Sonntag, 17. Januar 2021

Die neue Wirksamkeit – ein paar erste Überlegungen

Mit der UN-BRK wurde die „Wirksamkeit“ bzw. die Effizienz der Maßnahmen, die eine gemeinschaftliche Teilhabe sicherstellen sollen, zum Thema gemacht. Wobei man fairerweise sagen muss, dass sowas wie Qualitätssicherung und Qualitätsmanagement schon in den früheren Jahren immer wieder besonders betont wurden. Und in der Folge verlangten die Leistungserbringer, dass man die Kosten dafür vereinbart bekam, während die Leistungsträger das als eine Selbstverständlichkeit ansahen. Damit drehten sich die Verhandlungen im Kreis.

Der Begriff soll einziehen in die Begriffswelt der Leistungsvereinbarungen und Rahmenverträge. Damit wird aber das bisherige Verständnis von Qualität in der Leistungserbringung komplett neu definiert. Denn wenn es nicht mehr so sehr auf das Angebot der Leistungserbringer ankommt, sondern es soll nur noch ein Hilfeplan umgesetzt werden, dann hat das Folgen für die Vergütungen. Oder neu gefragt: Wird das Leistungsentgelt jetzt in völliger Abhängigkeit zur Zielerreichung (Wirksamkeit) gezahlt?

Hier jetzt ein Versuch, sich dem Problem ein wenig zu nähern.

 

Die Qualität der Leistung wird um die Wirksamkeit ergänzt

Verträge mit Leistungserbringern enthalten eine Regelung zur Qualitätssicherung hinsichtlich der Leistungsausführung (vgl. § 38 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX und § 125 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX), denn schließlich steht im Vordergrund des Ganzen die „volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft“ (§ 1 Abs. 1 SGB IX). Diese Verträge beziehen sich darüber hinaus noch auf die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) und im Falle von Wohnstätten auf das Zwölfte Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) sowie das Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (WBVG). Die Verträge gelten natürlich immer nur für das jeweilige Bundesland (§ 123 Abs. 1 SGB IX) und werden vereinbart zwischen dem örtlich zuständigen (oder übergeordneten Verband der) Leistungsträger und dem Leistungserbringer vor Ort (andere, sozusagen länderübergreifende Konstellationen gab es in der Vergangenheit, und sollte es nicht mehr geben).

Wenn nun die UN-BRK mit aufgeführt wird, stellt sich allerdings die Frage, inwieweit die dort enthaltenen Vorgaben tatsächlich bindend sind. Maßgebend sind nun mal das Sozialgesetzbuch und darauf fußende Spezial- und Landesgesetze. Die UN-BRK kann lediglich als Auslegungshilfe betrachtet werden und einen Orientierungspunkt bieten, aber sie ist keine Grundlage, um Leistungen abzufordern.

Was nun die „Wirksamkeit“ anbelangt (d.h. Effizienz der Maßnahmen und der Zugänge), kann man aus der UN-BRK selbst nur an wenigen Stellen etwas finden (vgl. Art. 8, 13 und 23). Da heißt es beispielsweise, dass sich die Vertragsstaaten verpflichtet haben, „… sofortige, wirksame und geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um … (1.) in der gesamten Gesellschaft … das Bewusstsein für Menschen mit Behinderungen zu schärfen und die Achtung ihrer Rechte und ihrer Würde zu fördern …“ (Art. 8 Abs. 1 Nr. 1 UN-BRK). Der Begriff ist Teil einer Aufzählung, um den anderen Begriff der „Maßnahmen“ besser zu verstehen. Von daher wird nicht die „Wirksamkeit“ herausgestellt, sondern man soll Leistungen erbringen, die für diese besonderen Menschen gemacht sind.

Im Sozialgesetzbuch liest es sich zuerst einmal nicht anders. Man spricht von „wirksam“ und benutzt es, um den übergeordneten Begriff der „Teilhabe am Leben in der Gesellschaft“ besser zu erklären; immerhin wurde doch mit dem BTHG eine Reform der Eingliederungshilfe angestoßen, die eine verbesserte Teilhabe schaffen sollte für Menschen mit Behinderung. Doch geht man zu dem Passus über die Verträge im SGB IX (Leistungsvereinbarungen), trifft man auf die „Wirksamkeit der Leistungen der Eingliederungshilfe“ – meines Erachtens eine Besonderheit, die sich von der UN-BRK abhebt. Wo es noch in früheren Zeiten immer nur um Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität ging, wird jetzt das gesamte Thema rund um Qualität ergänzt um diesen Aspekt.

 

Das bisherige Qualitätsmodell in der Eingliederungshilfe

Nach dem Arzt Avedis Donabedian sollte Qualität im Gesundheitswesen eingeteilt werden in die drei Ebenen Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität (siehe Wikipedia-Link weiter unten). Was damit gemeint ist, kann man verkürzt so beschreiben:

Mit der Strukturqualität wird eigentlich die Sammlung an Ressourcen gemeint, die man für die Leistungserbringung braucht (d.h. das behindertengerechte Auto, die barrierefreien Flächen, ein speziell ausgebildetes Fachpersonal). Zu den Strukturen zählen somit Personal, Räumlichkeiten mit Ausstattung sowie betriebsnotwendige Anlagen. Die Strukturen müssen bedarfsgerecht und in ausreichendem Maße vorhanden sein (z.B. mittels Personalschlüssel), damit die Leistungserbringung vonstattengehen kann.

Bei der Prozessqualität wird auf die einzelnen Aktivitäten oder Verfahren der Leistungserbringung abgestellt. Die Hilfeplanung kann hinzugerechnet werden, der Ablauf der eigentlichen Leistungen und sonstigen Maßnahmen (administrativ oder fachlich), die Versorgung sowie die Berichterstattung. Weil nun dazu auch die verschiedenen Standards, Vorschriften und Normen gehören (immerhin ist der Hilfeplan als ein Leitziel zu verstehen), gehört auch ein Leitbild der sozialen Organisation dazu. Dementsprechend braucht es eine kontinuierliche Qualifizierung und fachbezogene Fortbildung für das Personal, was sich somit in den Vergütungen niederschlagen muss.

Die Ergebnisqualität ist zumindest das Resultat der Leistungen und Maßnahmen mithilfe der vorhandenen Ressourcen, der Output aus dem Input und der Verarbeitung (ganz im Sinne des EVA-Prinzips in der Datenverarbeitung), der Vorher-Nachher-Effekt einer Leistungserbringung, ein messbarer Zugewinn. Nach Donabedian  wird die Ergebnisqualität als eine Einflussgröße verstanden, die im engen Zusammenhang und Austausch mit den beiden anderen Qualitäts-Begriffen (Ebenen, Dimensionen) steht. Sie beeinflussen sich gegenseitig. Im Gesundheitswesen kann der Patient anhand seiner Zufriedenheit über die entgegengebrachten medizinischen Leistungen, welche aus den Medikamenten und ärztlichen, pflegerischen oder therapeutischen Handlungen bestehen, die Ergebnisqualität bewerten. Dann könnte man von einem Grad der Zielerreichung sprechen, dem wiederum eine Zielvereinbarung vorausgehen muss.

Der Bundesgesetzgeber sieht in der Ergebnisqualität ein wesentliches Element der Steuerung (S. 7, BR-Dr 262/04, Begründung zu § 4). Von daher ist es kein Wunder, wenn man die Wirksamkeit als neuen Begriff einführt und zum entscheidenden Kriterium für die Leistungserbringung macht. Man würde von daher den Hilfeplan zur Zielvereinbarung machen, und im periodisch vorzuführenden Entwicklungsbericht den Grad der Zielerreichung bestimmen. Entscheidend wäre nun, ab welchem Grad der Zielerreichung eine „Un-Wirksamkeit“ zu einem Verlust der (vollen) Vergütung führen wird.

 

Die Ergebnisqualität ist nicht gleichzusetzen mit Wirksamkeit

Wirksamkeit (Ergebnis) könnte angenommen werden, wenn ein Leistungserbringer die vereinbarten Ressourcen (Strukturen) vertragsgerecht und unter Beachtung der fachlichen und gesetzlichen Vorgaben (Prozesse) dem Leistungsberechtigten barrierefrei und bedarfsgerecht anbietet oder für diesen unternimmt. Mit dieser etwas sperrig klingenden Definition will man sich vonseiten der Leistungserbringer auf die Bereithaltung eines Angebots zurückziehen. Das allein wäre ausreichend, um die Wirksamkeit zu belegen.

Man kann diese Definition natürlich noch detaillierter gestalten und alle Schritte, die von der ersten Kontaktaufnahme bis zum letzten erfolglosen Versuch einer Förderung geschehen sind, benennen: das erste Gespräch und die Beratung, die Begleitung und Betreuung, die Berichterstattung an den Leistungsträger mit Hinweisen für eine verbesserte Gesamtplanung, und noch viel mehr. Für all das braucht es qualifiziertes Personal und unternehmerische Strukturen, was natürlich viel Geld kostet. Wenn es darauf nun nicht mehr ankommt und nur noch der Erfolg zählt, was bedeutet das?

Wirksamkeit ist aus Sicht des Leistungsträgers die ordnungsgemäße Umsetzung des Hilfeplans und das Erreichen eines ganz bestimmten Ziels (das erinnert sehr an diese leidige Geschichte mit dem Leistungsentgelt aus § 18 TVöD-VKA). Man könnte sich darüber streiten, ob der „Weg zum Ziel“ oder das Ziel selber die Wirksamkeit bestimmen. Beides kann nämlich zusammenhängen und wäre unter Umständen essentiell für eine volle Zielerreichung (100 %). Oder auch nicht, wenn man lediglich das reine Ergebnis anerkennt. Aber genau das müsste dann in einer Leistungsvereinbarung bestimmt werden – soweit ich weiß, ist dies nicht der Fall in Schleswig-Holstein und Hamburg (könnte aber in anderen Bundesländern der Fall sein; Irrtum möglich).

Ist also Wirksamkeit identisch mit dem Ergebnis? Für einen Normal-Sprachgebrauchenden mag das kein Problem sein. Für die Leistungserbringer ist es das, weil bei Unwirksamkeit etwas passieren muss. Würde man statt der vereinbarten 100 % etwas weniger erreichen, würde das dann zur Folge haben, dass die Vergütung nur anteilig gezahlt wird? – wie gesagt, der Vergleich mit dem Leistungsentgelt aus dem TVöD ist sehr naheliegend. Von daher versucht man jetzt diese Gefahr durch eine neue Definition einerseits zu umgehen (Leistungserbringer) bzw. die Drohkulisse aufrecht zu halten (Leistungsträger).  

CGS

 

 

Weitere Quellen und Ressourcen:

Deutsches Institut für Menschenrechte

 

Notiz:

Eine „Wirksamkeitsdefinition“ scheint derzeit noch zu fehlen, zumindest gab es vor einiger Zeit in einer Diskussion zu den Umsetzungserscheinungen des BTHG eine derartige Wortmeldung (Quelle liegt mir zzt. nicht vor). Das heißt jetzt nicht, dass der Begriff in den vielen Landesgesetzen, Rahmenverträgen und Muster-Leistungsvereinbarungen fehlt – das ist nicht der Fall.

 

 

Das hier ist keine Rechtsberatung oder Aufforderung zur Vornahme eines Rechtsgeschäftes. Der Beitrag stellt nur meine Sicht auf die Dinge dar. Und eine solche Sicht kann sich immer noch ändern. Brauchen Sie rechtliche Unterstützung, wenden Sie sich an die zuständigen Behörden, Sozial- und Betroffenenverbände oder rechtskundige Dritte. Lesen Sie bitte ebenfalls die Hinweise zum Rechtsstatus der Webseite, Urheberrechtsbestimmungen und Haftungsausschluss sowie die Datenschutzerklärung.

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