Samstag, 14. November 2015

Der Mindestlohn als Refinanzierungsproblem (Teil 4)

Arbeitgeber in der Sozialwirtschaft mit Bereitschaftsdiensten dürfen das Thema Mindestlohn nicht ignorieren, sondern sind gut beraten, sich die Auswirkungen vor Augen zu führen.

Auch in der Vertragskommission SGB XII (Schleswig-Holstein) wurde das Thema besprochen. Das Ergebnis blieb allerdings gleich: Die Leistungsträger lehnten ab, weil es keine rechtliche Grundlage für eine Anhebung der Vergütungen geben soll. Sie begründeten dies damit, dass sich der TVÖD-VKA und andere Tarifverträge nicht geändert hätten. Jede Zeitstunde des Bereitschaftsdienstes wird lt. Tarifvertrag mit dem Anrechnungs-Faktor (z.B. 25 %) zum Zwecke der Lohnberechnung gewertet. Und im öffentlichen Dienst wird kein Mindestlohn gezahlt.

Wie man zu einer solchen Behauptung (und auch Argumentation) kommen kann, ist leider nicht überliefert (nachvollziehbar). Man könnte allerdings annehmen, dass damit die Regelung in § 24 MiLoG gemeint ist. Wie ich aber zuletzt aufgezeigt habe, greift diese Ausnahmeregelung nur bei solchen Tarifparteien, deren Tarifvertrag für „allgemeinverbindlich“ erklärt worden ist – der TVÖD-VKA gehört nicht zu diesen verbindlich erklärten Tarifverträgen.

Alle „übrigen“ Arbeitgeber müssen somit sicherstellen, dass mindestens der gesetzliche Mindestlohn von derzeit 8,50 Euro pro Stunde gezahlt wird. Bei einigen Beschäftigten kann ohne weiteres vorausgesetzt werden, dass rechnerisch ein solcher Stundenlohn tatsächlich erreicht wird. Bei Nicht-Fachkräften könnte selbst der tariflich zu zahlende Stundenlohn im Bereitschaftsdienst unterhalb des gesetzlichen Mindestlohns liegen.

Nochmal: Der Mindestlohn stellt einen gesetzlichen Anspruch einzelner Arbeitnehmer dar. Nur wenn ein Tarifvertrag als „allgemeinverbindlich“ erklärt worden ist, gilt nicht mehr der Mindestlohn.

Wie könnten die Leistungserbringer argumentieren?

Tarifverträge müssen eine Öffnungsklausel haben, damit der vom Tarif abweichende Mindestlohn gezahlt wird.

Das Mindestlohngesetz ist nicht tarifdispositiv. Weder muss im Tarifvertrag eine Regelung enthalten sein, welche die Anwendung des Gesetzes erlaubt oder ausdrücklich verbietet. Das Mindestlohngesetz muss über Tarif- und Arbeitsverträgen stehen, weil es politischer Wille ist, einen Mindestlohn für alle Beschäftigten sicherzustellen. Nach § 3 MiLoG sind „Vereinbarungen, die den Anspruch auf Mindestlohn unterschreiten oder seine Geltendmachung beschränken oder ausschließen,…“ insoweit unwirksam. Nur in Ausnahmefällen, d.h. § 24 MiLoG, tritt das Gesetz zurück.

Im Landesrahmenvertrag für Schleswig-Holstein ist festgelegt, dass der TVÖD die Obergrenze bildet.

Personalkosten einer Einrichtung müssen aus einem nachvollziehbaren System der Entlohnung stammen, denn sonst wäre jeder Arbeitsvertrag zu prüfen hinsichtlich des Prinzips aus § 76 Abs. 1 Satz 3 SGB XII (Grundsatz der Notwendigkeit und Angemessenheit). Tarifverträge, die richtig angewendet werden, erfüllen dementsprechend dieses Kriterium. Von daher entstehen Personalkosten aus der Anwendung einer „Vergütungssystematik“ (vgl. Ziffer 4.2 LRV-SH SGB VIII, Jugendhilfe).

Weder im LRV-SH Jugendhilfe noch im LRV-SH § 79 Abs. 1 SGB XII (Sozialhilfe / Eingliederungshilfe) ist der TVÖD als Richtwert oder als Referenz festgelegt. Allerdings gibt es Bestimmungen, die tatsächlich Bezug nehmen auf den TVÖD; zum Beispiel:

In Ziffer 6.2.1 LRV-SH SGB VIII heißt es, dass für die Berechnung und Anpassung der Entgelte die „Personalkosten um die prozentuale Rate angepasst [werden], die sich aufgrund der Tarifentwicklung im TVÖD-VKA, gesetzlichen Veränderungen [und] der Entwicklung der Sozialversicherungsbeiträge ergibt.“

In Ziffer 3.1. AVV zum LRV-SH SGB XII heißt es in Absatz 2, dass die Personalkosten einer Einrichtung übernommen werden, „die aufgrund eines geltenden Tarifvertrags oder einer vergleichbaren Regelung vom Einrichtungsträger als Arbeitsentgelte verpflichten zu leisten sind…“. Die Anerkennung erfolgt, „soweit sie den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit und Leistungsfähigkeit gem. §§ 75 SGB XII entsprechen.“ Wenn allerdings diese Voraussetzungen nicht vorliegen, so in Absatz 3, bildet der TVÖD-VKA-West die summarische Obergrenze.

Also: Obergrenze „Ja, wenn kein Tarifvertrag oder vergleichbare Regelung“ vorhanden sind.

Der Mindestlohn muss nur für die Zeiten bezahlt werden, in denen tatsächlich gearbeitet wird.

Gemeint ist damit, dass die Bereitschaftszeit zum einen aus einer nicht-vergüteten Ruhezeit und einer „normal“ vergüteten Tätigkeitszeit besteht. Zwar handelt es sich insgesamt um Arbeitszeit, weil der Arbeitgeber bestimmt, wo der Arbeitnehmer sich während der gesamten Zeit aufhält, aber vergütet wird nur der Zeitanteil, in dem tatsächlich eine Tätigkeit aufgenommen wird. Und nur aus Vereinfachungsgründen haben die betrieblichen Parteien bestimmt, dass der Tätigkeitsanteil während dieser Zeit 15 bis 55 % ausmacht (vgl. § 8.1 TVÖD-B-VKA bzw. § 46 BT-B-VKA).

Dieses Argument könnte tatsächlich stichhaltig sein. In verschiedenen Kommentaren wird diese Unterscheidung diskutiert, weil es in der Praxis diese Ruhezeiten gibt, für die der Arbeitgeber getreu dem Grundsatz „Keine Arbeit, kein Geld“ verständlicherweise nicht einmal Mindestlohn bezahlen will. Welchen Sinn macht Bereitschaftsdienst, wenn er „normal“ zu vergüten wäre?

Was aber nun fehlt, ist eine gesetzliche Klarstellung oder eine höchstrichterliche Entscheidung. Arbeitgeber wären allerdings schlecht beraten, auf eine solche weiterhin zu warten und bis dahin den Mindestlohn zu verweigern. Nach § 20 MiLoG sind sie verpflichtet, das Gesetz anzuwenden, andernfalls droht Bußgeld.

Mein Fazit:

Entgeltverhandlungen führen und notfalls in die Schiedsstelle gehen, wenn man im Bereitschaftsdienst solche Mitarbeiter beschäftigt, die vom Mindestlohn profitieren würden.

CGS




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