Sonntag, 29. November 2015

Der Mindestlohn als Refinanzierungsproblem (Teil 5)

Am 14.11.2015 hatte ich noch mit der Argumentation des Leistungsträgers in der Vertragskommission gehadert, warum es keine rechtliche Grundlage für die Anhebung der Vergütungen geben soll. Die Argumentationslinie ist mir jetzt verständlicher.

Arbeitgeber (Leistungserbringer) sind gesetzlich verpflichtet, einen Mindestlohn zu zahlen, der nicht unter 8,50 Euro die Zeitstunde liegen darf (§ 1 Abs. 2 S. 1 MiLoG).

Da im Tarifvertrag TVÖD-VKA keine Regelung zum gesetzlichen Mindestlohn enthalten ist, sei es durch Öffnungsklausel oder der Übernahme einer vergleichbaren Regelung, müssen Unternehmen, die z.B. Bereitschaftsdienste (analog zu §§ 45 ff. TVÖD BT-B-VKA) leisten, einen freiwilligen Zuschlag zum tariflichen Lohn zahlen, damit der gesetzliche Mindestlohn erreicht wird.

Sollten die Arbeitsgerichte entscheiden, dass Bereitschaftsdienste nicht unter das MiLoG fallen und demzufolge tatsächlich anders bezahlt werden dürfen, so sollten die Zuschläge unter dem Vorbehalt der Widerrufbarkeit gezahlt werden – so zumindest die Empfehlung verschiedener Personaler und Tarifkenner. Das heißt, wenn der Arbeitgeber die Rechtmäßigkeit der Zahlung widerruft, dann müssen die Arbeitnehmer diese nun „unrechtmäßigen“ und „unter Vorbehalt des Widerrufs“ geleisteten Zuschläge zurückzahlen.

Wie weit zurück ein solcher Widerruf überhaupt möglich ist, sei jetzt für die weitere Besprechung dahingestellt. Es gibt zwar eine tarifliche Ausschlussfrist, nach deren Zeitablauf Rückforderungen nicht mehr gestellt werden können, aber darauf fußt die Argumentation der Leistungsträger nicht. Problematisch ist dagegen, dass Vergütungsvereinbarungen deswegen nicht ungültig werden, wenn Arbeitsgerichte (Gesetzgeber, Tarifparteien usw.) bestimmte Regelungen kippen, auf denen zuvor eine Vergütung kalkuliert worden ist. Also: Sollten die Arbeitsgerichte entscheiden, dass Bereitschaftsdienste nicht unter das MiLoG fallen und demzufolge anders bezahlt werden dürfen, dann ändert sich die Vergütungsvereinbarung nicht und der Leistungserbringer erhält eine „nicht-leistungsgerechte“ Vergütung bis zur nächsten Neuverhandlung.

Weil (1.) dieser freiwillige Zuschlag im Tarifvertrag nicht geregelt ist, also die letzten Tarifverhandlungen auch keine Änderungen dahingehend vereinbart hatten, und (2.) darüber hinaus eine Widerrufbarkeit zu Gunsten des Arbeitgebers ausgesprochen wird, und (3.) Vergütungsvereinbarungen nur „leistungsgerechte“ Entgelte beinhalten dürfen, mangelt es an der formalen Grundlage.

Man könnte die Angelegenheit wie folgt lösen:

Es wird anerkannt, dass die gesetzliche Regelung der tariflichen Regelung vorgeht, weil der Tarifvertrag nicht allgemein verbindlich erklärt worden ist.

Es wird eine widerrufbare Zulage gezahlt zum Ausgleich der Differenz zum gesetzlichen Mindestlohn bis eine gerichtliche, gesetzliche oder tarifliche Regelung getroffen worden ist. Diese Zulage wird, wenn sie denn ausgezahlt worden ist, nicht mehr zurückgefordert (einseitige Entscheidung des Arbeitgebers) – auf die Einrede der Verjährung wird also verzichtet.

Die Vergütungsvereinbarungen werden nicht nur zeitlich befristet (was sie in der Regel sowieso sind), sondern in Höhe der voraussichtlichen Zulagenzahlung wird ein Ausgleichsbetrag vereinbart, der im Folgejahr entfällt bzw. wieder neu vereinbart werden muss.

CGS



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