Montag, 21. Juli 2014

Die Zukunft der Integrationsassistenz in Schleswig-Holstein (Fortsetzung)

Am Anfang gab es einen Beschluss des LSG Schleswig-Holstein zur  Integrationsassistenz bzw. Schulbegleitung für Kinder mit Hilfebedarf an Regelschulen. Als Problem wurde gesehen, dass verschiedene Tätigkeiten des Integrationsassistenten im vorgelegten Fall den „Kernbereich der pädagogischen Arbeit“ betrafen und somit nicht in den Aufgabenbereich der Eingliederungshilfe nach §§ 35 a SGB VIII bzw. 53, 54 SGB XII fielen.

Was als „Kernbereich der pädagogischen Arbeit“ verstanden wird, hatte das LSG herauszuarbeiten versucht. Dabei wurde problematisiert, dass die tatsächliche Arbeit der Integrationsassistenten in diesen Kernbereich hineinragt. Eine solche Überlagerung muss aber aufgrund des Nachranggrundsatzes in § 2 SGB XII vom Träger der Sozialhilfe nicht geleistet werden (so das Gericht und natürlich die Träger der Sozialhilfe, aber vgl. auch LSG Baden-Württemberg weiter unten).

Weil nach Ansicht des Gerichtes im Schulgesetz von Schleswig-Holstein nicht nur die „reine Wissensvermittlung“ enthalten ist, sondern im Vordergrund die „inklusive Beschulung“ steht, sind sämtliche Maßnahmen im Hinblick auf Erziehung und Förderung sowie behinderungsbedingte Defizitausgleiche Bestandteil des besagten Aufgabenbereichs der Lehrkräfte (vgl. auch § 4 Abs. 11 Satz 2 SchulGSH).

Und hier offenbart sich das Problem in der Praxis: Integrationsassistenten können ihren Aufgabenbereich nur ungenügend von der pädagogischen Arbeit abgrenzen; in manchen Fällen werden sie sogar eingesponnen für die Mitarbeit in der Erziehung und Förderung aller Kinder des jeweiligen Klassenverbandes. Sie müssten zwar den erzieherischen Teil des ihnen übertragenen Auftrags ablehnen, und dies nicht nur im Hinblick auf den Schüler mit Förderbedarf, trotzdem wird es immer einen motivierenden, pädagogischen Anteil in der täglichen Arbeit geben.

Darf eine Integrationsassistenz nach dem Schulgesetz pädagogische Arbeit leisten?

§ 34 SchulGSH, Lehrkräfte

(5) Außer dem in den Absätzen 1 bis 3 genannten Personenkreis [d.h. Lehramtsbefähigte und Personen mit anderen Befähigungen, pädagogische Fachkräfte an Förderzentren] dürfen nur Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst lehrplanmäßigen Unterricht erteilen.

(6) Zur Durchführung schulischer Veranstaltungen außerhalb des lehrplanmäßigen Unterrichts können auch Personen eingesetzt werden, die bei einem Schulträger, einem Elternverein oder einer Institution nach § 3 Abs. 3 [d.h. Kindertageseinrichtungen und der Jugendhilfe, Jugendverbänden sowie mit anderen Institutionen im sozialen Umfeld von Kindern und Jugendlichen] beschäftigt sind.

Die Integrationsassistenz kann zwar eine Person mit anderen Befähigungen sein, wie es § 34 Abs. 5 i.V.m. Abs. 2 SchulGSH benennt, aber m.E. widerspricht eine solche Auslegung der Intention des Gesetzes. Von daher muss man davon ausgehen, dass jegliche pädagogische Betätigung im Sinne des  Schulgesetzes für Personen, die nicht anerkannte Lehrkräfte sind, zu verneinen ist.

Andererseits kann eine im Schulbetrieb anwesende Person sich nicht gänzlich von einem an sie herangebrachten erzieherischen Auftrag lösen; man stelle sich nur vor, dass ein Schüler um Hilfe bei der Bewältigung eines Problems bittet. M.E. wäre eine praxistaugliche Abgrenzung überhaupt nicht möglich. Tatsächlich müsste die Integrationsassistenz Weisungen erteilen und an der Beaufsichtigung teilnehmen, um einerseits Integrationsarbeit für den Schüler mit Förderbedarf zu leisten und andererseits im Falle einer beobachteten Störung oder Fehlverhaltens als von Schülern wahrgenommenes Mitglied der Lehrkräfte einzuschreiten (d.h. feststellen, belehren, warnen und ermahnen).

Darf eine Integrationsassistenz dann überhaupt Weisungen erteilen und die Beaufsichtigung führen?


§ 17 SchulGSH, Weisungen, Beaufsichtigung

(1) Die Schülerinnen und Schüler haben in der Schule und bei sonstigen Schulveranstaltungen die Weisungen der Schulleiterin oder des Schulleiters und der Lehrkräfte zu befolgen, die dazu bestimmt sind, das Bildungs- und Erziehungsziel der Schule zu erreichen und die Ordnung an der Schule aufrechtzuerhalten.

 (3) Mit der Beaufsichtigung können jeweils nach den Umständen des Einzelfalls auch Lehrkräfte anderer Schulen, Beschäftigte nach § 34 Abs. 5 und 6, Eltern, Schülerinnen und Schüler sowie vom Schulträger angestellte sonstige Personen betraut werden. Weiterhin kann die Beaufsichtigung von denjenigen Personen übernommen werden, die die Schülerinnen und Schüler im Rahmen von Praktika betreuen.

Eine Weisungsbefugnis ergibt sich nicht für Integrationsassistenten. Weisungsbefugt sind nur die Schulleitungen und die Lehrkräfte.

Die „Betrauung“ bzw. Übernahme der Beaufsichtigung kann dagegen von der zuständigen Lehrkraft an eine andere Person erfolgen. Allerdings schränken die „Umstände des Einzelfalls“ den Aufgabenbereich für die Integrationsassistenz wieder ein. Integrationsassistenten müssen vorrangig (und eigentlich ständig) eine Leistung gegenüber dem Schüler mit Förderbedarf erbringen. Gleichwohl könnten Sie in Bezug auf diesen Schüler mit der Beaufsichtigung durch die Lehrkraft beauftragt werden.

Das Schulgesetz führt zwar als hehres Ziel die inklusive Bildung für Alle, aber im Gesetz sind Regelungen für Integrationsassistenten nicht vorgesehen. Eine Kombination beider Bereiche wäre wünschenswert. Doch dann müsste es im schleswig-holsteinischen Schulgesetz heißen, dass auch die Aufgaben der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen wahrgenommen werden von den Schule, was wiederum die Abgrenzungsproblematik entstehen lässt, wenn Schulen mit ungenügenden Ressourcen ausgestattet sind.

Wenn eine pädagogische Assistenz zukünftig mit der Lehrkraft zusammen tätig ist, ist sie dann noch immer vorrangig für den Schüler mit Förderbedarf tätig?

Und darf eine pädagogische Assistenz Leistungen erbringen, die im Rahmen der Eingliederungshilfe dem behinderten Kind exklusiv zugedacht sind?

Die Integrationsassistenz nach dem SGB XII muss es weiterhin geben. Und um eine adäquate Beschulung auf niedrigschwelligem Niveau anzubieten, soll heißen ohne unnötige Bindung von Fachkraftstellen, sollte es eine pädagogische Assistenz im SchulGSH geben. Im Rahmen der Gesamtplankonferenz nach SGB XII könnte dann bestimmt werden, wo die Leistungen sinnvoll anzusiedeln wären (z.B. nach dem Überwiegenheitsprinzip).

Es gibt bereits Strukturen und Erfahrungen in Schleswig-Holstein, auf die man zurückgreifen könnte bzw. wie man eine solche Tätigkeit beschreiben oder begrifflich abgrenzen könnte:

Das Bildungsministerium in Schleswig-Holstein brachte in 2010 eine „Handreichung für Assistentinnen und Assistenten an Schulen“ heraus.

In der 16. Wahlperiode erteilte die Landesregierung Auskunft zum Einsatz von „Schulassistenten“ (Drucksache 16/1970 des Schleswig-Holsteinischen Landtags): Es wurden „im Rahmen des Modellvorhabens ‚Einsatz von Schulassistenten zur Entlastung von Schulleitungen und Lehrkräften an Schulen des Landes Schleswig-Holstein‘ im Zeitraum vom 01.05.2000 bis 31.12.2005 insgesamt vier tariflich vergütete Verwaltungskräfte vornehmlich im IT-Bereich sowie für Verwaltungsaufgaben an Schulen eingesetzt“. Hier zeigt sich allerdings, dass das Berufsbild „Schulassistent“ nicht die gleiche Bedeutung trägt, wie das einer pädagogischen Assistenz (vgl. auch „Schulassistenten und -assistentinnen an allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen“ in http://berufenet.arbeitsagentur.de/).

Ideal wäre es aber gewesen, wenn das LSG anerkannt hätte, dass auch eine pädagogische Unterstützung im geringen Umfang unschädlich wäre. Dann würden zwar die Kosten weiterhin aus Mitteln der Sozialhilfe kommen, aber so würde man sich den bürokratischen Anpassungsprozess ersparen.

CGS



PS:

Das LSG Baden-Württemberg hat eine etwas andere Ansicht vertreten (vgl. Beschluss vom 3.6.2013 – Az. L 7 SO 1931/13 ER). In diesem Fall ging es um den Anspruch von Schulbegleitung für Kinder an Sonderschulen. Das Gericht bejahte den Anspruch und stellt sogar fest, dass pädagogische Anteile in der unterstützenden Arbeit der Integrationsassistenz nicht abträglich sind, wenn der Gesamtzusammenhang (d.h. summarische Betrachtung) untersucht wird. Hierzu gehörte, dass aus dem Schulbericht klar die Unmöglichkeit zur Leistung von Assistenzmaßnahmen hervorging. Demzufolge hatte der Antragssteller Anspruch auf Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung nach §§ 53, 54 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB XII in Form eines qualifizierten Schulbegleiters.