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) unterzeichnet. Der Landesrahmenvertrag (auch einfach nur Rahmenvertrag oder LRV) regelt die Ziele und Inhalte orientiert am Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen der Vereinten Nationen (UN-BRK).

Am 1.1.2022 trat zudem die Landesverordnung über Inhalte des Rahmenvertrags nach § 131 SGB IX  zur Erbringung von Leistungen der Eingliederungshilfe in Schleswig-Holstein (LandVO) in Kraft, die aber nur bis zum 31.12.2023 befristet war und zudem von Verbänden gerichtlich angegangen wurde – die Verfahren laufen übrigens noch.

Weil die LandVO einige Kürzungen sowie ähnliche Ergänzungen bereithielt, sehen nun viele Leistungserbringer die aktuellen Verhandlungen mit großer Skepsis und Sorge. Und tatsächlich berichten die, die sich gerade in Verhandlungen über ihre Leistung befinden, über Behauptungen der Gegenseite, wesentliche Bestandteile des neuen LRV seien schon geeint.

Die Sorge ist nicht ganz unbegründet, wie man gleich sieht. Was jedoch diese Behauptungen angeht, die da so “kursieren”, stellt sich die Frage, wie überhaupt verhandelt wird – von beiden Seiten.

 

Was der Landesrechnungshof so denkt

Der Landesrechnungshof hatte vor einiger Zeit für den Bereich der Eingliederungshilfe in Schleswig-Holstein festgestellt, dass die im Bundesteilhabegesetz “verbesserten Steuerungsmöglichkeiten […] nicht zu der prognostizierten Effizienzrendite” geführt haben (Bemerkungen mit Bericht zur Landeshaushaltsrechnung 2021, vom 9.5.2023, Nr. 28.1, S. 222).

Dieser Begriff zur Effizienzrendite entstammt einer Gegenäußerung der Bundesregierung vom 10.10.2016 zu den Änderungsempfehlungen des Bundesrates vom 23.9.2016. Seinen Ursprung hat dieser Begriff in der interkommunalen Zusammenarbeit von Gemeinden und Kreisen, die nach effizienten Lösungen suchen, um Aufgaben gemeinsam zu erfüllen wie auch Kosten zu senken. Die gefundenen Lösungen werden als Instrumente einer Steuerung verstanden, die einen wirtschaftlichen Erfolg bescheren und somit zu einer Rendite führen (Erfolg geteilt durch Kosten minus 1 = Rendite).

In einem Beitrag aus dem Jahr 2017 vom Diskussions-Forum Rehabilitations- und Teilhaberecht beim DVfR hinterfragte man, “ob im Zusammenhang mit der Betreuung von Menschen … von ‘Effizienz’ und ‘Rendite’ gesprochen werden darf.” (Seite 5). Es wird daneben noch hinzugefügt, dass “dieser Passus [aus der vorgenannten Gegenäußerung; eig. Anmerkung] die Prioritäten im BTHG” zeigt. Mit Steuerungsfähigkeit wird anscheinend nicht nur die “Verweigerung von Hilfe” gemeint sein, sondern wohl auch die “Umsteuerung in andere Hilfesysteme” der sozialen Leistungsgesetze (im Beitrag, S. 5: Bremer, 2016, S. 1 f.).

Die Erwartungshaltungen des Landesrechnungshofes offenbaren, dass mit dem BTHG statt der Teilhaberechte der Menschen viel eher die Kassenlagen der Kommunen gestärkt werden sollten. Die Instrumente, die zur “Kostendämpfung” eingeführt wurden, betreffen die Einführung einer Wirkungskontrolle im Gesamtplan (Nr. 28.2, S. 223), die Möglichkeiten einer Vergütungskürzung (Nr. 28.3, S. 224) sowie den externen Vergleich (Nr. 28.4, S. 226). Insgesamt schafften es diese Instrumente nicht, “die bestehende Ausgabendynamik in der Eingliederungshilfe zu bremsen” (Nr. 28.5, S. 227).

 

Was die Leistungserbringer denken

Wenn in den Verhandlungen zu einer neuen Leistungs- und Vergütungsvereinbarung Behauptungen aufgestellt werden, die einfach falsch sind, stört so etwas ganz enorm. Wenn zudem die Seite mit den falschen Behauptungen darauf beharrt und man somit zum Stillstand kommt, werden die Verhandlungen damit effektiv behindert. Was tun, fragen sich die betroffenen Leistungserbringer?

·        Klarstellen, dass es so nicht weitergeht und gleichzeitig anbieten, diesen (hoffentlich nur einen) Punkt der Unstimmigkeit ans Ende zu verlegen.

·        Beweise verlangen und, wenn es geht, einen Gegenbeweis liefern. Vielleicht liegt ein Missverständnis vor, das zuerst einmal beseitigt werden muss. Fakten stützen die weitere Diskussion.

·        Die Schiedsstelle wäre ebenfalls eine Möglichkeit, um eine Klärung zu erreichen. Selbst wenn es viel Arbeit bereitet, reicht es hin und wieder, wenn man seinem Gegenüber glaubhaft den weiteren Gang der Dinge beschreibt. 

Solange ein Landesrahmenvertrag nicht unterschrieben wurde, kann sich keine Seite auf angebliche Neuerungen stützen. Zum Beispiel sind die Personalbemessungen weiterhin offen und werden voraussichtlich erst ganz zum Schluss wirklich geeint sein, obwohl man andererseits schon eine Richtgröße mit P-Schlüsseln von 1:48 für Leitung sowie 1:42 für mittelbare Leistungen besprochen hat. Bis dahin wird allerdings einiges zu klären sein, wie beispielsweise diese Sache mit dem Wagniszuschlag, die keinesfalls durch eine Auslastungsquote substituiert werden kann, so eine Erkenntnis vom Februar 2024.

Die Lenkungsgruppe “4 + 4 + 2” hat aber ein Stillhalteabkommen vereinbart, so dass eigentlich gar nichts bekannt sein sollte. Was bislang bekannt ist, ist ein erster Entwurf vom Anfang des Jahres 2024 – also schon wieder fünf Monate alt. Und was auch für alle Beteiligten klar ist: Das, was jetzt schon geeinigt ist, wird erst mit der letzten Unterschrift verbindlich und wirksam.

Da gibt es dennoch einen Text, der wohl zu Rückfragen geführt haben soll. Die Lenkungsgruppe hat anscheinend eine neue Kündigungsklausel entworfen, die die Möglichkeit von Teilkündigungen bis hin zum völligen Außerkraftsetzen des Rahmenvertrags vorsieht. Kritisch gesehen werden dabei diese Teilkündigungen, die vielleicht einen Bestandteil des LRV betreffen, allerdings das Gesamtwerk weiterhin bestehen lassen – vergleichbar mit einer Salvatorischen Klausel.

Wenn es dann jedoch in einem gesetzten Zeitraum keine Lösung gibt, müsste dann nicht der gesamte LRV gekündigt werden von der Seite, die unzufrieden damit ist? Die Regelung aus dem bisherigen Rahmenvertrag würde eine Fortgeltung bis zum Abschluss eines neuen LRV sichern, um vor einem vertragslosen Zustand beide Seiten zu bewahren. Aber nun heißt es doch tatsächlich im Text, dass der LRV außer Kraft gesetzt ist – und darin sehen einige Beteiligte das Wiederaufleben einer LandVO-Version 2.

CGS

 

 

 

Quelle:

Deutsche Vereinigung für Rehabilitation DVfR

Fachbeitrag D44-2017 vom 5.10.2017

Einschätzungen zu den Auswirkungen des Bundesteilhabegesetzes und der Pflegestärkungsgesetze auf die Arbeitssituation von Beschäftigten in der Behindertenhilfe: Teil I Auswirkungen des Bundesteilhabegesetzes

Von Christian Janßen (Dipl. Psych. PP)

letzter Aufruf 7.6.2024


Beitrag vom 11.12.2021: Was in der Landesverordnung von Schleswig-Holstein zu finden ist

Beitrag vom 15.12.2021: Was in der Landesverordnung von Schleswig-Holstein zu finden ist – Nachtrag


Notizen:

Der Schleswig-Holsteinische Landkreistag teilt die Feststellung des LRH, dass das Bundesteilhabegesetz objektiv kein „Spargesetz“ ist, sondern die Rechte und Versorgung der Menschen mit Behinderung - mit den entsprechenden Kostenfolgen - stärkt. Aus fachlicher Sicht würde dies dem Grunde nach begrüßt. Die Regelungen des BTHG würden nicht nur keine Effizienzrendite, sondern vielmehr eine nicht unwesentliche Ausgabensteigerung zur Folge haben. Die Schaffung neuer Leistungstatbestände, die Ausweitung bestehender Leistungsangebote, die erhebliche Erweiterung des Teilhabe- und Gesamtplanverfahrens und der eingeschränkten Heranziehung von Einkommen und Vermögen von Leistungsberechtigten würden zu Mehrausgaben führen. Der Schleswig-Holsteinische Landkreistag und der Deutsche Landkreistag hätten von Beginn der Überlegungen zur Implementierung des BTHG an darauf hingewiesen.

Zudem teilt er die Hinweise des LRH zu den gesetzlichen und vertraglichen Regelungsnotwendigkeiten, insbesondere an der Schnittstelle zwischen Eingliederungshilfe und Pflege.

Der Städteverband Schleswig-Holstein unterstützt das Ziel des BTHG, den Menschen mit Behinderung eine bessere Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen. Dass dies nicht ohne eine höhere Ausgabendynamik erfolgen könne, habe auch der Städteverband frühzeitig befürchtet und kommuniziert. Er teile die vom LRH aufgezeigten finanziellen Auswirkungen uneingeschränkt. Die Steuerungsinstrumente würden (bislang) nicht die erhoffte Wirkung zeigen. Auch wenn die kreisfreien Städte alle ihnen zur Verfügung stehenden Steuerungsinstrumente einsetzen würden, könnten sie die Kostendynamik nicht stoppen.

(unbekannte Quelle)

 

 

Bild zum Beitrag eigene Aufnahme.

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