Arbeitgeber in der
Sozialwirtschaft mit Bereitschaftsdiensten dürfen das Thema Mindestlohn nicht
ignorieren, sondern sind gut beraten, sich die Auswirkungen vor Augen zu
führen.
Auch in der Vertragskommission SGB XII
(Schleswig-Holstein) wurde das Thema besprochen. Das Ergebnis blieb allerdings
gleich: Die Leistungsträger lehnten ab, weil es keine rechtliche Grundlage für
eine Anhebung der Vergütungen geben soll. Sie begründeten dies damit, dass sich
der TVÖD-VKA und andere Tarifverträge nicht geändert hätten. Jede Zeitstunde
des Bereitschaftsdienstes wird lt. Tarifvertrag mit dem Anrechnungs-Faktor
(z.B. 25 %) zum Zwecke der Lohnberechnung gewertet. Und im öffentlichen Dienst wird
kein Mindestlohn gezahlt.
Wie man zu einer solchen Behauptung (und auch
Argumentation) kommen kann, ist leider nicht überliefert (nachvollziehbar). Man
könnte allerdings annehmen, dass damit die Regelung in § 24 MiLoG gemeint ist.
Wie ich aber zuletzt aufgezeigt habe, greift diese Ausnahmeregelung nur bei
solchen Tarifparteien, deren Tarifvertrag für „allgemeinverbindlich“ erklärt
worden ist – der TVÖD-VKA gehört nicht zu diesen verbindlich erklärten
Tarifverträgen.
Alle „übrigen“ Arbeitgeber müssen somit sicherstellen,
dass mindestens der gesetzliche Mindestlohn von derzeit 8,50 Euro pro Stunde
gezahlt wird. Bei einigen Beschäftigten kann ohne weiteres vorausgesetzt
werden, dass rechnerisch ein solcher Stundenlohn tatsächlich erreicht wird. Bei
Nicht-Fachkräften könnte selbst der tariflich zu zahlende Stundenlohn im
Bereitschaftsdienst unterhalb des gesetzlichen Mindestlohns liegen.
Nochmal: Der Mindestlohn stellt einen gesetzlichen
Anspruch einzelner Arbeitnehmer dar. Nur wenn ein Tarifvertrag als
„allgemeinverbindlich“ erklärt worden ist, gilt nicht mehr der Mindestlohn.
Wie könnten die Leistungserbringer argumentieren?
Tarifverträge müssen eine Öffnungsklausel haben, damit
der vom Tarif abweichende Mindestlohn gezahlt wird.
Das Mindestlohngesetz ist nicht tarifdispositiv. Weder
muss im Tarifvertrag eine Regelung enthalten sein, welche die Anwendung des
Gesetzes erlaubt oder ausdrücklich verbietet. Das Mindestlohngesetz muss über
Tarif- und Arbeitsverträgen stehen, weil es politischer Wille ist, einen
Mindestlohn für alle Beschäftigten sicherzustellen. Nach § 3 MiLoG sind
„Vereinbarungen, die den Anspruch auf Mindestlohn unterschreiten oder seine
Geltendmachung beschränken oder ausschließen,…“ insoweit unwirksam. Nur in
Ausnahmefällen, d.h. § 24 MiLoG, tritt das Gesetz zurück.
Im Landesrahmenvertrag für Schleswig-Holstein ist
festgelegt, dass der TVÖD die Obergrenze bildet.
Personalkosten einer Einrichtung müssen aus einem
nachvollziehbaren System der Entlohnung stammen, denn sonst wäre jeder Arbeitsvertrag
zu prüfen hinsichtlich des Prinzips aus § 76 Abs. 1 Satz 3 SGB XII (Grundsatz
der Notwendigkeit und Angemessenheit). Tarifverträge, die richtig angewendet
werden, erfüllen dementsprechend dieses Kriterium. Von daher entstehen
Personalkosten aus der Anwendung einer „Vergütungssystematik“ (vgl. Ziffer 4.2
LRV-SH SGB VIII, Jugendhilfe).
Weder im LRV-SH Jugendhilfe noch im LRV-SH § 79 Abs. 1
SGB XII (Sozialhilfe / Eingliederungshilfe) ist der TVÖD als Richtwert oder als
Referenz festgelegt. Allerdings gibt es Bestimmungen, die tatsächlich Bezug
nehmen auf den TVÖD; zum Beispiel:
In Ziffer 6.2.1 LRV-SH SGB VIII heißt es, dass für die
Berechnung und Anpassung der Entgelte die „Personalkosten um die prozentuale
Rate angepasst [werden], die sich aufgrund der Tarifentwicklung im TVÖD-VKA,
gesetzlichen Veränderungen [und] der Entwicklung der
Sozialversicherungsbeiträge ergibt.“
In Ziffer 3.1. AVV zum LRV-SH SGB XII heißt es in Absatz
2, dass die Personalkosten einer Einrichtung übernommen werden, „die aufgrund
eines geltenden Tarifvertrags oder einer vergleichbaren Regelung vom
Einrichtungsträger als Arbeitsentgelte verpflichten zu leisten sind…“. Die
Anerkennung erfolgt, „soweit sie den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit,
Sparsamkeit und Leistungsfähigkeit gem. §§ 75 SGB XII entsprechen.“ Wenn
allerdings diese Voraussetzungen nicht vorliegen, so in Absatz 3, bildet der
TVÖD-VKA-West die summarische Obergrenze.
Also: Obergrenze „Ja, wenn kein Tarifvertrag oder
vergleichbare Regelung“ vorhanden sind.
Der Mindestlohn muss nur für die Zeiten bezahlt
werden, in denen tatsächlich gearbeitet wird.
Gemeint ist damit, dass die Bereitschaftszeit zum einen
aus einer nicht-vergüteten Ruhezeit und einer „normal“ vergüteten
Tätigkeitszeit besteht. Zwar handelt es sich insgesamt um Arbeitszeit, weil der
Arbeitgeber bestimmt, wo der Arbeitnehmer sich während der gesamten Zeit
aufhält, aber vergütet wird nur der Zeitanteil, in dem tatsächlich eine
Tätigkeit aufgenommen wird. Und nur aus Vereinfachungsgründen haben die
betrieblichen Parteien bestimmt, dass der Tätigkeitsanteil während dieser Zeit
15 bis 55 % ausmacht (vgl. § 8.1 TVÖD-B-VKA bzw. § 46 BT-B-VKA).
Dieses Argument könnte tatsächlich stichhaltig sein. In
verschiedenen Kommentaren wird diese Unterscheidung diskutiert, weil es in der
Praxis diese Ruhezeiten gibt, für die der Arbeitgeber getreu dem Grundsatz
„Keine Arbeit, kein Geld“ verständlicherweise nicht einmal Mindestlohn bezahlen
will. Welchen Sinn macht Bereitschaftsdienst, wenn er „normal“ zu vergüten
wäre?
Was aber nun fehlt, ist eine gesetzliche Klarstellung
oder eine höchstrichterliche Entscheidung. Arbeitgeber wären allerdings
schlecht beraten, auf eine solche weiterhin zu warten und bis dahin den
Mindestlohn zu verweigern. Nach § 20 MiLoG sind sie verpflichtet, das Gesetz
anzuwenden, andernfalls droht Bußgeld.
Mein Fazit:
Entgeltverhandlungen führen und notfalls in die
Schiedsstelle gehen, wenn man im Bereitschaftsdienst solche Mitarbeiter
beschäftigt, die vom Mindestlohn profitieren würden.
CGS
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